Functional Food. Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels in Deutschland


Dossier / Travail, 2011

39 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Functional Food
2.1 Definition
2.2 Entwicklung und rechtliche Grundlagen in Deutschland
2.3 Zielfunktionen und Inhaltsstoffe

3. Gesellschaftlicher Wandel und funktionelle Lebensmittel
3.1 Industrialisierung, technischer Fortschritt und Lebensmittelindustrie
3.2 Arbeitswelt im Wandel
3.3 Demografischer Wandel und Functional Food
3.4 Gesellschaft, Körper und Ernährung

4. Funktionelle Produkte, ihre Werbung und Einordnung der Bedeutung für die Gesellschaft

5. Bewertung von Functional Food
5.1 Für die Gesundheit
5.1.1 Probiotika
5.1.2 Prebiotika
5.1.3 Fettsäuren
5.1.4 Vitamine
5.2 Für die Gesundheitsförderung

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Ernährung ist nichtmehr das, was es früher einmal war. Sie ist nichtmehr nur Methode, um den Körper mit lebenswichtigen Nährstoffen zu erhalten, sondern geht über die schlichte Bedeutung des Wortes an sich hinaus. Ernährungsweisen und Nahrungsangebot stehen stets in Zusammenhang mit der Gesellschaft, deren Bedürfnissen und Zielen.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Bereich der Ernährung, der erst in den letzten Jahren in Deutschland bekannt wurde. Es geht um Functional Food. Funktionelle Lebensmittel, die der Gesundheit zuträglich sein sollen, Produkte, die den Körper heilen und den Geist glücklich machen können. Dabei ist für diese Arbeit natürlich zum Einen von Interesse, was Functional Food sein soll, woher es stammt und welche Produkte dazu gehören. Doch nicht nur die bloße Beschreibung und Aufzählung, sondern die Bedeutung von diesen Lebensmitteln für die Gesellschaft sowie die Bedingungen der Gesellschaft, die eine solche Entwicklung der Nahrungsproduktion zulassen sind für diese Arbeit bedeutend. Beim Gang durch deutsche Lebensmittelmärkte stellt sich mir nämlich immer wieder die Frage, wer denn eigentlich Produkte wie „Yakult“ oder „Aktivia“ kauft, ob die versprochenen gesundheitlichen Nutzen Tatsache oder nur Verkaufstricks der Lebensmittelhersteller sind und wie sich Produkte, die Gesundheit versprechen, überhaupt auf unseren Markt bringen und halten konnten. Warum entstehen solche Produkte gerade bei uns? Weshalb sind besonders „Fitness“ und „Gesundheit“ anscheinend so wichtig geworden in unserer Ernährungswelt?

Um diese Frage beantworten zu können, stelle ich zunächst Functional Food als Begriff vor, eine kurze Einführung in das Thema soll Aufschluss über Definition, rechtliche Situation und Produktzielsetzungen geben. Da der Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Ernährung geklärt werden soll und vor allem der Vergleich zu früheren gesellschaftlichen Formen, stellt Kapitel 3 den Wandel der Gesellschaft in Deutschland dar, bezogen auf die mir am wichtigsten erschienenen Einflussfaktoren für funktionelle Lebensmittel, und zwar den technischen Fortschritt, die Industrialisierung und deren Einfluss auf die Lebensmittelproduktion, dann die Arbeitswelt, die sich durch ihren Wandel auch auf die Ernährungsweisen auswirkt, den demografischen Wandel, der für Deutschland von immer größerer Bedeutung wird und auf die Gesellschaftsstruktur einwirkt und schließlich die Bedeutung des Körpers für die Menschen, da Körper und Nahrung eine untrennbare Einheit bilden und dargestellt werden muss, in wie weit das eine vom anderen bedingt wird.

Ist geklärt, wie sich der gesellschaftliche Wandel ausdrückt, gehe ich auf einzelne Produkte ein, die ich in einem Supermarkt gefunden habe, ordne sie in den Kontext und werde versuchen, Erklärungen und Sinnstrukturen zu finden, die mit der Gesellschaft zusammenhängen.

Mit Kapitel 5 folgt eine kurze Bewertung, soweit möglich, über die Produktwirkungen und darüber, wie funktionelle Lebensmittel für die Gesundheitsförderung einzuordnen sind.

