Ein kulturtheoretischer Vergleich: Clifford Geertz und Georg Forster


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


II. „DICHTE BESCHREIBUNG“

II.1. Geertz´ kulturtheoretischer Ansatz

Clifford Geertz fällt es nicht leicht, eine einschlägige Theorie zur Erklärung von Kultur zu entwickeln. Vordergründig orientiert sich der Ethnograph an Max Weber, „[…] daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich [Geertz] Kultur als dieses Gewebe ansehe.“ [1][2] Dieses Gewebe ist keineswegs einheitlich, sondern funktioniert wie eine „Matrix“[3], die sich auf eine „räumliche Gemeinschaft“[4] ausbreitet. Demnach geht es Geertz „[…] um die Rekonstruktion spezifischer Weisen der Weltwahrnehmung und Weltkonstruktion, wie sie sich insbesondere in der sozialen Praxis des alltäglichen Lebens [in einem entsprechenden Raum] manifestieren […]“.[5] Für die Menschen des entsprechenden Raums besteht die Kultur aus „[…] gesellschaftlich festgelegter Code[s]“[6]. Diese Codes sind der jeweiligen Gemeinschaft bekannt und jedem Hinzukommenden auch zugänglich. Deshalb vergleicht Geertz Kultur mit einem öffentlichen Dokument.[7]

Die Bedeutungen der Codes sind je nach Raum verschieden und benötigen zuerst verstanden zu werden, bevor man sich wie Einheimische in dem kulturellen Gewebe bewegen kann. Das ist eines der Argumente, die für den Ethnographen gegen die Möglichkeit einer universellen Kulturtheorie sprechen, denn „Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht.“[8] Eine allgemeingültige Regel ist demnach nicht sinnvoll, denn aufgrund der verschiedenen kulturellen Systeme kann man keine Grenze zwischen der Darstellungsweise und dem zugrundeliegenden Inhalt ziehen.

Die wichtigste Vorgehensweise bei der Analyse von Kultur besteht darin, den Fokus auf das Verhalten der ´Handelnden´ zu legen, nur so wird der kulturellen Form einen Ausdruck verleiht, welchen man als Ethnologe im Anschluss zu deuten hat.[9] Nach Abschluss der wissenschaftlichen Arbeiten, muss man sich eingestehen, dass man dennoch nur Hypothesen oder Andeutungen über die Beobachtungen einer fremdem Kultur gemacht hat. Es geht dabei darum, zu einer nachvollziehbaren Interpretation zu gelangen. Die Arbeit des Ethnologen ist nach Geertz vergleichbar mit der, eines Literaturwissenschaftlers.[10] Genauso wie in den Literaturwissenschaften, soll auch nicht in den Kulturwissenschaften nach „systematischen Abhandlungen“[11] gesucht werden. Kein Verhalten könnte man von einer allgemeingültigen Regel oder Gesetz ableiten und in eine Kulturtheorie einfügen. Dies würde höchstens zu einem sinnlosen „ […] pot-au-feu -Theoretisieren über Kultur […]“[12] führen. Auf der Ebene der Kulturwissenschaften, einer menschlich erigierten Vielfalt von räumlichen Verwebungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen sind keine formalen Gleichheiten möglich.[13] Die Kultur ist sozusagen unberechenbar, mehr als eine nachvollziehbare Interpretation sollte der Ethologe nicht leisten:

„Die Untersuchung von Kultur ist ihrem Wesen nach unvollständig. Und mehr noch, je tiefer sie geht, desto unvollständiger wird sie. Es ist eine eigenartige Wissenschaft: gerade ihre eindrucksvollsten Erklärungen stehen auf dem unsichersten Grund, und der Versuch, mit dem vorhandenen Material weiter zu gelangen, führt nur dazu, daß der – eigene und fremde – Verdacht, man habe es nicht recht im Griff immer stärker wird.“[14]

Auch nach der Fertigstellung einer Studie über eine Kultur bleibt der Raum für Fragen offen. Dem offenen Gehalt kann nur Abhilfe verschafft werden, indem immer wieder ethnographische Interpretationen aufgegriffen werden und auf neues Untersuchungsmaterial angewendet werden. Auf diesem Weg gelingt es, eine immer genauere und relevantere Studie erstellen zu können. Außerdem besteht so die Möglichkeit, zu einer allgemeineren Theorie zur Interpretation von Kultur zu gelangen, jedoch wird es nie, nach Geertz die Hauptaufgabe der Ethnologie werden, eine Theoriebildung zu entwickeln, bzw. entwickeln zu können.[15]

