Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Hauptteil
1. Buch 1
- Gespräch mit Kephalos
- Gespräch mit Polemarchos
- Gespräch mit Thrasymachos
2. Bücher 2 bis 4
- Gespräch mit Glaukon
1. Eine besondere Strategie: „advocatus diaboli“
a. Die agathologische Trias
b. Lob der Ungerechtigkeit
c. Ursprung der Gerechtigkeit
- Gespräch mit Adeimantos
1. Dichter und Götter als Befürworter der Ungerechtigkeit
- Bildung eines Idealstaats
2. Der karge und der üppige Staat
- Analogie von Staat und Seele
3. Ständegliederung
4. Seelenteile
5. Das Ausschlussverfahren
1. Bestimmung der Tugenden im Gemeinwesen
a. Weisheit
b. Tapferkeit
c. Besonnenheit
6. Die Bestimmung Tugenden in der Seele
7. Die Bestimmung der Gerechtigkeit
1. Das Idiopragieprinzip
Schluss
Einleitung
Wir wissen nicht alles über den antiken Philosophen Platon. Das was wir wissen (oder zu wissen glauben) ist dennoch aussageträchtig genug um behaupten zu können, dass er seine Nachwelt, bis heute, grundlegend geprägt hat.
Platons hinterlassene Werke sind wertvoll für viele heute bestehende „Disziplinen“ und Wissenschaften. Insbesondere legte er wichtige Meilensteine für die Philosophie. Ohne seine Hinterlassenschaften wäre wohlmöglich das heutige Weltbild der Menschen ein ganz anderes. Aber nicht nur die Philosophie beeinflusste er. Politik und Recht wurden ebenfalls davon berührt. Diese drei „Disziplinen“ vereinigt findet wir in Platons „Staat“, oder auch „Über die Gerechtigkeit“. Denn es dreht sich hierbei nicht einzig und allein um die politeia. Das eigentliche Thema ist die Gerechtigkeit. Dieses Werk, welche Zusammenfügung nicht von Platon selbst stammt, verbindet Philosophie und Staatenlehre. Auf der Suche nach der Definiton für „Gerechtigkeit“ stellt Platon zur Verdeutlichung den Aufbau eines Idealstaats dar. Das Werk weist seine typische Dialogtechnik auf mit dem platonisch idealisierten Sokrates als Gesprächsführer und weiteren Gesprächspartnern. Sokrates führt ein immer wiederkehrendes „Ritual“ durch, bei dem er seine Gesprächspartner verwirren möchte um sie somit an der Punkt der Ausweglosigkeit, in die Aporie zu führen. Hierbei tritt die Selbsterkenntnis des Nichtwissens seiner Gesprächspartner (oder auch, inszenierter Weise, seiner selbst) ein. Die Aporie stellt den eigentlichen Ausgangspunkt des Philosophierens dar. Mithilfe von Sokrates sollen die Gesprächspartner von der Phase des Nichtwissens zur Erkenntnis geführt werden.
Das interessante an Platons „Politeia“ ist, dass er durch eine Staatenlehre zur Klarheit über das Wesen der Gerechtigkeit gelangen will. Er nutzt also nicht nur seine Dialogtechnik und philosophisch bedeutende Argumente um an sein Ziel der Definitionsfindung zu kommen. Besonders ab Buch 2 liegt die höhere Konzentration auf die Bildung eines Idealstaates, als auf die Klärung der Gerechtigkeit. Diese Ausführung ist so detailliert, dass man denken könnte das Thema der Gerechtigkeit sei vorläufig untergegangen. Aber, wie wir sehen werden, nutzt Platon nicht grundlos diese Strategie.
Meine Intention für diese Arbeit ist es herauszufinden, worin die Funktion der Entwicklung von Platons Staatsmodell im Hinblick auf die Gerechtigkeit besteht. Ich werde die Bedeutung der einzelnen Schritte die zum Aufbau der Polis führen verfolgen und analysieren. Meine Konzentration liegt hierbei auf die Bücher 2 bis 4. Dabei versuche ich herauszufinden, warum Platon es für nötig befunden hat eine so detaillierte Ausführung über die ideale polis aufzustellen und dies in Bezug auf die Gerechtigkeit. Ist er der Meinung, dass Gerechtigkeit nur in einem solch bestehendem Staat verwirklichbar ist? Aber wo ist sie beim einzelnen Menschen zu finden?
