Sind wir alle nur konditionierte Tiere?

Die Zeichentheorie von Charles Morris


Trabajo Escrito, 2010

31 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Charles Morris und der Behaviorismus
2.1 Der Behaviorismus als Verhaltenstheorie
2.2 Charles Morris' Verhältnis zum Behaviorismus

3. Charles Morris' Zeichentheorie
3.1 Morris' Semiotik - Grundlagen der Zeichentheorie
3.1.1 Syntaktik
3.1.2 Semantik
3.1.3 Pragmatik
3.1.4 Zusammenfassung
3.2 Morris' Verständnis von Sprache

4. Kritische Betrachtung

5. Fazit und Bewertung

Literatur- und Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Der Titel dieser Arbeit ist kontrovers gewählt und das ganz bewusst. Charles Morris ist als der Begründer der modernen Semiotik in die Geschichte eingegangen. Seine Zeichentheorie war im 20. Jahrhundert eine der einflussreichsten und meistdiskutiertesten. Morris Konzept ist jedoch alles andere als jeder Kritik erhaben, dies beginnt schon bei seiner Herangehensweise. Morris legt seiner Sprach- und Zeichentheorie ein wissenschaftliches Konzept zu Grunde, das nicht aus der Linguistik stammt: Er lässt all seine Aussagen auf dem Prinzip des Behaviorismus fußen. Der Behaviorismus geht davon aus, dass sich menschliches Verhalten genau wie tierisches steuern lässt. Wir alle sind konditionierte Tiere? Will Morris uns das mit seiner Arbeit sagen? Dem werde ich auf die Spur gehen. Um das Werk Morris' zu verstehen, seine Schwachstellen zu erkennen und Ansatzpunkte zur Verbesserung vorzubringen, muss diese Arbeit daher zunächst das wissenschaftliche Dogma hinter dem Begriff Behaviorismus klären.

Ein zweiter Schritt kann uns dann wieder zu Morris zurückführen und die Frage beantworten, wie genau Morris den Behaviorismus linguistisch aufgearbeitet hat. Dies wird mit einer detaillierten Darstellung seiner Zeichentheorie einhergehen. Im Anschluss daran werde ich die Kritiker, aber auch Befürworter der Morris'schen Theorie zu Wort kommen lassen. In einem Kapitel über die Rezeption möchte ich die Möglichkeit aufgreifen, das Werk Charles Morris' zu kritisieren. In einem abschließenden Fazit möchte ich die Erkenntnisse resümieren und eine abschließende Antwort auf die Frage finden, ob wir als Menschheit tatsächlich nur konditionierte Tiere sind, oder nicht.

2. Charles Morris und der Behaviorismus

2.1 Der Behaviorismus als Verhaltenstheorie

Der Wissenschaftszweig Behaviorismus bezieht seinen Namen vom englischen Wort behavior für Verhalten und ist genau in diesem Sinne eine Theorie „der Verhaltenswissenschaft“1. Die Gründer John Watson und Edward Thorndike riefen den klassischen Behaviorismus Anfang des 20. Jahrhunderts ins Leben. Dem Behaviorismus verdankt man die in der Biologie bekannten Erkenntnisse zur Konditionierung. Behaviorismus dient allerdings nur als Oberbegriff für eine Reihe von Ansichten, die in sich betrachtet in einigen Punkten stark auseinander gehen. Dabei treten sich vor allen Dingen der methodologische und der radikale Behaviorismus gegenüber. Ich habe hier nicht die Möglichkeiten und auch nicht die Absicht, weitere Subströmungen näher zu konkretisieren. Für das Ziel der Arbeit reicht es aus, eine Umreißung der beiden genannten durchzuführen.

