Der Einfluss narrativer Verfahren auf die Identitätsfindung der Erzählerin in Emine Sevgi Özdamars „Sonne auf halbem Weg“ – Die Istanbul-Berlin-Trilogie


Term Paper, 2010

16 Pages, Grade: 2,7

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die discourse- Ebene – wie wird erzählt und wer erzählt? 2.1 Der Faktor der Zeit in der Erzählung
2.2 Der Modus des Erzählens
2.3 Die Stimme in der Erzählung

3. Die histoire- Ebene – was wird erzählt?

4. Die Elemente der discours- und histoire- Ebene zur Identitätsfindung der Ich- Erzählerin

5. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

1. Einleitung

Über die Istanbul- Trilogie „Sonne auf halbem Weg“, die von Emine Sevgi Özdamar geschrieben wurde, wird immer wieder die Diskussion entfacht, ob sie als Autobiographie gelesen werden sollte oder nicht. Nicht nur in unserem Seminar wurde die Diskussion dazu entfacht, auch in vielen Sekundärliteraturen wurde das umstrittene Thema angedeutet oder sogar direkt behandelt, wie zum Beispiel der Aufsatz „Autofiktion oder: Autobiographie nach der Autobiographie“ von Martina Wagner- Egelhaaf. Dieses Thema führt zu viel wichtigeren Fragen, die sich mit der Identität und deren Finden beschäftigt. In der vorliegenden Arbeit soll herausgefunden werden inwieweit sich anhand der narrativen Verfahren erkennen lässt, ob und auf welche Weise das Ich im Roman seine Identität findet. Das kann sowohl unabhängig als auch in Abhängigkeit zum autobiographischen Bezug und der Person seiner Autorin untersucht werden.

Zunächst sollen aber die narrativen Verfahren im Roman zusammengetragen, erforscht und miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Dabei wird wie das in der Literaturwissenschaft üblich ist, eine Zergliederung zwischen discours- und histoire- Ebene gemacht. Diesen beiden großen Elementen der Erzähltheorie sollen die verschiedenen Strukturelemente als Unterpunkte für die Einteilung dienen.

Im ersten Punkt der discours- Ebene soll die Zeit analysiert werden. Ein Augenmerk soll dabei auf dem Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit, der Ordnung der Zeit, die Dauer und die Frequenz liegen. Im nächsten Punkt soll der Modus mit Distanz und Fokalisierung betrachtet und schließlich die Stimme innerhalb der Erzählung untersucht werden.[1]

Die histoire- Ebene soll aus dem Zusammenfassen von Motivierung, Konfiguration der Figuren, semantischen Räumen und der Bildung von Oppositionspaaren bestehen.

Schließlich sollen im letzten Punkt alle untersuchten Elemente in Zusammenhang mit der Identität und deren Finden durch die Protagonistin, gebracht werden.

2. Die discours- Ebene– wie wird erzählt und wer erzählt?

2.1. Der Faktor Zeit in der Erzählung

Am Anfang der Untersuchung des Faktors Zeit steht die Analyse des Verhältnisses von Erzählzeit und erzählter Zeit. Hier bietet es sich an, die Trilogie im Gesamten zu betrachten. Die erzählte Zeit beginnt mit der Geburt der Ich- Erzählerin. Wenn man den autobiographischen Hintergrund mit einbezieht, findet diese am 10.August 1946 statt. Die erzählte Zeit endet mit dem letzten Eintrag des Ichs vom 13. Januar 1978. Dieses Datum wird explizit als Tagebucheintrag am Ende benannt. Der erste Teil reicht ungefähr bis zum Jahr 1966, dem 20. Lebensjahr der Protagonistin, womit der zweite Teil der Trilogie beginnt. Der zweite Teil endet circa 1945 und der dritte Teil erzählt von diesem Jahr an bis 1978.

Bei der Analyse der Erzählzeit ergeben sich schon die ersten Schwierigkeiten, da durch viele Auslassungen und Zeitraffungen eigentlich keine genaue Dauer des Erzählens angegeben werden kann. Sie kann daher nur nach dem Seitenumfang der Erzählung bemessen werden.[2] Somit liegt die Erzählzeit der gesamten Trilogie bei 1056 Seiten, wozu aber noch einige Literaturnachweise, Zeichnungen und Fotographien zählen. Der erste Roman „Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus“ umfasst ungefähr 400 Seiten, der zweite „Die Brücke vom Goldenen Horn“ enthält circa 350 Seiten. Der letzte Roman „Seltsame Sterne starren zur Erde“ enthält hingegen nur etwa 250 Seiten. Anhand der Seitenumfänge kann man schlussfolgern, dass es der Erzählerin möglich ist, die Zeit in der sie schon älter war, schneller zusammenzufassen. Diese Schlussfolgerung ist auch darauf zurückzuführen, dass für einen Menschen die Zeit schneller vergeht je älter er wird. Ihre Kindheit hat das Ich wie jedes Kind wohl sehr intensiv erlebt. Die Eindrücke, die sie von der Welt und ihren Mitmenschen macht, wurden in ihrem Denken nur teilweise gespeichert. Deshalb musste sie in den anderen Teilen beispielsweise nicht mehr detailliert über die Vorgänge im Haus der Eltern berichten. Nur die besonderen Dinge, die Veränderungen herbei riefen, wurden beschrieben. In Deutschland ist diese Veränderung die neue Kultur, die dem Ich neue Erkenntnisse bringen, die es darstellen kann.