Das Fazit und der Ausblick sollen am Ende der Arbeit nochmal kompakt zusammenfassen und die Frage nach dem Zusammenhang des gesellschaftlichen Wandels und der funktionellen Lebensmittel klären.

Das Thema ist für die Gesundheitsförderung von großer Bedeutung, nicht nur wegen der möglichen Einflussmaßnahmen auf das Individuum mit den Lebensmitteln selbst, sondern aufgrund des Verständnisses, dass Gesellschaft und Ernährung nicht zu trennen und damit als Ganzes zu sehen und auch zu fördern sind.

2. Functional Food

2.1 Definition

Zunächst einmal muss geklärt werden, wobei es sich bei dem Begriff Functional Food überhaupt handelt. Was genau ist damit gemeint? Welche Produkte können dazugezählt werden? Bei uns in Deutschland ist meist der Begriff der funktionellen Lebensmittel, englisch „Functional Food“ zu lesen. Aber manchmal werden auch Begriffe wie prescriptive foods, medical foods, nutracenticals, pharmafoods, healthy foods oder hypernutrious foods verwendet, wobei nicht immer von ein und derselben Sache die Rede ist (Menrad, Menrad & Beer-Borst, 2000, S. 13, und Spiekermann 2001, S. 3) . Eine allgemeine und international gültige Definition funktioneller Lebensmittel ist nämlich bis heute noch nicht entstanden. Lediglich im Ursprungsland Japan existiert seit dem Jahr 1991 eine gesetzliche Grundlage für diese spezielle Lebensmittelkategorie. Dort werden alle verarbeiteten Lebensmittel, die in Ergänzung zu den ernährungsphysiologischen Eigenschaften spezifische Körperfunktionen anregen, unter der Gruppe der „Food of Specific Health Use“, kurz FOSHU, zusammengefasst. Diese FOSHU-Produkte müssen „echte“ Lebensmittel sein, aus natürlich vorkommenden Zutaten bestehen und können beziehungsweise sollen Teil der täglichen Nahrung darstellen (ebd., S. 14). Zudem unterliegen sie einem staatlichen Zulassungsverfahren und müssen durch wissenschaftliche Studien ihre gesundheitsförderlichen Wirkungen nachweisen (Rechkemmer 2001, S. 43).

In den USA definiert das Institute of Medicine der National Academy of Science den Begriff etwas anders. Hier wird von Functional Food gesprochen, sobald ein oder mehrere Inhaltsstoffe eines Nahrungsmittels modifiziert sind, um deren Beitrag zu einer gesunden Ernährung zu verbessern (Menrad, Menrad & Beer-Borst, 2000, S. 14).

Im Gegensatz zur japanischen Definition können hierzu auch Produkte zählen, die nicht „natürlich“ sind, sondern synthetisch hergestellt und den Produkten zugesetzt wurden. In den USA wird sogar bei zusätzlich eingenommenen Produkten wie beispielsweise Vitamintabletten oft von Functional Food gesprochen (ebd. S. 16).

In Europa entwickelten verschiedene Wissenschaftler im Rahmen eines Projektes (Functional Food Science in Europe, kurz FUFOSE-Projekt), das von der Europäischen Kommission gefördert und vom International Life Science Institute (ILSI) in Brüssel koordiniert wurde, eine Arbeitsdefinition des Begriffes Functional Food. Demnach können Le­bensmittel als Functional Food ange­sehen werden, „wenn hinreichend bewiesen ist, dass sie eine oder mehrere Körperfunktionen so beeinflus­sen, dass davon positive Wirkungen auf den Gesundheitszu­stand und das Wohlbefinden und/oder auf die Verringerung des Erkrankungsrisikos ausgehen. Functional Food müssen Lebensmittel sein, [ ] die Wir­kungen müssen von solchen Mengen ausgeübt werden, die normalen Verzehrgewohnheiten entsprechen. Sie sind keine Pillen oder Kapseln, sondern Bestandteil einer normalen Ernährungsweise.“ (Übersetzung nach Spiekermann 2001, S. 5, Fußnote 12).

