Was versteht Platon unter dem Begriff "Gerechtigkeit" und wie verdeutlicht er dies an seinem Modell der gerechten Stadt?


Term Paper, 2003

23 Pages, Grade: 1.3


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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Gängige Vorstellungen der Gerechtigkeit
1. Das Gespräch mit Kephalos – Gerechtigkeit ist Wahrhaftigkeit und Wiedergeben, was man empfangen Hat
2. Das Gespräch mit Polemarchos – Gerechtigkeit ist Freunden zu nützen und Feinden zu schaden
3. Das Gespräch mit Thrasymachos – Gerechtigkeit ist der Vorteil des Stärkeren
4. Das Gespräch mit Glaukon – Fortführung vom „Lob der Ungerechtigkeit

II. Die Entstehung der Polis
1. Vom Urstaat zum aufgedunsenen Staat
2. Vom aufgedunsenen Staat zum vollkommenen Staat
3. Die vollkommene Polis

III. Platons Stände
1. Die Wächter und Regenten
2. Der Mythos als Legitimation der Ungleichheit
3. Weitere Funktionen der Wächter und Regenten

IV. Platons Kardinaltugenden
1. Die Weisheit
2. Die Tapferkeit
3. Die Besonnenheit
4. Die Gerechtigkeit
a) Die Gerechtigkeit im Staat
b) Die Gerechtigkeit in der Seele
C) Schluss

Quellen- und Literaturverzeichnis

Platon hat sich in seinen Werken intensiv mit der Frage nach der Gerechtigkeit beschäftigt. So kündigt sich seine Politeia zwar im Titel nur als ein Beitrag zur politischen Philosophie oder Staatsphilosophie an, aber ihr wurde später der Untertitel „Über das Gerechte“ (peri tou dikaiou) hinzugefügt. „Die Politeia ist Platons philosophisches und politisches Hauptwerk“[1].

Sie behandelt neben der Gerechtigkeit viele Teilgebiete: sie befaßt sich mit einer Erziehungslehre, sie vertritt die Gleichberechtigung von Mann und Frau, sie entfaltet eine Kritik der Dichtung sowie auch eine Theorie der Musik.

Nicht zuletzt ist der Höhepunkt der Politeia die Idee des Guten. Die Gerechtigkeit ist allerdings der rote Faden, der sich durch das ganze Werk zieht.

Diese Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit Platons Definition der Gerechtigkeit. Deswegen werde ich nicht auf alle Teilgebiete eingehen, sondern mich hauptsächlich auf die Bücher I bis V beschränken. Diese beinhalten das Problem der Gerechtigkeit und ihres Nutzens und die Darstellung der Gerechtigkeit an einem Modell der gerechten Stadt. Ich möchte mich dabei eng an die Struktur halten, die Platon in seinem Werk verwendet, um an seine Definition der Gerechtigkeit hinzuführen.

I. Gängige Vorstellungen der Gerechtigkeit

Die Politeia beginnt mit mehreren Dialogen, wobei Sokrates von unterschiedlichen Gesprächspartnern deren Vorstellung von Gerechtigkeit erzählt bekommt. Diese ersten Versuche einer Gerechtigkeitsdefinition sind geläufige Vorstellungen der Gerechtigkeit, die auch meist bei der Allgemeinheit zu finden sind.

Sokrates erster Gesprächspartner ist Kephalos. Dieser Dialog bildet die Ausgangslage einer philosophischen Gerechtigkeitsuntersuchung. Über Sokrates` Frage nach dem Reichtum Kephalos und seinem Nutzen daraus, gelangen sie schnell zum Hauptthema. Nach Kephalos sind wir unseren Mitmenschen Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit schuldig. „Wahrhaftigkeit heißt dabei soviel wie, ein ehrlicher Geschäftsmann sein, niemanden betrügen, niemanden etwas schuldig bleiben“.[2] Was man sich einmal geborgt hat, muß man auch wieder zurückgeben. Und wer seine Schuldigkeitspflicht erfüllt, ist ein gerechter Mensch. Reichtum macht es einem dabei leichter keine ungerechten Handlungen zu begehen. Sokrates widerlegt die These von Kephalos, denn „wenn einer von einem Freunde, der ganz bei besonnenem Mute war, Waffen empfangen hat und dieser sie im Wahnsinn wiederfordert, er ihm dergleichen weder verpflichtet ist wiederzugeben, noch selbst recht täte, wenn er sie ihm wiedergäbe oder in einem solchen Zustand ihm von allen Dingen die Wahrheit sagte“[3].

„Kephalos´ Bestimmung von Gerechtigkeit erweist sich als unzureichend, weil sich hinter seiner Definition die allgemeinere Frage verbirgt, was für den Einzelnen nützlich oder schädlich ist, was jemand denn gerechterweise überhaupt besitzen oder sein Eigen nennen kann“[4].

