Können Tugenden moralische Orientierungen für benachteiligte Jugendliche auf dem Ausbildungsmarkt bieten?


Masterarbeit, 2012

167 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Begriffliche Grundlegungen
2.1 Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche im Beruflichen
Übergangssystem
2.2 Kompetenzorientierung der beruflichen Bildung
2.3 Tugendbegriff und Werte in der Ethik

3 Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher
3.1 Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche in der Risikogesellschaft
3.1.1 Orientierung in pluraler, individualisierter Gesellschaft?
3.1.2 Tugenden - Zugangsvoraussetzung in die Berufsausbildung?
3.1.3 Benachteiligt beim Zugang in die Berufswelt
3.2 Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher
im Spiegel empirischer Jugendforschung
3.3 Werteorientierungen im Kontext von Sozialisationserfahrungen und
personaler Identität
3.3.1 Werteorientierungen – abhängig von sozialen Faktoren?
3.3.2 Soziale Einbindungen – konstitutiv für die personale Identität?
3.3.3 Personale Identität und Werteorientierungen
3.4 Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche – eine ethische Anfrage
an die Gesellschaft

4 Orientierungen durch Tugenden?
4.1 Zum Tugendbegriff in ethischer Diskussion
4.1.1 Prinzipienethik versus Tugendethik?
4.1.2 Neue Tugendethik
4.1.3 Tugend als Sein-Können
4.2 Woher können ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche moralische
Orientierungen beziehen?
4.2.1 Orientierung durch Prinzipien?
4.2.2 Moralisches Wissen und moralisches Handeln
4.2.3 Strebensziel Glückseligkeit
4.2.4 Moralisch Handeln lernen
4.3 Orientierung an Werten durch Tugend

5 Orientierungen durch Tugenden für ausbildungsplatzmarktbenachteiligte
Jugendliche

6 Literatur

Anhang

Anhang 1: Handreichung für die Berufseinstiegsklasse (Auszug)

Anhang 2: Er­geb­­nisse aus der empirischen Sozialforschung zu Werteorien­tierungen aus­-

bil­dungs­platz­markt­­­benachteiligter Jugendlicher

Anhang 3: Daten aus: Feige, Andreas et al., „Was mir wichtig ist im Leben“. Auffassungen Jugendlicher und Junger Erwachsener zu Alltagsethik, Moral, Religion und Kirche, Datenband, 2008. (Auszug)

Anhang 4: Erhebungsinstrument: Fragebogen zur Werteorientierung Jugendlicher

Anhang 5: Theoretisches Modell zu Kapitel 4.2.4 Moralisch Handeln lernen,

Visualisierung (eigene Darstellung)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Übersichtsverzeichnis

Übersicht 2.1 Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems 2000 und 2005 bis 2008

Übersicht 3.1 Interdependenz zwischen Sozialisation und Werte­orien­tier­ungen

Übersicht 3.2 Zusammenhang zwischen den Faktoren

Übersicht 3.3 Interdependenz für das Individuum

Übersicht 3.4 Zusammenhang Soziali­sa­tion, Werteorientierung, Person

Übersicht 3.5 Zusammenhang Soziali­sa­tion, Werteorientierung, Person

Übersicht 4.1 Dualistisches Denkmodell

Übersicht 4.2 Erweitertes dualistischen Denkmodell

Übersicht 4.3 Dualistisches Denkmodell in verkürzter Übersicht

Übersicht 4.4 Handlungstheoretische Differenz zwischen Kant und Aristoteles

Übersicht 4.5: Dualistisches Denkmodell, verworfen

Übersicht 4.6: Korrigiertes Denkmodell

Übersicht 4.7: Tugenden nach Aristoteles

1 Einleitung

´Tugenden` gehören nicht unbedingt zu den aktuellen, innovativen Begriffen, viel­mehr kann ihnen schon beinah ein ´angestaubtes` Image attestiert werden, bzw. fin­det man sie „fast nur noch in iron.[ischer] Signalisierung lebendig“[1]. Demgegenüber ist, ­besonders im Kontext von pä­da­­gogischer Arbeit, immer wieder der Ruf nach der Ver­mitt­lung von Wer­ten und Tu­gen­­den zu hören. Insbesondere wird diese Forderung häufig in Hinblick auf die ge­sell­schaft­li­che und be­rufliche Integration von Jugendlichen[2] mit niedrigem Bildungs­niveau er­hoben, da­her be­trifft diese Forderung neben Haupt- und Sonderschulen im Wesentlichen auch die Be­rufs­­bil­den­den Schulen, da sie Jugendlichen, deren Übergang in die Berufs­aus­bil­dung nicht rei­­­bungs­­­los verläuft, spezifische Bildungsangebote anbieten. Fordern die An­bie­ter von Be­rufs­­­aus­­­bildungsplätzen ´tugendhafte` Bewerber, und sind daher Lehrer[3] gefordert, die Tu­gen­­den ihrer Schüler zu stärken? Können Verhaltensweisen wie Pünkt­lichkeit und Lern­be­reit­­­schaft mit ´Tugend` übersetzt werden? Kann Tugend über­haupt gelehrt werden?

Tugenden und Werte werden oft in einem Atemzug genannt, und häufig geht damit die Klage vom ´Werteverfall` einher. Dem­­­gegenüber zeigen empi­ri­sche Studien die ho­he Be­deu­­tung, die Werte unter Jugend­lichen nach wie vor haben, aller­dings unterliegen sie ein­em ´Wertewandel`. Werte, an denen das eigene Handeln aus­ge­­richtet wird und an­hand de­rer die eigene Biographie ge­formt wird, unterliegen einer Präferenz­ver­schie­bun­g, ohne dass alte Werte durch neue ersetzt werden[4]. Desweiteren kann, vermut­lich in­tendiert durch die An­forderungen der Leistungs­ge­sellschaft, eine höhere Wertschätz­ung ´alter Werten` wie Höf­lichkeit, Arbeitsethik, Spar­samkeit und An­passung als ´neuer Zeit­­­geist` fest­ge­stellt wer­­den[5]. Wie die viel zitierte sokra­ti­sche Schilderung ´der Jugend` zeigt, kann eine pro­ble­­ma­ti­­sier­en­de Sichtweise auf ´Jugend und Werte` nicht auf aktuelle Heraus­for­derungen be­­grenzt ge­­se­hen werden, vielmehr scheint das Verhältnis von Jugend und Wer­ten sehr ver­traut[6], und vie­lleicht wird daher die ´Wertediskussion` häufig primär auf die Werte Ju­gend­­li­cher be­zo­gen. Damit wird ingleichem Maße, wie Wertewandel und Werte­ver­lust be­klagt werden, in einer ver­kürzten Folgerung, in der Ver­mitt­lung von Wer­­ten die Lö­sung ge­sehen für ge­sell­­schaft­li­che Pro­ble­me wie Jugend­ar­beits­losig­keit, Ju­gend­kri­mi­na­li­tät und Ge­walt­be­reit­schaft [7]. Ent­sprechend fin­det sich die An­forderung zur ´ Werte­erziehung` in Schu­­len nicht nur in den Schul­­gesetzen[8], son­dern auch die formu­lier­ten ´Leitziele` der ein­zel­nen Schu­­len verpflichten zur Förderung der Werte und Tu­gen­den[9]. Ergo sind Lehrer auf­ge­fordert, ihren Schülern Werte und Tugen­den nahezu­bringen.

