Die Konzeptionen von "Wille" bei Arthur Schopenhauer und "Trieb" bei Sigmund Freud im Vergleich


Zwischenprüfungsarbeit, 2009

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. „Innen“ und„Außen“: Positionsbestimmungen
1. Position und Unverortbarkeit des Willens im schopenhauerschen Weltgefüge
2. Ort und Wirkrichtung der freudschen Triebe

III. „Ein blinder Drang“: Der energetische Charakter von Wille und Trieb
1. Wille als Drang und Quelle des Leidens
2. Trieb als Energie aus den Spannungen von Konstanz- und Lustprinzip

IV. Lebenswille - Todestrieb: Freud im „Hafen Schopenhauers?

I. Einleitung

Die Feststellung mag trivial klingen, es ist dennoch notwendig, sie zu machen: eine nicht ideengeschichtliche, sondern systematisch-vergleichende Arbeit über die Konzepte des schopenhauerschen Willens-Begriffes und des freudschen Triebbegriffes unterliegt nicht zuletzt deshalb einer gewissen methodischen Schwierigkeit, weil die beiden einander gegenüberzustellenden Konzepte aus einem höchst unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontext stammen. Sie müssen deshalb nicht nur wegen den Konzepten inhärenter Gründe, sondern schon aus genealogischer Sicht eine voneinander abweichende Ausprägung - und vor allem Ausdehnung - annehmen und sich insofern schon scheinbar der Vergleichbarkeit entziehen.

Freilich: der Gegenstand der dieser Arbeit zugrunde liegenden Texte der beiden Autoren ist ein grundsätzlich verschiedener. Während Schop enhauer in erster Linie einen Weltentwurf erarbeitet, ist der primäre Gegenstand der freudschen Untersuchung der Mensch, oder enger und genauer gefasst: der seelische App arat des Menschen. Mit den unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen beider Autoren stehen sich deshalb die Systeme Metaphysik und Metapsychologie gegenüber und es mag nicht nur auf den ersten Blick unbotmäßig scheinen, zwei Konzepte, die solch unterschiedlichen Disziplinen entstammen, vergleichen zu wollen.

Tatsächlich sind gewisse Opfer erforderlich, um erst die Möglichkeit eines solchen Vergleichs zu schaffen. Das eine Opfer besteht darin, dass die beiden hier zum Vergleich aufgestellten Konzepte zuvörderst nicht in ihren inhaltlichen Details, sondern in ihren wesentlichen Strukturen dargestellt und auch bezüglich dieser Strukturen verglichen werden. Hiervon sind beide Konzepte gleichermaßen betroffen. Das andere Opfer ist ein einseitigeres, weil es zu Lasten nur eines der beiden Konzepte, indem es zu Lasten der Willensmetaphysik geht. Dass dieses Opfer einseitig zu diesen Bedingungen ausfällt, ergibt sich aus der Beschaffenheit der Schopenhauerschen Philosophie. Indem Schopenhauer nämlich innerhalb seines metaphysischen Systems ein Bild der Welt entwirft, entwirft er, diesem Weltbild untergeordnet, auch ein Bild des Menschen. Es ist aber gerade dieser Bezugspunkt der gemeinsame Nenner der beiden hier verglichenen Modelle. Durch die spezifische Ausprägung der voluntaristischen Beschaffenheit des schop enhauerschen Weltbildes gewinnt das von ihm vertretene Menschenbild eine psychologische Dimension, besser: lässt sich das von ihm vertretene Menschenbild dezidiert psychologisch lesen - unter entsprechender Rückwirkung auf den neben allen anderen Erscheinungen sich auch in der Erscheinung des Menschen objektivierenden Willen.

Eine solche Lesart, die den Willensbegriff hauptsächlich in seinen psychologischen Dimensionen erfasst und wie sie in weiten Teilen der vorliegenden Arbeit angewendet werden soll, kann der gedanklichen Reichweite Metaphysik, in die Schop enhauers Willenskonzeption eingebettet ist, nicht gerecht werden, sie opfert einen großen Teil dieser Metaphysik auf. Es ist wichtig zu betonen, dass sie das deshalb tut, um eine grundsätzliche Vergleichbarkeit des einen mit dem anderen Konzept herzustellen, nicht darum, um die zwischen den beiden verglichenen Begriffen durchaus entstehenden Differenzen zu nivellieren. Dass dies nicht der Fall ist, soll sich gleich im ersten inhaltlichen Abschnitt dieser Arbeit zeigen.

II. „Innen“ und „Außen“: Positionsbestimmungen

Zur Annäherung an die beiden Konzepte von Wille und Trieb scheint es zunächst angebracht, anzugeben, wo sie oder ihre Repräsentanzen sich sowohl räumlich, als auch systemintern verorten lassen. Weil diese Untersuchung eine geeignete Stelle dafür einräumt, kann im Zuge dessen auch eine zumindest knapp e Darstellung des Gesamtgefüges der Welt nach der Schop enhauerschen Metaphysik geleistet werden. Außerdem soll anhand der Suche nach einem solchen „Ort“ als räumlicher Lage von Wille und Trieb deutlich gemacht werden, welche Differenzen sich zwischen den beiden allein aus ihrer Herkunft aus unterschiedlichen Denkdisziplinen ergeben.

