Im Zeitalter der Globalisierung und der wachsenden Mobilität, sind Migrationsbewegungen als fester Bestandteil des Weltgeschehens nicht mehr wegzudenken. Dabei ist Migration ein weiter Begriff, nicht nur für die Bewegungen von Individuen, sondern auch ganzer Menschengruppen, die entweder innerhalb von Räumen, oder auch raumübergreifend, innerhalb eines Staates, oder zwischen unterschiedlichen Staaten, stattfinden.
In dem vorliegenden Aufsatz sollen im Rahmen des Seminars „Die Repräsentation der Migration“ Perspektiven, aus denen sich das Thema Migration im Denken, Sprechen und Visualisieren manifestiert, auf ihre Prämissen und Einflüsse untersucht und auf Diskurse, Akteure, Praktiken und Orte der Repräsentation der Migration eingegangen werden.
Auf Grund der beschränkten Kapazität eines Seminaraufsatzes, soll der Fokus dabei auf die Texte „Migration, Tourismus und das Recht auf einen Ort“ von Tom Holert, Erol Yildiz „Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource“, Gisela Welz: „Inszenierungen der Multikulturalität: Paraden und Festivals als Forschungsgegenstände“, sowie „Es geht nicht um einen Dialog. Integrationsgipfel, Islamkonferenz und Anti-Islamismus. Werner Schiffauer und Manuela Bojadzijev im Gespräch“ gelegt werden.
1. Einleitung
Im Zeitalter der Globalisierung und der wachsenden Mobilität, sind Migrationsbewegungen als fester Bestandteil des Weltgeschehens nicht mehr wegzudenken. Dabei ist Migration ein weiter Begriff, nicht nur für die Bewegungen von Individuen, sondern auch ganzer Menschengruppen, die entweder innerhalb von Räumen, oder auch raumübergreifend, innerhalb eines Staates, oder zwischen unterschiedlichen Staaten, stattfinden.
In dem vorliegenden Aufsatz sollen, im Rahmen des Seminars „Die Repräsentation der Migration“ Perspektiven, aus denen sich das Thema Migration im Denken, Sprechen und Vi- sualisieren manifestiert, auf ihre Prämissen und Einflüsse untersucht und auf Diskurse, Akteure, Praktiken und Orte der Repräsentation der Migration eingegangen werden.
Auf Grund der beschränkten Kapazität eines Seminaraufsatzes, soll der Fokus dabei auf die Texte „Migration, Tourismus und das Recht auf einen Ort“ von Tom Holert, Erol Yildiz „Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource“, Gisela Welz: „Inszenierungen der Multikulturalität: Paraden und Festivals als Forschungsgegenstände“, sowie „Es geht nicht um einen Dialog. Integrationsgipfel, Islamkonferenz und Anti-Islamismus. Werner Schiffauer und Manuela Bojadzijev im Gespräch“ gelegt werden.
2. Die Repräsentation der Migration
2.1 „Migration, Tourismus und das Recht auf einen Ort“, Tom Holert
In seinem Text „Migration, Tourismus und das Recht auf einen Ort“ befasst sich Tom Holert mit der Thematik der Migrations- und Tourismusströmungen sowie der Lebenswelt dieser beiden Gruppen. Er erörtert dabei die zentrale Fragestellung, ob das Phänomen der Migration und des Tourismus wirklich strikt voneinander zu trennen sind, indem er vergleichend auf Unterschiede und, insbesondere, Gemeinsamkeiten in der Lebenswelt, sowie in den Handlungsmustern beider Strömungen hinweist und somit die beständige Wechselbeziehung zwischen Migranten und Touristen verdeutlicht.
„Die Sehnsucht nach einem besseren Leben hat die Gesellschaften in Bewegung gesetzt“ (S.239). Diese besagte Sehnsucht nach einer Verbesserung der eigenen Lebensqualität kann als die zentrale Gemeinsamkeit bezüglich der Motive und Beweggründe sowohl für Migranten, als auch für Touristen gesehen werden, einen Ort A zu verlassen, um sich - auf unterschiedliche Dauer- an einem Ort B aufzuhalten.