Von „abstrahierten Entitäten“ sollte man sich lossagen, da diese nur zu einem fortlaufenden Geflecht zusammengestellt werden können, die der genauen Analyse mehr hinderlich als hilfreich sind.[16] „Die Gültigkeit unserer Interpretationen kann nicht, wie es so oft behauptet wird, auf der Stringenz beruhen […]“[17], denn nichts hat mehr an der Gunst von Kulturanalysen verloren „[…] als die Erstellung einwandfreier Abbildungen von formalen Ordnungen, an deren Existenz niemand so recht glauben kann.“[18] Bei der Darstellung einer Kultur geht es also nicht darum, eine originalgetreue Kopie dessen wieder zu geben, was man während der Studie vernommen hat, sondern die Ereignisse interpretiert und sachlich darzustellen. Im Vordergrund steht das Verstehen der fremden Codes, wenn das durch die Interpretation gegeben ist, ist die wissenschaftliche Arbeit des Ethnologen gelungen:

„Das Verstehen der Kultur eines Volkes führt dazu, seine Normalität zu enthüllen, ohne daß seine Besonderheit dabei zu kurz käme. […] Es macht sie erreichbar: in den Kontext ihrer eigenen Alltäglichkeit gestellt, schwindet ihre Unverständlichkeit.“[19]

An dieser Stelle möchte ich in Anlehnung an Helmut Dworschak näher den Begriff der Fremde im Rahmen der Ethnologie erläutern. Dieser lässt sich nicht eindeutig bestimmen, denn die Fremdheit verschwindet in einem zunehmenden Prozess, sobald die neuen Umgangsformen durch Erfahrung den „Verstehenshorizont“[20] des Ethnologen in einem „Vertrautheitskontinuum“[21] erweitern. Das Fremde ist somit etwas temporal Bestimmbares und wird durch die fortschreitende Selbstverständlichkeit abgelöst.[22]

[...]


[1] Vgl. (Anm. 3). An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Geertz keineswegs der Begründer der Ansätze der „dichten Beschreibung” ist. Vielmehr erarbeitet er auf bestehenden Konzepten von Max Weber und Paul Ricoeur einen Ansatz zusammen. Dazu vgl. Anm. 9, S. 17.

[2] Clifford Geertz, S. 9.

[3] Ebd., S.9.

[4] Ebd., S. 139. Diese Stelle habe ich aus einem anderen Beitrag aus demselben Band von Clifford Geertz entnommen.

[5] Peter Wiechens: DAS PRINZIP ÜBERSCHREITUNG. Clifford Geertz und die Konstitution der Interpretativen Anthropologie. 2000. [Münster, Westf., Univ., Diss.]. S. 8.

[6] Clifford Geertz, S. 11. Geertz lehnt sich mit diesem Begriff an den Sprachphilosophen Gilbert Ryle an.

[7] Ebd., S. 16.

[8] Ebd., S. 9.

[9] Clifford Geertz, S. 23ff.

[10] Ebd., S. 15.

[11] Ebd., S. 36.

[12] Ebd., S. 8.

[13] Ebd., S. 33ff.

[14] Ebd., S. 41.

[15] Clifford Geertz, S. 37.

[16] Ebd., S. 26.

[17] Ebd., S. 26.

[18] Ebd., S. 26.

[19] Ebd., S. 21.

[20] Helmut Dworschak: Vertrautheit und Staunen. Zur Problematik interkulturellen Verstehens. In: Ingo Mörth (Hrsg.): Symbolische Anthropologie der Moderne: Kulturanalysen nach Clifford Geertz / Gerhard Fröhich. Frankfur/Main 1998. S. 67

[21] Ebd., S. 68.

[22] Ebd., S. 68f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ein kulturtheoretischer Vergleich: Clifford Geertz und Georg Forster
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V208790
ISBN (eBook)
9783656363859
ISBN (Buch)
9783656363927
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Geertz, Forster, Kultur, Kulturtheorie, Südsee, Dichte Beschreibungen, Dünne Beschreibungen
Arbeit zitieren
Marc Hoffmann (Autor:in), 2011, Ein kulturtheoretischer Vergleich: Clifford Geertz und Georg Forster, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208790

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