Theoretische Ansätze und Entwicklungsphasen der Sozialgeographie


Trabajo Escrito, 2002

33 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entstehung der Sozialgeographie
2.1 Der Begriff Sozialgeographie
2.2 Wissenschaftliche Vorraussetzungen zur Entstehung der Sozialgeographie

3. Entwicklungslinien sozialgeographischen Denkens
3.1 Französische Entwicklungslinien
3.1.1 Aktuelle Debatten und Forschungseinrichtungen
3.2 Angelsächsische Entwicklungslinien
3.3 Holländische Entwicklungslinien
3.4 Skandinavische Entwicklungslinien
3.5 Deutsche Entwicklungslinien

4. Phasen der Sozialgeographie
4.1 Die deskriptiv-naturdeterministische Phase
4.1.1 Landschaftsgeographie
4.1.2 Länderkunde
4.2 Die funktionale Phase der Sozialgeographie
4.3 Entstehung der deutschen Sozialgeographie
4.3.1 Soziale Kräfte als Landschaftsgestaltung
4.3.2 Bobeks Gesellschaftsverständnis
4.3.3 Die Theorie des Rentenkapitalismus
4.3.4 Sozialgeographische Gruppen
4.3.5 Geographische Gesellschaftsordnung
4.4 Die funktionale Phase Sozialgeographie der Münchner Schule
4.4.1 Die Charta von Athen
4.4.2 Die Münchner Schule der Sozialgeographie
4.4.3 Soziale und räumliche Prozesse
4.4.4 Die einzelnen Teildisziplinen der Sozialgeographie der Münchner Schule
4.4.5 Grundlagenwissenschaft der Raumplanung
4.5 Die szientifisch-quantitative Sozialgeographie
4.6 Verhaltens- und wahrnehmungsorientierte Sozialgeographie
4.7 Handlungsorientierte Sozialgeographie

5. Fazit

6. Abbildungsverzeichnis

7. Tabellenverzeichnis

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Die Kernidee der Sozialgeographie liegt in der Analyse des Verhältnisses zwischen Raum und Gesellschaft. Die daraus resultierenden Leitfragen lauten:

1. Wie organisieren sich Gesellschaften im Raum?
2. Welche Rolle spielt der Raum für das gesellschaftliche Zusammenleben

(Werlen 2000, S.9)

Die Sozialgeographie ist an der Schnittstelle der klassischen Erkenntnisinteressen der Geographie („Raum“) und Soziologie („Gesellschaft“) angesiedelt. In der Sozialgeographie treffen diese beide Fragehorizonte aufeinander wodurch eine interdisziplinäre Verbindung der beiden prominenten Forschungstraditionen gegeben ist. Die Sozialgeographie richtet sein Augenmerk auf die menschliche Gestaltungskraft der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wobei der Mensch als „sozialer Akteur“ verstanden wird (Werlen 2000, S.11). Dabei wird versucht, die Lücke zwischen der „Raumversessenheit“ der Geographie und der „Raumvergessenheit“ der Soziologie zu schließen (Werlen 2000, S.12). Es ist aber anzumerken, das es nicht die „eine“ Sozialgeographie gibt, die als allgemeingültig gilt, sondern die wissenschaftliche Fragestellung ist immer in die alltagsweltliche Konstellation eingebettet, d.h. dass das wissenschaftliche Geschehen nicht unabhängig von den alltagsweltlichen Verhältnissen begriffen werden kann. Außerdem unterliegt die Sozialgeographie einem zeitlichen Wandel, weil die wissenschaftlichen Erkenntnisse die alltagsweltliche Wirklichkeit beeinflussen, und damit auch die wissenschaftlichen Disziplinen auf die alltagsweltlichen Zusammenhänge wieder abgestimmt werden müssen. Also stehen die Aspekte der „alltagsweltlichen Wirklichkeit“ und die „wissenschaftlichen Disziplinen“ in einem sich gegenseitig beeinflussenden Zusammenhang (Werlen 2000, S.14,15).

