Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Methodische Einordnung Eulers
3. Euler: Auf der Suche nach dem Nutzen von Religion
3.1. Sexuelle Selektion vs. Natürliche Selektion
3.2. Eulers Religionsbegriff
3.3. Geschlechterrollen in Bezug auf Religion
4. Konsequenzen von und Kritik an Eulers Ansatz
5. Diskursebene – wer hat das Wort?
Literatur
1. Einleitung
Naturwissenschaften haben den Ruf, objektiv und neutral zu sein. Dass ihnen dieses Image nicht ganz zu Recht gebührt, möchte ich anhand dieser Arbeit nachweisen. Gesellschaftliche und soziale Verflechtungen sind beim Naturwissenschaftsbetreiben genauso anzutreffen, wie man es beispielsweise auch in den Kulturwissenschaften erwartet. Aufgrund dessen möchte ich den Text „Sexuelle Selektion und Religion“ des Evolutionspsychologen Harald Euler, den wir im Seminar gelesen haben, behandeln.
2. Methodische Einordnung Eulers
Harald Euler verortet seine Herangehensweise zum Thema Religion in der Evolutions-psychologie. Diese ist eine relativ junge Disziplin, die aus der Soziobiologie entstanden ist[1] und auf Biologie, Anthropologie und Psychologie zurückgreift und somit interdisziplinär arbeitet.[2] Evolutionspsychologen selbst sagen, sie fügten der Soziobiologie die Dimension der psychologischen Mechanismen hinzu.[3] Ein Grundparadigma der Evolutionspsychologie ist die Annahme der Evolutionstheorie, welche den Erklärungsrahmen für heute beobachtbare Phänomene vorgibt. Sie werden somit von ihrer evolutiven Entstehung her betrachtet.
Als Thema seiner Untersuchung nennt Euler „die Frage, inwieweit religiöse Phänomene, wenn überhaupt, eher durch sexuelle Selektion als durch natürliche Selektion erklärbar sind.“[4] Er möchte dabei Religion unter dem Aspekt der Evolutionstheorie betrachten, legt also den Fokus auf die Entstehung von Religion. Besonders aufschlussreich für seine Untersuchung hält er die Beobachtung von Wildbeuterkulturen, da ihre religiösen Phänomene noch nicht institutionalisiert sind.[5] Er zieht also Ergebnisse aus der vergleichenden Kulturwissenschaft heran. Problematisch könnte die Annahme sein, man fände bei solchen Kulturen eine ursprünglichere Form von Religion vor, als wäre der Zeitfaktor an ihnen spurlos vorübergegangen und ihre religionsphänomenologischen Äußerungen hätten sich seit der Entstehung der Menschheit kaum verändert.
Kulturübergreifende Phänomene werden von Evolutionspsychologen als Anpassungen festgeschrieben; allerdings ist allein die Feststellung eines weitverbreiteten Phänomens noch kein Beweis dafür, dass es sich um eine Anpassung handelt. Vielmehr findet sich hier eine Fehlannahme der Evolutionspsychologie, die Design überbetont und das Selektionsgeschehen bei Phänomenen, die für sie von Interesse sind, nicht mehr in Betracht zieht.[6] Tatsächlich können aber auch Anpassungen weiterhin selektiert werden und damit variieren. Denn die Evolution ist ein fortlaufender Prozess. Euler allerdings verfolgt im Weiteren dennoch die These, religiöse Phänomene stellten Anpassungen dar, aufgrund dessen, dass sie kulturübergreifend vorfindbar sind. Damit hat er eine Vorentscheidung getroffen und so sind von den drei evolutionsbiologischen Kategorien, die er aufzählt (1. Anpassungen, 2. Begleiterscheinungen von Anpassungen und 3. anpassungsirrelevante Merkmale)[7], bereits zwei ohne Begründung ausgeschieden. Da es ein Grundparadigma der Evolutionspsychologie ist, menschliches Verhalten als Anpassungen auszuweisen[8], folgt Euler hiermit „nur“ der Methodik seiner wissenschaftlichen Disziplin.