Zusätzlich zu dieser Arbeitsdefinition wurden fünf verschiedene Ansätze zur Herstellung funktioneller Lebensmittel festgehalten:

Die Entfernung eines Lebensmittelbestandteils (wie z.B. bei lactosefreien Produkten), die Erhöhung eines schon vorhandenen natürlichen Lebensmittelbestandteils auf Werte, die die erwünschten Wirkungen auslösen (wie z.B. Multivitamin-Getränke mit erhöhtem Vitamingehalt), das Zusätzen von nicht im Lebensmittel natürlich vorkommenden Stoffen, die Substitution eines unerwünschten Lebensmittelbestandteils durch einen ernährungsphysiologisch günstigeren (wie zB. Bei Fettaustausch-Produkten) sowie die Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Lebensmittelinhaltsstoffen mit günstigen gesund­heitlichen Wirkungen (zB. Probiotische Milchdrinks) (ebd. S. 5).

Obwohl sich die verschiedenen Definitionen in manchen Ländern sehr unterscheiden (vgl. vor allem USA und Japan), gibt es doch auch Übereinstimmungen. Bei allen Definitionen wird deutlich, dass es sich bei Functional Food um eine Mischung aus Lebensmittel und Pharmazeutika handelt, von beiden Kategorien aber abzugrenzen sind und dass über den reinen Nähr- und Genusswert hinaus eine Verbesserung des individuellen Gesundheitszustandes bzw. die Verringerung eines Krankheitsrisikos hervorgerufen werden soll (Menrad, Menrad & Beer-Borst, 2000, S. 13).

Es fällt auf, wie unklar der Begriff der funktionellen Lebensmittel eigentlich ist.

Besonders die verschiedenen ökonomischen und rechtlichen Bedingungen der einzelnen Nationen machen eine einheitliche Definition des Begriffs Functional Food so schwierig.

In einem Land wie Deutschland, wo eine strikte Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Nahrungsmitteln vorliegt, entstehen durch die zwei Seiten der Functional Food-Produkte zahlreiche Rechtsprobleme (Spiekermann 2001, S. 6). Hierzulande muss auch unbedingt auf Aussagen der Produktwerbungen geachtet werden, da Verbraucherschutz in Deutschland großgeschrieben wird.

Eine allgemein und international gültige, klare Definition für diese neue Lebensmittelkategorie scheint mehr als notwendig, um damit vernünftig arbeiten und darüber forschen zu können, allerdings bietet die aktuelle Unklarheit darüber für die Herstellung und Vermarktung mehr Raum als eine klare juristische Definition, was möglicherweise auch ein Grund dafür ist, dass eine allgemeingültige Definition bis jetzt noch nicht entwickelt wurde.

Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich mich bei dem Begriff Functional Food auf die Arbeitsdefinition des FUFOSE-Projektes beziehen, da diese in Europa entwickelt und benutzt wurde und mir persönlich als am sinnvollsten erscheint, wobei eine Wertung der Definitionen an sich nicht möglich ist.

2.2 Entwicklung und rechtliche Grundlagen in Deutschland

Wie schon in Kapitel 2.1 erwähnt, hat das Functional Food seine Wurzeln in Japan, wo in den 1980er Jahren das FOSHU-Konzept erarbeitet und 1991 in einer Definition festgehalten wurde. Laut der Niederschrift der schweizer Studie „Technology Assessment – Functional Food“ kann man annehmen, dass das ohnehin große Vertrauen in natürliche Heilmittel und der Glaube an eine positive Wirkung der Nahrung auf die Gesundheit in den asiatischen Kulturen der ausschlaggebende Anreiz für eine Entwicklung und auch Definition gesundheitsförderlicher Produkte war.

Dieses Konzept gelangte Anfang der 1990er Jahre in die USA, wo es auf großes Interesse stieß, allerdings basierend auf dem Bestehen einer Fitnesswelle, auf der die USA zu dieser Zeit schwamm (Menrad, Menrad & Beer-Borst, 2000, S. 16). Dort ergriff die Lebensmittelindustrie schnell die Chance und produzierte eine Vielzahl von neuen funktionellen Lebensmitteln, das FOSHU-Konzept ausweitend auf synthetisch hergestellte Zusatzstoffe und auch Reduktionen, wie sie beispielsweise bei fettreduzierten Diätprodukten angewandt werden (Spiekermann 2001, S. 5).

