Die Darstellung des „Türken“ als Antichrist im 16. Jahrhunderts


Dossier / Travail, 2012

17 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Vorstellungen vom Antichrist in der frühen Neuzeit

III. Die Darstellung des „Türken“ als Antichrist bei verschiedenen Theologen
1. Luther
2. Melanchthon

3. Johannes Brenz

IV. „Rezepte“ gegen die Bedrohung

V. Resümee

VI. Literatur- und Quellenverzeichnis

I. Einleitung

Schon seit Ende des 15. Jahrhunderts fanden sich im deutschsprachigen Raum Darstellungen in Bild, Schrift und Ton, die sich mit den Osmanen[1] als Erbfeind der abendländischen Kultur befassten. Dieses Feindbild, das in allen Bildungsschichten weit verbreitet war, erfuhr während der Türkenkriege in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert eine Steigerung in besonderem Maße. Während Aufzählungen osmanischer Grausamkeiten, Tyrannei und Gräueltaten immer noch die Runde machten, fand eine neue Komponente des „Erbfeindsyndroms“ immer mehr Zuspruch: die heilsgeschichtliche Variante.[2]

Diese Variante des Feindbilds enthielt ebenfalls noch zwei, voneinander zu unterscheidende Spielarten. Einerseits wurden die Osmanen und ihr Vorrücken gegen Europa als Strafe Gottes angesehen, die wie die biblische Sintflut die Christenheit für ihre Sündhaftigkeit bestrafen sollten, andererseits jedoch glaubten manche Theologen in ihnen den Antichrist zu erkennen, den ewigen Feind des christlichen Glaubens, der den Jüngsten Tag, also das Ende der Welt, einleiten sollte.

Eben um diese Darstellungen des Türken als Antichrist bei den Theologen Martin Luther, Philipp Melanchthon und Johannes Brenz aus dem 16. Jahrhundert soll es in der folgenden Arbeit hauptsächlich gehen. Die Auswahl genau dieser drei protestantischen Theologen lässt sich dadurch begründen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im 16. Jahrhundert sich den protestantischen Vorstellungen vom Antichrist anschloss und somit deren Ansichten auch die Ansichten des Volkes widerspiegeln. Im Speziellen habe ich Luther wegen seiner führenden Rolle als Reformator und protestantischer Autor ausgewählt, Melanchthon wegen seiner zu Luther ähnlichen, aber doch noch radikaleren Ansichten (im Hinblick auf die Vorstellung, der Türke sei der Antichrist) und Johannes Brenz, da er zwar auch wie Luther und Melanchthon den Türken für den Antichrist hielt, aber nicht so endzeitlich gestimmt war wie diese beiden.

Es soll ebenfalls auf die anderen, im 16. Jahrhundert gängigen Vorstellungen vom Antichrist eingegangen werden, so z.B. auf die „alt-kirchliche“, also katholische Variante. Auch die unterschiedlichen Strategien und Maßnahmen zur Bewältigung der Gefahr durch das osmanische Reich, die von den drei ausgewählten Theologen propagiert wurden, sollen dargelegt werden.

Bezüglich der Auslegung des Danielbuchs durch Luther sei vermerkt, dass sich seine Interpretation nur unwesentlich von der Melanchthons unterscheidet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird die genaue Auslegung dieses Buches im Abschnitt über Melanchthon dargelegt.

II. Vorstellungen vom Antichrist in der Frühen Neuzeit

Den Vorstellungen von einem nahenden Ende durch einen bösen Tyrannen, namentlich dem Antichrist, kam die generelle eschatologische Stimmung in der Frühen Neuzeit zugute. Sie fußte auf der großen Misere der niederen Schichten der Bevölkerung des 16. Jahrhunderts, die von immer wieder kehrenden Bauernaufständen und Seuchen besonders betroffen waren. Auch die Nachrichten von angeblichen Gräueltaten der Osmanen während des ersten Türkenkrieges trugen zu dieser endzeitlichen Stimmung bei, da die in ihnen beschriebene Grausamkeit weit über das hinaus ging, was man zuvor gehört hatte. Was jedoch für die Menschen, die in einer Zeit lebten, als die Kirche noch das gesamte Leben der Leute bestimmte, noch viel schlimmer gewesen sein muss, war das Schisma, die Spaltung der Kirche in zwei Lager. Vor allem als sich die daraus entstandene Hoffnung, die damalige von Simonie, Habgier, Herrschsucht und Unzucht gekennzeichnete Verkommenheit der Kirche könnte sich durch die angesetzten Konzile verbessern, nicht erfüllte, war die Enttäuschung und Verzweiflung der Menschen ob der gegenwärtigen Umstände groß.[3]

