Das Konzept der "Kinderfreundebewegung" in Deutschland


Hausarbeit, 2011

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Gesellschaftliche Situation

3 „Kinderfreundebewegung“
3.1 Ursprung und Entwicklung
3.2 Entwicklung in Braunschweig
3.3 Pädagogisches Grundverständnis
3.4 Lernort Kinderrepublik der RAG
3.5 Entwicklung Richtung Falken
3.6 Kinderfreunde während der NS-Zeit

4 Schlussgedanke

5 Anhang
5.1 Biografische Angaben zu Kurt Löwenstein

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Wie sieht Kinderalltag zwischen grauen Mietskasernen aus?“, ist eine der Fragen, die sich stellt, wenn man an die Kinder aus der Arbeiterklasse denkt. Vor 90 Jahren sah dieser Alltag grundlegend anders aus als heute, wo die Kinder vor dem Fernseher oder dem PC geparkt werden, wenn die Eltern arbeiten müssen.

Nach dem ersten Weltkrieg gestaltete sich dies für die Kinder aus der Arbeiterklasse anders. Wenn die Eltern sozialdemokratisch geprägt waren, wurde zumeist versucht die Kinder nicht sich selbst zu überlassen, sondern sie anderweitig unterzubringen, wie z.B. in Arbeiterturnvereinen oder den ersten Elterninitiativen, die sich nach dem Krieg entwickelt hatten. Dies geschah, da sich im sozialdemokratischen Milieu die Position durchsetzte, dass es wichtig sei, einen Gegenpol zur bürgerlichen Schule und deren Folgen zu setzen.

„Nicht nur für, sondern auch wie das Leben sollten wir lernen[1]“, ist eine der bekanntesten Aussagen Löwensteins bezüglich der Bewegung der Kinderfreunde. Die Aussage macht die Zielsetzung der Bewegung deutlich: die „Untergliederungen“ der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde stellten das gemeinsame Erleben in den Vordergrund, um den Kindern und Jugendlichen einen Gegenpol zu den Erlebnissen in der bürgerlich geprägten Schule, den grauen Mietskasernen und der Großstadt zu bieten. Ebenso bezweckten die Gründer der Kinderfreunde den Kindern und Jugendlichen, zumeist aus den Großstädten, Freiräume zur altersgerechten Entwicklung zu ermöglichen.

Um das pädagogische Konzept der „Kinderfreundebewegung“ in Deutschland nachvollziehen zu können, werde ich zunächst die gesellschaftliche Situation in der Nachkriegszeit nach dem ersten Weltkrieg bis 1933 (einschließlich der „Abwicklung der Kinderfreunde“) skizzieren, um im Anschluss daran die Entstehung der „Kinderfreundebewegung“ erläutern zu können und letztlich kritisch deren pädagogisches Konzept betrachten zu können. Zugunsten der Übersicht werde ich die männliche Form bei Subjekten verwenden und meine damit stets beide Geschlechter, außer es ist explizit erwähnt.

2 Gesellschaftliche Situation

Zunächst werde ich die gesellschaftliche Situation skizzieren, da diese die Rahmenbedingungen für die politische und erzieherische Interaktion bildete. Die damaligen Bedingungen machen deutlich, wie stark die dominierende Gesellschaftsschicht die Bedingungen bestimmen kann und somit auch politische Begriffe wie Gerechtigkeit definieren kann[2].

Die Lage der Arbeiterklasse war bereits nach der gescheiterten Revolution von 1848 schwierig und von Restauration geprägt. Diese Ausgangslage war Anstoß für die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (im Folgenden ADAV) durch Friedrich Lassalle im Jahr 1863[3]. Dort sind die ersten sozialistischen Konzepte diskutiert und weiterentwickelt worden. Diese zielten (immer) darauf ab, die ökonomischen Verhältnisse zu ändern[4]. 1878 wurden im Zuge der Restauration die Sozialistengesetze erlassen[5] und der ADAV verboten.