Hauptteil
Zusammenfassung Buch 1
Zu Beginn dieser Arbeit möchte ich zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit einen kleinen Einblick in das erste Buch der Politeia Platons geben. Hier tut sich die erste Diskussion über den Begriff der Gerechtigkeit auf. Gesprächspartner ist der Philosoph Sokrates, der ältere Herr und Geschäftsmann Kephalos, sein Sohn und Erbe Polemarchos und der Sophist Thrasymachos. Die Diskussion beginnt mit einem Dialog zwischen Sokrates und Kephalos.
Gespräch mit Kephalos
Es macht den Auftakt mit einem Gespräch über Reichtum, die Beschwerlichkeit des Alterns und deren beider Zusammenhang. Kephalos, der sich schon im hohen Alter befindet und über keine philosophisch basierte Denkart verfügt, erklärt Sokrates den Wert des Lebens im Greisenalter. Er sieht das Altern als einen Gewinn, denn: „man ist in der Tat von vielen rasenden Herren frei.“ (329c). Damit meint Kephalos die Befreiung von dem Drang seine Bedürfnisse ständig befriedigen zu wollen. Seiner Ansicht nach ist nicht das hohe Alter selbst der Grund für die Beschwerlichkeit die es angeblich mit sich bringt, sondern eher der Charakter der Menschen, die sich in diesem Abschnitt des Alters befinden. Viele sehen darin nur Nachteile und Schlechtes. Sokrates provoziert eine Vertiefung des Gesprächs und wendet an dieser Stelle ein, dass hauptsächlich Kephalos` Reichtum ihm das Leben erleichtere und nicht nur seine Denk- und Lebensweise. Kephalos sieht diesen Einwand ganz und gar nicht unbegründet, doch empfindet er den Reichtum nicht als das Wesentliche für ein unbeschwertes Leben. Reichtum ist für ihn nicht hinreichend aber maßgeblich und auch nützlich für das erleichterte Altern. Am besten gefällt Kephalos am Reichtum, dass man nicht genötigt ist seine Mitmenschen und auch Geschäftspartner belügen oder betrügen zu müssen, nur mit dem Ziel sich Vorteile verschaffen zu können. Es stellt eine Erleichterungsbedingung für den Vollzug eines ehrlichen Charakters dar. Der Philosoph würde diese Art von Lebensweise als eine tugendhafte Lebensführung bezeichnen, da sie philosophisch durchaus schätzenswert ist. Sokrates akzeptiert aber Kephalos unphilosophischen Bezug zur Tugend. Er benennt Kephalos’ Einstellung zu einem Leben, in dem Aufrichtigkeit in Wort und Tat zählt, als dessen Auffassung von Gerechtigkeit. Sokrates ist nicht vollständig zufrieden mit Kephalos’ Auffassung von Gerechtigkeit, jedoch ist sie auch nicht durch und durch verwerflich, sondern kann auch eine Art der Gerechtigkeit darstellen. Sokrates entgegnet mit einer daher geholten Situation bei der diese Gerechtigkeitsbestimmung nicht zutrifft.
Gespräch mit Polemarchos
Als Kephalos sich aus Mangel an philosophischen Verständnis zurückzieht tritt Polemarchos, Kephalos’ Sohn und Erbe seines Vermögens, an seine Stelle und ist somit auch Erbe des Gesprächs von Sokrates und Kephalos. Er führt von dort den Dialog und die Suche nach der Frage des spezifisch Gerechten an. Auch Polemarchos, der ebenso wie sein Vater kein Philosoph ist, versucht sich an einer Definition für die Gerechtigkeit. Er übernimmt die von Sokrates herausgefilterte These seines Vaters und unterstützt sie mit einem Spruch des Dichters Simonides, der besagt: Es ist gerecht, jedem das zu erstatten was ihm gebührt, den Freunden Gutes und den Feinden Schadhaftes. Es muss sich dabei nicht notwendigerweise um etwas Materielles handeln. Auch diese Definiton überzeugt Sokrates nicht. Mit seinem typischen Frage- Antwort- Spiel versucht er seinen Gesprächspartner in die Irre zu führen.