Allerdings ist Kephalos sowieso kein guter Gesprächspartner für eine philosophische Diskussion, denn er kann nur erzählen, aber nicht argumentieren.

Sokrates` neuer Gesprächspartner ist Polemarchos, der Sohn des Kephalos. Er versucht seinen Vater zu verteidigen, indem er die Definition erneut aufgreift und sie erweitert. Nicht jeder ist jedem etwas schuldig, sondern Freunde sind es Freunden schuldig, Gutes zu tun, also müssen sie die Auswirkungen der Rückerstattung auch berücksichtigen. Bei Feinden dagegen muß man nicht auf negative Auswirkungen achten, denn sie verdienen eine schlechte Behandlung. Also ist Gerechtigkeit „Freunden Gutes tun und Feinden Böses“[5].

Diese Definition ist wohl ein sehr gängiges Gerechtigkeitsverständnis, „denn Gerechtigkeit über Schuldigkeit zu bestimmen ist alles andere als extravagant, sondern trifft einen sich über die Zeiten durchhaltenden und tief in den Überzeugungen des common sense verankerten Bedeutungskern“[6]. Damit ist der Gerechte allerdings Experte des Guten und des Bösen. Und „durch welche Handlung und in Absicht auf welches Geschäft ist er vorzüglich imstande, Freunden zu nutzen und Feinden zu schaden? - Durch Kriegsführung und Bundesgenossenschaft“[7]. Wenn Frieden herrscht, zeigt sich die Gerechtigkeit allerdings nur im gegenseitigen Umgang miteinander.

Aufgrund der Definition Polemarchos könnte man sagen, dass der Gerechte so auch der beste Partner bei Geldgeschäften sein muß; zwar nicht, wenn es ums Kaufen geht, aber dafür, wenn es darum geht, das Geld zu verwahren. Denn der Gerechte gibt das, was er seinem Freund schuldet in jedem Fall zurück. Damit ist die Gerechtigkeit allerdings wertlos, denn sie ist nur für den Nicht-Gebrauch der Dinge nützlich. Außerdem drängt sich auch die Frage auf, wie man einen schlechten Gerechten von einem Ungerechten unterscheidet. Was passiert, wenn man jemanden für seinen Freund hält, der kein Freund ist oder jemanden als Feind behandelt, der eigentlich Freund ist. „Täusche man sich darüber, handele man ungerecht, da man dem falschen Freund nütze oder dem vermeintlichen Feind schade“[8]. Um sich aus der Affaire zu ziehen ersetzt Polemarchos den Freund durch einen ´wahren Freund` und den Feind durch einen ´wahren Feind` - allerdings ist auch das keine Lösung, da sich der wahre Freund und der wahre Feind meist erst hinterher feststellen läßt.

Eine weitere sich aufdrängende Frage ist, ob es überhaupt gerecht sein kann, einem anderen zu schaden. Sokrates versucht anhand des Vergleichs mit einem Pferd zu beweisen, „daß es auf keine Weise Sache des Gerechten ist, anderen zu schaden“[9]. Denn wenn ein Pferd Schaden nimmt, wird es keineswegs besser, sondern es taugt dann nicht mehr als Reittier, es verliert an Tüchtigkeit. Wenn man also Menschen Schaden zufügt, dann werden sie ungerechter. Aber ein gerechter Mensch kann einen anderen nicht ungerechter machen, „denn es ist auch nicht Sache der Wärme abzukühlen, sondern ihres Gegenteils [...] . Auch nicht der Trockenheit anzufeuchten, sondern ihres Gegenteils [...]. Also auch nicht des Guten zu schaden, sondern seines Gegenteils [...]. Also ist es nicht die Sache des Gerechten zu schaden“[10]. Und damit hat Sokrates auch die ´These vom Feind` von Polemarchos widerlegt.

Das Gespräch mit dem Sophisten Thrasymachos ist das Hauptgespräch des ersten Buches. „Das Bild, das Platon von dem Sophisten Thrasymachos zeichnet, ist eine bösartige und gehässige Karikatur“[11]. Er bringt auch eine überraschende Wendung ins Gespräch, denn er baut seine Argumentation nicht auf den Thesen seiner Vorgänger auf. Seine Rede kann als „Lob der Ungerechtigkeit“ bezeichnet werden, denn er behauptet, „das Gerechte sei nichts anderes als das dem Stärkeren Zuträgliche“[12]. Dabei meint Thrasymachos „die Stärke der politischen Macht“[13]. Seine Definition ist nicht ganz ungerechtfertigt, denn es ist sinnvoll, Gerechtigkeit mit Legalität zu verbinden. Man kann es an unserem heutigen Gesetzbuch sehen, denn dort werden Paragraphen aufgestellt, durch die die Menschen gezwungen werden, sich den anderen gegenüber `gerecht` zu verhalten. Aber es ist nicht sinnvoll, Gerechtigkeit als Vorteil des Stärkeren zu definieren. So gesehen ist es keine Konkurrenzdefinition zu den anderen, sondern eben nur die Aussage eines Sophisten.

