Gerüchte in der Unternehmenskommunikation

Relevanz und Handlungsoptionen zur Abwehr extern kursierender negativer Unternehmensgerüchte


Thèse de Bachelor, 2011

56 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

Abstract - Deutsch

Abstract - Englisch

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1. Thematik, Fragestellung und Struktur

2. Definitionsversuche und Merkmale von Gerüchten

3. Typologisierung von Gerüchten

4. Der Prozess des Gerüchts
4.1 Lebenszyklus eines Gerüchts
4.2 Entstehung von Gerüchten
4.2.1 Psychologische Betrachtung
4.2.2 Soziologische Betrachtung
4.2.3 Nährböden und Funktionen des Gerüchts
4.3 Verbreitung von Gerüchten
4.3.1 Die Beteiligten
4.3.2 Verzerrungen während der Weitergabe
4.4 Sterben und Wiederaufleben von Gerüchten

5. Das Gerücht in Massenmedien und Internet
5.1 Klassische Massenmedien
5.2 Internet

6. Gerüchte in Bezug auf Unternehmen
6.1 Ursachen für die Entstehung von Gerüchten über Unternehmen
6.2 Auswirkungen von Gerüchten auf Unternehmen
6.3 Fragen im Vorfeld einer Reaktion
6.4 Handlungsalternativen zur Abwehr von Gerüchten
6.4.1 Das Dementi
6.4.2 Rechtliche Mittel
6.4.3 Das Gerücht verändern
6.4.4 Informationen zur Verfügung stellen
6.4.5 Schweigen
6.4.6 Vorsorge

7. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abstract - Deutsch

Gerüchte in der Unternehmenskommunikation

Relevanz und Handlungsoptionen zur Abwehr extern kursierender negativer Unternehmensgerüchte

Das Gerücht ist bislang ein vernachlässigtes Forschungsgebiet. Die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten, als unbestätigte Informationen, ist in psychologischen wie auch soziologischen Prozessen begründet. Sie entstehen spontan z. B. aus Unsicherheit, Angst, Informationsdefiziten und Werteverlusten oder künstlich aus interessensbe- zogenen Motiven. Im Kontext der Wirtschaftskommunikation stellt sich die Frage nach der Relevanz von negativen Gerüchten für Unternehmen sowie den Erfolgschancen möglicher Abwehrreaktionen. Eine Ursachenbeleuchtung zeigt, dass Unternehmens- gerüchte nicht allein das Resultat feindlicher Wettbewerbsmotive sondern ebenso natürlicher Prozesse sind. Psychologische Folgen, wie der Vertrauensverlust der Kunden, entwickeln sich für das Unternehmen nicht selten zu ökonomischen Aus- wirkungen. In Anbetracht dessen, dass alle herangezogenen Reaktionsmöglichkeiten Vor- und Nachteile aufweisen und nicht jede Reaktion auf jedes Gerücht anwendbar ist, gibt es keine allgemein gültige Erfolgsstrategie. Im Gegenteil, einige Reaktionen, wie das Dementi, können das Gerücht noch bestärken. Die Empfehlung der Experten ist daher oft, der Gerüchteverbreitung vorsorglich durch ein positives Image, Vertrauensaufbau und kundenfreundlicher Kommunikation den Boden zu entziehen.

Abstract - Englisch

Rumours in the Corporate Communications

Relevance and possibilities to deal with external generated rumors that have negative effects on business.

Rumor has been a neglected area of research so far. Rumor is often characterized as unconfirmed information caused by psychological and sociological processes. They arise spontaneously, for example, from uncertainty, fear, lack of information and lost values or artificially based on special interests.