Ziel dieser Hausarbeit ist es die Entstehung der Sozialgeographie zu erklären. Sie hat in der disziplinhistorischen Geschichte mehrere Phasen durchlaufen, die auch noch bis heute Auswirkungen auf die Sichtweisen und Forschungsrichtungen haben. Dabei wird zunächst allgemein auf die Sozialgeographie, sowie ihre Entwicklung in den verschiedenen Sprachräumen eingegangen. Die disziplinhistorische Entwicklung und Theorieansätze bilden den Hauptteil dieser Hausarbeit.

2. Entstehung der Sozialgeographie2. Entstehung der Sozialgeographie

2.1 der Begriff „Sozialgeographie“:

Der Begriff wurde erstmals von Elisée Reclus (1830-1905) in seinem 19bändigen Monumentalwerk „Nouvelle géographie universelle: La terre et les hommes“ (zwischen 1875-1894) verwendet. Doch zum ersten Mal wurde der Begriff, in seiner heutigen Bedeutung, vom Soziologen Rousiers (1857-1934), bei der Besprechung des ersten Bandes von Reclus benutzt. Festzuhalten ist, dass der Begriff in den letzten zwanzig Jahren des 19Jh. im französischen Sprachraum geschaffen wurde. Sowohl Geographen als auch Soziologen waren an der Begriffsbildung beteiligt und nahmen ihn in ihren Forschungsdisziplinen auf. Daraus lässt sich sagen, dass die Sozialgeographie von Anfang an, an der Schnittstelle zwischen beiden Disziplinen und ihrer traditionellen Interessensfelder („gesellschaftliche Prozesse“ und „räumliche Verbreitungsmuster“) angesiedelt war (Werlen 2000, S.40).

2.2. Wissenschaftliche Vorraussetzungen zur Entstehung der Sozialgeographie

Der Begriff der Sozialgeographie entstand während der Frühphase der Industrialisierung Kontinentaleuropas. Er entstand im Prozess der Ablösung der traditionellen Gesellschaft durch die moderne Industriegesellschaft (Werlen 2000, S.50). Der Prozess der Ablösung war charakterisiert durch Veränderungen in der räumlichen und sozialen Konzentration sowie der Differenzierung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Die räumliche Konzentration war durch die Intensivierung der Verstädterung gekennzeichnet. Die soziale Konzentration bestand darin, dass industriell gefertigte Produkte, die handwerklich gefertigten Produkte ablösten und dadurch immer mehr Menschen gezwungen waren sich in den industriellen Fertigungsprozess zu integrieren. Außerdem wurden die Produktionsmittel von immer weniger Personen kontrolliert. Das führte zu einer Ausdifferenzierung von „sozialen Positionen“, welche das Ausmaß der sozialen Ungerechtigkeit durch die Industrialisierung verschärfte (Werlen 2000, S.44).