1. Position und Unverortbarkeit des Willens im schopenhauerschen Weltgefüge

Das Weltgefüge, wie es sich für Schop enhauer darstellt, besteht aus der Welt als Vorstellung und der Welt als Wille. Diese Zweiteilung drückt sich auch in der Beziehung zwischen den beiden sich bedingenden Größen des Subjekts und der Objekte aus, von der ausgehend sich die Begriffe der Vorstellung und des Willens entwickeln und inhaltlich füllen lassen.

Dem Subjekt wie den Objekten kommt jeweils eine Eigenschaft zu, die wohl als für die jeweilige Größe unbedingt definit betrachtet werden darf. Die Objekte sind ontologisch dadurch bestimmt, erkannt zu werden, das Subjekt dadurch, dass es erkennt ohne jemals erkannt zu werden5. Durch diese Bestimmung entsteht zwischen Subjekt und Objekten eine sich gegenseitig bedingende Seins-Beziehung. Die Objekte sind erst Objekte dadurch, dass sie durch das Subjekt erkannt werden, das Subjekt erst dadurch Subjekt, dass es einen Gegenstand des Erkennens, die Objekte, erfasst. Das Bestehen der Welt als aus Erkennendem und Erkanntem Zusammengesetztem hängt damit zwar noch nicht in hinreichender, sondern bloß notwendiger Weise von dieser gegenseitigen Beziehung und damit sowohl vom Vorhandensein von subjektsermöglichenden Objekten wie einem objektskonstituierenden Subjekt[1] ab[2]. Als vom Subjekt erkannt werden Objekte zu Vorstellungen des Subjekts[3] und formen seine erfahr- und erkennbare Außenwelt.

Für die Objekte gilt, anders als für das erkennende Subjekt, noch eine zweite Abhängigkeit, die sichjedoch nicht ontologisch, sondern nur in der Form ihrer Erscheinung niederschlägt. Diese dergestalt empirische Abhängigkeit ist die, die Schop enhauer in seinem „Satz vom Grunde“ festhält. Hier formuliert sich aus den Gegebenheiten der Objekte als Vorstellungen des Subjekts, als da sind die Prinzipien Zeit und Raum, ein Kausalitätsgesetz, das sich in bedingter Notwendigkeit[4] - ein Ausdruck, wie er, nach Schopenhauers Maßstäben gemessen und in der Terminologie Kants gesprochen, analytischer kaum sein könnte - ausdrückt: ein konkretes Objekt ist so und nicht anders, weil es durch ein anderes Objekt in dieser Form seiner Erscheinung bedingt worden ist, anders gesp rochen: weil ihm ein anderes Objekt zum Grund dieser konkreten Erscheinung geworden ist und weil es deshalb nur so, wie es erscheint, und nicht anders hat werden können[5].

So spannt sich innerhalb der Dimensionen der Zeit und des Raums als Grundp rinzip ien der erscheinenden Objekte, die durch den Erkennensvorgang zu Vorstellungen des Subjekts werden, eine ebenso unendliche wie anfangslose Reihe von sukzessiv auftretenden Gründen für ihre Erscheinung auf. Im Zuge dessen begegnet das Problem der logisch ebenso notwendigen wie unmöglichen Letztbegründbarkeit der Objektserscheinungen. Schop enhauer lehnt es ab, dieses Problem durch die Annahme eines unbewegten Erstbewegers im Sinne eines kosmologischen Gottesbeweises zu lösen. Eine solche Annahme sei nämlich gar keine Lösung dieses Problems, vielmehr ein „Kniff“, der darin bestehe, an beliebiger Stelle der Kette von Gründen stehen zu bleiben und genaujenen Grund, den man an dieser Stelle finde, zum ersten Grund und in Ermangelung einer anderen Strategie somit zur Ursache der Welt zu machen, ohne gleichzeitig eine Antwort auf die durch das Kausalitätsgesetz aufgeworfene Frage nach dem „Warum“ jenes angenommenerweise ersten Grundes geben zu können[6].

Die hinreichende Bedingung des Daseins aller Objekte und dergestalt der Welt als Vorstellung eines Subjekts erblickt Schop enhauer daher in einer Ursache, die außerhalb der Zeit und deshalb auch außerhalb aller Kausalität, außerhalb des Gesetzes des Satzes vom Grunde liegt[7]. Diese Ursache ist der Wille[8]. Der wesentliche Unterschied dieses Konzeptes zum Konzept des unbewegten Erstbewegers liegt darin, dass der Wille, aufgrund seiner außerzeitlichen Position, nicht die Gestalt einer zu einem bestimmten Zeitpunkt sich auswirkenden, die Reihe der Gründe in Bewegung setzenden Erstursache annimmt - schon die Rede von einem Zeitpunkt, oder einer „Erst“-Ursache ist im Hinblick auf seine nicht-sukzessive Außerzeitlichkeit ganz fehl am Platze - sondern dass er eine stetige, drängende Kraft ist[9]. Von diesem, seinem energetischen Charakter soll jedoch an sp äterer Stelle gehandelt werden. Pointiert: das Konzept des kosmologischen Gottesbeweises verortet den Erstbeweger als Glied der raumzeitlichen Wirkkette, das schopenhauersche Konzept setzt den Willen als eine „außerhalb“ dieser Kette liegende Größe.