Bis auf einige Rückblenden in die Vergangenheit, die aber durch Wiederholungen zu Stande kommen, wird in der richtigen Reihenfolge erzählt. „[I]n Zeit und Raum [wird] kaum je über das gerade Erlebte hinaus ausgegriffen [...]; anstatt sich an Vergangenes zu erinnern oder sich projektiv in die Zukunft zu entwerfen, geht das Ich ganz in der jeweiligen Szene auf.“[3] Die Ordnung wird also chronologisch hintereinander weg wiedergegeben. Außerdem kommt es zu den erwähnten Ellipsen. Eine große Auslassung erfolgt beim Übergang vom zweiten zum dritten Teil der Trilogie. Denn offensichtlich scheint ein ganzer Teil des Lebens der Protagonistin nicht vorhanden zu sein. Nur im Anschluss erfährt der Leser, dass sie geheiratet hatte und nun geschieden sei. Die Erzählung steht still, obwohl das Geschehen weiter geht.[4]

Die Dauer lässt sich aufgrund der ungenauen Angabe zur Erzählzeit schlecht darstellen. Sicher ist, dass es an vielen Stellen zu Zeitraffungen kommt, wie das bereits erwähnt wurde. Die Erzählzeit ist also kürzer als die erzählte Zeit. Unwichtige Zeitspannen werden übersprungen oder zusammengefasst. Andererseits werden viele Stellen auch gedehnt, die Erzählzeit wird also länger als die erzählte Zeit. Zum Beispiel schon, wenn die Textstruktur die Zeitspannen äußerlich für das Auge gut sichtbar überträgt. Das heißt, das Zeichen - das dem Leser die Geschichte des Autors zugänglich macht, ohne dass er sie mündlich erzählt – die Schrift, wird so übertragen, dass dem Leser die Erzähldauer in Echtzeit wiedergegeben wird. So zum Beispiel das wiederholte Sonnenblumenkerngeräusch in den Mündern der Brüder der Ich- Erzählerin:[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]it[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]it[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]it [...][5]. Auch die noch längeren Gebete, in denen die einzelnen Namen von Verstorbenen beziehungsweise die Nummerierung von Soldaten aufgezählt werden[6], dienen der Zeitdehnung.

[...]


[1] analoge Übernahme der Gliederung siehe: Martias Martinez (u.a.), Einführung in die Erzähltheorie, 6. Auflage , München, Verlag C. H. Beck, 2005, S. 5

[2] siehe Martias Martinez (u.a.), Einführung in die Erzähltheorie, 6. Auflage, 2005, S. 31

[3] Hansjörg Bay, Der verrückte Blick. Schreibweisen der Migration in Özdamars Karawanserei- Roman, in: Sprache und Literatur 83, S. 37

[4] vgl. Martias Martinez (u.a.), Einführung in die Erzähltheorie, 6. Auflage, 2005, S. 44

[5] Emine Sevgi Özdamar, Sonne auf halbem Weg, Die Istanbul- Berlin- Trilogie, 1. Auflage, Köln, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2006, S. 114

[6] Emine Sevgi Özdamar, Sonne auf halbem Weg, Die Istanbul- Berlin- Trilogie, 2006, S. 211f.

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Details

Title
Der Einfluss narrativer Verfahren auf die Identitätsfindung der Erzählerin in Emine Sevgi Özdamars „Sonne auf halbem Weg“ – Die Istanbul-Berlin-Trilogie
College
University of Erfurt
Grade
2,7
Year
2010
Pages
16
Catalog Number
V207689
ISBN (eBook)
9783656349228
ISBN (Book)
9783656349624
File size
530 KB
Language
German
Keywords
einfluss, verfahren, identitätsfindung, erzählerin, emine, sevgi, özdamars, sonne, istanbul-berlin-trilogie
Quote paper
Anonymous, 2010, Der Einfluss narrativer Verfahren auf die Identitätsfindung der Erzählerin in Emine Sevgi Özdamars „Sonne auf halbem Weg“ – Die Istanbul-Berlin-Trilogie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207689

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