Der klassische Behaviorismus nach Watson hat sein offizielles Geburtsjahr 1913.2 Die Theorie basiert im Wesentlichen auf vier Axiomen.3 Der einzige Gegenstand, den der Behaviorist betrachtet, soll das Verhalten eines Subjektes sein (1.). Die Introspektive, alles was in dem Subjekt an möglichen Denkvorgängen und Emotionen abläuft, soll komplett ausgeblendet werden (2.). Die Behavioristen glauben so ein System zu erschaffen, in dem Verhalten prognostizierbar ist (3.). Der vierte Grundsatz ist die Annahme, dass es bei dieser Wissenschaft nicht im Geringsten einen Unterschied zwischen menschlichen und tierischen Subjekten gibt. Wie genau soll das funktionieren? Watson vertrat das Paradigma, dass jeder lebende Organismus mit seiner Umwelt allein über Reize kommuniziert, die als Informationen auf ihn einwirken. Für ihn existieren keine angeborenen Fähigkeiten. Genauso wenig existiert eine Ebene der Bedeutung.

Die konsequente Stimulus-Reaktionstheorie verwirft den Bedeutungsbegriff als überflüssig und konzentriert sich auf die Deskription des Verhaltens sprechender Organismen unter genau definierten externen Bedingungen.4

Dinge wie ein Bewusstsein sind für den Behavioristen „weder ein erklärbarer noch ein nützlicher Begriff“.5 Im Zusammenhang mit dieser Äußerung etablierte sich der Begriff „black box“ für das Gehirn, sei es das eines Tieres oder das eines Menschen. Die kognitiven Vorgänge beim Denken und Sprechen sind vollkommen bedeutungslos, beachtet wird nur das von außen Wahrnehmbare, das auf den Organismus trifft und dessen Reaktion darauf. Daher sind die Methoden der Behavioristen „die objektive Betrachtung und das Experiment, wie in den exakten Naturwissenschaften“.6 Was von außen nun auf den Organismus wirkt, nennt der Behaviorist also Reiz. Nach Watson ist das „jedes Objekt in der allgemeinen Umwelt oder jede Veränderung in den Geweben selbst, die durch den physiologischen Zustand des Lebewesens bedingt ist“.7 Das Lebewesen reagiert auf den Reiz und der Behaviorist beobachtet diese Reaktion. Das umfasst

alles, was das Lebewesen tut – zum Beispiel sich dem Licht zu- oder von ihm abzuwenden, bei einem Geräusch aufspringen und auch höher organisierte Tätigkeiten, wie Wolkenkratzer errichten, Pläne schmieden, Babys bekommen, Bücher schreiben und anderes mehr. [sic!]8

Ein Behaviorist analysiert nur das Wechselspiel zwischen dem Lebewesen und der Umwelt. Der Organismus als solches wird daher als Black-Box betrachtet. Die Theorie besagt also, dass zu jedem Reiz eine Reaktion erfolgt. Erkennt man, welcher Reiz eine spezifische Reaktion auslöst, kann man Verhalten vorhersagen und auch willentlich herbeiführen.

Klassisch dafür geworden ist das Experiment von Pawlow 1905. Ein Hund produziert Speichel, wenn man ihm Futter präsentiert. Nun wurde einem Hund während der Fütterung ein akustisches Signal – das Erklingen einer Glocke – vorgespielt. Wiederholte man dies oft genug, so provozierte das akustische Signal, auch ohne die Gabe von Futter, dass der Hund einen vermehrten Speichelfluss hatte. Die Glocke wirkte als ein Reiz, auf den der Hund nun konditioniert war.

Der klassische Behaviorismus samt seiner empirischen Experimente wurde besonders von einem Mann studiert: B.F. Skinner. Skinner nahm das Fundament des klassischen Behaviorismus und entwickelte das Konzept nach seinen Vorstellungen weiter. Er gilt als Begründer des sogenannten radikalen Behaviorismus. Er nahm diese Erkenntnis über die Konditionierung und brachte sie auf den nächsten Level. Er prägte den Terminus operante Konditionierung. Dabei geht es um Folgendes: Operante Konditionierung ist keine passive Reaktion auf einen Reiz, sondern eine aktive Verhaltensweise, mit der das Subjekt versucht, seine „Umwelt wirksam [zu] beherrsch[en]“.9 Skinner geht davon aus, dass ein Lebewesen aktiv reagiert und versucht, die Umstände so zu beeinflussen, dass es seine Bedürfnisse befriedigen kann. Auch Skinner überträgt dies wieder gleichsam auf Mensch und Tier. Wir richten unser Verhalten so ein, dass wir ein Bedürfnis befriedigen können: Wir erfahren in einer Situation durch spezifisches Verhalten eine Bestrafung und werden daher diese Verhaltensweise in Zukunft unterbinden. Im umgekehrten Fall wird ein Verhalten belohnt, so dass wir es in ähnlichen Situationen wieder zur Anwendung bringen werden.

