Der Zusammenhang von Kapitalismus und Geschlechterkonstruktion aus wert-abspaltungskritischer und regulationstheoretischer Perspektive


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2012

24 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Polarisierung der Geschlechtscharaktere als Spiegelung der Sphärentrennung

3. Wert-Abspaltungskritik
3.1 Entstehung und Grundlagen
3.2 Wandelbarkeit und Aufhebung des Geschlechterverhältnisses
3.3 Die postmoderne „Verwilderung des Patriarchats“

4. Regluationstheoretische Perspektive
4.1 Grundlagen
4.2 Lars Kohlmorgens Erweiterungen der Regulationstheorie
4.3 Wandelbarkeit der kapitalistischen Geschlechterordnung
4.4 Postfordistische Geschlechterverhältnisse

5. Möglichkeiten einer immanenten Aufhebung des Geschlechterverhältnisses

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1 . Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie eng das moderne Geschlechterverhältnis mit der kapitalistischen Produktionsweise verknüpft ist und damit zusammenhängend die Möglichkeit einer kapitalismusimmanenten Überwindung dessen erörtert werden. Dazu wird zunächst Karin Hausens Theorie der Polarisierung der Geschlechtscharaktere als Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben dargestellt, weil der Zusammenhang zwischen der Trennung von öffentlicher und privater Sphäre – die historisch mit dem aufkommenden Kapitalismus zusammen entstanden ist – und der Konstituierung der modernen Geschlechterbilder in der wissenschaftlichen Geschlechterforschung den allgemeinen Hintergrund bildet. Auf dieser Grundlage stellt sich die Frage, wie stark verwoben die gegenwärtigen Geschlechterkonstruktionen mit der kapitalistischen Wirtschaftsform sind. Darauf geben die von Roswitha Scholz entwickelte Wert-Abspaltungstheorie und Lars Kohlmorgens Erweiterung der Regulationstheorie grundlegend unterschiedliche Antworten. Die Wert-Abspaltungstheorie beschreibt die Abspaltung aller Tätigkeiten und Haltungen, die in der Wertform nicht aufgehen, gleichzeitig aber für den Verwertungsprozess notwendig sind, und deren Delegation an das Weibliche als ein Wesen des Kapitalismus, weshalb das hierarchische Geschlechterverhältnis nur mit dieser Gesellschaftsformation zusammen aufgehoben werden kann. Kohlmorgens regulationstheoretische Analyse hingegen geht von Kapitalismus als einem prinzipiell geschlechtsneutralen Wirtschaftssystem aus, dass zwar historisch mit der modernen Geschlechterordnung verwoben ist, dies aber in seiner weiteren Entwicklung nicht notwendig bleiben muss. Nach einer Darstellung dieser beiden Ansätze und deren Interpretation aktueller Veränderungen des Geschlechterverhältnisses wird also in einer kritischen Synthese versucht werden, die prinzipielle Möglichkeit einer kapitalismusimmanenten Überwindung dessen zu erörtern, sowie mögliche Fluchtpunkte und Tendenzen in diese Richtung zu benennen. Diese Möglichkeit darf dabei keineswegs mit einer Prognose über die zukünftige Entwicklung verwechselt werden, aber für die verschiedenen Strömungen der marxo-feministischen Forschung und Theoriebildung steht immer die Frage nach einer sinnvollen Praxis mit dem Ziel der Emanzipation der Frau als Teil der allgemeinen Emanzipation des Menschen im Raum; und um diese Frage adäquat zu beantworten, muss eben die mögliche Reichweite immanenter Forderungen und Kämpfe geklärt werden.

