Nouvelle Vague. Merkmale und Arbeitsformen von Norman Berger


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1 . Einleitung

2. Die Nouvelle Vague
2.1. Die Entstehungsgeschichte der Nouvelle Vague
2.2. Das Kino der Autoren und die politique des auteurs
2.3. Die Entwicklung der Nouvelle Vague
2.4. Die Merkmale der Nouvelle Vague
2.4.1. Die Arbeitsformen
2.4.2. Visueller Stil: Bildästhetik und Bildersprache

3. Zusammenfassung

4. Anhang

1. Einleitung

Als Ende der 1950er Jahre die Presse in Frankreich den „Sammelbegriff“ der Nouvelle Vague einführte, um damit die filmischen Debüts zahlloser junger französischer Filmemacher umschreibend zusammenzufassen, wurde damit gleichzeitig die Bezeichnung für ein Phänomen gefunden, das die Filmgeschichtsschreibung später in den Status einer epochalen Wende erheben sollte.[1]

Der Terminus Nouvelle Vague geht auf die französische Journalistin Françoise Giroud zurück, die im Herbst 1957 als Chefredakteurin in der Zeitschrift L'Express in einem Artikel erstmals diesen Begriff für die um 1930 geborene Generation in Frankreich verwendete. Mit der Bezeichnung Nouvelle Vague fasste Giroud den öffentlichen Eindruck einer konsumorientierten Jugend zusammen, die sich mehr für schnelle Autos und Popmusik interessierte als für politische Themen.[2] Im späteren Verlauf wurde der Terminus aber zunehmend filmhistorisch akquiriert und ab dem Jahr 1959 von der Presse synonym für die unzähligen Debütfilme in Frankreich verwendet.[3]

Trotz oder gerade wegen ihrer kurzen Dauer bis etwa Mitte der 1960er Jahre[4], ist der Einfluss der Neuen Welle auf das Medium Film bis heute ungebrochen, was u.a. an den noch immer andauernden filmwissenschaftlichen Versuchen einer einheitlichen Kanonbildung ersichtlich wird.

Obwohl die jungen Filmemacher François Truffaut, Claude Chabrol, Éric Rohmer, Jacques Rivette oder auch Jean-Luc Godard aus dem Dunstkreis der Redaktion der Cahiers du Cinéma dieses anfänglich abstritten , versuchte die Filmkritik und Filmgeschichtsschreibung „[…] von Beginn an, die Nouvelle Vague als Bewegung zu fassen.“[5]

„Sie erstellten immer neue Genealogien und Listen von Namen, Filmen und Merkmalen. Dabei ist jedoch nie ein endgültiger Korpus entstanden. Über Truffaut, Chabrol, Godard, Rivette und Rohmer hinaus weichen die Listen der zugehörigen Filmemacher voneinander ab, und auch über die Filme, die zur Nouvelle Vague gehören, streitet die Fachwelt […].“[6]

Dessen ungeachtet, soll in dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, die signifikantesten Merkmale und Arbeitsformen der Nouvelle Vague herauszustellen. Dazu erscheint es sinnvoll, zunächst die Entstehungsgeschichte der Neuen Welle ein wenig näher zu beleuchten, um im Anschluss daran im folgenden Abschnitt die filmtheoretischen Überlegungen der Cahiers -Kritiker, die als Grundlage ihrer späteren Filme zu betrachten sind, besser verstehen zu können.

Danach soll kurz die filmhistorische Entwicklung der Nouvelle Vague skizziert werden, um sich schließlich den Merkmalen und Arbeitsformen widmen zu können.

2. Die Nouvelle Vague

2.1. Die Entstehungsgeschichte der Nouvelle Vague

Anfang der 1950er Jahre gründete der Filmkritiker und -theoretiker Andrè Bazin zusammen mit dem Regisseur und Drehbuchautor Jacques Doniol-Valcroze die Filmfachzeitschrift Les Cahiers du Cinéma, deren erste Ausgabe im April 1951 erschien. Die Cahiers du Cinéma standen im Gedenken an den 1950 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Jean-Georges Auriol, der bereits Ende der 1920er Jahren in Frankreich eine kritische Filmzeitschrift publizierte, mit der er zur späteren Entstehung der so genannten Nouvelle Critique[7] in den 1940er Jahren beigetragen hatte.

Zu den etablierten Journalisten drängte sich ab 1952 allmählich eine neue Generation von jungen Filmkritikern in die Redaktion der Cahiers, die allesamt aus der Pariser cinéphilen Kultur[8] der zahllosen cinémathèques und cinéclubs stammten, in denen auch Bazin und Doniol-Valcroze verkehrten[9]. Diese jungen Journalisten, zu denen unter anderen François Truffaut, Claude Chabrol, Éric Rohmer, Jacques Rivette oder auch Jean-Luc Godard gehörten, begannen unter dem Rückhalt der Cahiers den kontemporären französischen Film in ihren Artikeln hartnäckig und äußerst polemisch zu attackieren und konnten so in der Öffentlichkeit rasch auf sich aufmerksam machen.

