Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Theorie des epischen Theaters
2.1 Der Weg zu einer neuen Theatertheorie
2.2 Die Einflüsse des Marxismus auf die Theorie des epischen Theaters
3. Die Praxis des epischen Theaters- Brechts Arbeit am Berliner Ensemble
3.1 Brechts Inszenierungsarbeit am Berliner Ensemble
3.1.1 Die ersten Inszenierungen
3.1.2 Die Arbeit mit den Schauspielern
3.1.3 Die Arbeit mit den Bühnenbildnern
3.1.4 Die Arbeit mit den Komponisten
3.2 Brechts Arbeit mit dem Berliner Ensemble jenseits der Theatermauern
4. Schluss
5. Verwendete Literatur
1. Einleitung
Das Theater, die über zweitausend Jahre alte Tradition, die die szenische Performanz in ihren unzähligen Erscheinungsformen umschreibt, diente über einen langen Zeitraum hinweg der Vermittlung und Festigung von kultischen, religiösen, politischen und ästhetischen Ideen. Jede Epoche brachte eigene Spielarten und Theorien des Theaters hervor. Die Vermittlung von politischen und gesellschaftlichen Ideen steht bei dem von Bertolt Brecht entwickelten epischen Theater im Vordergrund.
In der folgenden Auseinandersetzung geht es zunächst im zweiten Kapitel um die Theorie des epischen Theaters. Im ersten Teil wird dargelegt, dass die Entstehung der Theorie durch die politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg in großem Maß beeinflusst wird. Brechts Interesse an der arbeitenden Bevölkerungsschicht und Kontakte zu linken Intellektuellen führen zu einer Beschäftigung mit dem Marxismus, die seine Arbeit prägen sollte. Der zweite Teil des zweiten Kapitels soll verdeutlichen, wie Brecht den marxistischen Aufklärungsgedanken in seine Theorie mit einbezieht und mit welchen Mitteln er die erwünschte Wirkung bei den Zuschauern herbeiführen möchte.
Im Zentrum des dritten Kapitels steht Brechts Arbeit am Berliner Ensemble. Nach einer kurzen Übersicht zu dem Hintergrund der Entstehung des Berliner Ensembles geht es im ersten Teil um die Inszenierungsarbeit unter der Gesamtleitung Brechts. Dabei wird die Probenarbeit Brechts mit den Schauspielern und ebenso die Arbeit mit den Bühnenbildnern und Komponisten thematisiert. Im zweiten Teil soll gezeigt werden, dass Brecht seine Arbeit mit dem Berliner Ensemble auch direkt und indirekt jenseits der eigenen Theatermauern fortführt. Fremde Bühnen, die Brechts am Berliner Ensemble aufgeführte Stücke inszenieren, erhalten Unterstützung durch die von Brecht und seinen Mitarbeitern hergestellten Modellbücher.
Zusätzlich bringt Brecht seine Inszenierungen mit dem Ensemble neben Gastspielen im nahen Ausland in den Jahren 1949- 1951 direkt in die Betriebe.
Das letzte Kapitel der Arbeit dient der übersichtlichen Zusammenfassung.
2. Die Theorie des epischen Theaters
2.1 Der Weg zu einer neuen Theatertheorie
Ab 1924 lebt und arbeitet Brecht in Berlin, dem kulturellen Zentrum Deutschlands der zwanziger Jahre. Dort beginnt durch Kontakte mit Künstlern und Intellektuellen ein Austausch über die Ideen der politisch Linken. An selber Stelle wird schließlich der Grundstein für das Konzept eines episch-dialektischen Theaters gelegt.[1] Über Karl Korsch kommt Brecht gegen Ende der zwanziger Jahre mit den Werken von Karl Marx in Kontakt, in denen unter anderem eine Analyse der kapitalistischen Gesellschaft vorgenommen wird. Wenige Jahre später besucht Brecht Vorlesungen von Korsch:
„Im Winter 1932/33 intensivierte sich sein Interesse an kritischer Gesellschaftstheorie, als Korsch in der Karl-Marx Schule von Neukölln Vorlesungen über Lebendiges und Totes im Marxismus hielt.“[2]
Einem bestimmten Parteiprogramm schließt sich Brecht jedoch nicht an.