Was Migranten und Touristen des Weiteren allgemein verbindet, ist, dass beide Gruppen „Pole in einem Kontinuum der temporären Mobilität, das alle derzeitigen Formen des Unterwegs- seinsumfasst“ bilden (S.240).
Migration und Tourismus bedingen sich dabei gegenseitig. So wirkt der Tourismus auf gewisse Weise als Ursache von Migration, und umgekehrt (S.240). Am Beispiel der Mittelmeerinsel Lampedusa wird aufzeigt, dass eine solche Region auf Grund der Flüchtlingsprobleme auf Touristen auch abschreckend wirken kann (S.241).
Grundsätzlich stellt die Definition der Begriffe „Tourist“ und „Migrant“ eine Herausforderung dar, die Festlegung bezieht sich dabei auf die Unterscheidung nach Aufenthaltsdauer und Beschäftigung (S.241). Es wird deutlich, wie schwierig, jedoch notwendig das Hinterfragen der genauen Definition von Begriffen ist. Da es sich aber sowohl bei Tourismus, als auch bei Migration nicht um „einfache Reisen von A nach B und wieder zurück“ handelt, ist das Ziel der vorübergehende Aufenthalt an einem Ort. So gesehen stellt auch der Tourismus eine Art der Migration dar, wodurch sich die strikte Unterscheidung erübrigt (S.242).
Eine Gemeinsamkeit sowohl bei Tourismus, als auch bei Migration, stellt das Motiv der Flucht dar. Während der Tourist aus dem Alltag „flieht“, also eine gewisse Anti-Struktur ersehnt, flieht der Migrant eventuell vor den Missständen in der eigenen Heimat und sucht in der Zielregion geradezu eine Struktur, an der er sich orientieren kann. Dieses „Ergänzungsverhältnis der Bedürfnisse“ ist einer der Gründe dafür, dass sich die Wege der Migranten und Touristen sehr oft kreuzen (S.243).
Als eine weitere Gemeinsamkeit gilt die Bedeutung von medial vermittelten Bildern. Sowohl der Migrant, als auch der Tourist folgt einer Vision der Zielregion, die ihm medial vermittelt wurde und auf die er seine jeweiligen Wunschvorstellungen projiziert. Migrantische, wie auch touristische Aufenthalte stehen dadurch unter enormem Erfolgsdruck (S.244).
Bei dem Phänomen der „Schleuser“ überschneiden sich Tourismus und Migration ebenfalls, da Migranten durch die Abschottung Europas gezwungen sind, auf Umwegen nach Europa zu kommen, wie eben beispielsweise als Tourist (S.245).
Auch die Reise, der Weg als Ziel, stellt in beiden Fällen eine Überschneidung dar, die Reise ist also von erheblicher Bedeutung (S.245).
Ebenfalls in beiden Fällen findet eine Art „erstarrte Bewegung“ statt, denn die Touristen, wie auch die Migranten, halten sich über einen Zeitraum an einem bestimmten Ort auf, obwohl ihr eigentliches Leben, bzw. ein wichtiger psychisch-mentaler Teil davon, an einem anderen Ort, etwa dem Herkunftsland, stattfindet (S.247). Es fehlt also in beiden Fällen eine gewisse „Normalität“ (S.248).
Ein wesentlicher Unterschied bezüglich beider Gruppen ist, dass Touristen in der jeweiligen Umgebung auffallen und sie mitprägen wollen, während Migranten, insbesondere illegale, eher untertauchen (S.248). Unterkünfte haben dabei generell einen „hybriden, multifunktionellen Charakter“für temporäre Aufenthalte (S.251).