Ausdruck findet diese Stimmung zum einen in den vielen Weissagungen vom Ende der Welt, z.B. wird nach der Reformatio Sigismundi, einer Schrift, die Vorschläge und Voraussagen über die Reformation von Kirche und Königtum machte, diese Welt von einer „freundlichen, seligen“ Zeit abgelöst werden, die wiederum durch die Ankunft des Antichrist enden werde. Zum anderen bemerkt man die gedrückte Atmosphäre auch in der Kunst der damaligen Zeit, so strahlen z.B. die Heiligenbilder Dürers und seiner Zeitgenossen nicht mehr Freundlichkeit und Würde aus, wie noch im früheren Mittelalter, sondern sind gezeichnet von Ernst und Schwermut.[4]

Mit der eschatologischen Atmosphäre wuchs auch das Interesse an der Figur des Antichrist, der interessanterweise volkstümlich auch „Endchrist“ genannt wurde, so drückte man seinen eschatologischen Charakter schon im Namen aus. Nun kursierten zwei konkurrierende Bilder vom Antichrist in der Bevölkerung. Zum einen das altkirchliche Bild, das von der Antichrist- Legende ausgeht, die Adso von Montier-en-Der im Jahr 950 in seinem Kompendium Libellus de ortu et tempore Antichristi entwickelte und sich wie eine vorgefertigte Biographie liest. Zum anderen das oppositionelle Bild, das zum Beispiel auch Luther vertrat und das nach und nach das altkirchliche Bild ablöste. Nach diesem Bild wurden einzelne Personen der Geschichte mit dem Antichrist identifiziert.[5]

Die altkirchliche Legende besagte, der Antichrist werde aus dem Stamm Dan sein und in Babylon geboren werden. Er werde sich nach Jerusalem begeben, sich dort beschneiden lassen und die Juden davon überzeugen, dass er der Messias sei. Er werde den von den Römern zerstörten Tempel[6] dort wieder aufbauen und ihn zu seinem Thron machen. Durch fünf Mittel werde er eine große Anhängerschaft von sich überzeugen: Ein scheinheiliges Leben und ein anfangs mildes Regiment, Redegewandtheit, Wunder (Feuer vom Himmel u.a.), Geschenke und Gewalt. Dreieinhalb Jahre werde seine Herrschaft dauern, bis er die von Gott geschickten Propheten Elias und Henoch, die gegen ihn predigen, umbringt und deshalb seinerseits vom Erzengel Michael im Auftrag Christi auf dem Ölberg niedergestreckt wird. Diese Biographie tragen später Thomas von Aquin, Albertus Magnus und Bonaventura noch einmal zusammen, sie enthält Ausschmückungen der Bibelstellen des Buchs Daniel, II Thess. 2 und der Johannes-Apokalypse. Außerdem wurden Parallelen zum Leben Jesu Christi mit eingebaut.[7]

Das oppositionelle Bild vom Antichrist basierte, wie schon erwähnt, größtenteils auf den Schriften, Predigten und Liedern Martin Luthers. Seine Ansicht, der Papst sei der Antichrist, verbreitete sich rasch im Volk und löste bald die altkirchliche Legende ab. Schon früher wurden einzelne Figuren der Geschichte, Kaiser oder König angeblich als der Antichrist identifiziert, jedoch wurde dabei stets auf das altkirchliche Modell des Antichrist zurückgegriffen und man versuchte die Biographien der bezichtigten Personen auf die des Antichrist zu deuten. Luther kannte zwar Adsos Legende und entnahm ihr auch einige Inhalte, die zu seiner Auffassung, der Papst sei der Antichrist, passten. Allerdings wurde bald klar, dass die Legende als solche unbrauchbar, ja sogar hinderlich für seine Ausführungen des Papstantichrist war, da sie eine Erwartung eines zukünftigen, persönlichen Antichrist voraussetzte. So betrachtete er die Legende als vorsätzliches Ablenkungsmanöver des päpstlichen Antichrist und bekämpfte sie dementsprechend.[8]