This study focuses on externaly generated rumors that have negative effects on business. Specific attention is drawn to their possible impact on the very same business as well as possibilities for corporate communication to successfully deal with them. Studying various reasons for the emergence of rumors has shown that they are not only the result of hostile motives of competitors, but also derive from natural processes. Psychological effects, such as the loss of costumer trust, often result in negative economic impacts on the company. Noting that all possible reactions do have advantages and disadvantages, and not every response is applicable, there are no universally valid strategy for sucess. Some reactions, such as denial, sometimes even strengthen rumor. That is why experts often recommend a positive image and customer- friendly communications as a precaution to spreading of negative rumors.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb. 1: Gerüchtetypen nach Merten

Abb. 2: Verlaufsform des Gerüchts

Abb. 3: Die Gerüchtetriade der Akteure

Abb. 4: Zusammenhang zwischen psychologischen und ökonomischen Auswirkungen

Tab. 1: Gegenüberstellung ähnlicher Fragen im Vorfeld einer Reaktion nach Kapferer und Piwinger

1. Thematik, Fragestellung und Struktur

Wenn es heißt, dass Procter & Gamble in Verbindung mit einer satanischen Sekte steht; dass der Verzehr von Coppenrath und Wiese-Torten tödlich enden kann; wenn Kentucky Fried Chicken frittierte Ratten verkauft und Kinder aus dem Spielparadies von IKEA entführt werden,1 dann befinden wir uns in der Regel auf dem Metier der unternehmensschädlichen Gerüchte. Dies ist nur eine kleine Auswahl zahlloser kursierender Behauptungen über Unternehmen, Branchen oder Marken. Für die Gerüchte über Coca Cola wurde eigens der Begriff ‚Cokelore’ erfunden, der erahnen lässt, dass das Untenehmen mit einer Vielzahl von teilweise amüsanten, aber auch schwerwiegenden Gerüchten konfrontiert wird.2

Oftmals werden Gerüchte in Ihrer Wirkung und ihrem Ausmaß unterschätzt und im Kommunikationsmanagement vernachlässigt. Dabei beweisen genügend Fälle in der Wirtschaft, Politik und an der Börse, wie fatal diese für die Betroffenen enden können. So minderten unter anderem auch Gerüchte über finanzielle Probleme verschiedenster Banken während der Finanzkrise 2008 das Vertrauen der Kunden und Geschäftspartner in diese. Aus Angst vor Liquiditätsproblemen kündigen Partner Verträge und verängstigte Kunden fordern ihr angelegtes Vermögen von der Bank zurück.3 Geschieht dies in großem Umfang, kann ein solche panikartiger Ansturm tatsächlich zu mangelnder Liquidität führen und existenzbedrohende Auswirkungen für eine Bank haben.4

Aktuelle marktwirtschaftliche Begebenheiten, wie steigende Angebotsmengen und schwindende signifikante Produktunterschiede führen zudem auf der Verbraucherseite zu Verunsicherungen und Entscheidungsschwierigkeiten. Dabei können Gerüchte die Entscheidungsfindung im Kaufprozess bewusst oder unbewusst sowie positiv oder negativ beeinflussen. Auf Unternehmensseite können Gerüchte daher schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Die wachsende Relevanz intensiver Unternehmens- kommunikation und die damit verbundene Beziehungspflege zu Kunden und anderen Stakeholdern sollte daher auch eine differenziertere Auseinandersetzung mit Gerüchten beinhalten.

Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, welche Handlungsoptionen sich für Unternehmen ergeben, die sich mit Gerüchten konfrontiert sehen sowie von welcher Relevanz Gerüchte für Unternehmen sein können. Dabei stehen extern, das heißt nicht unternehmensintern, gestreute Gerüchte im Mittelpunkt. Da positive Gerüchte in der Regel keine schädlichen Folgen und daher weniger Handlungsbedarf nach sich ziehen, wird eine Beschränkung auf ausschließlich negative Gerüchte vorgenommen. Folgende Fragen sollen beantwortet werden:

1. Wie und warum entstehen Gerüchte über Unternehmen oder deren Produkte und Leistungen?
2. Mit welchen Auswirkungen muss ein Unternehmen ggf. rechnen?
3. Welche Handlungsoptionen gibt es und wie erfolgversprechend sind diese hinsichtlich der Abwehr von Gerüchten?

Die Arbeit beinhaltet verschiedenste thematische Anknüpfungspunkte und Aspekte der Wirtschaftskommunikation. So werden Inhalte aus den Bereichen der Kommunikationspsychologie und -soziologie sowie des Marketings und der integrativen Kommunikationstheorie angesprochen.