Wichtig im radikalen Behaviorismus sind zwei Faktoren innerhalb des Organismus. Er muss natürlich als Grundvoraussetzung einen „Wunsch- oder Absichtsaspekt“10 in sich tragen. Bei dem klassischen Beispiel des Hundes und der Glocke wäre es der Wunsch nach Nahrungsaufnahme. Zudem muss der Organismus die nötige Intelligenz haben, um das Wissen zu haben, „welche Mittel zum Erreichen des Zweckes dienlich sind“.11 Skinner geht in seinem Werk „Verbal Behavior“ davon aus, dass auch die menschliche Sprache diesen Grundregeln der Verhaltenswissenschaft unterliegt.

Diese Definition des Begriffes Behaviorismus ist hier sehr einfach gehalten und versucht die groben Umrisse der Verhaltenstheorie zu erfassen. Details spielen für diese Arbeit keine Rolle, denn es soll lediglich die vorgreifende Grundlage zu Morris' Zeichentheorie sein. Wir halten noch einmal fest: Ziel des Behaviorismus ist „die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten […] [und es gibt. Anmerkung des Verfassers] keine Trennlinie zwischen Mensch und Tier“.12 An diesem Punk setzt Charles Morris an.

2.2 Charles Morris' Verhältnis zum Behaviorismus

Morris wendet den Behaviorismus auf die Linguisitk an. Er gilt damit als der Urvater des semiotischen Behaviorismus. Er geht wie die Verhaltensforscher

ganz ausdrücklich von der Voraussetzung aus, daß es überhaupt nur zwei epistemologisch relevante Verhältnisse des Semiotikers zur Semiosis geben kann: 1.das für die objektive Wissenschaft irrelevante Verhältnis der 'Introspektion' privater Erfahrungen und 2. das für die objektive Wissenschaft grundlegende Verhältnis externer Beobachtungen von Verhaltensdaten. [sic!]13

Morris folgt also dem Paradigma des Behaviorismus und blendet für seine Zeichentheorie innere Prozesse im Individuum komplett aus.

Er folgt jedoch nicht blind der Pawlowschen Theorie. Pawlow geht davon aus, dass ein Zeichen wie das Erklingen der Glocke ein Ersatzreiz ist, der „dieselbe Reaktion hervorruft, die das primäre Reiz-Objekt – z.B. das Futter – auslösen würde, wenn es gegenwärtig wäre“.14 Morris widerspricht dem. Er glaubt, es

kann keine Rede davon sein, daß das Zeichen […] dieselbe Reaktion auslöst […]. So ist z.B. die Reaktion, welche die Erwähnung des Chefs bei den Untergebenen auslöst, unter Umständen sehr verschieden von der Reaktion, welche das persönliche Erscheinen des Chefs hervorrufen würde.15

Das Zeichen löst nicht dieselbe Reaktion aus. Doch was ist denn das Zeichen für Morris? Er „ersetzt [… ] den Begriff des 'Ersatzreizes' […] durch den Begriff des 'vorbereitenden Reizes'“.16 Ein vorbereitender Reiz ist ein „Reiz, der eine Reaktion auf einen anderen Reiz beeinflusst“.17

