Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das bedingungslose Grundeinkommen
3. Die Begründung der Gerechtigkeitsprinzipien
3.1 Der Urzustand
3.2 Die Gerechtigkeitsgrundsätze
3.3 Die lexikalische Ordnung der Gerechtigkeitsgrundsätze
3.4 Unterscheidungsprinzip
4. Die Verteilungsgerechtigkeit
4.1 Regierungsabteilungen
5. Rawls und das bedingungslose Grundeinkommen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) findet zunehmend mehr Gehör in der breiten Öffentlichkeit (vgl. Straubhaar 2008: 6f.). Grund dafür seien die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch eine veränderte Wirtschaftsweise, die den Sozialstaat in eine Krise gestürzt habe. Durch den Wandel von einer Selbstversorgungs- zu einer Fremdversorgungsgesellschaft haben die Fortschritte in der Arbeitsteilung, in der Standardisierung und der Automatisierung von Arbeitsabläufen zu einer höheren Produktivität und zu einer Erleichterung des Arbeitsprozesses geführt. Diese Entwick- lung bedeutet aber gleichzeitig eine zunehmende und voraussichtlich auch langfristige Arbeitslosigkeit, da menschliche Produktivkräfte immer weiter durch maschinelle er- setzt werden (Werner 2007: 3ff.). Als eine weitere Folge der veränderten Wirtschafts- weise kann der Anstieg der Einkommens- und Vermögensungleichheiten betrachtet werden. Während die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher immer mehr ver- dienen, können die unteren zehn Prozent von ihrem Einkommen nicht einmal mehr ih- ren Lebensunterhalt decken (Liebig/ May 2009: 3). Für die Fürsprecher des BGE bedeu- tet diese Entwicklung eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit, die in der Ungerech- tigkeit des Steuersystem, der Bildungschancen, der Möglichkeiten der gesellschaftli- chen Partizipation etc. zu erkennen sei (vgl. Vanderborght/Van Parijs 2005: 64). Der So- zialstaat könne daher der neuen Herausforderung durch die veränderten gesellschaftli- chen Rahmenbedingungen nur begegnen, wenn er neu strukturiert werden würde. Eine Idee dafür wäre die Einführung des BGE, welches jedem bedingungslos ein Einkom- men garantiert und dadurch die soziale Ungerechtigkeit minderte (Liebermann 2007: 71f.).
Wenn das BGE die soziale Ungerechtigkeit mindern würde, impliziert das, dass es sozi- ale Gerechtigkeit schaffte und somit nicht nur eine gerechtfertigte, sondern auch eine gerechte Idee wäre? Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) ist da anderer Auffassung, er meint: „Das „arbeitslose“ Grundeinkommen, welches Bürger- geld genannt wird, verstößt gegen alles, was wir über Gerechtigkeit und Solidarität gelernt haben... Pauschalen verletzen das Gerechtigkeitsgefühl.“ (Blüm 2007 )
Der Begriff Gerechtigkeit ist ein abstraktes Prinzip, welchem keine einheitliche Defini- tion zugrunde liegt. Es ist daher nicht pauschal zu beantworten, ob das BGE eine ge- rechte oder ungerechte Idee darstellt. Bereits Platon machte deutlich, dass Gerechtigkeit eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Zusammenleben einnimmt und bei der Frage nach der sozialen Ordnung nicht übergangen werde dürfe (Gosepath 2004: 31, Höffe 2006: 169). Wie Platon schon setzte sich auch John Rawls in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ mit der Bedeutung dieses Begriffs auseinander. Er definierte die Gerechtigkeit als „die erste Tugend sozialer Institutionen“ (Rawls 1979: 19) und stellt damit die soziale Gerechtigkeit der gesellschaftlichen Grundstruktur in den Mittelpunkt (vgl. Rawls 1979: 26f.). Die Grundstruktur der Gesellschaft bezieht er auf die rechtlichen In- stitutionen, wirtschaftlichen Voraussetzungen und die sozialen Gegebenheiten, die die Lebensumstände der Menschen einer Gesellschaft bestimmen und prägen und dadurch die Verteilung der Grundgüter1 unter ihnen regelt (vgl. Koller 2006: 45).
Das Anliegen dieser Arbeit ist es nicht herauszufinden, ob die Einführung des BGE die soziale Ungerechtigkeit vermindern würde, noch sollen hier einzelne Modelle des BGE diskutiert und verglichen werden. Ziel dieser Arbeit ist es vielmehr anhand von Rawls „Theorie der Gerechtigkeit" darzustellen, ob es gerecht wäre, Menschen ein Einkommen einzugestehen, ohne dass sie erwerbstätig sind oder anderen Auflagen unterliegen. Die Frage, welcher diese Arbeit nachgeht, ist daher: Entspricht die Idee des BGE Rawls Vorstellung einer gerechten Verteilung?
2. Das bedingungslose Grundeinkommen
Das BGE bezeichnet ein Einkommen, welches vom Staat an alle seine Bürger ausge- zahlt wird, ohne dass diese dafür einer Auflage unterliegen oder Gegenleistung erbrin- gen müssen. In den meisten Fällen werden soziale Transferleistungen heute monetär ausgezahlt und nicht mehr in Form von lebensnotwendigen Gütern wie Nahrungsmittel oder Kleidung. Eine andere Alternative wäre die Verteilung von Gutscheinen, allerdings stellen diese eine Art Beschränkung dar, da der Empfänger selbst nicht entscheiden kann, wie er diese Leistung nutzen möchte. (vgl. Vanderbroght/Van Parijs 2005: 37f.)