Um die vorangestellten Fragen beantworten zu können, bedarf es einer genauen Betrachtung des Phänomens Gerücht. Zunächst sollen verschiedene Definitionsversuche des im Zentrum stehenden Begriffs ‚Gerücht’ dessen Hauptmerkmale offen legen. Es folgen diverse Typologisierungen nach unterschiedlichen Kriterien sowie die Erläuterung des Lebenszyklus eines Gerüchts. Psychologische und soziologische Betrachtungen des Entstehungs- und Verbreitungsprozesses lassen anschließend begünstigende Nährböden und Funktionen ableiten. Im Rahmen der Verbreitung werden zudem die unterschiedlichen Rollen und Motive der notwendigen Beteiligten beleuchtet und häufig vorkommende Verzerrungseffekte im Weitergabeprozess erläutert. Aufgrund der bedeutenden Position von Massenmedien und Internet im Kommunikations- und Medienzeitalter soll deren Einfluss auf die Entstehung und Streuung von Gerüchten an dieser Stelle genauer hinterfragt werden.

Daran anschließend, wird die Frage nach der Relevanz negativer Gerüchte für Unternehmen und möglicher Reaktionsalternativen behandelt. Dazu soll zunächst herausgefunden werden, wann und weshalb Unternehmen zum Opfer von Gerüchten werden. Um Aussagen über die Bedeutung negativer Gerüchte für Unternehmen treffen zu können, gilt es verschiedene Auswirkungen und deren Zusammenhänge zu erläutern und zu veranschaulichen. Bevor ein Unternehmen sich für eine der möglichen Reaktionen entscheidet, ist es notwendig einige Fragen hinsichtlich des Gerüchts zu beantworten. Auf Basis einer Gegenüberstellung von Vorfeldfragen zweier Experten, sollen wichtige Parameter für die Entscheidungsfindung herausgefiltert werden. Darauf folgt eine eingehende Abwägung der Vor- und Nachteile verschiedener Handlungsalternativen zur Abwehr von Gerüchten.

2. Definitionsversuche und Merkmale von Gerüchten

„Sobald man annimmt, den Begriff erfasst zu haben, entzieht er sich tatsächlich einer klaren Bestimmung.“5 Aufgrund des Facettenreichtums und der vielen Gesichter, die ein Gerücht haben kann, fällt es der Wissenschaft bis heute schwer, sich auf eine allgemein gültige Definition festzulegen.6 Im Folgenden soll daher auf verschiedene Versuche einer Definition eingegangen und Kernmerkmale herausgefiltert werden.

Knapp, einer der ersten, der sich wissenschaftlich mit dem Phänomen Gerücht auseinandersetzte, nannte es: „a proposition for belief of topical reference disseminated without official verification“7. Allport und Postman weisen in ihrer Definition auf eine vorrangig mündliche Verbreitung hin: „Specific or topical proposition for belief, passed along from person to person, usually by word of mouth, without secure standards of evidence being present.“8.

Kapferer bemängelt, dass diese Definitionen auf einer einseitigen Betrachtungsweise beruhen, da ausschließlich Gerüchte mit unwahrem Inhalt untersucht wurden.9 Dabei können Gerüchte durchaus einen hohen Wahrheitsgehalt haben.10 Da die meisten Informationen, die wir im Alltag und durch die Medien übermittelt bekommen, nicht persönlich nachprüfbar und somit gewissermaßen unbestätigt sind,11 lassen sich Gerüchte anhand dieser Definitionen außerdem nur schwer identifizieren12. Kapferer definiert Gerüchte daher als „das Auftauchen und die Verbreitung von Informationen im gesellschaftlichen Organismus [...], die entweder von den offiziellen Quellen noch nicht öffentlich bestätigt sind oder von diesen dementiert werden“.13 Des Weiteren können Gerüchte, müssen jedoch laut ihm nicht zwangsläufig, an Ereignisse gebunden sein.14 Für Kapferer ist das Gerücht das älteste Massenmedium der Welt.15 Ob dies tatsächlich der Fall ist, bleibt, je nachdem, wie man ein Massenmedium definiert, strittig.16 Manfred Bruhn spricht vom Gerücht zumindest als einem Mittel oder Mittler,17 lässt eine differenziertere eigene Definition jedoch vermissen.