Die Themenwahl zu dieser Arbeit bewegt sich in diesem Kontext. Als Stu­dieren­de mit dem Ziel ´Lehramt an Berufs­bil­den­den Schulen` bot sich während des Schul­prak­ti­kums die Ge­le­gen­heit, eine Religionsstunde in einer Berufs­ein­stiegs­klasse (BEK) zu hospi­tie­ren. Die ge­won­n­­enen Eindrücke führ­ten schließlich zu dem Thema der vor­liegenden Studie. Die BEK ist ein Bil­dungs­gang im sogenannten ´Über­gangs­­system`, ein spezifisches An­gebot für Ju­gend­­­­liche mit Be­nach­tei­ligung am Aus­bil­dungs­platz­markt, charakterisiert in erster Linie durch keinen oder maximal einen Hauptschulabschluss. In der be­­­­such­­ten Un­ter­richts­stun­de prä­­­­sen­tierten die Schüler von ihnen erstellte Plakate zum The­ma ´Vor­bilder`. Durch die Dar­stell­­ung von Mu­sik­gruppen mit ge­­walt­ver­herrlichenden Song­tex­ten als vorbildlich durch die Schü­ler, wurde ´Gewalt­ak­zep­tanz` zum Thema der Un­ter­richts­stunde. Der Lehrer for­derte die Schüler auf, ihre gewalt­be­für­wortende Position zu re­flek­tieren, allerdings wurden Ge­sprächs­ansätze durch einge­rufe­ne Parolen und Ge­mein­plätze durch die jeweils an­deren Schüler sanktioniert. Mehrere diszi­pli­­­nierende Maß­nah­men und ein Unter­richts­aus­schluss wurden notwendig. In den Werte­orien­tierungen der beob­ach­te­ten Schüler kann eine Prä­ferenz zum Selbst, zu ihrer Autonomie und eine hohe Akzeptanz von physischer und psy­chi­scher Gewalt vermutet werden.

Hierin zeigt sich eine individuelle und gesellschaftliche Problematik auf mehreren Ebenen. Einerseits kann eine Benachteiligung beim Zugang zur Berufswelt in Abhängigkeit vom Bil­dungsniveau benannt werden. Der Übergang in die Ausbildung verläuft bei Jugendlichen, die ma­­ximal den Hauptschulabschluss erlangt haben, in hohen Anteilen proble­matisch[10] und die schlech­testen Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben Jugendliche ohne Sc hul­ab­schluss. In dieser Gruppe, die 2010 einen Anteil von 6,5% der Schulabgänger stellt[11], werden ver­län­gerte und kompliziertere Ausbildungsverläufe und ´War­teschleifen`, häu­fig ohne Aussicht auf eine vollqualifizierende Ausbildung, zunehmend zum Regelfall[12]. Fast jeder dritte Aus­bil­dungs­platzinteressierte hat im Jahr 2011 keinen Aus­bil­­dungsvertrag be­kom­men[13], womit sich für die betreffenden Jugendlichen nicht nur mittel­fristig berufliche Per­spektiven ein­schrän­ken, sondern durch die hohe Bedeutung von Berufs­aus­bildung und Be­ruf kann von einer Einschränkung der Lebenschancen in beruflicher, pri­va­ter und in­di­vi­due­ller Hinsicht ge­spro­chen werden. Demgegenüber be­achtenswert ist, dass je­de dritte an­ge­botene Aus­bil­dungs­stelle nicht besetzt wer­den konnte[14]. Das Bundeswirt­schafts­­mi­nisteri­um pub­li­ziert, das Blatt habe sich gewendet, "jeder Motivierte, der die Schu­le verlässt, hat beste Chan­cen auf einen Ausbildungsplatz“[15]. Mit diesen Entwicklungen be­steht die Gefahr einer Stig­ma­ti­sierung von benachteiligten Ju­gendlichen als ´nicht aus­bil­dungs­reif`, die un­be­dingt zu ver­mei­­den ist[16], sondern vielmehr kann da­mit die ge­sell­schaft­li­che Heraus­forderung be­nannt wer­den, die Zahl der derzeit rund 1,5 Mio. jungen Men­schen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss[17], zu ver­­­ringern und be­nach­­­tei­lig­ten Jugendlichen eine Per­spek­­tive aufzuzeigen.

Desweiteren zeigt sich in den geäußerten Werteorientierungen der BEK-Schüler eine Pro­ble­ma­tik hinsichtlich der moralischen Orientierung. Woher können Jugendliche heute mora­li­sche Orientierungen beziehen? Woran können sie sich in moralischen Entscheidungen und in Entscheidungen zur Lebensgestaltung orientieren? Auf einen einheitlichen gesellschaftlichen Wertehorizont kann mit den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nur noch eingeschränkt zu­rückgegriffen wer­den. In individualisierter, säkularer und pluralisierter Gesellschaft ist je­der Einzelne gefor­dert, seine Werte, seinen Weg und sein Leben inklusive Sinngestaltung sel­ber zu suchen und zu gestalten. Damit bieten sich Wahlfreiheit und eine Vielzahl an in­di­vi­due­llen Gestaltungsmöglichkeit, allerdings besteht damit auch der Zwang, das eigene Leben erfolg­reich gestalten zu müssen, der insbesondere bei benachteiligten Jugendlichen zu Über­forderung, Orientierungslosigkeit und Zukunfts­äng­sten führen kann.