Zu Erläuterungszwecken möchte Sokrates herausfinden, ob die Gerechtigkeit eine t é chne ist. Was ist das Tätigkeitsfeld der Gerechtigkeit und wie kann man es damit schaffen jedem das Gebührende zukommen zu lassen? Bei dieser Frage gerät Polemarchos ins Wanken. Es werden einige Beispiele genannt, die durch Sokrates immer widerlegt werden können. Auch bei der Bestimmung von wer ist „Freund“ ist und wer „Feind“ kommen zusätzliche Zweifel an Polemarchos Gerechtigkeitsdefinition, da dies offenbar nicht eindeutig bestimmbar ist. Etwas sehr wichtiges übersieht Polemarchos. Da die Gerechtigkeit eine Tugend ist, richtet sie sich nach der Semantik des Guten. Das bedeutet, dass jemandem etwas Böses anzutun, egal ob es ihm gebührt oder nicht, nicht im Sinne der Gerechtigkeit sein kann. Denn ihre Bestimmung als Tugend ist es Gutes herbeizuschaffen und das kann nicht zustande kommen, wenn man jemand anderem schadet. Jede Verschlechterung führt zum Einbüßen der seelischen Tüchtigkeit (auf die werden wir später noch näher eingehen) und das bedeutet der Mensch, dem Unleid angetan wurde, wird in seinem Verhalten noch schlechter. Polemarchos stimmt dem zu und an dieser Stelle hat Sokrates es auch hier geschafft, seinen Gesprächspartner in die Aporie zu führen.
Gespräch mit Thrasymachos
Schimpfend mischt sich hier Thrasymachos, der Sophist, ein. Er ist entschieden der Meinung, dass Sokrates es sich zu einfach macht und nur die Position des Fragestellers und nicht die des Antwortenden einnimmt, womit er sich der Schwierigkeit entzieht, selbst eine allgemein akzeptierte Lösung zu finden und nicht nur die anderer verspottet. Sokrates lässt sich geschickt auf Thrasymachos ein. Der Sophist ist, interessanter Weise, überzeugter Befürworter der Ungerechtigkeit. Diese scheint ihm vorteilhafter als die Gerechtigkeit, vorausgesetzt man handelt aus eigenem Interesse. Die Gerechtigkeit liegt, seiner Meinung nach, nur im Vorteil des Stärkeren. Ist einer mächtig und stark genug von der Ungerechtigkeit Gebrauch zu machen, wird es für ihn lohnenswerter sein, als gerecht zu agieren. Für Thrasymachos verfehlt die Gerechtigkeit das eigene Glücksinteresse. Sokrates ist absolut gegenteiliger Annahme und will auch Thrasymachos davon überzeugen. Dies schafft er jedoch nicht durch seine Argumente (diese sind qualitativ und auch philosophisch nicht besonders überzeugend), sondern durch die rein platonische Inszenierung des Frage- Antwort- Spiels. Zufrieden ist er selbst damit nicht und stellst sich so dar als sei er selbst in die Aporie geraten: „ (...) und das Ergebnis aus dieser Untersuchung ist, daß ich nichts weiß.“ (354c). Doch nun beginnt das eigentliche Philosophieren.
Bücher 2 bis 4
Buch 1 endet also sokratischer Selbstkritik und mit wenig Fortschritt was die Definition für Gerechtigkeit angeht. Allerdings stellt das erste Buch der Politeia eine wichtige einleitende Funktion dar, welche eine kritische Vorbereitung auf die Theorie der Gerechtigkeit mit sich bringt. Es bildet einen wichtigen Grundstein für unsere fortführende Analyse des Buches 2 bis Buch 4.
Nach Thrasymachos Rückzug und der sokratischen Aporie scheint die Diskussion vorläufig aussichtslos. Doch das bis jetzt Gesagte ist nicht endgültig, denn die Diskussion wird in Buch 2 neu „entfacht“. Beim Wechsel von Buch 1 zu Buch 2 bemerkt man die starke Veränderung der Argumentationsstrategien und der allgemeinen Gesprächsform. Buch 1 ist geprägt von sophistischer Selbstüberzeugung und philosophischer Ahnungslosigkeit, wohingegen das zweite Buch eine ruhige, verständnisvolle „Konferenz“ der Philosophen unter sich darstellt. Wo vorerst nazistische Eigenüberzeugung und wenig Verständnis für Sokrates herrschte, bestimmt jetzt philosophische Gleichgesinnung das Gespräch. Hauptgesprächspartner von Sokrates ist nicht mehr der Sophist Thrasymachos, sondern die Philosophen Glaukon und Adeimantos.
Gespräch mit Glaukon
So beginnt es mit einer Rede Glaukons. „First, it is striking, in contrast to socratic method of Book 1, that now it is Glaucon who asks the questions, and that it is Socrates who offers answers to them, (…).” (Cross S.62).