Vorher muss allerdings noch auf einige Schwierigkeiten dieses Vorhabens hingewiesen werden, die sich vor allem auch aus den unterschiedlichen Herangehensweisen der Bezugstheorien ergeben. Zuallererst sind die Grundlagen der Wert-Abspaltungskritik und der Regulationstheorie völlig verschiedene, auch wenn sie beide in einer marxistischen Tradition stehen. Die Wert-Abspaltungstheorie entstammt der fundamentalen Wertkritik, die in scharfer Abgrenzung zu traditionellen Marxismen Kapitalismus vor allem anhand der basalen Formen der Vermittlung kritisiert – also allen voran Wert, Ware, abstrakte Arbeit und die entsprechenden Fetischismen. Kohlmorgen hingegen begreift Kapitalismus in erster Linie als ein Ausbeutungsverhältnis, die Kritik setzt gewissermaßen erst später, an der Aneignung des produzierten Mehrwerts, ein. Hierdurch bewegt sich auch die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis oft auf verschiedenen Ebenen, die nichtsdestotrotz mit gewissen Modifikationen miteinander vermittelbar sind. So argumentiert Scholz mit den Kategorien von Wesen und Erscheinung, beschreibt also unterschiedliche Ausprägungen des Geschlechterverhältnisses weltweit als unterschiedliche Ausprägungen des selben gesellschaftlichen Wesens und ist damit weniger an besonderen, beispielsweise nationalstaatlichen, Arrangements interessiert. Kohlmorgen hingegen beschäftigt sich in großen Teilen mit der spezifischen Zusammensetzung der deutschen Gesellschaftsformation, um konkret und empirisch den Wandel von der fordistischen zur postfordistischen Entwicklungsweise zu beschreiben. Trotz oder möglicherweise auch wegen dieser unterschiedlichen Herangehensweisen scheint es fruchtbar zu sein, diese miteinander zu synthetisieren, um aus der Reibung zwischen ihnen neue Perspektiven zu eröffnen.

2 . Polarisierung der Geschlechtscharaktere als Spiegelung der Sphärentrennung

Karin Hausen legte 1976 einen Aufsatz vor, auf den sich seitdem in praktisch allen relevanten Arbeiten zum Thema Geschlecht bezogen wird.[1] Darin untersucht sie verschiedene Lexika, sowie medizinische, psychologische und literarische Schriften seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und stellt fest, dass darin mit dem neu erfundenen Begriff Geschlechtscharaktere erstmals wesenhafte und natürliche Unterschiede zwischen Mann und Frau konstruiert und mit großem wissenschaftlichen Aufwand etabliert wurden. Während in älteren Texten über Männer und Frauen in erster Linie soziale Aussagen über angemessenes Standesverhalten zu finden waren, tauchen seit dieser Zeit zunehmend wissenschaftlich-biologisch fundierte und damit als unabänderlich und ideal erklärte Charakterdefinitionen auf.[2] Allgemein wird dieser Prozess heute als Übergang vom vormodernen Ein-Geschlechter-Modell zum modernen Zwei-Geschlechter-Modell beschrieben.[3] Dabei stellt Hausen fest, dass dieser Wandel in den Diskursen über Geschlecht parallel zu dem Wandel der Haushaltsform ablief. Sie vertritt die These, dass der Übergang von der feudalen Form des Ganzen Hauses zur modernen (bürgerlichen) Familie neue Legitimationen notwendig machte. Die Umwälzungen der Moderne erforderten ein neues Begründungssystem, da unter dem Eindruck von Humanismus und Reformation eine Zuwendung zum Individuum stattfand und vertragsrechtliche Gesellschaftstheorien dominant wurden. Der Bezug auf Traditionen reichte nicht mehr aus, um die Geschlechterordnung und damit die Familie zu stabilisieren und so wurden die alten Geschlechterbilder mithilfe der Humanwissenschaften transformiert.[4] Die feudale Haushaltsform des Ganzen Hauses ist idealtypisch gekennzeichnet als Einheit aus Produktion, Konsumtion, Wohnen und Leben, bei der zwar schon rudimentäre Formen geschlechtlicher Arbeitsteilung zu finden sind, aber keine strikte Trennung von weiblicher und männlicher Arbeit. Im Allgemeinen konnte sich dort überhaupt keine private von der Öffentlichkeit getrennte Sphäre ausbilden, ebenso war eine Trennung von Produktion und Reproduktion in dieser auf Subsistenz ausgerichteten Einheit nicht vorhanden.[5] Erst mit dem Aufstieg des Bürgertums und damit verbunden der Form der bürgerlichen Familie wurde allmählich die moderne Sphärentrennung konstituiert, und gleichzeitig lässt sich die Konstruktion genau der geschlechtlichen Eigenschaften nachweisen, die Geschlechterbilder bis heute prägen. Im Kern geht es dabei um die Bestimmung des Mannes für Öffentlichkeit, Aktivität, Tun und Rationalität; und komplementär dazu der Frau für Häuslichkeit, Passivität, Sein und Emotionalität.[6] Zu beachten ist dabei, dass es sich sowohl beim Ganzen Haus, als auch bei der bürgerlichen Familie zunächst um familiale Leitbilder handelt, die keineswegs durchgängig eine Entsprechung in der breiten Bevölkerung hatten. Im Gegenteil war zum Beispiel die bürgerliche Familie bis Mitte des 20. Jahrhunderts als familiale Realität ausschließlich in privilegierten Schichten zu finden, bevor sie sich zunächst als Leitbild verallgemeinerte und sich erst im Deutschland der 1960er Jahre tatsächlich als dominante gesellschaftliche Realität etabliert hatte. Nichtsdestotrotz hat ein solches Leitbild großen Einfluss auch auf gesellschaftliche Realitäten, da es den Akteur_innen[7] Deutungs- und Orientierungswissen bereitstellt, an dem sie ihr Handeln ausrichten.[8]