Sie richteten sich aggressiv gegen das ihrer Meinung nach biedere und inhaltlich sowie formal vorhersehbare Kino ihrer Vätergeneration - dem, von ihnen höchst ironisch betitelten, französischen Qualitätskino (cinéma de qualité), das für sie durch damalige Filmemacher des in Frankreich vorherrschenden poetischen Realismus[10] wie beispielsweise Claude Autant-Lara oder Jean Delannoy repräsentiert wurde. Allerdings genossen gerade die Filme dieser Vertreter in den 1940er und 1950er Jahren weltweit hohes künstlerisches Ansehen und erfreuten sich auch beim französischen Publikum großer Beliebtheit.

Diesen Repräsentanten des zeitgenössischen Kinos in Frankreich stellten die jungen Filmkritiker der Cahiers die (Genre-)Filme von Hollywood-Regisseuren wie Alfred Hitchcock und Orson Welles oder Howard Hawks und Nicholas Ray, aber auch europäischen wie Jean Renoir oder Roberto Rossellini gegenüber, denen sie eine wiederkehrende und unverwechselbare „Handschrift“ in allen ihren Werken attestierten. Der Verweis auf Regisseure, die in Hollywood arbeiteten, war seiner Zeit ebenfalls recht ungewöhnlich, da diese in einem im Höchstmaß arbeitsteiligen und ausdifferenzierten Studiosystem tätig waren, was einer persönlichen „Handschrift“ eher hätte abträglich sein sollen.

Konträr zur allgemein verbreiteten Ansicht, dem Regisseur innerhalb des Produktionsprozesses eines Films eine marginale Rolle zu zugestehen, setzten die jungen Journalisten den persönlichen Inszenierungsstil einiger von ihnen präferierter Regisseure entgegen, den diese in ihre Werke brächten, und erhoben sie somit in den künstlerischen Status eines auteurs. Dazu bemerkt Jürgen Felix:

„Was den Auteur sichtbar werden lässt, ist sein ,persönlicher Stil‘, und diesen identifizierten die Cahiers -Kritikern anhand der ,mise en scène‘. Die Weltsicht eines Auteur konstituiert sich durch seinen persönlichen Stil, was für die Cahiers -Autoren vorrangig eine Frage neuer ,Ideen der Kadrage oder der Abfolge der Einstellungen‘ war […], nicht etwa von programmatischen Erklärungen. Eine eigene Weltsicht formte sich ihrer Überzeugung nach im Visuellen, wie ein Regisseur seine Figuren in Raum und Zeit konstituiert […]. Die ,mise en scène‘ bringt die ,vision du monde‘ eines ,auteur‘ zum Ausdruck - und damit auch seine künstlerische Persönlichkeit.“[11]

Bis dato wurde die Arbeit des Regisseurs mehr im Sinne eines handwerklichen Berufs verstanden, den man in Form einer Ausbildung an einer Filmhochschule oder als Assistenz erlernen konnte, wodurch den Regisseuren implizit das künstlerische Talent abgesprochen wurde.

Zudem machten die Cahier 'isten aber noch eine Vielzahl von weiteren Unterschieden zwischen dem Qualitäts - und dem auteurs -Kino aus. Das cinéma de qualité, das sich hauptsächlich der Adaption literarischer Vorlagen verschrieben hatte, war ihrer Meinung nach ausschließlich auf kommerzielle Erfolge ausgerichtet, wodurch sich die Beteiligten - und damit allen voran die Regisseure - von der literarischen Vorlage und dem filmischen Endprodukt letztlich entfremdet hätten. Dieser Entfremdung sollten die Filmemacher im von den Cahier 'isten geforderten Kino der Autoren durch das Einbringen ihrer künstlerischen Persönlichkeit entgegenwirken und sich bei der Realisierung eines Filmprojekts nicht mehr dem Kommerz verpflichtet fühlen. Zudem betonten sie den Status des Regisseurs als Künstler und setzten damit den Film als Kunstform in eine Reihe mit den etablierten und traditionellen Künsten wie Literatur, Musik und Malerei.