Jan Knopf verdeutlicht, dass die Beziehung von Brecht zu Karl Korsch von der westlichen- und der DDR-Forschung unterschiedlich bewertet wurde. Die westliche Forschung räumte der Beziehung eine überwiegend starke Rolle für die Theoriebildung des epischen Theaters ein, die DDR- Forschung sprach Korsch hingegen keine bedeutende Rolle zu.[3]
Trotz unterschiedlicher Forschungsergebnisse scheint Korschs Auseinander-setzung mit den Werken von Marx und sein daraus resultierendes Konzept der Dialektik eine wichtige Anregung für Brechts Theorie des epischen Theaters gewesen zu sein. Aber nicht in allen Punkten gibt es zwischen Korsch und Brecht einen Konsens. Nicht zuletzt spielt für Brecht auch durch die Auseinandersetzung mit Fritz Sternberg die Soziologie eine wichtige Rolle. Sternberg hält die Arbeit der Intellektuellen für einen wichtigen Faktor in der Aufklärung der Proletarier, die schließlich zur Revolution führen soll. Aufgrund des Kontakts zu Sternberg lernt Brecht „durch die Soziologie objektivierbare Maßstäbe für die Kunst kennen und anwenden.“[4] Nicht mehr in erster Linie die Ästhetik sondern die Wirklichkeit soll die dramatische Produktion beeinflussen. Somit ist es für den Stückeschreiber nicht mehr erforderlich an bestimmten Formen der Kunst festzuhalten.
Brecht befindet sich in Berlin als die Auswirkungen der Weltwirtschaftkrise den Goldenen Zwanzigern 1929 ein abruptes Ende bescheren. Er erlebt die radikalen politischen Bewegungen die sich aus dieser Entwicklung ergeben und ist Augenzeuge der blutigen Auseinandersetzungen am 1. Mai 1928 zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten und der Polizei. Brechts Interesse richtet sich auf die Lebensumstände der kleinen Leute. Die Themen, die auf das Leben dieser Menschen starken Einfluss nehmen, werden allerdings nicht zum Gegenstand der Inszenierungen der vom Bildungsbürgertum geführten Theater sowie der neuen Medien gemacht:
„Brecht bezieht schon früh eine Frontstellung gegen die bürgerliche Literatur und das ‹bourgeoise Amüsiertheater›. Er erkennt gesellschaftsverändernde Potentiale in Rundfunk und Film, zugleich aber auch deren Grenzen durch den Besitz der Apparate“[5]
Der Zuschauer kann in solchen Aufführungen vielmehr seiner Wirklichkeit entfliehen und in eine idealisierte, also fiktive Welt frei von Widersprüchen eintauchen. Brechts Anspruch an ein Theater, das sich in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit der Menschen aus der Arbeiterklasse engagiert, ist auch im Rahmen der zahlreichen Privattheater in Berlin nicht realisierbar, die seiner Ansicht nach ausschließlich auf den maximalen Gewinn beschränkt sind. Da wo das Kapital wichtiger ist als das Publikum verliert das Theater für Brecht sämtliche Relevanz. Theater muss demnach den Menschen einen Einblick in die sich ständig verändernden Vorgänge gewähren, die ihre Lebensverhältnisse beeinflussen. Auf diesem Wege können sie sie durchschauen und gegen sie vorgehen. Im Kleinen Organon für das Theater stellt Brecht fest:
„Es sind die Unstimmigkeiten in den Abbildungen der Geschehnisse unter Menschen, was unsern Genuß im Theater schmälert. Der Grund dafür: wir stehen zu dem Abgebildeten anders als die vor uns.“[6]
Vor diesem Hintergrund beginnt Brecht 1926, wie einer Notiz seiner Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann zu entnehmen ist, seine Arbeit an der Theorie des epischen Dramas. Einflüsse seiner marxistischen Studien und somit des marxistischen Aufklärungs- und Wirkzusammenhangs spiegeln sich in der Theorie des epischen Theaters wider.
