Kiew als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhalt

Einführung

1. Die Kiever Rus’ bis ins 13.Jahrhundert
1.1 Geschichte der Rus’ – Unterschiedliche Forschungsmeinungen
1.2 Entwicklung bis zum Jahr 1015
1.3 Entwicklung bis ins 13. Jahrhundert

2. Die Stadt Kiev bis ins 13. Jahrhundert
2.1 Entstehungsgeschichte
2.2 Entwicklung aus archäologischer Sicht
2.3 Kiev unter Vladimir und Jaroslav

Fazit

Verwendete Literatur, Quellen und Anhang

Einführung

Betrachtet man den Titel dieser Hausarbeit „Kiev als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum“, so fällt auf, dass durch diese Themenwahl ein sehr breites Spektrum an Fakten, Chroniken, Quellen, Meinungen und Forschungsergebnissen präsentiert werden kann.

Umso schwerer fällt es dann, eine Auswahl dessen zu treffen, was als wichtig angesehen werden kann und dies sodann in komprimierter Form auf 20-25 Seiten darzustellen.

Natürlich kann diese Hausarbeit keinen kompletten Überblick über die Vergangenheit Kievs liefern, ein solches Ansinnen wäre auch falsch. Eine ganze Monographie wäre vonnöten, die fesselnde und abwechslungsreiche Geschichte ausreichend vorzustellen. Leider existiert eine solche bislang in der mitteleuropäischen Forschung noch nicht und die Quellenlage gestaltet sich entsprechend schwierig. Es gibt eine Reihe russischer Lektüre (diese will ich aus sprachlichen Gründen in dieser Hausarbeit kaum verwenden), Überblicksdarstellungen über die Geschichte der Rus’, handels- und wirtschaftsorientierte Chroniken, sowie archäologische Untersuchungen, aber kein Werk, dass erschöpfend und exklusiv die Stadt Kiev und deren Entfaltung zum Thema hat.

Eine politische Geschichte Kievs ist andererseits aber auch stets eng einzubinden in die Entwicklung des Reiches, das von der Dnepr-Metropole aus regiert wurde, der Rus’. Kiev war Machtzentrum. Hier herrschte der Fürst und in späteren Jahren auch der russische Metropolit. Daher muss eine Arbeit über das politische, soziale und gesellschaftliche Gesicht Kievs auch das Thema der Rus’ mit einbeziehen.

Meine Hausarbeit ist in zwei größere Themenschwerpunkte aufgegliedert. Zu Beginn möchte ich einen Überblick über die Geschichte des von Kiev aus regierten Reichs geben. Hierbei werde ich neben der politischen Entwicklung auch auf wirtschaftliche und handelsorientierte Punkte zu sprechen kommen, sowie unterschiedliche Forschungsmeinungen zu verschiedenen Phänomenen darlegen.

Im zweiten Abschnitt der Arbeit werde ich dann anhand von archäologischen Quellen und politischen Darstellungen die Entwicklung Kievs als Stadt und „mittelalterliche Metropole“ präsentieren.

Um die Hausarbeit nicht mit zu vielen Daten und Fakten zu überlasten, werde ich nur den Zeitraum seit der sagenhaften Gründung Kievs bis zum Zerfall und Untergang des Reiches nach dem Einfall der Mongolen im 13.Jahrhundert vorstellen. Das politische Entscheidungsgewicht verlagerte sich ab diesem Zeitpunkt nämlich immer mehr nach Norden und Nord-Osten, hin nach Novgorod und später dann Moskau.

Ziel dieses Werkes ist, dem Leser die Geschichte der Rus’ und die Entwicklung der Stadt Kiev zu veranschaulichen und über ein Thema zu informieren, dass in der europäischen Forschung eher dünn besiedelt und untersucht ist.

Als Hautquellen möchte ich zunächst auf Günther Stökl[1], Ernst Lüdemann[2] und Klaus Heller[3], sowie Eduard Mühle[4] verweisen.