Das Thema und die Fragestellung der vorliegenden Arbeit "Können Tugenden moralische Orien­tierungen für ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche bieten?" ist sicherlich ge­eignet und lohnenswert, in einem deutlich größeren Rahmen, als dem dieser Arbeit be­ar­beitet zu werden. Es bieten sich vielfältige methodische und inhaltliche Herangehensweisen und Schwerpunkte an. Als methodischer Zugang wird für diese Arbeit der hermeneutische Weg gewählt. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Themas sind im Verlauf der Arbeit immer wieder Ent­scheidungen über Ein- und Ausgrenzungen zu treffen und viele interessante As­pek­te können in diesem Rahmen nicht verfolgt werden, dies betrifft z. B. die große Thematik des ´Ge­wiss­ens`. Ebenso wird, auch wenn in dieser Arbeit so­­zial­ethi­sche As­pekte the­­ma­ti­siert werden, die Frage nach der ´Gerechtigkeit` nicht be­han­delt, son­­dern die In­di­vi­dual­ethik zur moralischen Orientierung steht im Vordergrund. Die Tu­gen­­den, die hier auf ihr Po­tential zu moralischen Orientierungen angefragt werden, finden in den meisten zeit­ge­nös­si­schen Ab­hand­lungen zum Thema Moral keine Verwendung, statt­dessen stehen Begriffe wie ´Pflicht` und ´Verpflichtung` im Vordergrund und man beruft sich vor allem auf Prinzi­pien der Ver­nunft[18]. Allerdings wird die normative Ethik des Sollens zu­neh­­mend kritisiert, da sie für viele aktuelle Herausforderungen nicht endgültig zu­frie­­den­stellend ist, und zum Teil wird ihr Realitätsferne vorgeworfen. Beispielsweise zeigt sich auch in aktueller Dis­kussion zum kirch­lichen Lehramt, dass ein deontologisches Moral­ver­­ständnis kri­tisch ange­fragt wird. Daher kann in der Ethik eine Rückbesinnung auf das klassische Mo­dell der Tu­gen­den nach Aristo­te­les und in mittelalterlicher Rezeption z. B. mit Thomas von Aquin fest­ge­stellt wer­den, es wird von einer ´Renaissance der Tugend­ethik` ge­sprochen. "Aristoteles und Kant spielen im ak­tu­ellen ethischen Diskurs eine emi­nen­te Rolle"[19], und ent­sprechend begrenzt sich die vor­lie­gen­de Arbeit zur klassischen Tu­gend­ethik auf die aristo­te­lische Tugendlehre und zur nor­mativen Ethik auf die Prinzipienethik Imma­nuel Kants.

Zunächst steht zu fragen, ob ein Zusammenhang zwischen Werte­orien­tierungen und Ausbil­dungs­platzmarktbenachteiligung tatsächlich besteht (Kap. 3.1). Spielen Werte und Tugenden eine Rolle zum Eingang in die Berufsausbildung? Dann wird zu ­fra­gen sein, ob Ju­gend­liche mit niedrigem Bildungsniveau eine ab­wei­­chen­de Werteorientierung ge­genüber an­deren Ju­gend­lichen haben (Kap. 3.2), und welche Fak­­to­ren neben dem Bil­dungsniveau als kon­­stituierend für individuelle Werte­orien­tier­ungen be­nannt werden können (Kap. 3.3). Nach einer Annäherung an das Verständnis von Tu­gen­den, das metho­di­sch durch die Gegen­über­stellung zur Prinzipienethik erfolgt (Kap. 4.1), steht die Frage nach moralischer Orien­tierung im Mittelpunkt (Kap. 4.2), um schließlich die Tugendethik auf ihr Potential zu mo­ra­lischen Orientierungen anzufragen.

2 Begriffliche Grundlegungen

Zu Beginn erfolgt für ein einheitliches Verständnis die Darstellung der für diese Arbeit grund­le­genden Begriffe in dem hier verwendeten Verständnis. Zudem wird für einige Be­griffe die ausschließliche Darstellung einer Definition nicht als aus­reichend an­ge­sehen, daher wer­den spezifische Termini jeweils in dem für diese Arbeit relevanten Zu­sammen­­hang dar­ge­stellt.

2.1 Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche im Beruflichen Übergangssystem

Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche werden in dieser Arbeit verstanden als Ju­­­­gend­­­liche, die nach Beendigung einer allgemein­bil­­­den­den Schule nicht oder nicht di­rekt in die Berufsausbildung übergehen. Ju­gendliche, die maximal den Haupt­­schulab­schluss haben, können als Gruppe, deren Übergänge in die Berufsausbildung „in be­son­­ders ho­hen Anteilen problematisch ver­laufen“[20] benannt werden. Daher liegt hier der Focus auf Haupt­schul­ab­sol­venten und –abgänger, die Schüler in Schul­formen des ´Über­gangs­systems` sind bzw. wer­den, und diese mit dem Ziel be­su­chen, den Haupt­­schul­­ab­schluss zu er­wer­ben oder zu ver­bessern, und ihre Chan­cen am Aus­­bil­dungs­platz­markt zu ver­bessern. Der Begriff Ausbildungsplatzmarktbenachteiligung ist nicht eindeutig defi­niert und steht ei­ner­­­­­seits zwi­schen arbeits- und ausbildungsmarktsystematischen Aspekten, z. B. der regio­na­­­­­len An­­­ge­bots­­verteilung, und nimmt damit Bezug auf die Ver­mittel­barkeit der Jugend­li­chen, auf der an­deren Seite wird Aus­bil­dungs­­­platz­markt­be­nach­teiligung im Verhältnis zu in­di­­­vi­du­ellen Fak­­toren wie Ausbildungsreife und Quali­fi­ka­tionen ver­stan­den.[21] Daher kann in Ab­­­hän­gig­­keit vom jeweiligen Be­­­­griffsver­ständnis Aus­­­bildungsplatzmarktbe­nach­­teili­gung und un­­zu­rei­chen­de Aus­bil­dungsreife voneinan­der abgegrenzt werden, auf diese Differenzierung wird aber im Rah­men dieser Arbeit ver­zichtet und unter ausbildungsplatz­­markt­benachteiligten Ju­gendli­chen eine he­te­ro­­gene Gruppe gemäß der obi­­gen Ein­gren­zung ver­­standen. Auf spezi­fi­sche Aspekte, z. B. gen­derbezogene Aspekte, die sogenannten ´Altbewerber`, die Be­nach­teiligung von Ju­gendlichen mit Be­hin­der­un­­­gen oder von Jugend­li­chen mit Mi­grations­hin­tergrund, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht gesondert eingegangen werden.