1890 wurde die Fabrikarbeit für schulpflichtige Kinder verboten[6]. 1919 kam der erste sozialdemokratische Wohlfahrtsverband, die Arbeiterwohlfahrt, hinzu, um fürsorgerische Aufgaben für die Arbeiterklasse erledigen zu können[7]. Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war von vielen politischen Unruhen und wirtschaftlicher Instabilität geprägt[8].

Am 15 Mai 1908 wurde im Reichsvereinsgesetz ein Paragraf, der die Mitgliedschaft von Unter-18-Jährigen in politischen Vereinen und auch die Teilnahme von Unter-18-Jährigen an Veranstaltungen solcher Vereine verbot, eingesetzt, der die Organisierung der Arbeiterkinder erheblich erschwerte[9].

1929 trat durch die Weltwirtschaftskrise eine Massenarbeitslosigkeit auf[10]. Bedingt dadurch gewannen die rechtsradikalen Parteien immer mehr an Zuspruch. Als Reaktion auf das Erstarken der rechtsradikalen Parteien, bildeten 1931 der Allgemeine deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), die sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold die Eiserne Front, um sich effektiver in den Auseinandersetzungen mit den Gefahren, die von der nationalsozialistischen Bewegung ausgingen, koordinieren zu können[11].

3 Die „Kinderfreundebewegung“

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die „Kinderfreundebewegung“ nicht als homogener Kinder- und Jugendverband zu verstehen ist, sondern unter dem Begriff der Kinderfreundebewegung die Reichsarbeitsgemeinschaft (RAG) der Kinderfreunde verstanden werden konnte, die sich als Zusammenschluss von Initiativen für die Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen verstand. Die Anfänge der Kinderfreunde waren davon geprägt, dass die Erkenntnis gereift war, dass die Erziehung der nächsten Generation nicht mehr dem Elternhaus und der Schule allein überlassen werden konnte und sollte[12].

Die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde war eine laienpädagogische Organisation, in der sich Kinder und Jugendliche organisierten. Diese wuchs innerhalb eines Jahrzehnts zur mitgliederstärksten sozialdemokratischen Organisation heran[13]. Der Ursprung lag in Österreich, wo diese 1908 von Anton Afritsch als Elternbewegung gegründet worden war[14], dahingegen wurde die Kinderfreundebewegung in Deutschland immer als Kinderorganisation mit Eltern verstanden[15].

Zunächst werde ich auf die Entwicklung der Bewegung eingehen, um im Anschluss regionale Besonderheiten in Braunschweig gesondert zu betrachten. Danach werde ich auf die pädagogischen Grundsätze und im Besonderen auf das Konzept der Kinderrepubliken eingehen.

3.1 Ursprung und Entwicklung

Die ersten Bemühungen zur Gründung einer Kinder- und Jugendorganisation gab es bereits vor dem ersten Weltkrieg und für Jugendliche gab es bereits ab 1904 die ersten Jugendvereine[16].

Das Ziel war, den benachteiligten Arbeiterkindern zu ermöglichen, sich körperlich, geistig und seelisch möglichst frei entfalten zu können. Im Nachgang zum ersten Weltkrieg waren Unterernährung, gesundheitliche Probleme der Kinder, unhygienische und beengte Wohnverhältnisse herrschend, die man alltäglich zu bewältigen hatte in der Arbeiterschicht. 1920 schlossen sich dann erstmals neun Organisationen als Deutsche Kinderhilfe zusammen[17]. Die Deutsche Kinderhilfe war weitgehend fürsorgerisch tätig.

In Leipzig trafen sich 1923 sozialistische Jugendgruppen zu einer Arbeitstagung. Auf dieser Tagung wurde die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde gegründet. Die Delegierten stammten aus Eltern-, Erzieher- und Kindervereinigungen aus dem gesamten damaligen deutschen Reich. Der Einstieg war für viele die außerschulische Jugendarbeit[18]. An der Entstehung der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde waren Funktionäre des ADGB, des Hauptausschusses der AWO, der SPD-Parteivorstand, der Reichsausschuss für sozialistische Bildungsarbeit beteiligt sowie die SAJ, die AG der Berliner Kinderfreunde und der Verbund sozialistischer Lehrerinnen und Lehrer. Unter diesen Beteiligten nimmt die Arbeitsgemeinschaft der Berliner Kinderfreunde eine Sonderrolle ein, da diese die einzige regionale Gruppierung war, die sich massiv für die Gründung einer reichsweiten Organisationstruktur einsetzte. Dies lässt sich unter anderem mit dem Engagement von Kurt Löwenstein in Berlin erklären und der Ballung von engagierten Menschen vor Ort. In Charlottenburg hatte sich bereits der Verein „Kinderfreunde zur Vereinigung proletarischer Kinder“ gegründet[19].