3. Entwicklungslinien sozialgeographischen Denkens3. Entwicklungslinien sozialgeographischen Denkens:

3.1 Französische Entwicklungslinien:

Elisée Reclus konnte sich mit seiner „géographie sociale“ nicht gegen die „géographie humaine“ von Paul Henri Vidal de la Blache (1845-1918) durchsetzen. Denn wegen seiner anarchistischen Überzeugung erhielt er keine Professur an einer Universität, wodurch eine Verankerung der Sozialgeographie im Kanon der geographischen Forschungseinrichtung geschwächt wurde (Werlen 2000, S.59,60). Vidal de la Blache, der als Begründer des „Possibilismus“ gilt, ging bei seinen Untersuchungen von der Frage aus, in welcher Form und mit welchen Mitteln Menschen ihre Umwelt umgestalten. Er richtete sein Augenmerk auf die Wahlmöglichkeiten sowie die Vielfalt menschlicher Lebensformen („genres de vie“) innerhalb vergleichbarer physischer Bedingungen. Die Anhänger des „Possibilismus“ wehrten sich gegen die Ansicht, dass menschliche Tätigkeiten von der Gesellschaft oder der Natur determiniert wären (Werlen 2000, S.60). Sie sahen die kulturelle Vielfalt als Ausdruck von lokal differenzierten Lösungen der menschlichen Existenzprobleme („comme solution locales du problem de l’existence“, Vidal de la Blache 1922, S.8). Doch die „Vidal-Schule“ blieb in der „Mensch-Natur-Debatte“ gefangen wodurch eine sozialgeographische Spezialisierung der Forschung innerhalb der Humangeographie behindert wurde (Werlen 2000, S.61). Doch sein Werk wurde zu einer der wichtigsten Grundlagen der sog. „Ecole des Annales“, dessen Vertreter den sozialen Wandel als Ausdruck eines Zusammenspiels von „Handeln“ und „Struktur“ sahen. Daneben gewann eine Weiterführung von Emile Durkheims Werk „morphologie sociale“ an Bedeutung. Er unterschied zwei Hauptbereiche der Gesellschaftsforschung. Zum einen der Bereich des „Handelns“ und zum zweiten der Bereich des „Kollektivs“. Beim zweiten Aspekt sollten vor allem die Zahl, die räumliche Ordnung der Bevölkerung und ihre Siedlungsform betrachtet werden. Doch ihre systematische Bedeutung und die empirische Bearbeitung wurden erst durch Marcel Mauss (1872-1950) und Maurice Halbwachs (1877-1945) realisiert. Marcel Mauss konzentrierte sich bei seinen Analysen auf die quantifizierbaren und kartographisch darstellbaren Merkmale der Bevölkerung. Maurice Halbwachs hingegen widmete sich den qualitativen Aspekten der Bevölkerung. Dadurch gilt er auch heute noch als einer der wegweisenden Pioniere bei der Erforschung von „nationalen und regionalen Identitäten“ (Werlen 2000, S. 65). Eine „géographie sociale“ wurde im engeren Sinne institutionell erst von Albert Demangeon (1947) etabliert. Er war ein Schüler von Vidal de la Blache und sah die Aufgabe der „géographie sociale“ nicht in der Analyse von Individuen, sondern von „Gruppen“ und ihrer Beziehungen zur natürlichen Umwelt („Nous devons partir pour nos recherches, non pas de l’individu, mais du groupe. La géographie humaine est l’étude des groupements humains dans leurs rapports avec le milieu géographique“, Demangeon 1947, S.28). Seine Fachkonzeption wurde im deutschen Sprachraum von Hans Bobek (1948) aufgegriffen.

Durch Pierre George und Maximilien Sorre wurde die Sozialgeographie im französischen Sprachraum zu einer wichtigen Forschungseinrichtung ausgebaut. George analysierte das „Gesellschafts-Raum-Verhältnis“ nach wirtschaftlichen Aspekten, denen er einen Vorrang einräumte. Sorre hingegen verstand die Gesellschaft als ein „System von Technik, Familien- und Verwandtschaftsordnung, Lebensform, Sprache und Religion“. Er deutete an, dass jeder Bestandteil des Systems „Gesellschaft“ von einer Subdisziplin zu erforschen wäre.

Paul Claval (1973) hatte Sorres Entwurf der Sozialgeographie zunächst konzeptionell weiterentwickelt und im Lichte der sozialwissenschaftliches Theorieentwicklung der 1970er Jahre reinterpretiert. Im Gegensatz zu Demangeon betrachtete er nicht mehr die „soziale Gruppe“ sondern die „soziale Rolle“ als zentrale Analyseeinheit für die Erforschung des „Gesellschaft-Raum-Verhältnisses“. Roger Brunet legte eine Studie der sowjetischen Arbeitslager an. Die „Géographie goulag“ (1981) verlieh der sozialgeographischen Forschung der 1980er Jahre wichtige Impulse. Brunet versuchte in seiner Analyse von räumlich beobachtbaren Manifestationen auf soziale Prozesse zu schließen. Er hat mit seinen zehn Doppelbänden „Géographie universelle“ (1990) die umfassendste sozialgeographische Darstellung der regionalen Lebensbedingungen des 20Jh. verfügbar gemacht (Werlen 2000, S.67).