2.2 Die Einflüsse des Marxismus auf die Theorie des epischen Theaters
In Über Politik auf dem Theater schreibt Bertolt Brecht über sein Theaterkonzept:
„Es ist nicht genug verlangt, wenn man vom Theater nur Erkenntnisse, aufschlußreiche Abbilder der Wirklichkeit verlangt. Unser Theater muß die Lust am Erkennen erregen, den Spaß an der Veränderung der Wirklichkeit organisieren. Unsere Zuschauer müssen nicht nur hören, wie man den gefesselten Prometheus befreit, sondern auch sich in der Lust schulen, ihn zu befreien. Alle die Lüste und Späße der Erfinder und Entdecker, die Triumphgefühle der Befreier müssen von unserm Theater gelehrt werden.“[7]
Er kommt in dieser Aussage der Kritik von Karl Marx an der Philosophie sehr nah. Marx kritisiert, dass die Philosophie bei der Interpretation der Welt stehen bleibt und nicht aktiv zur Veränderung beiträgt.[8] Brechts episches Theater erscheint als Instrument der Aufklärung, das hilft im marxistischen Sinne die Welt analytisch zu durchschauen, damit ein Eingreifen möglich wird. Seine in der Theorie entwickelten Methoden finden sich in der materialistischen Dialektik wieder. Im Sinne Klaus- Detlef Müllers verwendet Brecht die Dialektik:
„[…] als Moment einer auf Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zielenden Bewusstseinsbildung und Aufklärung über die zur Aufhebung drängenden Widersprüche.“[9]
Zentrales Element des marxistischen Aufklärungszusammenhangs ist die Erkenntnis des dialektischen Materialismus, der die Welt und den Verlauf der Geschichte nicht mit den großen Ideen von einzelnen Persönlichkeiten oder gar einer göttlichen Instanz erklärt, sondern in der sie vielmehr den ökonomischen Gesetzen unterliegt. Der Besitz von Kapital entscheidet über die Position in der Klassengesellschaft und bestimmt die Machtverhältnisse der Menschen untereinander aus denen im weiteren Verlauf unterschiedlichste Ideen erwachsen. Demnach sind auch religiöse, rechtliche oder moralische Gedanken auf die jeweiligen materialistischen Verhältnisse zurückzuführen. Sie sind nicht eine göttlich Konstruktion, die schicksalhaft das Leben der Menschen leitet. Brechts Theorie des epischen Theaters sieht eine Vermittlung dieses Gedankens vor:
„Das Individuum soll nicht mehr als Substanz mit naturhaften ››Eigenschaften‹‹, sondern als Element im sozialen Feld gefaßt werden, seine Lebensäußerungen gesellschaftlichen Verhaltensweisen unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen.“[10]
[...]
[1] Vgl.: Müller, Klaus- Detlef: Bertolt Brecht. Epoche-Werk-Wirkung. München 2009. S. 20
[2] Knopf, Jan: Bertolt Brecht. Leben-Werk-Wirkung. Frankfurt am Main 2006 . S. 35
[3] Vgl.: Knopf, Jan: Brecht- Handbuch: Eine Ästhetik der Widersprüche. Ungekürzte
Sonderausgabe. Stuttgart 1996. S. 414
[4] Ebd., S. 413
[5] Müller, Bertolt Brecht, S. 18
[6] Brecht, Bertolt: Über Politik auf dem Theater. Hrsg. v. Werner Hecht. Frankfurt am Main 1983. S. 55
[7] Brecht, Über Politik auf dem Theater, S. 5
[8] Vgl.: Marx, Karl: Philosophische und ökonomische Schriften, Hrsg. v. Rohbeck, Johannes und Peggy H. Breitenstein. Stuttgart 2008. S.49
[9] Müller, Bertolt Brecht, S. 117
[10] Irrlitz, Gerd: Philosophiegeschichtliche Quellen Brechts. In: Hecht, Werner(Hg):Brechts Theorie des Theater. Frankfurt 1986, S. 15