Thrasymachos wollte wohl von Anfang an die Ungerechtigkeit loben. Dies läßt sich an einigen seiner Aussagen belegen: er behauptet, der gerechte Mann sei gegenüber dem Ungerechten im Nachteil, die Gerechtigkeit bringe keinen Vorteil und Ungerechtigkeit bringe allen Vorteil und ‑ am „allerleichtesten [wird man] es erkennen, wenn [man sich] an die vollendetste Ungerechtigkeit hält[...], welche den, der Unrecht getan, zum glücklichsten macht, die aber das Unrecht erlitten haben und nicht wieder Unrecht tun wollen, zu den elendsten“[14]. Der Schwächere verhält sich durch Dienen und Gehorchen gerecht und gibt so dem Stärkeren das ihm Zuträgliche. Damit ist Gerechtigkeit die Selbstbenachteiligung und Mißachtung der eigenen Interessen. Gerechtigkeit ist so nur bei einfältigen und schwachen Menschen zu finden. „Das dem Stärkeren Zuträgliche ist das Gerechte, das Ungerechte aber ist das jedem selbst Vorteilhafte und Zuträgliche“[15].

Sokrates und Thrasymachos reden anscheinend aneinander vorbei, denn Sokrates möchte das Wesen der Gerechtigkeit finden und Thrasymachos möchte die Auswirkungen gerechten Verhaltens studieren. Sokrates wird aber von Thrasymachos dazu aufgefordert, diese Diskussion weiterzuführen. Also unterbricht er seine Suche nach dem Wesen der Gerechtigkeit, um die These von Thrasymachos zu widerlegen. Er muß beweisen, „daß die Glücksverteilung und Gerechtigkeitsverteilung konvergieren und sich nicht, wie Thrasymachos glauben macht, umgekehrt proportional zueinander verhalten“[16]. Die These des Thrasymachos ist nicht außergewöhnlich und schwer zu widerlegen, denn „[d]aß die Welt nicht gerecht ist, sondern meritorisch pervers agiert und die Gerechten bestraft und die Ungerechten belohnt, gehört zum Standardrepertoire der moralischen Weltklage“[17]. Sokrates behauptet, dass die Regierenden ihren Job nicht übernehmen würden, wenn sie keinen Lohn dafür bekommen würden - im Gegensatz zu Thrasymachos, der glaubt, dass alle gerne regieren, da sie sich dann das für sich Beste holen können. Der Herrscher opfert sich aber für seine Bürger auf, und das muß belohnt werden - entweder durch Geld, Ehre oder durch Strafe. Der beste Herrscher ist aber der, der weder Geld noch Ehre will - sie werden durch Strafe zum Regieren gebracht. „Die größte Strafe aber ist, von Schlechteren regiert zu werden, wenn einer nicht selbst regieren will; und aus Furcht vor dieser scheinen [ihm] die Rechtschaffenen zu regieren, wenn sie regieren“[18]. Damit wird bewiesen, dass der Herrscher in jeden Fall an das Wohl der Bürger denkt und nicht auf seinen Vorteil. Thrasymachos Teilthese wird damit widerlegt.

[...]


[1] Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Band 1 / 2, S.22

[2] Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Band 1 / 2, S.26

[3] Politeia, 331c

[4] Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Band 1 / 2, S.26

[5] Politeia, 332 b

[6] Wolfgang Kersting, Werkinterpretationen, Platons Staat, S. 21

[7] Politeia, 332 e

[8] Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Band 1 / 2, S. 27

[9] Politeia, 335 b

[10] Politeia 335 d

[11] Wolfgang Kersting, Werkinterpretationen, Platons Staat, S. 29

[12] Politeia, 338 c

[13] Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Band 1 / 2, S.28

[14] Politeia, 344 a

[15] Politeia, 344 c

[16] Wolfgang Kersting, Werkinterpretationen, Platons Staat, S. 35

[17] Wolfgang Kersting, Werkinterpretationen, Platons Staat, S. 33 / 34

[18] Politeia, 347 c

Excerpt out of 23 pages

Details

Title
Was versteht Platon unter dem Begriff "Gerechtigkeit" und wie verdeutlicht er dies an seinem Modell der gerechten Stadt?
College
LMU Munich  (GSI)
Course
Grundkurs
Grade
1.3
Author
Year
2003
Pages
23
Catalog Number
V20600
ISBN (eBook)
9783638244350
File size
583 KB
Language
German
Keywords
Platon, Begriff, Gerechtigkeit, Modell, Stadt, Grundkurs
Quote paper
Claudia Lorenz (Author), 2003, Was versteht Platon unter dem Begriff "Gerechtigkeit" und wie verdeutlicht er dies an seinem Modell der gerechten Stadt?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20600

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