3.1.1 Aktuelle Debatten und Forschungseinrichtungen:

Im Moment sind die Arbeiten von Antoine Baillys, Bernard Racine und Claude Raffstein von großer Bedeutung im französischen Sprachraum. Baillys widmet sich den Fragen der Raumwahrnehmung und der räumlichen Repräsentation. Racine konzentriert sich auf den Einfluss von Sprache und Religion auf das „Gesellschaft-RaumVerhältnis“, welches auf die Repräsentation und Konstitution „symbolischer Räume“ ausgerichtet ist. Raffstein entwickelte die Theorie der „Territorialität“ bei welcher die Bedeutung der Sprache, im Prozess der sozialen Aneignung des Raumes, besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird (Werlen 2000, S.68).

3.2 Angelsächsische Entwicklungslinien

In der angelsächsischen Welt wurde die sozialgeographische Betrachtungsweise erstmals durch den britischen Sozialphilosophen Sir Patrick Geddes (1854-1932) verbreitet. Durch Umformung in seinen Arbeiten machte er Le Plays Hauptwerk „Les Ouvriers Européens“ für die Stadtentwicklung „fruchtbar“. Nach G.W. Hoke bestand die Hauptaufgabe der Sozialgeographie darin, die regionalen Verbreitungen sozialer Phänomene darzustellen. Darunter verstand er Städte, Infrastrukturen und andere materielle Artefakte (Werlen 2000, S.70). Außerdem sollte der determinierende Einfluss der Natur auf die Kultur, in den verschiedenen Regionen der Erde nachgewiesen werden. Diese „Lehre von der räumlichen Verteilung sozialer Phänomene“ prägte das Fachverständnis bis in die 1960er Jahre hinein.

Robert Ezra Park (1864-1944) kombinierte in seiner Fachkonzeption den „ÖkologieBegriff“ des Jenaer Biologen Ernst Häckel, die „Pflanzensoziologie“ von Johannes E. Warming und die „Gesellschaftstheorie“ von Simmel. Diese Kombination diente ihm zur Analyse von Stadtentwicklungen und der dort beobachtbaren „Sozial- und Nutzungsmuster“. Anfang der 1970er Jahre formierte sich eine Kritik an der dominanten Anthropogeographie, die nun auf eine sozialgeographische Grundlage gestellt werden sollte. Der Begriff „humanistic geography“ wurde Synonym für Sozialgeographie.

Die „humanistic geography“ wurde durch Anne Buttimer geprägt. Ihre Idee war es, sich weniger mit der Darstellung von räumlichen Ordnungen mit Hilfe von statistischen Methoden zu befassen, oder nach räumlichen Erklärungen zu suchen, sondern man sollte sich mehr den Menschen und den Bedeutungen die sie den räumlichen Gegebenheiten beimessen beschäftigen. Dies sollte durch eine Art „insiderPerspektive“ realisiert werden. Neben der „humanistic geography“ gab es noch die Richtung der „radical geography“. Die Theorie der beiden Hauptvertreter, David Harvey und Richard Peets, baut unmittelbar auf die marxistische Gesellschaftstheorie auf. D.h. dass bei der räumlichen Darstellung die Machtkomponente stärker berücksichtigt werden sollte.

Edward Soja meint sogar, dass zusätzlich den symbolischen Aspekten der Machtrepräsentation Rechnung getragen werden müsse. Anfang der 1980er Jahre entwickelte sich die „critical human geography“ mit den Hauptvertretern Derek Gregory, Allan Pred und Nigel Thrift. Die „critical human geography“ bezieht sich zum großen Teil auf die Arbeiten des Soziologen Anthony Giddens, der mit seiner „Strukturationsthe orie“ erstmals die räumliche Dimension zum zentralen Kriterium einer umfassenden Gesellschaftstheorie machte. Dies führte zu einer internationalen Renaissance der sozialgeographischen Themen in den Sozialwissenschaften und in der Sozialgeographie (Werlen 2000, S.71-73).