Das BGE bedeutet weiter einen Leistungstransfer, der in regelmäßigen Abständen durch den allgemeinen Haushalt ausgezählt wird, jedoch muss die Höhe des Betrages nicht zwangsläufig ausreichen, um das Existenzminimum abzudecken. Vanderbroght und Van Parijs weisen darauf hin, dass nicht unbedingt die Höhe des BGE entscheidend für eine positive Veränderung sei, sondern vielmehr die Begleitmaßnahmen, wie z.B. eine Ver- änderung des Steuer- und Versicherungssystem (Vanderbroght/Van Parijs 2005: 40f).
„Bedingungslos“ bedeutet bezogen auf das BGE, dass der Empfänger nicht mehr ge- zwungen ist sich dem Arbeitsmarkt jederzeit zur Verfügung zu stellen oder bestimmte Anträge für den Erhalt der Leistung stellen muss, wie es in Deutschland im Fall von Hartz IV (der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (Hilfe zum Le- bensunterhalt) zum Arbeitslosengeld II) ist. Einige Modelle gehen aber von einer Ver- pflichtung zur gesellschaftlichen Beteiligung aus, wie z.B. gemeinnützige Tätigkeiten (Vanderbroght/Van Parijs 2005: 60). „Bedingungslos“ bedeutet weiter, dass das BGE nicht nur an Bedürftige ausgezahlt wird, sondern jedem Mitglied einer politischen Ge- meinschaft zusteht (vgl. Iclerk 2007: 27).
3. Die Begründung der Gerechtigkeitsprinzipien
Rawls Theorie basiert auf der klassischen Vertragslehre, die er zu „verallgemeinern und auf eine höhere Abstraktionsstufe zu heben“ versucht (vgl. Rawls 1979: 12). Sein An- liegen ist die soziale Gerechtigkeit, die er in der „... Grundstruktur der Gesellschaft, ge- nauer, wie wir die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen, Grundrechte und -pflich- ten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen“ verankert sieht (Rawls 1979: 23). Dabei folgt er der Frage „Welche Prinzipien würden freie und ratio- nale, nur an ihrem eigenen Interesse ausgerichtete Personen wählen, wenn sie in einem ursprünglichen Zustand der Gleichheit zusammenkommen, ihre Gesellschaftsform defi- nieren und sich für die Grundregeln entscheiden sollen, an die alle weiteren Vereinba- rungen gebunden sind?“ (Höffe 1977: 14f.) Diese Grundregeln würden das Konstrukt einer Verfassung darstellen und richtungsweisend für die Bildung und Kritik der gesellschaftlichen Institutionen sein (vgl. Rawls 1979: 30). Diesen Ausgangspunkt des ursprünglichen Zustandes bezeichnet Rawls als Urzustand.
3.1 Der Urzustand
Der Urzustand, an den Rawls den Naturzustand des Gesellschaftsvertrages anlehnt, be- zeichnet einen theoretischen Zustand, in dem sich vernünftige Menschen, die keine auf- einander gerichteten Interessen haben, befinden, um die Grundregeln ihres gesellschaft- lichen Zusammenlebens zu bestimmen. In diesem Zustand sind sie nicht in der Lage festzustellen, welchem sozialen und gesellschaftlichen Status sie angehören. Dadurch können „Die Grundsätze der Gerechtigkeit ... hinter einem Schleier des Nichtwissens festgelegt“ (Rawls 1979: 29) werden, die Rawls mit „Gerechtigkeit als Fairness“ be- zeichnet, da niemand mehr in der Lage sei Grundsätze zu definieren, die ihn selbst be- vorteilen und diese somit unparteilich wären (vgl. Rawls 1979: 28f.). Bei der Wahl der Grundsätze sollen sich die Beteiligten alleine von ihren Eigeninteressen leiten lassen, welche auf die Grundgüter gerichtet sind. Rawls geht davon aus, dass sich trotz Plura- lismus und Subjektivität die Menschen darüber einig seien, dass sie für ein gemein- schaftliches Leben über Grundgüter wie Grund- und Partizipationsrechte, Chancen, Einkommen und Vermögen verfügen müssten (vgl. Romanus 2008: 68f., Maus 2006: 75f.) Nach Auffassung von Rawls würden diese Voraussetzungen dazu führen, dass sich die Menschen auf zwei Gerechtigkeitsgrundsätze einigen, die ihnen ein Maximum an Grundgütern garantieren würden (vgl. Rawls 1979: 114f.).
3.2. Die Gerechtigkeitsgrundsätze
Nach Rawl entscheiden sich die Menschen im Urzustand für Gerechtigkeitsgrundsätze, die die Verteilung der Grundgüter auf sozial gerechte Weise am ehesten garantieren können. Diese würden sich aus einer allgemeingültigen Vorstellung der Gerechtigkeit ableiten lassen, nach denen „alle sozialen WerteFreiheit, Chancen, Einkommen, Ver- mögen und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung gleichermaßen zu verteilen sind, soweit nicht eine ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht.“ (Rawls 1979: 83). Unter diesen Bedingungen würden sich die Menschen auf zwei Grundsätze einigen, die die Rechte und Pflichten der Gesellschaftsmitglieder sowie die Verteilung der Grundgüter unter ihnen bestimmen:
[...]
1 Als Grundgüter der Gesellschaft bezeichnet Rawls Güter, nach denen jeder vernünftige Mensch strebt, unabhängig davon, wie sein Lebensplan aussieht und die ihm, vorausgesetzt er besitzt genügend, mehr Erfolg versprechen. Zentrale Güter seien Rechte, Freiheiten, Chancen, Vermögen, Einkommen und später auch Selbstachtung. Grundgüter wie Gesundheit, Intelligenz gehören nicht zu den gesellschaftlichen Grundgütern, da sie nicht direkt von der Grundstruktur beeinflusst werden (vgl. Frühbauer 2007: 84, Rawls 1979: 112).