Sowie in dieser Arbeit Eigennamen und Städte erwähnt werden, so orientiere ich mich bei der Schreibweise an Günther Stökl und seinem Buch „Russische Geschichte“.[5]

1. Die Kiever Rus’ bis ins 13.Jahrhundert

1.1 Geschichte der Rus’ – Unterschiedliche Forschungsmeinungen

Über den Ursprung und die Entstehung des Kiever Reiches im achten und neunten Jahrhundert herrschte in der Forschung lange Zeit Uneinigkeit. So sahen die einen den Zuzug der Varäger, von Schweden und Dänen, Kaufleuten und kriegerischen Wikingern als Beginn der Kiever Rus’, die anderen beharren auf dem Standpunkt, dass auch schon vor dieser Zeit ein komplexeres slawisches Stadt- und Staatsleben bestanden habe.

Allgemein spricht man hierbei vom Streit der Normannisten und Antinormannisten. Während auf der Seite der ersteren die Forscher die berühmte Nestor-Chronik aus dem 10. oder 11. Jahrhundert dahingehend interpretieren, dass der Varäger Rjurik einst Begründer des russischen Staates gewesen sei, versuchen die Antinormannisten, vornehmlich sowjetrussische Historiker, den Chronisten so zu verstehen, dass die Varäger bereits existierende Städte einfach übernahmen.[6] Der Grund für diese unterschiedliche Auslegung der Quellen ist offensichtlich. Den sowjetischen Forschern ging es darum zu zeigen, dass die Be-griffe „Russisch“ und „Russland“ bereits für diesen Zeitraum angeführt werden können. Eine Schlussfolgerung mit weitreichenden Folgen. Sieht man Kiev als „die Mutter aller russischen Städte“, so kann jedes russische, also von Moskau her regierte Reich, Anspruch auf das gesamte Territorium der heutigen Ukraine erheben.[7] Ab den 30iger Jahren des 20.Jahrhunderts bemühten sich sowjetische Historiker (allen voran B.D. Grekov) darzustellen, dass Russland eine Schöpfung war, die aus einem „ur-russischen“ Volk herrührte. Kaum Platz also für die Varäger und Kaufleute, die aus Skandinavien in das Gebiet der Rus’ einströmten.

Auf der Seite der Normannisten wird als Argument häufig angeführt, dass der Name „Rus’“ eindeutig abzuleiten sei auf ein skandinavisches Seefahrer- und Rudervolk, auf Schweden oder Dänen.[8] Der Name an sich wurde zunächst für den Stamm der Poljanen am mittleren Dnepr verwendet.

Günther Stökl sieht in dem Streit der beiden Forschungsrichtungen vor allem den Punkt, dass das nationale Prestige offenbar primär an dem Begriff des Staates hängt und sich erst in zweiter Linie mit der Unabhängigkeit und der Originalität einer kulturellen Leistung verknüpft.[9]

Er versucht einen Kompromiss zu finden:

„Der erste russische Staat ist nicht 862 >begründet< worden, [...], sondern er ist allmählich von der zweiten Hälfte des 9, Jahrhunderts an und durch das ganze 10. Jahrhundert hindurch entstanden, [...].Fördernde Impulse zu dieser Entwicklung haben die schwedischen Varäger ohne Zweifel gegeben, und ihre Herrschaft in Russland, schließlich die Herrschaft einer Dynastie varägischen Ursprungs im ersten russischen >Staat< sind historische Realitäten, aber dieser erste russische Staat des Mittelalters ist aus einer ganzen Reihe von Elementen zusammengewachsen.“[10]

Unzweifelhaft ist auch, dass bereits im Jahre 860 „das Volk der Rhos in feindlicher Absicht auf einer Flotte vor Konstantinopel erschien.“[11] und es sind in der Folgezeit eine Reihe von Handelsverträgen durch griechische Quellen bezeugt.[12]

1.2 Entwicklung bis zum Jahr 1015

Vieles ist unklar in der Entstehungszeit der Rus’, ich werde versuchen im folgenden die deutlichen Fakten chronistisch bis zum Ende der Herrschaft von Vladimir, dem Heiligen, im Jahre 1015, darzustellen.

Der Überlieferung nach war Rjurik Mitte des 9.Jahrhunderts der erste Herrscher und Begründer der Dynastie, der zunächst von Novgorod aus regierte. Ob die Kiever Varäger Askol’d und Dir in einem direkten Zusammenhang mit diesem standen, ist bis heute nicht geklärt.