Der seine Kraft entfaltende Wille wirkt in der Welt dergestalt, als er die raumzeitliche Welt selbst, die Welt als Vorstellung und alle in ihr statt habenden Veränderungen erhält und hervorbringt. Wollte man gnostisch sprechen, könnte man diesen Vorgang der Welthervorbringung und Welterhaltung wohl als Willensemanation bezeichnen. Sowohl die in der Welt erkannten Objekte, als auch das erkennende Subjekt, insofern es sich sowohl seine körp erliche Erscheinung selbst zum Objekt nimmt und mit dieser als Individuum untrennbar verwoben ist[10], als auch sein zugrunde liegender biologischer Erkenntnisapparat selbst nur eine Ausstülpung des Willens ist, sind die dem Satze vom Grunde unterliegenden Repräsentanzen des einen wirkenden Willens. So verstanden ist der Wille selbst ein gleichsam äußerräumliches Prinzip. Zwar wirkt er „in“ den Vorstellungen, zwar ist er „ihr Kern“, aber er ist nicht mit ihnen identisch. Die Vorstellungen sind vielmehr seine Abbilder[11], während er die grundlegende, durchaus platonische Idee[12] ist. So lässt sich auch gar keine „Lage“, kein „Ort“ des Willens selbst angeben. Er wirkt überall und ist nirgends.

2. Ort und Wirkrichtigung der Triebe nach Freud

Demgegenüber stellt sich das freudsche Triebmodell vergleichsweise plastisch und gegenständlich dar. Anders als beim schopenhauerschen Willensmodell lassen sich die Triebe hier im medizinisch-biologischen Sinne topisch verorten, und mehr noch, sie sind individual-evolutionär betrachtet sogar das Maß, anhand dessen sich die Innen- von der Außenwelt scheiden lässt.

Diese Unterscheidbarkeit zwischen Innen- und Außenwelt ergibt sich aus der Verwandtschaft der Natur der Triebe mit den Reizen und deren beider gleichzeitiger Verschiedenheit. Beide, sowohl Reiz wie Trieb, sind Größen, die als Ursachen gewisse Wirkungen hervorrufen[13]. Diese Wirkungen sind durch das Konstanzprinzip[14] bestimmt, auf das später noch genauer eingegangen werden soll. Während allerdings der Reiz „von außen“[15] auf die Nervensubstanz des Organismus einwirkt, wirken die Triebe aus dem Inneren des Organismus[16]. Die Unterscheidbarkeit von Außen- und Innenwelt ergibt sich daraus, dass der Reiz motorisch, durch eine Fluchtreaktion vor der Außenwelt verarbeitet werden kann, wohingegen eine solche Flucht zumindest auf das Dasein der Triebe keine Auswirkung hat. So entwirft sich durch den Vergleich des Umgangs mit ihnen und des Umgangs mit dem Reiz die zunächst dunkle Vorstellung einer von der Außenwelt verschiedenen Innenwelt als der Herkunftsquelle der Triebe[17].

[...]


[1] Schopenhauer I, S.33

[2] Schopenhauer I, S.34

[3] Schopenhauer I, S. 212, f.

[4] Schopenhauer III, S. 170, f.

[5] Schopenhauer III, S.172

[6] Schopenhauer III, S. 173,f.

[7] Schopenhauer I, S. 166, f.

[8] Schopenhauer I, S. 152, f.

[9] Schopenhauer I, S. 165, f.

[10] Schopenhauer I, S. 155

[11] Schopenhauer I, S.213

[12] Schopenhauer I, S. 216

[13] Freud 1915, S. 82

[14] Freud 1915, S. 83, f.

[15] Freud 1915, S. 82

[16] Ebd.

[17] Freud 1915, S. 83

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Konzeptionen von "Wille" bei Arthur Schopenhauer und "Trieb" bei Sigmund Freud im Vergleich
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophisches Seminar )
Veranstaltung
Freud: Kulturtheoretische Schriften
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V205345
ISBN (eBook)
9783656316282
ISBN (Buch)
9783656319153
Dateigröße
644 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konzeptionen, wille, arthur, schopenhauer, trieb, sigmund, freud, vergleich
Arbeit zitieren
Lukas Rieger (Autor:in), 2009, Die Konzeptionen von "Wille" bei Arthur Schopenhauer und "Trieb" bei Sigmund Freud im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205345

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