Der erste Vorsitzende war Paul Löbe[20]. Der erste Geschäftsführer wurde Richard Weimann, der von Beginn an die Abgrenzung zur Kinderarbeit der kommunistischen Organisation forcierte.[21]

Die erste offizielle und ordentliche Reichskonferenz fand erst am 02. und 03.08.1924 in Leipzig statt. Auf dieser Konferenz wurde Kurt Löwenstein zum Vorsitzenden gewählt und prägte die Kinderfreunde viele Jahre[22]. Die Reichsarbeitgemeinschaft wurde als unselbstständige Gliederung der SPD geführt[23] und durfte somit nur für sich interne Sachverhalte klären und war finanziell von der sozialdemokratischen Partei abhängig. Die Ausgangslage der Kinderfreundebewegung war das gedemütigte Proletarierkind[24]. Die Gründung der Kinderfreunde sollte die Gewährleistung von „normalen“ Freiräumen für eine gesunde Entwicklung der Arbeiterkinder gewährleisten[25].

[...]


[1] S. 1; Eppe, H. ; Kurt Löwenstein- Ein Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik?

[2] Vgl. S. 8; Eppe, H. ; Kurt Löwenstein- Ein Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik?

[3] Vgl. S. 174; Wendt, R.; Geschichte der Sozialen Arbeit Band 1.

[4] Vgl. S. 158; Wendt, R.; Geschichte der Sozialen Arbeit Band 1.

[5] Vgl. Bertelsmann Lexikon 2001 auf CD; Begriff Sozialistengesetze.

[6] Vgl. http://www.sehepunkte.de/2007/10/11292.html; 20.10.2011; 12.35.

[7] Vgl. S. 217; Löwenstein, K.; Sozialismus und Erziehung.

[8] Vgl. S. 14; Seitz, F.; Die Kinderfreunde/ Die Falken Bezirk Pfalz.

[9] Vgl. S. 38; Brandecke-Wolter, R.; Sie kamen aus der dumpfen Stadt.

[10] Vgl. http://www.chroniknet.de/indx_de.0.html?article=666&year=1929; 20.10.2011; 12:42.

[11] Vgl. S. 126; Seitz, F.; Die Kinderfreunde/ Die Falken Bezirk Pfalz.

[12] Vgl. S. 10; Wetzorke, F.; Die Braunschweiger Kinderfreundebewegung 1924-1930.

[13] Vgl. S. 11; Eppe, H. ; Kurt Löwenstein- Ein Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik?

[14] Vgl. S. 216; Löwenstein, K.; Sozialismus und Erziehung.

[15] Vgl. S. 3; Eppe, H. ; Kurt Löwenstein- Ein Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik?

[16] Vgl. S. 58; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[17] Vgl. S. 9; Wetzorke, F.; Die Braunschweiger Kinderfreundebewegung 1924-1930.

[18] Vgl. S. 23; Scholz, A. und Oschilewski, W. (Hrsg.); Kurt Löwenstein Leben und Leistung.

[19] Vgl. S. 78; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[20] Vgl. S. 82; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[21] Vgl. S. 84ff.; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[22] Vgl. S. 86; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[23] Vgl. S. 109; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[24] Vgl. S. 54; Gröschel, R.; Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung.

[25] Vgl. S. 55; Andresen, S.; Sozialistische Kindheitskonzepte.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Konzept der "Kinderfreundebewegung" in Deutschland
Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V204835
ISBN (eBook)
9783656323136
ISBN (Buch)
9783656324911
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinderfreunde, Arbeiterjugend
Arbeit zitieren
Anja Schüler (Autor:in), 2011, Das Konzept der "Kinderfreundebewegung" in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204835

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