Übersicht 2.1: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems nach schulischer Vorbildung 2006 und 2008 (in %). Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 98.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Berufliche Übergangssystem umfasst alle Bildungsangebote, die „zu keinem an­er­kann­ten Ausbildungsabschluss führen, sondern auf eine Verbesserung der individuellen Kom­pe­ten­­zen von Jugendlichen zur Aufnahme einer [Berufs-] Ausbildung oder Be­schäf­ti­gung zielen und zum Teil das Nachholen eines [..] Schulab­schlusses er­mög­lichen“[22]. Neben Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit gehören mehrere voll­schulische Angebote an berufs­bil­den­den Schulen (BBS) zum sogenannten ´Übergangssys­tem`[23], auf diese wird hier Be­zug genommen. Die Schul­­for­men im ´Übergangssystem` sind variantenreich hinsichtlich der Zugangs­vor­­aus­­setz­­­un­gen und Zielsetzungen, z. B. be­rufsfeldbezogene, vor­be­ruf­li­che Qua­li­­­­fizierung. Das be­ruf­liche Ausbildungs­system um­­­­fasst die drei Sek­to­ren Dua­les Berufsaus­bil­dungs­sys­­tem, Schul­­­berufs­system und das ´Über­gangssystem`, zu dem die An­­­zahl der Neu­zu­gän­ge im Jahre 2011 bundes­weit 294.294 Ju­gend­­liche betrug[24].

In dieser Arbeit wird Bezug genommen auf Schü­ler im ´Über­­gangs­system` mit einge­schränk­ten Chancen einen Ausbildungsplatz zu be­kommen, Jugend­liche mit einem niedrigen Bil­dungsniveau, die einen Anteil von knapp einem Drittel aller Neu­zu­gän­ge[25] zum be­ruf­li­chen Aus­bildungssystem stellen. Wie an anderen Schwellen im Bildungssystem, vollziehen sich auch beim Übergang von den all­gemeinbildenden Schulen in die Berufsausbildung so­ziale Se­lek­tionsprozesse bei der Be­setz­ung von Ausbildungsplätzen nach schulischer Vor­bil­dung. Die Übersicht zeigt die hohe Ab­hängigkeit von Schulabschluss und Zugang zur dualen Aus­bil­dung. Umgekehrt wird auch die hohe Korrelation zwischen fehlen­dem Schul­ab­schluss und dem Zugang zum beruf­li­chen Über­gangssystem deutlich. Trotz des aktuell ent­spann­ten Aus­bil­dungs­stellen­mark­tes[26] gehen etwa die Hälfte der Ju­gend­lichen mit Haupt­schul­ab­schluss und mehr als drei Vier­tel von denen ohne Haupt­schul­ab­schluss nach Be­endi­gung der all­­ge­meinbildenden Schule ins berufliche Über­gangs­sys­tem[27].

Die Berufseinstiegsklasse (BEK) ist ein einjähriges, vollschulisches Angebot an nieder­säch­sischen BBS im ´Über­gangssystem`, das sich an Ju­gend­liche, die die Ab­schlussklasse der Se­kun­dar­stufe1 ohne all­ge­mein bilden­den Schulab­schluss oder mit einem Hauptschul­ab­schluss mit einer Durch­­schnitts­­­note gerin­ger als 3,5 beendet haben, richtet[28]. Das Ziel der BEK ist, die Aus­bil­dungsreife der Schüler zu erwirken, um sie für den Einstieg in die Berufs- und Aus­­bildungswelt zu qua­li­fi­zieren[29].

Die Zielsetzung des ´Übergangssystems` ist der erfolgreiche Zugang in eine Berufs­aus­bil­dung, vor­­nehmlich im dualen System. Die Berufsaus­bil­dung im dualen System erfolgt in den in­sti­tu­tionell und rechtlich ge­trenn­ten Bil­dungs­trägern Berufs­schule und aus­bil­den­der Betrieb in einem geordneten Aus­­bil­dungs­gang[30]. Die recht­liche Grundlage für die duale Berufs­­aus­bil­dung bilden das Berufs­bil­dungs­ge­setz (BBiG) und die Ordnungs­mittel der Berufs­aus­bil­dung. Trotz der institutionellen Trennung der beiden Lern­­­orte gilt das traditionelle dualistische Ver­­­­ständnis über die Kennt­nisver­mitt­lung in der Berufs­schule und die Ver­mitt­­lung prak­ti­scher Fertig­keiten im Betrieb heute als über­holt[31], viel­­mehr er­fordert die Vermittlung der not­­­­wendigen beruflichen Handlungskompetenz eine enge Verzahnung praktischer und theo­re­­­tischer Ausbildungsinhalte.

2.2 Kompetenzorientierung der beruflichen Bildung

Das Bildungsziel in der beruflichen Bildung, die berufliche Handlungs-Kompetenz ist aus den Begriffen Kompetenz und Handlungsorientierung zu einer Begriffs­verbindung zu­sammen ge­setzt[32], daher soll der Beitrag beider Elemente zum der­zeit in der deutschen beruf­­­lichen Bil­­dung vorherrschenden Begriffsver­ständnis von Hand­lungs­kompetenz sepa­rat betrachtet wer­den. Dazu steht im Rahmen dieser Arbeit weniger die histo­rische Ent­wick­lung des Be­griffs, als vielmehr das aktuelle Begriffsverständnis in der beruf­lichen Bildung im Mittel­punkt.