Sowohl bei Migration, als auch bei Tourismus ist der Verlust von Raum und Zeit-Gefühl ein zentraler Aspekt (S.253). Dass entstehende Heterotypen eine neue Ordnung des Raumes bewirken, beeinflusst und fördert vermutlich Tourismus und Migration, wurde aber bis zu einem nicht zu unterschätzenden Grad auch durch sie bewirkt. Die daraus entstehenden neuen Verflechtungen führen gleichzeitig zu einer zunehmenden Auflösung von Grenzen. Letztere sind lediglich noch als eher administrative Ordnungseinheit zu verstehen (S.254). Diese neue Raumordnung führt gleichzeitig zu einem neuen Zeitgefühl. Im Falle der Touristen und Migranten, als weitere Gemeinsamkeit, verliert sich die getaktete Zeit zunehmend, um sich „in Zuständen des Wartens, der unendlichen Möglichkeiten, der Langeweile“ auszudehnen, um sich dann wieder „hektisch und ereignishaftu zusammenzuballen (S.254). Deutlich wird hier die, neben der Bewegung und dem Wunsch nach einer Steigerung der Lebensqualität, zentralste Gemeinsamkeit des Tourismus, wie auch der Migration: eine neue Raum-Zeit-Matrix, ausgelöst durch den Lauf der Globalisierung, als zunächst einmal neutrales, neues Lebensgefühl, das Tourismus und Migration zwangsläufig teilen. Diese Neustrukturierung bringt also auch eine gewisse Formlosigkeit mit sich (S.258).
Weniger als Gemeinsamkeit, sondern vielmehr als negativer Berührungspunkt, können Konflikte zwischen Migration und Tourismus genannt werden, etwa zwischen den Arbeitsmigranten, die gegen die Ungleichheit im Zusammenhang mit dem Massentourismus in Dubai kämpfen (S.261).
Einen weiteren negativen Aspekt stellt das Problem der Integration von Migranten in die jeweilige Gesellschaft dar. Politisch-soziale Gegebenheiten sollten neu hinterfragt werden. Es sollte demnach gar nicht in erster Linie um die „viel beschworene Freiheit der Bewegung, sondern um das Recht auf einen Ort und auf dessen politische und kulturelle Gestaltung“ gehen (S.265). In diesen Prozessen zur Einigung auf die „Einhaltung von transparenten aufenthaltsund arbeitsrechtlichen Standards“, gewinnt die Gemeinde als Ort des lokalen Engagements an Bedeutung. Touristen sollten in diesem Kontext in den Integrationsprozess einbezogen werden, was als Vorschlag für einen weiteren, positiven Berührungspunkt zwischen den beiden Strömungen des Tourismus und der Migration gesehen werden kann (S.264).
Quelle: Holert, Tom/Terkessldls, Mark (2006): Fliehkraft. Gesellschaft in Bewegung - von Migranten und Touristen. Köln. S.239-265.
2.2 „Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource“, Eroi Yildiz
In der Einleitung zu seinem Buch „Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource“ stellt der Autor Erol Yildiz seine zentrale These in den Vordergrund, dass Urbanisierung grundsätzlich ohne Migration überhaupt nicht denkbar ist (S.12).
Es sind ausgerechnet jene Stadtviertel, die -trotz ihrer Bedeutung für Städte- im Laufe der jahrhundertelangen Geschichte der Migrationsströmungen zunächst als Arbeiterviertel dienten, als Ausländerviertel oft in Verruf gerieten, als Ghettos bezeichnet nicht sonderlich beliebt sind und immer häufiger gar als „Parallelgesellschaften“ bezeichnet werden. Bei diesen ins Abseits drängenden, negativen Zuschreibungen handelt es sich um unhinter- fragte, pauschalierende Abwertungen, die einen „wissenschaftlichen Mythos“ darstellen, um ein „Dispositiv“, anhand dessen „Normalität definiert und so gesellschaftliche Macht organisiert wird“ (S.12).