An anderer Stelle werden Gerüchte als eine Art Konstruktion beschrieben, die aus Informationen, der Weitergabe und dem Verstehen konzipiert wird. Der Urheber des Gerüchts wird von „man hat gesagt“ abgelöst18 und ist somit unbekannt19. Hat ein Gerücht keine Quelle, so kann es nicht zur offiziellen Nachricht in den klassischen Medien werden, da eine Regel des Journalismus besagt, dass die Quelle bekannt und auf Glaubwürdigkeit geprüft sein muss.20 Kapferer sprach 1997 von inoffiziellen Quellen als Gerüchteursprung, die er ausschließlich in der Mund-zu-Mund-Propaganda und Flugblättern sah.21 In aktuelleren Schriften distanzierte er sich von dieser mittlerweile überholten Ansicht: „At the time of internet, of mass media, reducing rumors to ‚word of mouth’ has lost relevance“.22 Gerüchte müssen in klassischen Medien zwar als diese ausgewiesen werden, finden aber durchaus Zugang in die Massenmedien und vor allem in das Internet.23

Wie steht es um die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Gerüchten? Gerüchte unterliegen meist Veränderungs- und Verzerrungsprozessen.24 Rainer W. Stroebe geht in seiner Definition auf diesen Punkt ein: „Ein Gerücht ist eine unkontrollierte, meist mündlich verbreitete unverbürgte Nachricht, die zwar meist auf Tatsachen zurückgeht, diese aber oft verzerrt, entstellt, verfälscht.“25 Kay Kirchmann verweist bei seiner Begriffsbestimmung auf die Notwendigkeit einer Prüfung: „Es stellt eine in der Regel kurzfristige Irritation im Informationsfluss eines Kollektivs her, die dieses zwingt, den Informationsstatus des jeweiligen Kommunikats zu überprüfen.“26 Anders als bei der Alltagskommunikation in Form eines Dialoges, bei der es die Möglichkeit der zwischenzeitlichen Korrektur, im Sinne von „das verstehst du falsch“ etc. gibt, kann das Gerücht jedoch selbst nicht widersprechen oder korrigieren. So ist weder der Vermittler des Gerüchts ohne Kenntnis über die Quelle, noch das Gerücht, als Mittel selbst, in der Lage die Aussage zu überprüfen.27 Des Weiteren kann, wenn überhaupt, nur der Wahrheitsgehalt von Gerüchten überprüft werden, die die Vergangenheit oder Gegenwart betreffen. Gerüchte über zukünftige Handlungen bleiben vorerst im Status des Gerüchts.28

Ob es sich bei einem Gerücht selbst bereits um eine Nachricht handelt, ist unter den Forschern umstritten.29 Kirchmann ist der Auffassung, der Wahrheitsgehalt differenziere schließlich das Gerücht von einer Nachricht.30 Entgegen Stroebe, der in seiner Definition von einer „unverbürgten Nachricht“31, wie auch Mast, die von einer „unbestätigten Nachricht“32 spricht, ist Kirchmann der Meinung, es handele sich bei einer Information entweder um ein Gerücht oder um eine Nachricht, sie könne jedoch niemals beides sein.33 Leggewie, Mühlleitner und Scheele weisen darauf hin, dass, solange der Wahrheitsgehalt bis zur Verifizierung oder Falsifizierung unsicher bleibt,34 der Glaube jedes Einzelnen darüber entscheide, ob er vom Inhalt des Gerüchts überzeugt sei oder nicht, es sich für ihn persönlich um ein Gerücht oder eine Nachricht handele35. Die Frage über den Wahrheitsgehalt macht zum einen den Spannungsgehalt von Gerüchten’36 aus und bietet bei geäußerten Zweifeln die Möglichkeit der Distanzierung37.

„Die Forschungsarbeiten zu den unterschiedlichen Ausprägungen von Gerüchten erweisen sich als sehr vielfältig und variantenreich, jedoch hat sich bislang kein einheitliches Begriffsverständnis des Gerüchts entwickelt. Zudem muss die empirische Forschung als unzureichend eingeschätzt werden.“38

Aus den genannten Definitionen lassen sicher daher nur die folgenden Merkmale ableiten: Gerüchte weisen eine Unsicherheit bezüglich der Quelle und des Wahrheitsgehalts auf, sie können mündlich wie auch medial verbreitet werden und gelten meist als unbestätigte Information.