Diese umstrittenen Ansichten fasste François Truffaut mit der beratenden Unterstützung von Andre Bazin nunmehr 1954 in der 31. Ausgabe der Cahiers du Cinéma in seinem manifestartigen Aufsatz Une certaine tendance du cinéma français (Eine gewisse Tendenz im französischen Film) zusammen[12], womit sich der immer theoretischer werdende Diskurs in der Öffentlichkeit zunehmend verschärfte. Dieser Konflikt spiegelte sich beispielshalber in der erbitterten Auseinandersetzung mit der Filmzeitschrift Positif wider, deren erste Ausgabe im Mai 1952 erschienen ist und die rasch zum journalistischen „Lieblingsgegner“ der Cahiers du Cinéma avancierte.

Auf Truffauts Artikel folgend, postulierte die junge Redaktion der Cahiers verstärkt ein dem französischem Qualitätskino diametral entgegengesetztes Kino der Autoren, was sie in ihren Artikel film- und kunsttheoretisch weiter zu untermauern verstanden. Nachdem sich die jungen Filmtheoretiker anhand ihrer theoretischen Überlegungen mehr und mehr eine relativ „homogene“ filmtheoretische Grundlage geschaffen hatten, dauerte es schlussendlich nicht mehr lang, bis sich die ersten von ihnen der praktischen Seite des Films zu widmen begannen, wozu der Filmkritiker Robert Benayoun 1962 in der Positif rückblickend polemisch bemerkte, dass es den Jungen in der Redaktion der Cahiers wohl „[…] in erster Linie darum [ginge], zu sehen, ob man in der Lage sei, Kino zu machen.‘“[13]

Sicherlich trifft Benayoun mit dieser Aussage die eigentliche Absicht der aggressiven Artikel der jungen Cahier 'isten, denn alle ihre filmtheoretischen Überlegungen zielten wohl letztlich darauf ab, irgendwann die Möglichkeit zu erhalten, zeigen zu können, dass man es besser könne als die kritisierten Etablierten.

Nahezu alle jeunes Turcs (Jungtürken), wie sie damals respektvoll von der französischen Öffentlichkeit bisweilen auch bezeichnet wurden, arbeiteten zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als Kritiker schon in diversen Filmproduktionen mit und so war der letzte Schritt schließlich nicht mehr weit, bis auch die ersten Autoren in Eigenverantwortung kleinere Filmprojekte realisierten und sich so ihre ersten „filmischen Sporen“ verdienen konnten[14]. Durch die zuvor evozierte immense öffentliche Aufmerksamkeit, die den jungen Filmtheoretikern hauptsächlich durch den filmtheoretischen Diskurs in den Cahiers du Cinéma zuteil geworden war, gelang es ihnen bald, sich nach und nach die finanziellen Mittel zu beschaffen, ihre theoretischen „Ideen“ in filmische „Taten“ umzusetzen.

[...]


[1] Vgl. Frisch (2007), S. 17

[2] Ebd., S. 23f.

[3] Ebd.

[4] Auf die Schwierigkeiten einer zeitlichen Begrenzung der Nouvelle Vague sei an dieser Stelle zunächst nur verwiesen.

[5] Vgl. Frisch (2007), S. 14

[6] Ebd.

[7] Die Nouvelle Critique generierte sich Ende der 1940er Jahre in Frankreich und begeisterte sich in Opposition zur verbreiteten Stummfilmnostalgie für den zeitgenössischen Film in Frankreich und den USA.

[8] Die Cinéphilie hatte ihren Ursprung in der französischen Kino- und Filmkultur Anfang des 20. Jahrhunderts und beschreibt die Wahrnehmung des Kinos als Kunst.

[9] Bazin betrieb u.a. den Pariser Filmklub Travail et Culture.

[10] Der poetische Realismus entstand in Folge der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren in Frankreich und war durch eine Abkehr von den Avantgarde-Filmen und einer Hinwendung zu mehr Realitätsnähe und sozialkritischen Themen gekennzeichnet.

[11] Felix (2003), S.30

[12] Siehe dazu das anschließende Kapitel.

[13] Vgl. Benayoun (1962), S.5 zitiert nach Frisch (2007), S.220

[14] Exemplarisch hierfür ist Jacques Rivettes Kurzfilm Le coup du berger von 1956, der als erstes gemeinsames Filmunternehmen der Cahier ’lern gilt, da nahezu die komplette Redaktion daran beteiligt war, und der rückblickend von Truffaut als Startschuss der Nouvelle Vague bezeichnet wurde.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Nouvelle Vague. Merkmale und Arbeitsformen von Norman Berger
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Medienwissenschaften)
Veranstaltung
Neue Wellen
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V208956
ISBN (eBook)
9783656365891
ISBN (Buch)
9783656366485
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nouvelle, vague, merkmale, arbeitsformen, norman, berger
Arbeit zitieren
B.A. Norman Berger (Autor:in), 2008, Nouvelle Vague. Merkmale und Arbeitsformen von Norman Berger, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208956

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