Auf Grund dieses wissenschaftlichen Mythos wird die Tatsache vernachlässigt, dass Migration einen wesentlichen Beitrag zu der Entwicklung und Modernisierung marginaler Stadtviertel leistet, dass also nicht von „Parallelgesellschaften“ gesprochen werden kann, sondern es sich vielfach um „wenn auch unter prekären Bedingungen realisierte - Erfolgsgeschichten“ handelt (S.13). Gerade die genannten Quartiere nämlich, die von der Stadtplanung oftmals vernachlässigt worden waren, stellen heute vielfach, durch das Zutun der Migranten, bedeutende Viertel mit einer hohen Dichte an Geschäften, Dienstleistungen und gastronomischem Angebot dar, so dass man sie als „die Lebensader vieler Großstädte“ bezeichnen kann(S.13).
In der Einleitung zu seinem Buch „Urban Recycling“ stellt der Autor den Inhalt seines Werkes vor, welches nicht, aus der üblichen Perspektive, die Problemzusammenhänge der Migration in Städten, sondern im Gegenteil, die erheblichen Vorteile durch städtische Migranten und die Bewohner migrantischer Stadtviertel als „Experten ihres Alltags“ darstellt. Es geht also darum zu untersuchen, wie diese Bewohner ihr Leben unter diesen schwierigen Umständen meistern und darum, wie vernachlässigte Stadtteile von Migranten wiederbelebt, „recyclet“ werden. Es geht also, kurz gesagt, „um Gegenbilder zu den gängigen urbanen Krisendiskursen“ (S.13).
Die Vorstellung von „Parallelgesellschaften“ ist demnach unangebracht und nicht denkbar, da Menschen durch städtische Strukturen geradezu gezwungen sind, im ständigen Austausch, etwa den Handel betreffend, zu leben (S.15).
Beiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen belegen die Diskrepanz zwischen der allgemeinen Betrachtungsweise und der Binnenperspektive der Bewohner jener Stadtbezirke, also zwischen allgemeinen pauschalen Zuschreibungen und der heterogenen Alltagswelt jener Menschen. Es ist letztendlich die politische und mediale Artikulation, die soziale Wirklichkeit erzeugt und festigt (S.16).
Die gesammelten Beiträge sollen überdies Potentiale und Ressourcen der von Migration geprägten Stadtteile verdeutlichen. Es geht dabei etwa um die Alltagsstrategien der Migranten, der Entwicklung von Stadtteilen vom Arbeiter- zum Einwandererviertel (S.18), um Beziehungsdynamiken und Konflikte innerhalb solcher Stadtteile, sowie um die Frage, welchen Profit man aus dem Versuch ziehen kann, den bedeutenden Beitrag der Migrantenviertel für die Ökonomie anzuerkennen (S.19), in der Hoffnung, dass diese Beiträge ,,zu einer veränderten Sicht auf migrationsgeprägte Stadtquartiere beitragen und zum Weiterdenken anregen“ (S.20). Die Nutzung ebendieser Potentiale, indem beispielsweise Kleinunternehmen, die zum Aufschwung der Stadtviertel beitragen, gezielt gefördert und in die Verantwortung für die Entwicklung des jeweiligen Viertels miteinbezogen werden, sollte einen Aspekt der Stadtpolitik darstellen (S.17).
Die Vorstellung von separaten, in sich abgeschlossenen Stadtvierteln mit heterogenen Bevölkerungsformen ohne jegliche Wechselbeziehungen ist nicht mehr zeitgemäß und ist es auch nie gewesen. Das Ziel sollte sein, eine neue Perspektive und ein neues Verständnis, Offenheit für das Bewusstsein der beiderseitigen Abhängigkeit und die Potentiale, die sich aus dieser Vielfalt ergeben, die unabänderlich zu einer modernen Stadt gehört, zu fördern und die gängigen negativen und die mit Problemen assoziierten Vorstellungen bezüglich migrantisch geprägter Viertel abzubauen.