3. Typologisierung von Gerüchten

Ähnlich der Definitionsproblematik ist auch der Versuch einer Klassifizierung schwierig. Denn je nachdem, welche Fragestellung zu Grunde liegt, können Gerüchte nach verschiedensten Abgrenzungsmerkmalen kategorisiert werden.39

Knapp unternahm 1944 als einer der ersten den Versuch das Gerücht zu typologisieren. Er unterschied nach der Motivlage in Wunsch-, Angst- und Aggressionsgerüchte.40 Wunschgerüchte haben ihren Ursprung in positiv besetzten Wünschen und Hoffnungen. Angstgerüchte spiegeln hingegen die Befürchtungen der Gruppe wider, die sie in Umlauf bringen und weiter tragen. Aggressive Gerüchte entstehen aus einer hass- oder neiderfüllten Motivlage heraus und sind mit bösartigen Absichten verbunden. Daher haben sie oft eine gezielte Schädigung des Betroffenen eines Gerüchts zur Folge.41 Das Kommunikationsparadigma (wer sagt was, wie, zu wem) wird von Bruhn zur Klassifizierung herangezogen. Dabei ergeben sich Abgrenzungsmerkmale wie Ursprungsquelle, Absender, Verbreitungsgrad, Reichweite usw.42 Bei dieser Variante mangelt es allerdings an einer eindeutigen Trennung der Klassifikationen43. Ebenso bei Thießen,44 der Gerüchte in „unsichere Gerüchte“, „Mund-zu-Mund-Propaganda“, „Insider-Informationen“ und „Falschmeldungen einteilt“45.

Die Typologisierung Kapferers umfasst sechs Gerüchtetypen. Zum einen betrachtet er den Entstehungsprozess, der entweder spontan oder aber vorsätzlich provoziert, also inszeniert sein kann.46 Während spontane Gerüchte meist in chaotischen Situationen, unter dem Einfluss von Angst oder Misstrauen entstehen, dienen inszenierte Gerüchte oft gewissen Interessen.47 Zum anderen spricht er von drei möglichen Quellen, nämlich dem Ereignis, einem Detail oder aber der Phantasie.48 Aus den verschiedenen Kombinationen von Quelle und Entstehungsprozess folgen die sechs typischen Kategorien: spontane oder inszenierte ereignisgebundene Gerüchte (Bsp.: Gerüchte um den Tod von John. F. Kennedy), spontane oder inszenierte detailgebundene Gerüchte (Bsp.: das ehemalige Logo von Procter & Gamble beinhalte satanische Zeichen) sowie spontane oder inszenierte Phantasiegerüchte (Bsp.: Gerüchte über giftige Spinnen in importierten Bananenkisten).49 Vorraussetzung für die Einordnung eines Gerüchts in eine der Kategorien ist die Kenntnis über das Motiv der Quelle des Gerüchts, die wie bereits angemerkt, jedoch meist unbekannt ist und daher Schwierigkeiten mit sich bringt.

Merten differenziert Gerüchte 2009 nach wichtigen Funktionen, ausgehend von deren Entstehung, in vier Typen. Anders als Typologisierungen nach Inhalt, berücksichtigt diese Art der Klassifizierung die Dynamik von Gerüchten. Die ersten drei Typen gehören zu den natürlich entstehenden, ähnlich den bereits erläuterten spontanen Gerüchten, als das Ergebnis eines kollektiven Prozesses.50

Das situationale Gerücht dient der Klärung undefinierter Situationen und ist an Ort und Zeit gebunden. Derartige Situationen bieten nicht selten einen Spielraum für Spekulationen und Interpretationen verschiedenster Art. Die Zeugen der Situation tragen dabei Ihren Beitrag zur Deutung bei, womit es sich um einen kollektiven Prozess handelt.51 So werden Hypothesen entwickelt und nach Ihrer Wahrscheinlichkeit abgewägt. Die glaubwürdigste Hypothese definiert am Ende die Situation. „Ist die Situation einmal definiert, dann gilt sie als zutreffend bzw. als reale Wirklichkeit und wird rigoros gegen andere mögliche Wirklichkeiten verteidigt.“ Die Deutung muss dabei nicht der Wahrheit entsprechen, sondern lediglich vorstellbar sein.52 So erlebt man oft, wie die Beobachter eines Polizeieinsatzes oder Unfalls ohne genaue Informationen über mögliche Hintergründe spekulieren.