Zur gleichen Zeit der Entwicklung in den USA gelangte der Gedanke von funktionellen Lebensmitteln mit gesundheitlichem Zusatznutzen auch nach Europa, wo sich, wie zuvor schon erwähnt, das Wissenschaftlerteam des FUFOSE-Projektes auf die Arbeitsdefinition einigte und die 5 verschiedenen Herstellungsmethoden für Functional Food identifizierte. Durch die Angebotsentwicklung solcher funktioneller Lebensmittel und den schnellen Wachstum dieser Wirtschaftsbranche ergaben sich in Deutschland allerdings schnell Probleme, da bis heute aufgrund des Fehlens einer klaren Definition dieser Produkte auch eine klare rechtliche Regelung fehlt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man unbeschränkt jedes Lebensmittel als Functional Food auf den Markt bringen und bewerben kann. Wie alle Lebensmittel unterliegen laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung auch die funktionellen Lebensmittel den Regelungen der Lebensmittelkennzeichnung und des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) und seit 1997 der Novel-Food-Verordnung, die ein Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel vorschreibt. Eine Zulassung kann ein neues Produkt nur dann erhalten, wenn die Untersuchung eindeutig die gesundheitliche Unbedenklichkeit belegt (nach Methfessel 2011). Im Zusammenhang mit Substitutionen von Inhaltsstoffen kann auch die Diät-Verordnung greifen.

Eine weitere für Functional Food und dessen Werbung sehr wichtige Regelung ist die so genannte "Health-Claims-Verordnung“, die seit dem 1. Juli 2007 in der gesamten Europäischen Union gilt und die gesundheitsrelevanten Aussagen (engl. Health claims) in der Werbung der Produkte überwacht (AOK).

2.3 Zielfunktionen und Inhaltsstoffe

Die Auswahl an Lebensmitteln, die eine Verbesserung der Gesundheit oder eine Vermeidung einer bestimmten Krankheit versprechen, ist groß. Im Großen und Ganzen kann man dabei immer wieder folgende Bereiche des Körpers und Kreislaufes finden, die durch das Functional Food beeinflusst werden sollen:

Physiologische Bereiche wie der Magen-Darm-Trakt, die Abwehr reaktiver Oxidantien, das Herz-Kreislauf-System, die Knochengesundheit, der Stoffwechsel von Makronährstoffen, das Wachstum, die Entwicklung und die Differenzierung, aber auch psychische Bereiche wie die Stimmung, das Verhalten und die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit ( Menrad, Menrad & Beer-Borst, 2000, S.21). Diese unterschiedlichen Wirkungen sollen durch bestimmte Bestandteile beziehungsweise durch Substitution, Veränderung oder Addition ebendieser hervorgerufen werden. Die Hauptgruppen dieser Stoffe sind:

Pro- und Präbiotika, Antioxidantien, Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, strukturierte Lipide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Fettersatz- und Austauschstoffe, bioaktive Lipide, Mineralstoffe und Vitamine (Menrad, Menrad & Beer-Borst, 2000, S. 33).

Im Laufe der weiteren Arbeit werde ich auf einzelne Zusatzstoffe oder deren Wirkungen näher eingehen, sobald dies zum Verständnis meiner Ausführungen nötig ist. Für detaillierte Definitionen, Wirkungen und Herstellungsverfahren empfehle ich die Studie des schweizerischen Wissenschafts- und Technologierats vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung, da ein solch genaues Eingehen auf die einzelnen Produkte für diese Arbeit von zweitrangiger Bedeutung ist.

3. Gesellschaftlicher Wandel und funktionelle Lebensmittel

Um der Frage auf den Grund gehen zu können, in wie weit Functional Food ein Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels, der Veränderung der Arbeits- und Lebenswelt in Deutschland ist, ist es nötig, zunächst einmal darzustellen, wie sich dieser Wandel ausdrückt.

Was hat sich verändert? Wie war unsere Gesellschaft früher und wie kann man sie heute beschreiben?

Konsumgesellschaft, Wohlstandsgesellschaft, Wegwerfgesellschaft, Industriegesellschaft, Erlebnisgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft- all diese Begriffe hört man ständig, wenn es darum geht, die soziale Gesellschaftsstruktur Deutschlands zu beschreiben. Zudem rückt der demografische Wandel immer mehr in den Mittelpunkt der Beschreibungen, denn laut der Bundeszentrale für politische Bildung soll der Anteil der über 60jährigen Menschen in Deutschland von 25,9% (im Jahr 2009) auf ganze 39,2% im Jahr 2060 steigen (bpb über Statistisches Bundesamt: Lange Reihen: Bevölkerung nach Altersgruppen, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung: Bevölkerung Deutschlands bis 2060).