Luther und der Reformator Andreas Osiander errechnen durch gezielte Bibelstudien und -auslegungen das Jahr 1688 als das Jahr des Weltuntergangs und wettern danach gegen die Papisten, sie würden den Menschen diese Legende vorsetzen, damit diese nach dem erfundenen Antichrist, dessen Herrschaft dreieinhalb Jahre währen solle, suchen und den wahren Antichrist, nämlich den Papst nicht erkennen.[9]

Luther führte nicht, wie im Mittel- und Spätmittelalter üblich, eine Antichrist-Kampagne gegen einen bestimmten Papst, die meistens mit dem unchristlichen Leben der Päpste oder dem Armutsideal begründet wurden, sondern er bezeichnete einfach das gesamte Papsttum, also die Institution an sich, als Antichrist. Auch übertrug er die fertige Antichristvorstellung auf keinen bestimmten Papst. Er meinte, in der letzten Epoche der Kirchengeschichte zu leben und bezeichnete diese schon früh als Antichristiani. Erst war er sich nur sicher, die Juristen und Theologen der Kurie seien der Feind der Christenheit, da diese , nach seiner Meinung, mit den vielzähligen Kirchengesetzen die Grundlage für den bevorstehenden Untergang der Kirche gelegt hatten. Privat äußerte er auch schon in dieser Zeit den Verdacht, der Papst sei der Antichrist, da ihm der Gegensatz zwischen päpstlichem Recht und heiliger Schrift sauer aufstieß, vor allem der Anspruch des Papstes, der alleinige und maßgebliche Ausleger der Bibel zu sein. Seit Mitte 1520 war er sich dann sicher, im Papsttum den Antichrist zu erkennen und veröffentlichte seine Meinung in der Schrift „ Adversus execrabilem Antichristi bullam[10] und in der „ Responsio ad librum Ambrosii Catharini “, genauer in der Auslegung von Dan 8 „ de Antichristo[11]. Zudem führte er die Bibelstellen Mt 24, II Thess. 2, II Tim 4 und II Petr. 2 als Beweis für den päpstlichen Antichrist an.[12]

Die doppelte Tyrannis des Papsttums, die für Luther ein wichtiger Bestandteil dessen antichristlichen Charakters war, beinhaltete einerseits die Überhöhung des Oberhaupts der katholischen Kirche über das Wort Gottes und der daraus entstandenen Kirchengesetze, bei deren Nichteinhaltung mit Verlust der Seligkeit gedroht wurde. Der zweite Teil der Tyrannis bestand für Luther in den Herrschaftsansprüchen des Papstes über Monarchen dieser Zeit, die durch die Konstantinische Schenkung[13] begründet wurden. Er geißelte diese Vermischung weltlicher und geistlicher Gewalt im Papsttum als satanisch-zerstörerisch und widergöttlich. Allein die Entdeckung des Papstes als Antichrist stellte für Luther eine massive Schwächung dessen dar und hielt sie für den Anfang dessen Untergangs. Die enorme Wichtigkeit, die er selbst dieser Identifizierung beimaß, kann man an seinen gelegentlichen Aufforderungen erkennen, seine früheren Schriften zu verbrennen, da er sich damals noch nicht über den antichristlichen Charakter des Papstes im Klaren gewesen wäre.[14]

Die schnelle Verbreitung dieser Ansicht schafften Luther und seine Mitstreiter durch massenweise Verbreitung von Flugschriften, die dieses Thema behandelten, z.B. die „ Abbildung des Papsttums[15], derbe Karikaturen von Lukas Cranach dem Älteren, unter die Luther ebenso derbe Schmähsprüche setzte. Dass diese Flugblätter so gut in der Bevölkerung ankamen, zeigt den Hass auf den Klerus, der zu dieser Zeit herrschte. In vielen Flugschriften wurden nämlich das schändliche Leben des Papstes, die finanzielle Ausbeutung durch die Kurie und deren weltliches Machtstreben als Beweise für den Papstantichrist angeführt.[16]

Die katholische Antwort auf die protestantische Propaganda ließ nicht lang auf sich warten, so wurde die Zahl 666[17] als Code für den Namen Luthers gedeutet und die Legende des Antichristen wurde im Leben dessen als erfüllt betrachtet.[18]