Substituive Gerüchte gelten als Folge des Versagens oder nicht vorhandener regulärer Informationskanäle wie den Medien. Erfüllt ein solcher Informationskanal seine Funk- tion nicht oder nur unzureichend, tritt nahezu immer das Gerücht an dessen Stelle.53

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Gerüchtetypen nach Merten

Quelle: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 33

Ohne im Vorfeld erkennbare Anzeichen und daher völlig überraschend treten mythische Gerüchte auf. Gemäß Merten entstehen diese, wenn „basale Normen, Werte oder gar die Existenz eines Sozialsystems (Sozialkörpers) bedroht sind“.54 Zwar wird bei diesem Typ von Gerücht kein Wert auf dessen Wahrheitsgehalt gelegt, trotzdem besteht ein versteckter Zusammenhang zu bestehenden Problemen.55 Oft haben sie daher einen eher moralischen und symbolischen Charakter.56

Mertens Artefakt-Gerüchte entsprechen hingegen den Ausführungen der aggressiven, inszenierten bzw. künstlichen Gerüchte. Der hohe Wettbewerbsdruck im Wirtschaftsund Börsenumfeld lässt gerade hier diesen Typus gedeihen.57 Ebenso wird er als Instrument der Politik zu Propagandazwecken ausgenutzt.58 Ein Gerücht kann laut Merten ebenso eine Mischung aus den dargestellten vier Typen sein.59

4. Der Prozess des Gerüchts

4.1 Lebenszyklus eines Gerüchts

Aufgrund der häufig auftretenden sprachlichen Personalisierung des Gerüchts60 wird ihm mitunter der Status eines „Wesen[s] mit einer eigenständigen Existenz“61 zugesprochen. So ist neben der Eigendynamik, die es im Verbreitungsprozess entwickelt,62 auch von einem regelrechten Eigenleben die Rede.63 Dies bietet dem Rezipienten die Möglichkeit der Distanzierung vom Inhalt und eventuellen Folgen eines Gerüchts oder kann ihm helfen, sich später selbst als Opfer der Macht des Gerüchts zu verkaufen.64 Ebenso wird dem Gerücht aufgrund der Phasen, die es prozessähnlich durchläuft, ein gewisser Lebenszyklus nachgesagt. Entstehung, Verbreitung und Ende teilen den Verlauf des Gerüchts in drei Abschnitte auf.65 Kapferer beschreibt dies wie folgt:

„Eine Parole unbekannter Herkunft verbreitet sich und kursiert überall. Der Vorgang entwickelt sich immer weiter und erreicht seinen Höhepunkt, bevor das Interesse zurückgeht und sich in kleine, nur noch mühsam weiterglimmende Schwelbrände aufspaltet, um sich schließlich meistens in aller Stille zu verflüchtigen.“66

Während Mast einräumt, dass die Lebensdauer von Gerüchten sehr unterschiedlich sein kann,67 gehen Piwinger und Gärtner grundsätzlich von einem kurzen Zyklus aus.68, Indem er sagt, dass Gerüchte mit leichtem, unterhaltendem Charakter eher versiegen als jene, die eine persönliche Betroffenheit beim Empfänger auslösen, stellt Kapferer indes einen Bezug zwischen Relevanz und Dauer her.69 Piwinger veranschaulichte den Lebenszyklus von Gerüchten in einer Graphik. Dabei muss beachtet werden, dass es sich hierbei um einen idealtypischen Verlauf handelt, der daher keinesfalls auf jedes Gerücht zutrifft.70

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Verlaufsform des Gerüchts

Quelle: Piwinger, M. (2004): Der Umgang mit Gerüchten im Unternehmensumfeld, S. 255

Im Vorfeld des dargestellten Prozesses gibt es bereits einer Art Inkubationsphase, gekennzeichnet durch Informationslücken, Vermutungen, Gemunkel usw. Dies ist der fruchtbare Boden, auf dem das Gerücht wächst und gedeiht. Darauf folgt eine schnelle Verbreitung.71 Aufgrund des Wertverlustes den es erleidet, sobald es als veraltet oder überholt gilt, sind die Beteiligten darauf aus, das „leicht verderbliche Gut“72 zügig in Umlauf zu bringen.73 Am Kulminationspunkt ist schließlich das Höchstmaß an Interesse und Aufmerksamkeit erreicht. Der nun folgende Abfall der Kurve kann unterschiedlich begründet sein.