Der wichtigste Grundrahmen für die Lebensmittelentwicklung ist die Wirtschaft und der technische Fortschritt, darum beginnt dieses Kapitel mit dem Thema der Industrialisierung. Bedingt durch den technischen Fortschritt hat sich auch die Arbeitswelt im Allgemeinen verändert, weshalb ich hierauf als zweites eingehen werde. Auch die demografische Veränderung Deutschlands greift immer mehr in die Gesellschaftstruktur ein und kann so die Wirtschaft und deren Warenangebot beeinflussen, weshalb dies ein weiteres Thema ist, das ich in diesem Kapitel kurz ansprechen möchte. Das Kapitel wird abgeschlossen von der Frage nach dem Wandel des Körperwertes unserer Gesellschaft, der einen wesentlichen Einflussfaktor auf die Ernährung und Lebensmittelproduktion darstellt.

3.1 Industrialisierung, technischer Fortschritt und Lebensmittelindustrie

Wie schon erwähnt lohnt es sich zunächst einen Blick auf die wirtschaftliche und technologische Entwicklung Deutschlands zu werfen, wobei die großen, strukturellen Entwicklungen stärker hervorgehoben werden sollen als einzelne, spezifische Erfindungen.

Durch die Industrialisierung in Deutschland, die Ende des 18. Jahrhunderts begann, veränderte sich das Leben der Bevölkerung grundlegend. Die Menschen zogen von den Höfen auf dem Land in die Städte (Urbanisierung), immer mehr Fabriken wurden gebaut und Arbeiter eingestellt. Die Arbeit in solchen Fabriken hatte großen Einfluss auf die Ernährung: Der Alltag wurde nunmehr von den Schichtarbeitszeiten bestimmt, die Zeit wurde aufgeteilt in Arbeit und Freizeit und das Essen musste schnell und sättigend sein. Nicht nur die Ernährungsgewohnheiten der Familien und Haushalte änderten sich. Da in den Städten das Anlegen eines eigenen Gartens nicht nur nahezu unmöglich aufgrund der Wohn- und Umweltverhältnisse war, sondern ebenso zu zeitaufwändig gewesen wäre, waren die Arbeiterfamilien fortan von den Lebensmittelmärkten abhängig, die sich in den Städten rasch verbreiteten; Lebensmittel wurden zu einem ausbaufähigen Markt für die Wirtschaft. Und deren Angebot stieg. Immer mehr Produkte, immer ausgefallenere Waren konnte man sich nun kaufen, immer unabhängiger von Erntezeiten und Schlachtterminen, die in der Agrargesellschaft noch das Nahrungsangebot bestimmten (vgl. Furtmayr-Schuh 1993, S. 34 –S. 36).

Eine weitere Entwicklung bestimmte ebendieses Warenangebot entscheidend: die Modernisierung und der technologische Fortschritt der (Lebensmittel-)Industrie und Produktion. Neue Arten der Energienutzung und –gewinnung wie zum Beispiel die Koksöfen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, neu erfundene Maschinen wie beispielsweise die Dampfmaschine von James Watt und die wachsenden Märkte in Deutschland ermöglichten eine schnellere, effektivere und vielseitigere Produktion, eben auch im Lebensmittelbereich (vgl. Geißler 2011, S. 23). Lebensmittel konnten in Massen produziert, durch Weiterentwicklung von Konservierungsmethoden länger haltbar gemacht und durch das expandierende Transportwesen dorthin gebracht werden, wo es diese früher nicht gab. Eine Entzeitlichung fand statt, Lebensmittel waren nichtmehr saisonal bestimmt zu ernten oder mussten nichtmehr gleich verspeist oder verarbeitet werden (Prahl, Setzwein 1999, S. 181).