Das Konstrukt der beruflichen Handlungskompetenz steht in einer Entwicklungslinie mit dem didaktischen Prinzip der Handlungsorientierung, die sich in der Handlungstheorie nach Aebli begründet[33]. Die Leitidee der Handlungs­orien­tierung verbindet sich mit der Er­war­tung, die Aus­­­­wirkungen des traditionellen Dualismus von mensch­lichem Denken und Han­­deln in der in­neren und äußeren Organisation von beruflichem Lernen über­­winden zu können. Die Ent­ge­gensetzung von Handeln und Denken, von Wissen und Tun, von Arbeiten und Lernen be­grün­det sich in der Ideenlehre Platons, der in einer bewussten Hierarchi­sie­rung[34] „Menschen ein­teilte in solche, die wissen und nicht tun, und solche, die tun und nicht wissen, was sie tun[35] “. In den antiken griechischen und römischen Gesellschaften waren Ar­beit und Bür­ger­tum nicht vereinbar, entsprechend schloss Aristoteles alle vom Bür­ger­­recht aus, die nicht über genügend ´Muße zur Entfaltung ihrer Tugend` verfügten[36]. In der Neu­zeit le­gitimierte sich die Trennung von materieller und ideeller Welt mit dem ma­teri­alis­tisch an­ge­legten Em­pi­rismus und Sensualismus[37] sowie über das dualistisch ge­prägte neu­hu­ma­nis­ti­sche Bil­dungs­ideal[38], und zeigt sich bis in das heutige Bil­dungs­ver­ständnis z. B. im deutschen drei­glie­­dri­gen all­ge­mein­bildenden Schulsystem. Das antidualistische Konzept kritisiert dieses zwei­­tausendjährige philo­sophische, poli­ti­sche und soziale Denkmuster, mit dem eine Bil­dungs­elite den Geist für sich in Anspruch nimmt und Anderen das Tun zuweist, und betont dem­gegenüber die struk­tu­relle und funktionale Verwandt­schaft von Denken und Handeln[39] durch die Darstellung ihrer wech­sel­seitigen Interdependenz: „Das Denken, das Wissen und das Können ent­wickeln sich aus dem praktischen Handeln und dem Wahr­neh­men heraus, und Denken, Wissen und Können haben sich wiederum im praktischen Handeln und in der deu­tenden Wahr­nehmung der Welt zu bewähren“[40].

Im ak­tuellen Ver­ständnis von Handlungskompetenz in der deutschen beruf­lichen Bildung wird Handlungskompetenz als Innehaben von hand­lungs­re­levan­tem Wissen und dem Ver­fügen­können über dieses Wissen im Rahmen von Handlungen, als Handlungsdisposition ver­stan­den[41], wobei die zur Aus­führung einer Handlung notwendigen motiva­tionalen und voli­tio­nalen As­pek­te, über Aebli hinaus, als kon­sti­tutive Bestandteile der Hand­lungs­­kom­pe­tenz ver­­­standen werden. Die Kompetenzorientierung der beruflichen Bildung hat ihre Wurzeln in der Debatte um materiale und formale Bil­dung unter dem Ein­fluss nach­­lassender tay­loris­­ti­scher Arbeitsorganisation[42]. Im Zuge dieser Ent­wick­lung nahm der eman­zi­patorische Kom­­pe­tenzbegriff und dessen Di­men­sionen nach Roth maßgeblichen Ein­fluss auf den Kom­pe­­tenz­begriff[43], auch dem des umgangs­sprachlichen Ver­ständ­­nisses. Das Roth´sche Kom­pe­tenz­modell bildet die Grund­­lage für das Kom­pe­tenz­kon­strukt der ´Hand­reichung für die Er­ar­bei­tung von Rahmenlehr­plä­nen der Kul­tus­­­minister­kon­ferenz für den berufs­­be­zogenen Un­terricht in der Berufs­schule und ihre Ab­­­stimmung mit Aus­­bildungs­ordnungen des Bundes für an­er­kannte Aus­bil­dungs­­berufe` (KMK-Hand­­reich­ung). Dagegen herrscht in der Allgemein­bil­dung ein Kompetenzverständnis vor, das primär kog­ni­ti­ve Aspekte in den Vor­dergrund stellt und explizit vom berufspädagogischen Kom­­­petenzbegriff abge­grenzt wird[44]. Han­deln wird als eine der nach­­­­­ge­ord­ne­ten Fa­cetten von Kom­­pe­tenz benannt[45]. Die zahl­rei­chen Differen­zie­­rungen und Kontro­versen zum Be­griffs­ver­ständ­nis können hier nicht dar­­gestellt werden, festzuhalten bleibt, dass über einige Merk­­­ma­le von Kom­pe­tenz, beispielsweise Sub­jekt­be­zug, Per­­formanz­be­zug und die Diffe­ren­­zie­rung in Dimen­sio­nen, Konsens zu ver­zeichnen ist[46]. Weit­gehende Einig­keit besteht im Ver­ständ­­nis von Kom­pe­tenz als eine relativ stabile, aber durch Lernen ver­änder­bare Dis­­po­sition für erfolgreiches Handeln[47].

Die berufliche Hand­­lungskompetenz der KMK-Handreichung wird beschrieben „als die Be­reit­schaft und Be­fähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und pri­va­ten Si­­tuatio­nen sach­gerecht durchdacht sowie individuell und sozial verant­wort­lich zu ver­hal­ten“[48]. Hand­­lungs­kom­pe­tenz entfaltet sich in einzelne Dimensionen, die miteinander ver­netzt und in­terdependent zu ver­stehen sind. Die Fach- auch Sachkompetenz wird von der Stän­­­­digen Konferenz der Kultus­mi­ni­ster der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) bezeichnet, als „die Bereit­schaft und Befähigung […] Probleme ziel­orientiert, sach­­ge­recht, methodengeleitet und selbst­ständig zu lösen“[49]. Für das Thema dieser Arbeit beson­ders beachtens­wert ist die Erläu­ter­ung der KMK zur Human­- bzw. Selbst­kom­pe­­tenz. Hu­man­kom­petenz um­fasst mo­tivatio­nale und meta­kognitive Fähig­keiten, die neben personalen Ei­­­gen­schaf­ten, wie z. B. Kritikfähigkeit und Zuverlässigkeit, auch die „Ent­­­­wick­lung durch­dach­ter Wert­­vor­stellungen und die selbst­­bestimmte Bindung an Wer­te“ um­fasst[50]. Die Kom­pe­tenz­­dimension Sozial­kom­pe­tenz bezieht sich auf sozialbe­zogene und kommu­ni­­­­kative Fä­hig­­­kei­ten, und die Fähigkeit „sich mit Anderen rational und ver­ant­wortungs­­be­wusst aus­­einan­der zu setzen und zu ver­ständigen“[51]. Das Kompetenzkonstrukt der KMK-Handreichung wur­de als Zielsetzung zwar explizit für die Schulform Berufsschule formuliert, allerdings hat sich dieses Begriffsverständnis in der Berufspädagogik mani­festiert[52] und hat auch in die Cu­rri­­­cula anderer beruflicher Bildungsgänge als Bildungsziel Einzug genommen, so auch in die Rah­­men­­richtlinien für die BEK[53]. Im Rahmen dieser Arbeit wird auf dieses 3dimensionale Ver­­­ständnis von Kompetenz in dem hier dargestellten Begriffsverständnis Be­zug genommen.