Für die Fragestellung dieser Arbeit ist nach dieser knappen Darstellung erstens festzuhalten, dass die Entstehung kultureller Leitbilder, die zunächst nur in einer bestimmten Bevölkerungsschicht – in diesem Fall im Bürgertum – verbreitet sind, durchaus das Potential haben, sich zu verallgemeinern, falls diese Schicht eine hegemoniale Stellung in der Gesellschaft einnimmt; und zweitens, dass historisch eine Verwobenheit des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit dem modernen Geschlechterverhältnis zu konstatieren ist. Ob diese Verwobenheit als ein unabänderliches androzentrisches Wesen des Kapitalismus beschrieben werden kann, oder ob es sich dabei um ein theoretisch geschlechtsneutrales Akkumulationsregime handelt, das lediglich durch den Prozess der Regulation historisch-kulturell vergeschlechtlicht wurde – und damit auch durch andere regulatorische Mechanismen geschlechteregalitär gestaltet werden könnte, darum wird es im Folgenden gehen.

3 . Wert-Abspaltungskritik

3.1 Entstehung und Grundlagen

Die Wert-Abspaltungstheorie wurde nach längeren Diskussionen innerhalb der damaligen Gruppe Krisis 1992 von Roswitha Scholz in einer historischen Darstellung entwickelt und gleichzeitig durch einen eher theoretisch ausgerichteten Aufsatz von Robert Kurz ergänzt.[9] 2000 schloss Scholz daran mit einem Buch an, in dem sie in ausführlicher Auseinandersetzung mit anderen (marxo-)feministischen Ansätzen ihre Theorie weiterentwickelt und das sie in einer zweiten Auflage 2011 noch um eine Kritik an zeitgenössischen, vor allem (de-)konstruktivistischen Feminismen erweitert.[10]

[...]


[1] Hausen (1976): Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“ - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- uns Familienleben.

[2] Vgl. Hausen (1976): 366ff.

[3] Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser These vgl. Ackermann (2012a): Die Durchsetzung der modernen Zweigeschlechtlichkeit als Folge kultureller Hegemonie des Bürgertums im 19. Jahrhundert, S. 10ff.

[4] Vgl. Hausen (1976): 370ff.

[5] Vgl. Lenz/Adler (2010): Geschlecherverhältnisse. Einführung in die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung. Band 1, S. 84f, sowie Huinink/Konietzka (2007): Familiensoziologie. Eine Einführung, S. 63f.

[6] Vgl. Hausen (1976): S. 368.

[7] In dieser Arbeit wird für eine geschlechtsneutrale Schreibweise das Gender_Gap verwendet. Im Gegensatz zum Binnen-I sollen dabei nicht nur Frauen und Männer sprachlich sichtbar gemacht werden, sondern der Zwischenraum soll ein Hinweis sein auf Menschen, die nicht in die Kategorien der Zweigeschlechtlichkeit passen, wie beispielsweise inter- oder transgeschlechtliche Menschen.

[8] Vgl. Ackermann (2012b): "Die bürgerliche Familie" zwischen Leitbild und gesellschaftlichen Realitäten.

[9] Scholz (1992): Der Wert ist der Mann, Kurz (1992): Geschlechtsfetischismus.

[10] Scholz (2011): Das Geschlecht des Kapitalismus.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Der Zusammenhang von Kapitalismus und Geschlechterkonstruktion aus wert-abspaltungskritischer und regulationstheoretischer Perspektive
Université
Dresden Technical University  (Institut für Soziologie)
Cours
Geschlechterkonstruktionen und Wirtschaftsformen
Note
1,0
Auteur
Année
2012
Pages
24
N° de catalogue
V206369
ISBN (ebook)
9783656335757
ISBN (Livre)
9783656336815
Taille d'un fichier
530 KB
Langue
allemand
Mots clés
zusammenhang, kapitalismus, geschlechterkonstruktion, perspektive
Citation du texte
Jan Ackermann (Auteur), 2012, Der Zusammenhang von Kapitalismus und Geschlechterkonstruktion aus wert-abspaltungskritischer und regulationstheoretischer Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/206369

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