Auch die Möglichkeit der Konservierung der Lebensmittel, die sich aufgrund des staatlichen Interesses an einer ausreichenden Ernährung und Versorgung der Soldaten im Krieg stark entwickelte, trieb die Weiterentwicklung der Lebensmittelmärke voran und brachte so letztendlich das sogenannte Convenience Food auf den Markt, das nach dem 2. Weltkrieg zu Zeiten des Wirtschaftsaufschwunges den Menschen mehr Bequemlichkeit und Zeitersparnis bringen sollte (vgl. ebd. S. 184). Als Convenience Food werden schon vorgefertigte Lebensmittel wie Tiefkühlgerichte, geputzter und geschnittener Salat in der Tüte oder abgepackte fertige Lasagne, aber auch Nudeln oder Mayonnaise bezeichnet, die hauptsächlich zur Zeit- und Aufwandeinsparung des Verbrauchers führen sollen (vgl. Prahl, Setzwein 1999 S. 185 und BZgA Gut Drauf- Magazin 2004 S. 4). Mit der Emanzipation und der steigenden Erwerbstätigkeit der Frauen der Bevölkerung und dem immer größer werdenden Angebot an technischen Haushaltsgeräten wie dem Gefrierschrank oder später der Mikrowelle, vergrößerte sich auch das Angebot an Convenience Food und tiefgefrorenen Fertiggerichten, die Zeit ersparen und individuelle Wünsche mehrerer Mitglieder eines Haushaltes berücksichtigen konnten.

Die immer größer werdende Warenlandschaft in den Lebensmittelmärkten und mittlerweile entstandenen Supermarktketten rief den Staat auf den Plan: er musste sich um den Verbraucherschutz und ausreichende Qualitätskontrollen kümmern. Dies führte zu einer Verrechtlichung der Lebensmittel durch Normen, Standards, Regeln und Gesetze, wie sie schon in Kapitel 2.2 vorgestellt wurden (vgl. Prahl, Setzwein 1999 S. 182).

Eine weitere Auswirkung der Industrialisierung und der damit einhergehenden Modernisierung war die Verwissenschaftlichung der Ernährung.

Akademische Institutionen, lebensmittelchemische Untersuchungsanstalten und professionalisierte Ausbildungen waren Ausdruck dafür, dass sich für das Thema Ernährung und Essenverhalten Experten bildeten und fortan bestimmten, was gesund und was krank machte, was „richtige“ oder „falsche“ Ernährung darstellt (Prahl, Setzwein 1999 S. 182). Der Experte für die tägliche Ernährungsweise war nun nichtmehr der Konsument, also das Individuum selbst, sondern die Wissenschaft und deren Vertreter, die jedem Individuum und der Gesamtbevölkerung, übrigens bis heute, Empfehlungen geben über das „richtige“ Essverhalten und die „richtigen“ Lebensmittel.

Diese Entwicklung kann man zweifelsohne als positiv betrachten, da eine Unmenge an neuen Erkenntnissen über unsere Nahrung und ihre Wirkungsweisen entdeckt wurden, aber man kann auch negative Einflüsse auf den Menschen feststellen, da eigene Kompetenzen und Körperbedürfnisse eher missachtet werden und der Mensch sich immer weniger als „Experten seines eigenen Körpers“ fühlt und sich immer mehr auf Aussagen und Empfehlungen anderer stützt.

Durch die technischen Fortschritte im Transportwesen und die Möglichkeiten der Globalisierung wird weiter eine Enträumlichung der Lebensmittel möglich. Lebensmittel sind heutzutage nichtmehr an den Ort der Ernte gebunden, in unseren Deutschen Märkten beispielsweise bekommt man Bananen aus Costa Rica, Ananas aus Brasilien und Kaffee aus Kolumbien, und das zu günstigen Preisen. Zu der Enträumlichung des Ernteortes kommt außerdem noch eine Verlagerung des Herstellungsortes: Tomaten beispielsweise wachen nichtmehr nur auf dem Feld, sondern in Gewächshäusern auf der ganzen Welt. Und weiter noch, Produkte wie „Becel pro-aktiv“ oder andere angereicherte funktionelle Lebensmittel entstehen in Laboratorien, in Fabriken, wo sie erst zu dem gemacht werden, was sie sein sollen: Functional Food.

[...]

Fin de l'extrait de 39 pages

Résumé des informations

Titre
Functional Food. Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels in Deutschland
Université
University of Education Heidelberg
Cours
Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung im gesellschaftlichen Wandel
Note
1,0
Auteur
Année
2011
Pages
39
N° de catalogue
V209550
ISBN (ebook)
9783656372639
ISBN (Livre)
9783656373483
Taille d'un fichier
708 KB
Langue
allemand
Mots clés
functional, food, ausdruck, wandels, deutschland, Gesundheitsförderung, funktionelle, Lebensmittel, Gesundheit
Citation du texte
Vanessa Gabrysch (Auteur), 2011, Functional Food. Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209550

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