Quelle: Yildiz, Erol/Mattausch, Birgit (2009): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource. Gütersloh u.a. S. l2.21.
2.3 „Inszenierungen der Multikulturalität: Paraden und Festivals als Forschungsgegenstände“, Gisela Welz
In ihrem Text geht Gisela Welz auf die immer häufiger stattfindenden urbanen Großstadtveranstaltungen in Form von multikulturellen Festivals, sowie auf Aspekte der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Thematik ein.
Multikulturelle Veranstaltungen vermitteln die Idee kultureller Vielfalt und die kulturelle Aufgeschlossenheit von Städten (S.221).
Eine Forschungsrichtung bezüglich derartiger Veranstaltungen beschäftigt sich mit der Rekonstruktion der Vorstellungen von „kultureller Differenz und Vielfalt“, sowie mit der Frage, welche Rolle diese Vorstellungen -vermittelt etwa durch Paraden- bei der gesellschaftlichen Verarbeitung von Migration spielen. Ebenso relevant für die Forschung sind die Effekte dieser Veranstaltungen, wie deren Machart und Wirkungsweise, wie auch die Kulturgeschichte der Repräsentation fremder Kulturen in diesen Darstellungsformen. Sie stellen außerdem eine typische Erscheinungsform der Entwicklung von Städten im Zuge der Globalisierung dar (S.222).
Als Basis für Festivals dienen die Annahmen, dass etwa Einwanderer durch kulturelle Andersartigkeit geprägt seien, z.B. durch ihren ethnisch-nationalkulturellen oder religiösen Hintergrund. Der Status oder die sozio-ökonomische Ungleichheit werden hierbei eher vernachlässigt (S.224). Des Weiteren dienen sie dazu, die kulturelle Repräsentanz der Migranten -vor dem Hintergrund eines kulturellen Relativismus- zu stärken, während die mitgebrachten Traditionen als Bereicherung für das kulturelle Leben der Aufnahmegesellschaft verstanden werden (S.225). Umstritten bleibt jedoch die Frage, ob die sozio-ökonomische Ungleichheit damit bewusst determiniert werden soll, als auch, ob derartige Veranstaltungen als Maßnahme des Konfliktmanagements dienen sollen (S.225).
Die kulturelle Vielfalt, die durch Festivals vermittelt wird, wird als exotische Fremdheit empfunden und stellt somit ein Faszinosum dar. Die expressiven Kulturformen werden daher geradezu als Kunst inszeniert, indem diese Kunst als „völkerverbindend“ präsentiert wird (S.225). Festivals dieser Art können daher als Verstehungsprozess diverser Kulturen angesehen werden, als Maßnahme zur Förderung der gemeinsamen Annäherung und eines Bewusstseins für Pluralismus und Gleichheit (S.225). Es stellt sich dabei jedoch u.a. die Frage, in wie weit hier eine Verdinglichung der jeweiligen Kulturen stattfindet (S.227) und ob es sich bei Festivals wirklich um eine Plattform zur politischen Artikulation der Einwanderer, oder um eher kulinarischen Multikulturalismus handelt, also der Unterhaltung der Aufnahmegesellschaft dient. Sie können auch als Versuch angesehen werden, kulturelle Vielfalt als politisch korrekte Weltsicht zu vermitteln (S.226).