3.3 Holländische Entwicklungslinien:

Die holländische Tradition der Sozialgeographie hatte große Bedeutung für die deutschsprachige Entwicklung. Die holländische Tradition, die durch die „Soziographie“ von Sebald Rudolph Steinmetz (1862-1940)geprägt war - welche durch die Zusammenführung der beiden Forschungsrichtungen Soziologie und Geographie entstand - hatte zum Ziel die mangelnde Realitätsbezogenheit der Soziologie zu überwinden. Weitere Ziele waren die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Realität, die Versorgung der theoretischen Sozialwissenschaften mit Tatsachenmaterial, um empirisch gültige Verallgemeinerungen zu formulieren. Diese „Soziographie“ war ein wichtiges Vorbild für die Gründerväter der deutschen Sozialgeographie (Wolfgang Hartke, Hans Bobek).

Neben Steinmetz wurde die holländische Tradition von der sog. Utrechter Schule der „social geografie“ um Louis van Vuuren - die sich immer von Steinmetz distanzierte - geprägt. Ihr prominentester Vertreter Christian van Paassen (1917-1996) forderte eine stärkere sozialwissenschaftliche Orientierung der Regionalforschung (Werlen 2000, S.74).

3.4 Skandinavische Entwicklungslinien:

Als Begründer der skandinavischen Sozialgeographie gilt der baltische Geograph Edgar Kant (1902-1978). Sein Fachverständnis steht stark in holländischer soziographischer und deutscher geographischer Tradition, geht aber noch einen Schritt weiter. Er forderte eine stärkere Berücksichtigung der Bedeutung der sozialen Komponente bei der Transformation der Natur. Die Kernidee hierbei bestand in einer „organischen Betrachtung“ der Gesellschaft.

Ein weiterer wichtiger Vertreter im skandinavischen Sprachraum war Thorsten Hägerstrand. Er hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der Sozialgeographie von den 1950er bis in 1980er Jahre hinein. In den 1950er 1960er Jahren entwickelte er die sog. „Diffusionstheorie“. Sie besagt, dass sich Innovationen räumlich nicht gleichmäßig ausbreiten. Die Geschwindigkeit und die Reichweite der Innovation ist im wesentlichen an die Hierarchie des Siedlungsnetzes gebunden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Ausgangspunkt der Innovation. Es lassen sich Unterschiede feststellen wenn eine Innovation von einem Zentrum oder einem peripheren Standort ausgeht. In den 1970er Jahren plädierte Hägerstrand für ein „zeitgeographisches Verständnis menschlicher Existenzbedingungen“. D.h. menschliche Tätigkeiten sind nicht nur räumlich sondern auch zeitlich begrenzt, wodurch „raum-zeitliche Zwänge“ entstehen. Dadurch wird deutlich wie sehr die räumliche und die zeitliche Dimensionen aneinander gebunden sind (Werlen 2000, S.77-79).

3.5. Deutsche Entwicklungslinien:

Im deutschsprachigen Raum brachte erstmals Friedrich Ratzel (1882) die Bedeutung der sozialen Aspekte in die Diskussion ein. In seiner „Verbreitungs- und Bewegungslehre“ schenkte er den sozialen Aspekten zwar Beachtung, doch durch die Konzentration auf die Aspekte „Mensch“, „Bevölkerung“ und „Volk“ verhindert er eher einen differenzierten Zugang zum „Gesellschaftlichen“. Er legte einen größeren Wert auf die „Naturdeterminiertheit“ der menschlichen Gesellschaften und Kulturen, was in dieser Zeit große Akzeptanz in der interdisziplinären Diskussion fand. Dies wird besonders deutlich, wenn man seine Untersuchungen der räumlichen Begrenzungsbestrebungen von Ethnien, Rassen und politischen Organisationsformen betrachtet. Seine Begrenzungskriterien sucht er immer im physischen (Lage, Raum, Grenze) und nicht im sozio-kulturellen Bereich (Werlen 2000, S.80).