2.3 Tugendbegriff und Werte in der Ethik

Um den Begriff Tugend zu bestimmen, kann zunächst unterschieden werden zwi­schen in­stru­­men­tellen und moralischen Tugenden. Instrumentelle Tu­genden sind nicht in sich selbst gut, sondern ihre Qualität ist abhängig von der Ziel­­­­setzung ihres Einsatzes, wes­halb sie auch als Sekundärtugenden bezeichnet werden. Sekundärtugenden zu denen z. B. Fleiß, Pünkt­lich­keit, Spar­sam­­keit und Or­d­nungs­liebe sowie heutzutage auch IT-Kennt­nisse[54] ge­­zählt werden, haben die Tendenz, sich als Selbstzweck aus­­zugeben und sich in den Vordergrund zu rücken. Den Primär­tu­gen­den, die hier im Fokus stehen, gehören beispielsweise Hilfs­bereit­schaft, To­ler­anz und Ge­rech­tigkeit an.[55] Im frü­hen Chri­stentum entfalteten sich, mit Am­bro­sius be­ginn­end, die vier Kar­di­nal­tu­gen­den[56] Klug­­­heit, Tapferkeit, Ge­­rechtig­keit und Maß, sie gal­­ten als Bil­­der men­­­sch­li­chen Rich­tig­seins[57] und wur­den daher mit ´cardo` (Türangel) als Dreh- und An­­gel­­punkt alles Sitt­li­chen ver­stan­den[58]. Die Kardinaltu­gen­den lassen sich unter an­­derer Ak­zen­­tuie­rung auch in pa­r­­ti­ku­lä­ren Tu­gend­sys­temen, wie den ´bür­gerlichen Tugen­den` oder dem Ar­bei­ter­­ethos wie­­­der­fin­den[59]. Auf Aristoteles geht die Unterscheidung in Cha­rak­ter­tu­gen­den, die für die richtigen Ein­stell­un­­gen und Ziele sorgen, sowie den Ver­stan­des­tugenden (diano­­eti­sche Tugenden), von denen die eine Art, Phronesis für die richtigen Mittel und We­ge der moralischen Praxis zuständig ist, zu­rück[60]. Der Tugendbegriff lässt sich einer­seits un­ter Bezug auf institutionelle Tugenden, als Ethos­­kontext einer Ge­mein­­­schaft[61] oder als indi­vi­duelle Tugenden unter Bezug auf die sitt­liche Hal­­tung des Individu­ums, wenn auch zwi­schen beiden eine Abhängigkeit besteht, getrennt betrachten. Im Rahmen dieser Ar­beit steht der Be­zug auf die Tu­genden der einzel­nen Per­son im Mittel­punkt.

Eine begriffliche Ausdifferenzierung des Tugendbegriffs in der Perspektive dieser Arbeit er­fol­gt im Verlauf dieser Arbeit, daher sei im Folgenden lediglich ein Arbeitsverständnis ein­­ge­führt. Tugend wird hier als subjektive „personhaft integrierte, in der Personenmitte des Men­­schen verankerte“[62] Grundhaltung verstanden, „kraft derer der Mensch geneigt [Her­vorh. d. Verf.] ist, das Gute zu tun“[63]. Da­mit sind Tugenden ganzheitliche ´Hal­tungsbilder` die den Ethos eines bestimmten Lebensvollzuges ver­an­­schau­li­chen und glei­cher­­­­­maßen ´Hand­lungs­bil­der`, die situativ die Wirklichkeit ge­stal­ten hel­fen[64]. Tugend fragt vor allem danach, wie wir sein sollen[65]. Entsprechend bringt Mieth den Tu­gendbe­griff in einen Sinn­zu­sammen­hang mit Humanität und der Würde des Menschen[66]. Die Tugendethik, auch eudaimo­nis­tische oder are­tai­sche Ethik, beschäftigt sich mit der Orientierung des Handelnden bei der Auf­­gabe, ein gutes Le­ben zu führen, entgegen der deontologischen Ethik, die ethische Be­wer­­tungen auf das Gesollte im Sinne der ethisch richtigen Handlung bezieht[67].

Der Werte begriff ist gegenüber der Tu­gend kein Be­griff aus der klas­sischen Ethik, sondern ent­­­stammt der Öko­no­mie. Als Wert wird allgemein angesehen, was in ko­llek­tiver als auch in in­­dividueller Ein­schätzung als erstrebenswert, gut, beglückend und nütz­lich gilt[68], sowie Dinge, Eigenschaften und Verhaltensweisen, die von Men­schen als ´wert`-voll an­­gesehen wer­den[69]. Allerdings kommt auch den Werten, auch in der Ein­grenzung auf ´ethische Werte`, eine breite Bedeutung zu. So be­­­rührt der Ver­­such, ein Be­griffs­ver­ständ­nis für Werte grund­zu­legen u. a. Fra­­­­­gen der Norm­be­gründung, der Er­­kennt­nis­theorie und der moralischen Auto­no­mie des Men­­­­­schen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht angesprochen wer­den können.

Eine Funktion von ethischen Werten ist, dass sie helfen können, ethisch legitime von ille­gi­­­ti­men Interessen zu unter­schei­den. In Sicht­weise der Wert­ethik, aber auch des Uti­li­taris­mus und z. T. auch der Dis­kursethik werden Werte de­on­to­­­lo­gisch ver­stan­den und die Be­deu­tung des Guten im mora­li­schen Sub­­jekt re­du­ziert. Dem­gegenüber wird hier der Sichtweise ge­folgt, die einem planen Wert­ob­jek­­tivis­mus un­ab­hän­gig vom Sub­jekt kri­­­tisch ge­gen­übersteht und Werte uni­­versal gültig an­sieht, die durch die An­er­kenn­ung von mo­ral­fähigen, auto­no­men Sub­­­jek­­ten zur Existenz ge­­langen.[70] Werte stellen zwar Pro­duk­te mensch­li­cher Re­flex­ion dar, sie liegen aber ob­jek­­tiv, unab­hängig vom Men­schen vor. In diesem Sinne sind Wer­te von Menschen for­­­muliert, aber nicht durch subjektive Setz­un­gen, denn dann wären Wer­te ´nur` Kon­­­­ven­tionen. Ethi­sche Wer­te wer­den hier ver­­stan­den als grundle­gen­de Über­­zeu­gungen und Ein­stell­un­gen, wo­mit sowohl kog­nitive als auch affek­tive und vo­li­tionale As­pekte ein­her­ge­hen, an den­en der Mensch sein Ver­­hal­ten aus­­rich­tet. Die Anerkennung und Ablehnung von Wer­ten beein­flusst motivierend das Denken und Handeln des Menschen, daher formen Werte die Grund­linien mensch­li­chen Daseins.[71]