Multikulturelle Festivals sind durch spezifische Kriterien gekennzeichnet, die die Organisatoren auswählen, um die Idee kultureller Vielfalt zu vermitteln, wie durch expressive Kriterien, z.B. Musik und Tanzdarbietungen, die eine Fernwirkung erzielen sollen, in dem sie in zeitlich abgegrenzten Einheiten präsentiert werden, durch das Erreichen einer eindeutigen Verknüpfbarkeit von Gruppen mit für diese Kultur vermeintlich typischen Elementen, sowie die Aufteilung der Gruppen in gleiche Größe und Beschaffenheit, wodurch der Eindruck von Pluralität gleichwertiger Teile vermittelt werden soll. Dieses Konzept vermittelt den Eindruck „statischer, geschlossener, homogener, eindeutig bezeichenbarer Gruppen“. Es stellt sich hierbei jedoch die Frage, in wieweit Kulturen auf diese Weise als austauschbar und beliebig dargestellt werden. Das Festival nimmt gewissermaßen einen Standpunkt jenseits der Kulturen und über den Menschen ein, die es repräsentiert (S.228).
Die Verfügbarmachung und der Konsum fremder Kulturen ist heute als fester Bestandteil der urbanen Kulturpolitik nicht mehr wegzudenken, die Stadt zeigt sich demnach als festi- valisierter Raum, in dem kulturelle Vielfalt erfassbar ist (S.229). Auch in Stadtteilen, die einer Gentrifizierung unterliegen, können Festivals und Paraden von kulturpolitischer Bedeutung sein, indem sie helfen, die ehemals vernachlässigten Stadtviertel, die nun saniert und renoviert wurden, aufzuwerten (S.230). Die Festivals können auf diese Weise einen Stadtteil aufschließen und Konflikte innerhalb der dort ansässigen Bevölkerung entschärfen, indem sie den eher vernachlässigten Gruppen neue Aufmerksamkeit zukommen lassen (S.231).
Multikulturelle Festivals können also als Mittel der Kulturinszenierung begriffen werden, wobei Inszenierung in diesem Fall keine Verfälschung bedeuten muss. Das Handeln der Beteiligten und die Bedeutung, die ihre Mitgestaltung an derartigen Veranstaltungen für sie hat, sollte dabei berücksichtigt werden. Eine „Selbstethnisierung“ ist dabei nicht auszuschließen. Diese möglichen Motive und Handlungsspielräume der Beteiligten stellen bislang noch ein zu wenig beachtetes Forschungsfeld dar (S.232).
Quelle: Welz, Gisela (2007): Inszenierungen der Multikulturalität: Paraden und Festivals als Forschungsgegenstände. In: Schmidt-Lauber, Brigitta (Hg.): Ethnizität und Migration. Einführung in Wissenschaft und Arbeitsfelder. Berlin. S. 221-233.
2.4 Es geht nicht um einen Dialog. Integrationsgipfel, Islamkonferenz und Anti-Islamismus. Werner Schiffauer und Manuela Boiadziiev im Gespräch
Das Kapitel aus dem Buch „No integration“ von Sabine Hess, Jana Binder und Johannes Moser, stellt ein Gespräch zwischen dem Islamwissenschaftler Werner Schiffauer und der Rassismustheoretikerin Manuela Bojadzijev im Rahmen der Reihe „No integration?“ an den Münchner Kammerspielen dar. Zentrale Themen sind dabei der „Nationale Integrationsgipfel“, die „Deutsche Islam Konferenz“ und deren gesellschaftliche Wirkungen. Nach einer politischen Einschätzung dieser Institutionen werden von den Experten Fragen der Integration, die Frage, ob tatsächlich eine Zunahme des politischen Islamismus unter Mi- granten festzustellen ist, sowie die Frage nach der Rolle, die feministische Argumentationen und die Einwanderergesetze in diesem Zusammenhang spielen, diskutiert (S.171).