„Wenn religiöse Phänomene Anpassungen sind, müssen sie reproduktiv nützlich sein oder zumindest gewesen sein.“[9] Reproduktive Nützlichkeit ist nach Euler das Kriterium für Anpassungen. Die Evolutionspsychologie konzentriert sich dabei auf psychologische Anpassungen und versucht in einer Art „reverse engineering“ Funktionsmechanismen und ihren ursprünglichen Entstehungsgrund zu finden. Dabei wird von heute feststellbaren Phänomenen ausgegangen und versucht, zu rekonstruieren, warum diese entstanden sind, mit welchen Problemen unsere Vorfahren konfrontiert waren und für welches Problem das jeweilige Phänomen eine Lösung bietet, also eine Anpassung darstellt.[10]
Von anderen Wissenschaftsdisziplinen kritisch hinterfragt wird die evolutionspsychologische Annahme, dass nur eine Periode der Evolutionsgeschichte für unsere wesentlichen psychologischen Anpassungen von Relevanz sei.[11] Dies ist die Erdepoche des Pleistozäns, eine Zeit die ca. 1,8 Mio. bis 10.000 Jahre zurückliegt. Seitdem habe sich die Ausstattung des Menschen nicht mehr verändert, da noch zu wenig Zeit vergangen sei, als dass sich die Psyche des modernen Menschen daran hätte anpassen können.[12]
Die Methoden zur Überprüfung von Hypothesen der Evolutionspsychologie stammen größtenteils aus der Psychologie, was die Frage aufwirft, inwiefern überhaupt die Komponente der evolutionären Entwicklung empirisch überprüft wird.[13] Auch Euler wendet mit der Befragung von Studierenden zu ihrer Religiosität eine Methode der Psychologie an.[14] Wenn es darum geht, die Entstehung aus der Evolutionsgeschichte zu erklären, greifen die Wissenschaftler als Brückenelement auf Geschichtserzählungen zurück, um solche Einzelereignisse in der Rekonstruktion erklärbar zu machen.[15] Kritisiert wird diese Form der Erklärung häufig mit dem Argument, dass solche Erzählungen nicht empirisch überprüfbar sind, wobei empirische Überprüfbarkeit das Kriterium des logischen Positivismus ist, um etwas als wissenschaftlich anzuerkennen.[16] Auch Euler bedient sich Geschichtserzählungen, beispielsweise um plausibel zu machen, warum Religiosität ursprünglich einen Überlebensvorteil gebracht habe.[17] Allerdings besteht durchaus die Gefahr, dass Evolutionspsychologen bei dem Versuch, Verhaltensweisen als Anpassungen auszuweisen, ins bloße Fabulieren abgleiten und alternative Erklärungsversuche, die stichhaltiger wären, ignorieren oder zurückweisen.[18]
3. Euler: Auf der Suche nach dem Nutzen von Religion
In diesem Kapitel möchte ich konkret auf den Text Eulers eingehen. Selektion allgemein ist immer ein „Auswahlverfahren“ von nützlichen Merkmalen. Ausgehend von der Unterscheidung von natürlicher und sexueller Selektion, will Euler die These verfolgen, Religion sei ein sexuell selektiertes Merkmal. Eulers Fokus auf die Religion macht es notwendig seine Verwendung des Religionsbegriffs näher zu betrachten und zu problematisieren. Aufgrund seiner Festlegung von Religion als sexuell selektiertem Merkmal resultieren schließlich unterschiedliche religiöse Geschlechterrollen.
3.1. Sexuelle Selektion vs. Natürliche Selektion
Bereits Darwin hat zwischen natürlicher und sexueller Selektion unterschieden. Die natürliche Selektion greift beim Überlebensvorteil des Einzelnen durch seine genetische Ausstattung. Wer besser angepasst ist, überlebt. Die sexuelle Selektion hingegen zielt auf die Weitergabe des Erbguts ab und fördert das Genmaterial solcher Individuen, die es schaffen, sich fortzupflanzen. Erbgut von Individuen, die sich nicht fortpflanzen, wird ausselektiert. Die sexuelle Selektion geschieht also durch die Partnerwahl.[19]
Euler weist darauf hin, dass es bereits einige Thesen zur Religion als natürlich selektiertem Merkmal gibt, versucht aber diese alle argumentativ zu entkräften, um schließlich zu seiner eigenen These zu gelangen, Religion sei ein sexuell selektiertes Merkmal.[20] Denn nur Reproduktionsvorteile würden wirklich evolutionär wirksam werden.