Mit Werteorientierungen kann einerseits die Wert-Haltung des Subjekts verstanden wer­den, andererseits kann von Werteorientierung gesprochen wer­den als objektive Orien­tier­ungs­­quelle für die Ausbildung der Wert-Haltung des Ein­zel­nen. In den für diese Arbeit an­gefragten em­­pirischen Arbeiten wird unter Werteorientierungen die Orien­­tierung des be­­­fragten Indi­vi­du­ums an Werten, unter der Perspektive von Lebens­pla­nung und Sinn­ge­bung, verstanden[72]. Entsprechend wird der Begriff Werteorien­tierung hier als Synonym zu sub­jektiver Wert-Hal­tung des Einzelnen ver­wendet. Insbesondere werden Wer­te­­orientierungen hier verstanden, als eine aus den an­erkannten Werten erwachsene He­raus­forderung des Sub­­jektes zu einem, den Werten ent­sprechenden Handeln[73] und kann so­mit als Ver­bind­lich­keits­seite von Werten angesehen werden.

Unter dem Begriff moralische Orientierung wird hier die ´Quelle` für die individuelle An­er­kennung von Werten und für die Aus­prä­gung der persönlichen Werteorien­tier­ungen ge­sehen. In dem für diese Arbeit zugrundegelegten Verständnis wird davon aus­ge­gangen, dass allein die Kenntnis von Werten nicht ausreichend für die moralische Orien­tierung ist, son­dern dazu die freie, auto­nome Bindung des Individuums an begründete Werte voraus­setz­end ist. Dazu wird hier auf das Modell der autonomen Moral Bezug ge­nommen, dessen phi­lo­­­sophischer Ansatz mit Kant begründet ist, und die Alfons Auer als autonome Moral in den Sinn­horizont des christ­li­chen Glaubens stellt[74].

In der Perspektive dieser Arbeit ist sowohl in theologischer als auch in soziologischer Sicht­wei­se ein Bezug zum Subjektsein der Person, zur personalen Identität gegeben. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Begriffe Identität, personale Identität und Persönlichkeit syno­nym ver­wendet. Iden­tität wird ver­standen als „innere, selbstkonstruierte, dyna­mi­sche Or­ga­nisa­tion von Trie­ben, Fähig­keiten, Überzeugungen und individueller Ge­schich­te“[75] und ist damit mehr als „Wissen um die eigene Existenz, ist mehr als Selbst­wert­ge­fühl, ist mehr als Über­zeu­gung von den ei­ge­nen Handlungsmöglichkeiten, und ist doch zu­gleich auch all dieses“[76]. Iden­tität kann auch funktionell als Befähigung verstanden werden, insofern ist sie „Ent­schie­den­heit zur Ge­stal­tung des eigenen Lebens und so Basis menschlicher Selbst­be­stimmung“[77]. Erikson bringt Iden­tität in den Zusammenhang mit einer Selbst-Stär­ke gewachsen aus einer er­fahrenen Zu­nei­gung durch Andere, die den Einzelnen zur an­teilneh­menden personalen In­ter­aktion be­fähigt. Dazu seien – be­son­ders in der Ado­leszenz - Vorbilder für die Aus­prä­gung der Iden­ti­tät bedeutsam.[78] Verschiedene so­­zialwissenschaftliche An­­sätze zur Identitäts­ bil­dung, wie sie z. B. mit Haußer vor­­liegen, können im Rahmen dieser Arbeit nicht be­han­delt wer­­den, dennoch sei hin­ge­wiesen auf dessen Verständnis von der Aus­prä­gung der per­so­na­len Identität anhand zykli­scher Pro­zesse der Verarbeitung von situativen und über-situativen Er­­­­­fahrungen mit der Iden­­ti­tät als motivationale Quelle, die als Prozess wie­derum Handeln ge­­­­­­neriert[79]. Insofern ist per­so­nale Identität nicht als Status zu sehen, „son­dern der Deck­­na­me für einen Prozeß“[80]. Identität stellt sich ein, als Ergebnis einer stän­di­gen Kon­struk­­tion, mit der der Mensch seine Erfahrungen in Relation zu seiner ihn um­ge­benden Um­welt bringt[81]. Damit wird hier eine Nähe zum handlungstheoretischen Ansatz des Per­sön­lich­keits­be­­­­griffs, der von einer komplexen wechselseitig gestaltenden In­teraktion zwischen In­di­vi­du­um und seiner Umwelt ausgeht[82], beschrieben.

3 Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher

Die Frage nach Orientierung, ´was soll ich tun?` ist immer auch eine Anfrage an Werte. Werte, die sich im Spannungsfeld zwischen dem Standpunkt des Individuums und den nor­ma­tiven Bedingungen in der Gesellschaft ausprägen und bewähren müssen. Aber ´welche Werte sollen gelten`? Diese Frage spitzt sich in einer zunehmend komplexen Lebenswelt, in der die Folgen des eigenen Handelns immer weniger überschaubar sind, für jeden Ein­zel­nen zu. Die plurale, individualisierte Gesellschaft ist gekennzeichnet durch eine Viel­falt an unter­schied­lichen Lebenslagen und –stilen, und dem Verlust der un­hinter­fragten Gül­tig­­keit von orien­­tieren­­den Instanzen, mit der Folge erweiterter Wahl- und Ent­scheidungsspiel­räume hin­­­sichtlich der moralischen Orientierung und der Lebensge­stal­tung für den Einzelnen.