Bei der Islamkonferenz handelt es sich lediglich um einen scheinbaren Versuch, in einen Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen zu treten. Das tatsächliche Ziel der Regierung, das hinter der Konferenz steckt, ist, die Migranten, bzw. den Islam „auf eine spezifische Weise in die deutsche Gesellschaft zu integrieren“, sie an die Leitkultur heranzuführen, also den Normen und politischen Interessen der Aufnahmegesellschaft anzupassen, während die Interessen der Muslime dabei vernachlässigt werden (S.172). Diesem „Integrationsimperativ“ liegt das Ideal zu Grunde, einen gemeinsamen Wertekonsens zu teilen, dem sich muslimische Migranten demnach anzupassen haben, um Teil der Gesellschaft sein zu können. Werner Schiffauer schlägt vor, dieses zweifelhafte Ideal durch eine Vernetzung aller gesellschaftlichen Akteure zu ersetzen, da gerade ein Wertekonsens zu Konflikten führen kann. Innerhalb eines Netzes hingegen gäbe es Interessensschnittstellen, die den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft sichern könnten, ohne von jedem geteilt werden zu müssen. Dieses Modell ist jedoch insofern kritisch zu hinterfragen, da es die Gleichberechtigung aller Akteure voraussetzt, und dethematisiert, dass diese in der realen Hierarchie nicht gegeben ist (S.174). Diese Vernachlässigung der tatsächlichen Hierarchien spiegelt sich auch in der Entscheidung wieder, die Form des „Nationalen Integrationsgipfels“ zu wählen, da die Form des Gipfels hier Integration vermittelt, während sie Ausschluss praktiziert und reproduziert (S.173). Es sollte insgesamt eher um die Verteidigung von Konflikten gehen, da ein Konsens schließlich immer auf Hierarchien basiert (S.175).
Das Ziel des Programms „No integration“ ist, die staatliche Politik der Integration zurückzuweisen, die lediglich die Pflichten der Migranten aufzeigt und die Integration des Individuums an die Leitkultur fordert, ohne dessen Individualität und insbesondere dessen bereits erbrachten Integrationsleistungen zu berücksichtigen. Diese sollten vielmehr anerkannt und eine Einmischung Außenstehender in die Debatte um einen wahr oder falsch verstandenen Islam vermieden werden, um den Widerstand und die Zuspitzung der Konflikte zu vermeiden, anstatt sie durch Debatten zu fördern (S.176). Es lässt sich außerdem bei der Idee des säkularen Staates ein Widerspruch von Öffentlichkeit und Privatheit bei den Debatten feststellen, da die religiösen Aspekte des migrantischen Lebens in den Debatten überschätzt werden. Die praktizierte Religion ist schließlich der privaten Sphäre zuzuordnen, nicht aber zentral für die öffentliche Debatte (S.177).
Dass Zuschreibungen von Außen enormen Einfluss auf die „Islamisierung“ von Jugendlichen spielen, macht deutlich, welche Gefahr ein gesellschaftlicher Diskurs darstellen kann, etwa wenn er dem Islam verallgemeinernd eine Schuld z.B. für die Jugendkriminalität zuspricht. Das große Interesse an dieser Thematik führt eher zu einer Hin-, als zu einer Abwendung (S.178). Es stellt sich daher die Frage, wie man die Ausbildung eines europäischen Rassismus verhindern kann, bei dem Anti-Islamismus eine zentrale Rolle spielt (S.180). Bezüglich derartiger rassistischer Zuschreibungen müssen auch die Zusammenhänge zwischen Feminismus und Migrationspolitik hinterfragt werden. Es sollte dabei nicht allein um die Bekämpfung sexistischer und patriarchaler Rollenmuster gehen, sondern insbesondere um die Klärung, welche Bedingungen zur Stärkung und Selbstbestimmung der betroffenen Frauen notwendig wären, es geht also nicht nur um die Forderung nach Schutz (S.182). Es lässt sich, obgleich in den Debatten um familiäre Gewalt bislang keine klärende Antwort gefunden werden konnte, beobachten, dass in den Medien generell jene Meinung vertreten wird, die von Einzelfällen aus einer Minderheitenposition, da diese auf große Resonanz beim Publikum stößt und dieses sich darin bestätigt sieht, dass das, was es immer schon gedacht hat, tatsächlich zutrifft, es also Recht haben müsse (S.183). Es muss hinterfragt werden, ob die Debatte um die Zwangsheirat letzten Endes nicht auch politische Interessen widerspiegelt und demnach weniger mit Feminismus zu tun hat, als vielmehr mit der Restriktion der Familienzusammenführung in der Migrationspolitik (S.184).