Euler führt einige Unterschiede zwischen der natürlichen und der sexuellen Selektion an, die er im weiteren Verlauf seines Aufsatzes auch auf Religion ummünzt. Die wichtigsten genannten Unterschiede möchte ich noch einmal kurz herausgreifen. Einer davon betrifft die Selektoren. Bei der natürlichen Selektion gibt es viele Faktoren, die über Tod oder Weiterleben eines Individuums bestimmen, wie Klima, Umweltgefahren oder Raubfeinde. Die sexuelle Selektion hingegen wird nur von den Artgenossen im geschlechtsreifen Alter vorgenommen, v.a. bei der Wahl des Sexualpartners. Euler verweist darauf, dass beim Menschen eine gegenseitige Wahl stattfindet.[21] Die Dauer der Selektion ist wiederum unterschiedlich. Während die natürliche Selektion lebenslang geschieht, spielt sich die sexuelle Selektion in einem begrenztem Zeitrahmen, dem Reproduktionsalter, ab.[22] Im Weiteren führt Euler an, dass die natürliche Selektion einen Organismus immer zweckmäßig ausstattet und die so selektierten Merkmale immer sparsam und effizient gestaltet sind. Die sexuelle Selektion hingegen verfährt verschwenderisch und kostspielig. Euler nennt solche Merkmale Handicaps, weil sie für das Überleben des Einzelnen hinderlich sein können. Aber gerade bei der Partnerwahl spielen sie eine Rolle, da sie als Fitnessindikator wirken, wie z.B. der Pfauenschwanz.[23]
Außerdem finde um so mehr sexuelle Selektion statt, je größer die Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen in der Reproduktionsvarianz seien. Ein großer Unterschied in der Reproduktionsvarianz besteht z.B., wenn weit weniger männliche als weibliche Individuen an der Reproduktion beteiligt sind. Dies bedeutet in der Regel, dass auf einen männlichen Partner viele weibliche Sexualpartner kommen.[24] Beim Menschen, so Euler, ist ein mäßiger Unterschied in der Reproduktionsvarianz festzustellen, da Männer gemäßigt polygyn seien. Aufgrund der feststellbaren Varianz könne man Geschlechtsunterschiede erwarten, die auf sexuelle Selektion zurückzuführen sind.[25]
Um seine These von der sexuellen Selektion von Religion zu unterstreichen, führt Euler ein analoges Beispiel aus der Tierwelt an. Kunst sei so wie Religion durch natürliche Selektion nicht erklärbar. Der Vergleich von Schimpansen und Laubenvögeln zeigt an, dass Laubenvögel anders als Schimpansen sehr wohl über Kunstverstand verfügen, der sich allerdings nur zum Zweck der Partnerfindung Ausdruck verschafft. Daraus ist zu schließen, Kunst ist bei Laubenvögeln ein sexuell selektiertes Merkmal. Soweit ist Eulers Argumentation durchaus schlüssig. Fragwürdig wird sie in dem Moment, in dem er eine anthropomorphe, fiktive Rede eines Laubenvogelmännchens einspielt, um eine Analogie zum Religionsphänomen beim Menschen herzustellen. Auf welcher Basis tut er das? Einerseits kann er auf Beobachtungen von der künstlerischen Gestaltung von Vogellauben zurückgreifen, die offensichtlich der Partnerwerbung dienen. Dieser deskriptiven Beschreibung in der 3. Person steht eine beispielhafte menschliche Selbsterklärung in der Perspektive der 1. Person gegenüber. Euler ergänzt durch eine anthropomorphe fiktive Erzählung, die er dem Laubenvogelmännchen in den Mund legt, die fehlende 1. Person auf der Laubenvogelseite. Daraus lässt sich der analoge Schluss ziehen, so wie der Vogel in der Erzählung denkt zwar der Mensch von sich selbst, in Wahrheit verhalte es sich aber ganz anders, seien Kunst und Religion der Partnerwerbung dienlich. Euler fügt aber noch hinzu: Motivationen oder Intentionen eines Subjekts dürften nicht mit der biologischen Funktion verwechselt werden,[26] beide Perspektiven haben ihren angemessenen Artikulationsort.
[...]
[1] Vgl. Gannon, critique, 174.
[2] Vgl. ebd., 191.
[3] Vgl. Downes, Psychology.
[4] Euler, Sicht, 66.
[5] Vgl. ebd.
[6] Vgl. Downes, Psychology.
[7] Vgl. Euler, Sicht, 67.
[8] Vgl. Downes, Psychology.
[9] Euler, Sicht, 67.
[10] Downes, Psychology.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. Blech, Mensch.
[13] Vgl. Downes, Psychology.
[14] Vgl. Euler, Sicht, 81f.
[15] Vgl. Gannon, critique, 182 und 186.
[16] Vgl. ebd., 175.
[17] Vgl. Euler, Sicht, 84-86.
[18] Vgl. Downes, Psychology.
[19] Vgl. Euler, Sicht, 69f.
[20] Vgl. Euler, Sicht, 67-69. Nicht alle Gegenargumente Eulers scheinen in dieser Kürze wirklich stichhaltig zu sein bzw. wären hinterfragbar. Zudem hat er offensichtlich die vierte angeführte These bei seiner Gegenargumentation übersehen. Da aber auf diesem Punkt nicht mein Hauptaugenmerk liegt, werde ich nicht näher darauf eingehen.
[21] Vgl. ebd., 70f.
[22] Vgl. ebd., 72.
[23] Vgl. ebd., 73.
[24] Vgl. ebd.
[25] Vgl. Euler, Sicht, 74.
[26] Vgl. ebd., 77.