Eine bislang noch sehr unbefriedigende Definition. Wie funktioniert denn semiotischer Behaviorismus ? Seine behavioristische Semiotik soll eine Wissenschaft sein, mittels derer man „eine Sprache […] entwickel[t], in und mit der man über Zeichen sprechen kann“.18 Durch die Augen eines Behavioristen gesehen, scheint das auch recht einfach zu sein. Um die Bedeutung eines Zeichens zu ermitteln, muss man schließlich nur

die Situation […] beobachten, in der es perzipiert wird, sowie das Verhalten des wahrnehmenden Subjekts. Die Deskription der Umwelt und des agierenden Organismus reichen aus, um die Bedeutung eines Zeichens zu bestimmen, ohne zusätzliche Kategorien einzuführen.19

Der Behaviorist glaubt, wir müssen nur bestimmen, welches Verhalten ein Zeichen hervorruft und schon kennen wir seine Bedeutung. Ob Morris sich dies wirklich so einfach macht und wie genau er seinen Zeichenbegriff konstruiert möchte ich nun im dritten Kapitel ausführen.

[...]


1 Skinner, Burrhaus Frederic.: Was ist Behaviorismus? Rowohlt Verlag. Hamburg 1978. S. 14.

2 Vgl. dazu: Schink, Peter: Kritik des Behaviorismus. Historisch-sachsystematische Untersuchung auf fragemethodischer Grundlage. Dissertation Köln 1987. S. 70.

3 Ebd., S. 79.

4 Müller, Arno: Probleme der behavioristischen Semiotik. Inaugural-Dissertation. Frankfurt am Main 1970. S. 36.

5 Watson, John B.: Behaviorismus. Verlag Kiepenheuer & Witsch. Berlin 1968. S. 35 f..

6 Friedrich, Walter / Noack, Klaus-Peter u.a.: Zur Kritik des Behaviorismus. Studien zur Kritischen Psychologie. Band 8. Pahl-Rugenstein Verlag. Köln 1979. S. 56.

7 Watson, John B.: Behaviorismus. S. 39.

8 Ebd., S. 39.

9 Skinner, Burrhaus Frederic.: Was ist Behaviorismus? S. 49.

10 Kraiker, Christopher: Psychoanalyse, Behaviorismus, Handlungstheorie. Kindler Verlag. München 1980. S. 117.

11 Ebd., S. 117.

12 Friedrich, Walter / Noack, Klaus-Peter u.a.: Zur Kritik des Behaviorismus. S. 66.

13 Apel, Karl-Otto: Einführung von Karl-Otto Apel: Charles W. Morris und das Programm einer pragmatisch integrierten Semiotik. In: Morris, Charles William: Zeichen, Sprache und Verhalten. Pädagogischer Verlag Schwann. Düsseldorf 1973. S. 35 f..

14 Ebd., S. 29.

15 Ebd., S. 29.

16 Ebd., S. 30.

17 Morris, Charles William: Zeichen, Sprache und Verhalten. Pädagogischer Verlag Schwann. Düsseldorf 1973. S. 81.

18 Eschbach, Achim: Charles W. Morris und das Programm der behavioristischen Semiotik. In: Eschbach, Achim (Hrsg.): Zeichen über Zeichen über Zeichen. 15 Studien über Charles W. Morris. Gunter Narr Verlag. Tübingen 1981. S. 15.

19 Müller, Arno: Probleme der behavioristischen Semiotik. S. 37.

Final del extracto de 31 páginas

Detalles

Título
Sind wir alle nur konditionierte Tiere?
Subtítulo
Die Zeichentheorie von Charles Morris
Universidad
University of Dusseldorf "Heinrich Heine"  (Institut für Germanistik)
Curso
Das sprachliche Zeichen: Theorien, Modelle, Ebenen
Calificación
1,3
Autor
Año
2010
Páginas
31
No. de catálogo
V207306
ISBN (Ebook)
9783656344360
ISBN (Libro)
9783656344285
Tamaño de fichero
566 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Germanistik, Linguistik, Sprachwissenschaft, Charles Morris, Behaviorismus, Verhaltenstheorie, Semiotik, Syntaktik, Semantik, Pragmatik
Citar trabajo
M.A. Cornelia Scherpe (Autor), 2010, Sind wir alle nur konditionierte Tiere?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207306

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