Für eine Migrationspolitik, die ganz ohne Rassismus auskommt, ist es notwendig, dass diese Politik möglichst auf Unterscheidungen nach Nationalitäten verzichtet. Sie sollte überdies das bereits in den Einwanderergemeinden bestehende Potential fördern und eine Begeisterung für das Land wecken, was Begeisterung für eine Gesellschaft meint, „die Freiheiten und Rechte garantiert“. Insbesondere muss endlich von der Angst vor dem „Missbrauch der Freiheit“ durch Menschen mit Migrationshintergrund abgelassen werden, man sollte vielmehr darauf vertrauen, dass auch die Einwanderer stolz darauf wären, Teil einer freiheitlichen Gesellschaft zu sein, was auch das Ende des Toleranzdiskurses einschließt, da es sich dabei lediglich um einen Diskurs handelt, „der eigentlich sagt, die anderen sollen sich anpassenu (S.184) Es muss nicht um einen Diskurs der Toleranz, sondern des Respekts gegenüber den Anderen „auf gleicher Augenhöhe“ gehen. Es sollte demnach darauf hingearbeitet werden, Hierarchien abzubauen und eine Migrationspolitik, die frei von Rassismus ist, zu erreichen, so dass daher die grundsätzliche Ambivalenz der Gesellschaft abgebaut werden muss, die zunächst Arbeitskräfte anwirbt, um sie schließlich wieder zu kanalisieren und zu verhindern (S.185).
Quelle: Schiffauer, Werner/Bojadzijev, Manuela (2007): Es geht nicht um einen Dialog. Integrationsgipfel
Islamkonferenz und Anti-Islamismus. In: Hess, Sabine/Binder, Jana/Moser, Johannes (Hg.): No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa. S.171-185.
3. Schlusswort
Nach der Lektüre der behandelten Texte dürfte dem Leser deutlich geworden sein, dass bestimmte Motive unter Rhetoriken zu dem Thema Migration ständig re-produziert werden. Dies kann für politische Reden, Kampagnen, Berichterstattungen, Ausstellungen, ebenso wie für die Wissenschaftspraxis gelten, wobei selbstbestimmte Bilderproduktionen der Migration meist gänzlich unberücksichtigt bleiben oder wiederum im Sinne der jeweiligen nationalen Perspektive transformiert.
Das Verhältnis von Migration und Nation sollte in der kritischen Migrationsforschung daher besonders im Mittelpunkt stehen und deren Bestimmung und Definitionen diskutiert werden. Auch im Rahmen von Universitäts-Seminaren, die sich mit Bildern und Debatten der Migration befassen, wie jenes, in dessen Rahmen dieser Aufsatz verfasst wurde, sollte deutlich gemacht werden, dass der Blick auf Migration und deren Akteure meist aus der Perspektive der jeweiligen Nation erfolgt und dass beispielsweise Sesshaftigkeit dabei als Normalität angesehen wird, während Migrationsbewegungen einen Ausnahmefall darstellen. Kultur dient hierbei als Mittel zur Differenzierung und Festlegung nach vermeintlich eindeutigen Eigenschaften mit weitreichenden Folgen hinsichtlich des Zuganges zu gesellschaftlich legitimierten Sphären und Handlungsmöglichkeiten.
Quelle:http://www.volkskunde.unimuenchen.de/studium_lehre/bachelor/lehrveranstaltungen1/aktuelles_vlz/w p5/index.html
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- Citation du texte
- Lisa Fink (Auteur), 2012, Die Repräsentation der Migration. Aspekte der kritischen Migrationsforschung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209099