Eine nicht ideengeschichtliche, sondern systematisch-vergleichende Arbeit über die Konzepte des schopenhauerschen Willens-Begriffes und des freudschen Triebbegriffes unterliegt nicht zuletzt deshalb einer gewissen methodischen Schwierigkeit, weil die beiden einander gegenüberzustellenden Konzepte aus einem höchst unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontext stammen. Sie müssen deshalb nicht nur wegen den Konzepten inhärenter Gründe, sondern schon aus genealogischer Sicht eine voneinander abweichende Ausprägung annehmen und sich insofern einer seriösen Vergleichbarkeit scheinbar entziehen.
Freilich: der Gegenstand der dieser Arbeit zugrunde liegenden Texte der beiden Autoren ist ein grundsätzlich verschiedener. Während Schopenhauer in erster Linie einen Weltentwurf erarbeitet, ist der primäre Gegenstand der freudschen Untersuchung der Mensch, oder enger und genauer gefasst: der seelische Apparat des Menschen. Mit den unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen beider Autoren stehen sich deshalb die Systeme Metaphysik und Metapsychologie gegenüber.
Tatsächlich ist ein gewisses Opfer erforderlich, um erst die Möglichkeit eines solchen Vergleichs zu schaffen. Das notwendige Opfer ist deshalb einseitig, weil es zu Lasten nur eines der beiden Autoren geht. Indem Schopenhauer innerhalb seines metaphysischen Systems ein Bild der Welt entwirft, entwirft er auch ein Bild des Menschen. Durch die spezifische Ausprägung der voluntaristischen Beschaffenheit des schopenhauerschen Weltbildes lässt sich das von ihm vertretene Menschenbild dezidiert psychologisch lesen – unter entsprechender Rückwirkung auf den neben allen anderen Erscheinungen sich auch in der Erscheinung des Menschen objektivierenden Willen. Eine solche Lesart, die den Willensbegriff hauptsächlich in seinen psychologischen Dimensionen erfasst und wie sie in weiten Teilen der vorliegenden Arbeit angewendet werden soll, kann der gedanklichen Reichweite Metaphysik, in die Schopenhauers Willenskonzeption eingebettet ist, nicht gerecht werden, sie opfert einen großen Teil dieser Metaphysik auf. Es ist wichtig zu betonen, dass sie das deshalb tut, um eine grundsätzliche Vergleichbarkeit des einen mit dem anderen Konzept herzustellen, nicht darum, um die zwischen den beiden verglichenen Begriffen durchaus entstehenden Differenzen zu nivellieren. Dass dies nicht der Fall ist, soll sich gleich im ersten inhaltlichen Abschnitt dieser Arbeit zeigen.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. „Innen“ und „Außen“: Positionsbestimmungen
- 1. Position und Unverortbarkeit des Willens im schopenhauerschen Weltgefüge
- 2. Ort und Wirkrichtung der freudschen Triebe
- III. „Ein blinder Drang“: Der energetische Charakter von Wille und Trieb
- 1. Wille als Drang und Quelle des Leidens
- 2. Trieb als Energie aus den Spannungen von Konstanz- und Lustprinzip
- IV. Lebenswille - Todestrieb: Freud im „Hafen Schopenhauers?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit einer vergleichenden Analyse der Konzepte von „Wille“ bei Arthur Schopenhauer und „Trieb“ bei Sigmund Freud. Obwohl diese beiden Konzepte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten stammen, lassen sich interessante Parallelen und Unterschiede in Bezug auf ihre Struktur und Funktion erkennen. Die Arbeit zielt darauf ab, die beiden Konzepte systematisch zu vergleichen und ihre wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen.
- Die Positionierung von Wille und Trieb im jeweiligen Denksystem
- Der energetische Charakter von Wille und Trieb
- Die Beziehung zwischen Wille/Trieb und dem menschlichen Leid
- Mögliche Parallelen und Unterschiede in der Konzeption von Lebens- und Todestrieb bei Freud und Schopenhauer
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung
Die Einleitung beleuchtet die methodischen Herausforderungen, die mit einem Vergleich der Schopenhauerschen Willenskonzeption und der freudschen Triebtheorie verbunden sind. Aufgrund der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und Gegenstandsbereiche, aus denen beide Konzepte stammen, ist ein systematischer Vergleich nicht ohne methodische Schwierigkeiten.
II. „Innen“ und „Außen“: Positionsbestimmungen
Dieses Kapitel befasst sich mit der Frage, wie Wille und Trieb im jeweiligen Denksystem von Schopenhauer und Freud positioniert sind. Dabei wird zunächst die Schopenhauersche Welt als Vorstellung und Welt als Wille dargestellt. Im Anschluss wird die Positionierung der freudschen Triebe im seelischen Apparat des Menschen beleuchtet, um die unterschiedlichen Perspektiven auf die Lage von Wille und Trieb deutlich zu machen.
III. „Ein blinder Drang“: Der energetische Charakter von Wille und Trieb
Dieses Kapitel behandelt den energetischen Charakter von Wille und Trieb. Es wird untersucht, wie Schopenhauer den Willen als einen blinden Drang und Quelle des Leidens beschreibt und wie Freud den Trieb als Energie aus den Spannungen von Konstanz- und Lustprinzip begreift.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen „Wille“ und „Trieb“ in den Werken von Arthur Schopenhauer und Sigmund Freud. Zu den relevanten Themen gehören die Metaphysik und Metapsychologie, die Unterscheidung von Vorstellung und Wille, die Positionierung von Wille und Trieb im jeweiligen Denksystem, die energetische Natur von Wille und Trieb, die Beziehung zwischen Wille/Trieb und dem menschlichen Leid sowie mögliche Parallelen und Unterschiede in der Konzeption von Lebens- und Todestrieb bei Freud und Schopenhauer.
- Citar trabajo
- Lukas Rieger (Autor), 2009, Die Konzeptionen von "Wille" bei Arthur Schopenhauer und "Trieb" bei Sigmund Freud im Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205345