Die Jesuiten betrachteten den Augsburger Religionsfriede durch die Anschuldigungen als gebrochen, da die protestantische Antichristdeutung in der von ihnen abgelegten „ Confessio Augustana “ fehlte.[19] So beschuldigten sie die Protestanten durch diese Deutung den Kaiser als Glied des Antichrist bezeichnet zu haben und damit Majestätsbeleidigung zu begehen, was zur damaligen Zeit ein Kapitalverbrechen darstellte. Noch im 18. Jahrhundert mussten sich die Protestanten gegen diese Vorwürfe zur Wehr setzen.[20]

Es sei noch kurz erwähnt, dass auch in innerprotestantischen Konflikten der Begriff des Antichrist fiel, jedoch nicht ausgehend von Luther, der es vermied, den Begriff auf Protestanten anzuwenden, sondern von radikaleren Schülern seiner Lehre, die ihn oder ihre anderen evangelischen Gegner öfters in die Nähe des Antichristen rückten.[21]

[...]


[1] Diese wurden damals meistens als „der Türke“ bezeichnet. In den weiteren Ausführungen werden die Anführungszeichen bei der Verwendung des Begriffs fehlen, es sei aber zu beachten, dass stets der historische Türken-Begriff gemeint ist, der sich in seiner Bedeutung von dem heutigen wesentlich unterscheidet.

[2] Grothaus, Maximilian: Zum Türkenbild in der Kultur der Habsburger Monarchie zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, in: Tietze, Andreas (Hrsg.): Habsburgisch-osmanische Beziehungen, Beihefte zur Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes; 13, Wien 1985, S.69 f.

[3] Preuß, Hans: Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik, Leipzig 1906, S. 5 ff.

[4] Preuß: Vorstellungen, S. 8 f.

[5] Benrath, Gustav Adolf: Antichrist III, In: Krause / Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie, Band III, Anselm von Laon – Aristoteles/Aristotelismus, Berlin/New York 1978, S. 26

[6] Die Zerstörung des Tempels durch die Babylonier fand 597 bzw. 587 v. Chr. statt, die Zerstörung durch die Römer 70 n. Chr..

[7] Preuß: Vorstellungen, S.11 f.

[8] Seebaß, Gottfried: Antichrist IV, In: Krause / Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie, S. 28 f.

[9] Preuß: Vorstellungen, S. 205

[10] WA 6, 597 - 629

[11] WA 7, 705 - 778

[12] Seebaß: Antichrist IV, In: Krause / Müller: Theologische Realenzyklopädie, S. 28 f.

[13] Die Urkunde dieser Schenkung war nachweislich ein gefälschtes Dokument, in dem Kaiser Konstantin I. im Jahre 315 Papst Sylvester I. und sämtlichen Nachfolgern Herrschaftsgewalt über Rom, Italien und Westeuropa zusprach.

[14] Seebaß: Antichrist IV, In: Krause / Müller: Theologische Realenzyklopädie, S. 29 f.

[15] WA 54, 361 - 372

[16] Seebaß: Antichrist IV, In: Krause / Müller: Theologische Realenzyklopädie, S. 31

[17] Apk 13, 18

[18] Seebaß: Antichrist IV, In: Krause / Müller: Theologische Realenzyklopädie, S. 35

[19] Der Kaiser forderte damals sowohl von protestantischer, als auch von katholischer Seite ein einheitliches Glaubensbekenntnis für die jeweilige Konfession.

[20] Preuß: Vorstellungen, S. 237 ff.

[21] Preuß: Vorstellungen, S. 218

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Die Darstellung des „Türken“ als Antichrist im 16. Jahrhunderts
Université
University of Augsburg
Cours
Das Reich und die Osmanen
Note
1,3
Auteur
Année
2012
Pages
17
N° de catalogue
V208942
ISBN (ebook)
9783656363538
ISBN (Livre)
9783656365082
Taille d'un fichier
624 KB
Langue
allemand
Mots clés
Türkenkriege, Luther, Johannes Brenz, Melanchthon, Türke, Antichrist
Citation du texte
Julian Schumertl (Auteur), 2012, Die Darstellung des „Türken“ als Antichrist im 16. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208942

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