[...]


1 Vgl.: Langner, Sascha (2007): Viral Marketing. Wie Sie Mundpropaganda auslösen und Gewinn bringend nutzen.
3. erw. Aufl. Wiesbaden, S. 228.

2 Vgl.: Shojaei Kawan, Christine (2004): Horrormahlzeit, Höllentrunk. Gerüchte und Geschichten um Essen und Trinken. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S. 335.

3 Vgl.: Hellwig, Martin/Hartmann-Wendels, Thomas (2009): Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise.http://www.iwkoeln.de/Portals/0/pdf/dokumente_andere/2009/ Gutachten%20Bankenaufsicht.pdf, S. 5, [14.06.2011].

4 Vgl.: Beckert, Jens (2010): Die Finanzkrise ist auch eine Vertrauenskrise. In: Max Planck-Gesellschaft zur Förderung des Wissenschaften e.V. (Hg.): Jahresbericht 2009, http://www.mpg.de/180981/Jahresbericht_2009.pdf, S. 14, [14.06.2011].

5 Kapferer, Jean-Noël (1997): Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt. Berlin, S. 10.

6 Vgl.: Kapferer, Jean-Noël (2004): Managing brands through rumors. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S. 121.

7 Knapp, Robert H. (1944): A Psychology of Rumor. In: Public Opinion Quarterly, Vol. 8, No. 1, S. 22.

8 Allport, Gordon W./Postman, Leo (1965): The Psychology of Rumors. New York, S. 9.

9 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 12.

10 Vgl.: Mast, Claudia (2006): Unternehmenskommunikation. 2. Aufl., Stuttgart, S. 238.

11 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S.14.

12 Vgl.: ebd., S. 15.

13 Vgl.: ebd., S. 25.

14 Vgl.: ebd., S. 29.

15 Vgl.: ebd., S. 10.

16 Vgl.: Kirchmann, Kay (2004): Das Gerücht und die Medien. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S.70.

17 Vgl.: Bruhn, Manfred (2004): Gerüchte als Gegenstand der theoretischen und empirischen Forschun. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S.13.

18 Vgl.: Gärtner, Heribert (2009): Management jenseits der Rationalität. Zur Phänomenologie und Logik des Gerüchts als Kommunikationsform in Organisationen. In: Deller, Ullrich (Hg.): Kooperationsmanagement. o.O., S.126.

19 Vgl.: Kapferer, J. (2004): Managing brands through rumors, S.125.

20 Vgl.: Thießen, Friedrich (2004): Gerüchte an Finanzmärkten. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S.183.

21 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S.27.

22 Vgl.: Kapferer, J. (2004): Managing brands through rumors, S.120.

23 Vgl.: ebd., S. 123.

24 Vgl.: Scheele, M. (2006): Das jüngste Gerücht. Heidelberg, S. 96.

25 Stroebe, R. (1996): Kommunikation 1. Grundlagen -Gerüchte. Schriftliche Kommunikation. In: Bienert, Werner/Crisand, Ekkehard (Hg.): Arbeitshefte Führungspsychologie. Band 5. 5. Aufl. Heidelberg, S. 56.

26 Kirchmann, K. (2004): Das Gerücht und die Medien, S. 77.

27 Vgl.: Gärtner, H. (2009): Management jenseits der Rationalität, S. 130.

28 Vgl.: Erberle, Thomas S. (2004): Gerücht oder Faktizität. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S. 104.

29 Vgl.: Thießen, F. (2004): Gerüchte an Finanzmärkten, S. 182.

30 Vgl.: Kirchmann, K. (2004): Das Gerücht und die Medien, S. 75.

31 Vgl.: Stroebe, Rainer (1996): Kommunikation 1. Grundlagen -Gerüchte. Schriftliche Kommunikation, S. 56.

32 Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 239.