Den eigentlichen Beginn der Herrscherdynastie der Rjurikiden kann man allerdings erst mit der Befreiung aller ostslawischen Stämme von der chazarischen Tributherrschaft unter Rjuriks Nachfolger Oleg (879-912) festmachen.

Die Nestor-Chronik datiert den Zusammenschluss von Novgorod und Kiev unter der Herrschaft des Varägers auf 882, verknüpft mit der Ermordung der bis dahin in Kiev residierenden Askol’d und Dir.[13]

Kiev sollte die Hauptstadt und Mutter aller Städte der „Rus“ werden.

Warum blieb aber Oleg nicht in Novgorod?

Als Grund ist der Fernhandel mit Byzanz zu erwähnen, der von Kiev aus über den Dnepr leichter und schneller möglich war und zu einem der beiden großen Eckpfeiler und zur Grundlage der Varägerherrschaft werden sollte. (Der andere Punkt war die Gefolgschaft dem Fürsten gegenüber.)

Diese wichtigen Handelsbeziehungen nach Konstantinopel wurden in der Folge ausgebaut.

Im Jahr 907 erscheint Oleg mit einem Heer vor der Stadt und ließ sich nur gegen Zahlung eines Tributes und Abschluss eines günstigen Handelsvertrages zum Umkehren bewegen. Der durch griechische Quellen gesicherte Vertrag von 911 gestand den russischen Kaufleuten größtmögliche Freiheit, Privilegierungen und einen abgabenfreien Handel zu.[14]

Oleg selbst, der Zeit seines Lebens nur als eine Art von Statthalter für Rjuriks Sohn Igor fungierte, wurde nach seinem Tod (912) von jenem als Kiever Fürst abgelöst. Ob diese Genealogie allerdings schlüssig ist, bleibt doch sehr fraglich und ist auch angesichts der schwachen Quellenlage kaum mehr intensiver zu untersuchen. So müsste doch Igor, wenn er denn tatsächlich Rjuriks Sohn wäre, bei seinen letzten Feldzügen im Jahre 941 und 944 bereits rund siebzig Jahre alt gewesen sein. Günther Stökl hält dies für wenig wahrscheinlich.[15] Auffällig sei auch, so der Historiker weiter, dass der Name Rjurik im Fürstengeschlecht der Rjurikiden eher selten vorkommt, Oleg hingegen sehr häufig.

[...]


[1] Stökl, Günther. „Russische Geschichte“, Kröner: Stuttgart (1973)

[2] Lüdemann,Ernst. „Ukraine“, Beck’sche Reihe: München (1995)

[3] Heller, Klaus. „Russische Wirtschafts- und Sozialgeschichte” Bd.1, Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt (1987)

[4] Mühle, Eduard. „Die Anfänge Kievs in archäologischer Sicht“ u. „Die topographisch-städtebauliche Entwicklung Kievs vom Ende des 10. bis zum Ende des 12.Jh. im Licht der archäologischen Forschungen“ in „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas“ Bd. 35+36

[5] s.o.

[6] vgl. Stökl. S.37

[7] vgl. Lüdemann. S.39

[8] vgl. Stökl. S.38

[9] vgl. ebd. S.41

[10] Stökl. S.42

[11] ebd. S.37 und vgl. Heller. S.12

[12] vgl. Heller. S.46

[13] vgl. Stökl. S.43 und Pickhan, Gertrud. „Kiewer Rus’ und Galizien-Wolhynien“ S.26 in

Goloczewski, Frank [Hg]. „Geschichte der Ukraine“, Vandenhoeck&Ruprecht: Göttingen (1993)

[14] vgl. Stökl. S.45 und Heller. S.46

[15] vgl. Stökl. S.46

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Kiew als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Städte im mittelalterlichen Ost- und Ostmitteleuropa
Note
3,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V20506
ISBN (eBook)
9783638243636
ISBN (Buch)
9783638646789
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kiew, Zentrum, Städte, Ost-, Ostmitteleuropa
Arbeit zitieren
Sebastian Goetzke (Autor:in), 2003, Kiew als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20506

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