Auch die „Geographie des Menschen“ von Otto Schlüter wirkte eher hemmend auf die Entwicklung der Sozialgeographie in Deutschland. Seine Arbeit sollte sich auf die Spuren von menschlichen Tätigkeiten in der Landschaft konzentrieren. Doch da alles „Geistige“ ausgeklammert wurde führte dies auch nicht zu einer tätigkeitsorientierten Sozialgeographie, sondern eher zu einer gegenstandsverliebten, physiognomischen „Morphologie der Kulturlandschaft“ (Schlüter 1906, S.28,29). Doch zwei Aspekte seiner Arbeit wurden 40 Jahre später zum Ausgangspunkt der deutschen Sozialgeographie. Zum einen war es der Landschaftsbezug der Sozialgeographie, zum anderen der Aspekt, dass Gesellschaften als „regionale Erscheinungen“ zu analysieren sind (Bobek 1948, S.48,55).

Alfred Rühl (1882-1935) forderte eine stärkere Bedeutung der sozialen Komponente. Seiner Meinung nach ist die Kenntnis des „sozio-kulturellen Kontextes“ unabdingbar um das Wirtschaftsgeschehen einer Region zu begreifen. Dem sog. „regionalen Wirt9 schaftsgeist“ kommt in seiner Argumentationskette eine zentrale Bedeutung zu, denn die Ziele und Kräfte des wirtschaftenden Menschens, bestimmen seiner Meinung nach die Gestaltung des Wirtschaftlebens (Werlen 2000, S.81). Daher fordert er die Einordnung der Wirtschaftsgeographie in die Sozialwissenschaften (Rühl 1938, S.34f).

Bemerkenswert ist, dass sich die prominenten deutschen Geographen zwar einer sozialgeographischen Betrachtungsweise annähern, sich dann aber konzeptionell davon abwenden und dadurch die Forschungstradition eher erschweren. Es dauerte bis in die 1930er Jahre, bis Richard Busch-Zantner eine Argumentation veröffentlichte, die die Notwendigkeit einer stärkeren Betrachtung der sozialen Komponente im Hinblick auf eine differenzierte geographische Analyse verdeutlicht. Die wichtige Aussage, dass Äußerungen der Menschen in der Landschaft niemals Äußerungen von Individuen sind, sondern stets Äußerungen der Wirksamkeit einer Gruppe seien, eröffnete im deutschsprachigen Raum den Weg einer wissenschaftlichen Sozialgeographie. Erst nach Zweiten Weltkrieg konnten Hans Bobek und Wolfgang Hartke die systematische Entwicklung einer deutschsprachigen Sozialgeographie leisten (Werlen 2000, S.82,83).

4. Phasen der Sozialgeographie:

4.1 Die deskriptiv-naturdeterministische Phase:

Friedrich Ratzel (1844-1904) war der Meinung, dass die Natur die Handlungen und Betätigungen der Menschen bestimmt (Ratzel 1909, S.65). Die Geschichte der Menschen ist für ihn ein „Erfüllungsauftrag“, der in der Natur vorgezeichneten Programme, der „Gebote des Bodens“ (Ratzel 1909, S.48). D.h. die Natur ist nicht nur eine einfache Determinante menschlichen Handelns, sondern sie wird zur normativen Instanz für das gemacht, was ein Volk tun soll. Der Mensch und die Natur wurden zu dieser Zeit, im Rahmen der Allgemeinen Geographie immer im Zusammenspiel betrachtet, wobei die Länder und Landschaften als wahre Forschungsobjekte der Geographie angesehen wurden (Werlen 2000, S.100).

[...]


Final del extracto de 33 páginas

Detalles

Título
Theoretische Ansätze und Entwicklungsphasen der Sozialgeographie
Universidad
University of Münster  (IFG Münster)
Curso
Bevölkerungs- Sozialgeographie (Übung)
Calificación
2
Autor
Año
2002
Páginas
33
No. de catálogo
V20963
ISBN (Ebook)
9783638246965
ISBN (Libro)
9783656491491
Tamaño de fichero
652 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Theoretische, Ansätze, Entwicklungsphasen, Sozialgeographie, Bevölkerungs-, Sozialgeographie
Citar trabajo
Joerg Geuting (Autor), 2002, Theoretische Ansätze und Entwicklungsphasen der Sozialgeographie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20963

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Título: Theoretische Ansätze und Entwicklungsphasen der Sozialgeographie



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