33 Vgl.: Kirchmann, K. (2004): Das Gerücht und die Medien, S. 76.

34 Vgl.: Leggewie, Klaus/Mühlleitner, Elke (2007): Die akademische Hintertreppe. Kleines Lexikon des wissenschaftlichen Kommunizierens. Frankfurt/Main, S. 126.

35 Scheele, M. (2006): Das jüngste Gerücht, S. 97.

36 Vgl.: Pippke, Wolfgang (1998): Gerücht. In: Heinrich, Peter/Schulz zur Wiesch, Jochen (Hg.): Wörterbuch zur Mikropolitik. Opladen. S. 97.

37 Vgl.: Stehr, Johannes (1998): Sagenhafter Alltag. Über die private Aneignung herrschender Moral. Frankfurt/Main, S. 66.

38 Bruhn, M. (2004): Gerüchte als Gegenstand der theoretischen und empirischen Forschung, S. 35.

39 Vgl.: ebd., S. 18.

40 Vgl.: Bruhn, M. (2008): Gerüchte als Gegenstand der theoretischen und empirischen Forschung, S. 18.

41 Vgl.: Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 239.

42 Vgl.: Bruhn, M. (2004): Gerüchte als Gegenstand der theoretischen und empirischen Forschung, S. 18.

43 Vgl.: Merten, Klaus (2009): Zur Theorie des Gerüchts. In: Publizistik, 54, 1/2009, 2009, S. 20.

44 Vgl.: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 20.

45 Vgl.: Thießen, F. (2004): Gerüchte an Finanzmärkten, S. 186.

46 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 324.

47 Vgl.: Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 239.

48 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 324.

49 Vgl.: ebd., S. 324-327.

50 Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 33.

51 Vgl.: Wehling, Pamela (2007): Kommunikation in Organisationen. Das Gerücht im organisationalen Wandlungsprozess. Wiesbaden.[zugleich Dissertation: Ruhr-Universität Bochum, 2007], S. 72.

52 Vgl.: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 31-32

53 Vgl.: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 33

54 ebd., S. 33.

55 Vgl.: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 33.

56 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 47-49.

57 Vgl.: Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 239.

58 Vgl.: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 33.

59 Vgl.: ebd., S. 34.

60 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 131.

61 ebd., S. 131.

62 Vgl.: Wehling, P. (2007): Kommunikation in Organisationen, S. 81.

63 Vgl.: Merten, K. (2009): Zur Theorie des Gerüchts, S. 34.

64 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 131.

65 Vgl.: Bruhn, M. (2004): Gerüchte als Gegenstand der theoretischen und empirischen Forschung, S. 21.

66 Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 8.

67 Vgl.: Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 241.

68 Vgl.: Gärtner, H. (2009): Management jenseits der Rationalität, S. 131; auch Piwinger, M. (2004): Der Umgang mit Gerüchten im Unternehmensumfeld, S. 254

69 Vgl.: Kapferer, J. (1997): Gerüchte, S. 131-132.

70 Vgl.: Mallmann, Iris (2004): Wirkungen von Gerüchten und Handlungsalternativen für Unternehmen. In: Bruhn, M./Wunderlich, W. (Hg.): Medium Gerücht. Studien zu Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform. Berne, S. 158.

71 Vgl.: Piwinger, M. (2004): Der Umgang mit Gerüchten im Unternehmensumfeld, S. 254.

72 Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 241.

73 Vgl.: Mast, C. (2006): Unternehmenskommunikation, S. 241.

Fin de l'extrait de 56 pages

Résumé des informations

Titre
Gerüchte in der Unternehmenskommunikation
Sous-titre
Relevanz und Handlungsoptionen zur Abwehr extern kursierender negativer Unternehmensgerüchte
Université
University of Applied Sciences Berlin
Cours
Wirtschaftskommunikation
Note
1,3
Auteur
Année
2011
Pages
56
N° de catalogue
V208597
ISBN (ebook)
9783656430575
ISBN (Livre)
9783656434917
Taille d'un fichier
560 KB
Langue
allemand
Mots clés
gerüchte, unternehmenskommunikation, relevanz, handlungsoptionen, abwehr, unternehmensgerüchte
Citation du texte
Mandy Gernandt (Auteur), 2011, Gerüchte in der Unternehmenskommunikation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208597

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Titre: Gerüchte in der Unternehmenskommunikation



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