Er ist ganz und gar nicht zufrieden mit Thrasymachos Rückzug und wie sich Sokrates scheinbar geschlagen gibt. Davon überzeugt, dass Gerechtigkeit vorzugswürdiger ist als die Ungerechtigkeit, hat Sokrates aufgrund von wenig ausschlaggebenden Argumenten, weder Thrasymachos noch die anderen Anwesenden. Für Glaukon, stellt die anscheinend angelangte Aporie jedoch keine Abschreckung dar und er veranlasst das Fortfahren der Suche. Er möchte durchaus Anhänger der Gerechtigkeit sein, doch Sokrates hat es vorerst nicht geschafft ihn gänzlich auf diese Seite zu bringen. Thrasymachos Argumente sind zu wahrheitsgetreu.
Eine besondere Strategie: „advocatus diaboli“
Glaukon möchte um die Gerechtigkeit als etwas, das man um seiner selbst willen liebt kämpfen und macht von einer bestimmten Strategie Gebrauch. Er will die Argumente seines „Gegners“, in diesem Fall Thrasymachos, so stark wie möglich machen und ihn so mit seinen „eigenen Waffen“ schlagen. In seinem Kommentar nennt Wolfgang Kersting es passender Weise die Position des „advocatus diaboli“ (S.53), der Anwalt des Teufels. Niemand vertritt des Teufels Auffassung besser als sein „Rechtsvertreter“. Glaukon preist also die Ungerechtigkeit so hoch, dass dessen Widerlegung nicht stärker sein kann. Er versucht instinktiv die Gerechtigkeitsauffassung von Thrasymachos zu kategorisieren und die Gegenposition somit am besten definieren zu können. Er stellt sich also vorläufig als Stellvertreter Thrasymachos’ dar. Der Philosoph erklärt Sokrates sein Vorhaben, was aus einer Reihe von Spekulationen über die Gerechtigkeit bestehen wird. Er formt damit eine Reihe von Thesen, die einer bestimmten Themenabfolge entsprechen. Darunter fällt das Wesen der Gerechtigkeit, der Ursprung der Gerechtigkeit und das Lob der Ungerechtigkeit.
Agathologische Trias
Mit auffallend bemerkenswert philosophischer Strategie, beginnt er die Suche nach dem Wesen der Gerechtigkeit und unterscheidet die drei Arten des Guten, die agathologische Trias. Glaukon nimmt diese Gütertrennung an diesem einfacher bestimmbaren Beispiel vor, um sie im Nachhinein auf die Gerechtigkeit anwenden zu können. Jedoch wird an dieser Stelle keine Wesensfrage zum Guten gestellt. Die agathologische Trias soll besonders dem Zweck dienen, Klarheit zu verschaffen und daraus das Wesen der Gerechtigkeit ableiten zu können. Sie besagt, dass das Gute, welches auch als das Erstrebte, das Gewollte oder auch Verlangte beschrieben werden könnte, in drei Formen untereilt werden kann. Die erste Form besagt, dass das Gute um seiner selbst willen angestrebt wird. Dies bedeutet beispielsweise, das man Fröhlichkeit erfährt ohne, dass sie für die Folgezeit eine Bedeutung haben wird. Die zweite Form kann man als eine Mischklasse ansehen, denn hier geht es darum sich das Gute aufgrund seiner selbst willen und als Mittel zum Zweck zu wünschen. Hier kann man die Gesundheit als Beispiel nennen, denn sie wünscht man sich aufgrund unseres eigenen andauernden Wohlbefindens und zwar in der Gegenwart und in Zukunft. Natürlich kann man das Gute auch nur aufgrund der Folgen wegen, also als Mittel zum Zweck, anstreben. Dies wäre dann die dritte Form der agathologischen Trias. Beispielsweise erweist sich ein Heilverfahren, nach einer Krankheit, als gut, wenn es folglich zur Heilung führt.
Nun versuchen die Gesprächsführer die Gerechtigkeit mit der agathologischen Trias zu analogisieren. Nach Sokrates sollte man die Gerechtigkeit zur zweiten Form zählen, also zu dem was sowohl um seiner selbst willen, wie auch um seiner Folgen willen erstrebt wird. An dieser Stelle ist es wichtig klar zu stellen, was genau Sokrates, beziehungsweise Platon, darunter versteht. Das unter den resultierenden Folgen die äußerlichen Auswirkungen gemeint sind können wir festlegen.
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