Auch wenn ein allgemeiner Wertehorizont keine universelle Gültigkeit mehr bean­spru­chen kann, so werden in gesellschaftlichen Teilbereichen z. B. der Berufs­bildung, be­stimmten Wer­ten eine besondere Bedeutung beigemessen. Daher ist hier von Interesse, wel­che werte­be­zogenen Er­wartungen an jugend­liche Bewerber von Aus­bil­dungsplätzen ge­­stellt werden. Besteht in diesem Zusammenhang und in Hin­blick auf einen er­folg­reichen Über­gang in die Berufs­bildung, eine Ab­hängigkeit zwischen Aus­bil­dungs­platz­markt­benach­teili­gung und Wer­te­orientierungen? Zur Bear­beitung dieser Frage und letzt­lich mit Blick auf die Frage­stellung dieser Arbeit, steht zu ermitteln, welche Werte aus­­bildungs­platz­­markt­be­nach­teilig­ten Ju­gend­lichen wichtig sind. Dazu werden in Kap. 3.2 die Ergebnisse zweier empirischer Studien an­gefragt. Damit schließt sich die Frage nach gesellschaftlichen, so­zialen und individuellen Ein­­flussfaktoren auf die Werteorientierungen des Einzelnen, spe­ziell hinsichtlich aus­bil­dungs­platzmarktbenach­tei­ligter Ju­gend­licher an, um schließ­lich sich daraus ergebende ethi­sche An­fra­gen an die Gesell­schaft zu thema­tisieren.

3.1 Ausbildungsplatzmarktbenachteiligte Jugendliche in der Risikogesellschaft

´Risikogesellschaft` titelt das Buch von Ulrich Beck zu den Folgen der Indi­vi­du­ali­sierung, in dem eine damit einhergehende ´Produktion von Risiken` pro­ble­ma­tisiert wird[83]. Was be­deu­ten Indi­vi­duali­sierung und Pluralisierung für die Orientierung des Ein­zelnen und was bedeu­tet ´Risikoge­sellschaft` für ausbildungsplatzmarktbenach­teili­gte Ju­­gend­­liche? Wel­che An­for­derungen stellen sich vonseiten der Berufsbildung, als Teil­system der ´Risiko`-Ge­sell­schaft an Jugendliche, die einen Aus­bil­dungs­platz an­­streben? Welche Risiken stellen sich für aus­­­­bildungsplatzmarktbenachteiligte Jugend­liche beim Übergang in das Berufsbildungs­system?

3.1.1 Orientierung in pluraler, individualisierter Gesellschaft?

Woher kann der Einzelne in pluraler, individualisierter Gesellschaft seine Orientierung be­ziehen? Früheren Generationen dienten als Orien­tierungs­in­stanzen v. a. der religiöse Glau­be, Traditionen, kulturelle Standards und soziale Strukturen, in die das Individuum integriert war. Doch diese Instanzen haben zunehmend an Auto­rität und unhinterfragter Gültigkeit ver­loren, mit der Folge, dass es in unserer säkularen und pluralen Gesellschaft für den Ein­zel­nen keine Ge­wissheit mehr gibt.

Für diese gesellschaftlichen Veränderungen können folgende Prozesse benannt werden. Zum einen die Säkularisierung, die den Prozess des Wandels von einer durch die Reli­gion ge­präg­­ten Gesellschaft zu einer neuzeitlich-moderne Gesellschaft, ge­kenn­zeichnet durch den Rück­­gang von religiösen Einflüssen in der Gesellschaft sowie zu­nehmen­der Priva­ti­­sier­ung der Religion, beschreibt.[84] Desweiteren die Pluralisierung, mit der die Vielfalt von di­­ver­gieren­den Weltan­schau­un­gen be­schrieben wird. Mit den gesell­schaft­li­chen, kulturellen, po­litischen und wirt­schaf­t­lichen Ver­änderungen sind auch traditionelle tra­gende Wert­muster in Bewegung ge­raten und das ge­lebte Ethos unterliegt durch plura­lis­ti­sche Vielfalt und der Konkurrenz der Werteangebote einer stetigen Veränderlichkeit, wo­durch zum Teil die Tendenz zu einer Be­liebigkeit von Wer­ten feststellbar ist. Die eigenen Wer­te und Wert­kon­zepte werden von den Ein­zelnen hinter­fragt, wodurch eine existenzielle Ver­unsicherung und Orien­tierungskrise aus­gelöst werden kann. Durch das plu­rale Überangebot an Werten und das offene Orien­tierungs­angebot entsteht ein ´Zwang einer Wahl`, wel­cher grund­­sätz­­liche Fragen nach Kri­terien zur Wert- und Lebenswahl in­ten­diert, denn die mit der Plu­­ra­lität einhergehende Un­über­sichtlichkeit relativiert grundlegende lebens­tra­gen­de Hal­tungs­bilder.[85] Mit dem Begriff der funktionalen Differenzierung wird die Frag­­men­tier­ung der Ge­sellschaft als Gan­zes in ein­zelne funktionale, autonome Einheiten ohne re­gu­lieren­de In­ter­­system­verbindungen be­schrie­ben. Jedes dieser Systeme (z. B. Wirt­schaft, Politik, Fa­milie) agiert weitgehend nach ei­ge­nen Regeln und eigener Rationalität und nimmt alle an­de­ren Systeme als ´Umwelt` wahr.[86] Zu­mindest bedeutet die funktionale Di­ff­e­ren­­zierung für die christliche Ethik, sich einer­­seits An­fragen durch die vorhandene Werte­plu­ra­lität und an­der­­er­seits, sich dem Ar­gu­­ment von be­grenzter ´Zuständig­keit` stellen zu müssen. Für das In­di­viduum bedeutet eine funktional differen­zierte Gesell­schaft die Heraus­for­derung, sich für oder gegen die Teil­habe an Teil­sys­te­men der Ge­sell­schaft entscheiden zu müssen und sich je­­weils se­parat zu integrieren.

Indi­vi­dualisierung beschreibt den Prozess zur Ablösung der vor­mo­der­nen ein­heit­lichen Ge­sell­schaft. Unter Indi­vi­duali­sie­rung werden die Frei­setzung des In­divi­duums aus tradi­ti­o­nellen Bindungen und der damit ein­­­­hergehende Zu­ge­­­winn an Auto­no­mie, aber auch der Ver­lust von traditionalen Sicher­hei­ten gefasst[87]. Diese angesprochenen Zusammenhänge wer­den, im Rahmen dieser Ar­beit, unter dem Blick­­winkel Orientierung für ausbil­dungs­platz­marktbenachteiligte Jugend­li­che kon­kre­­ti­siert. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden sie als zwei Teilaspekte unter den Begriffen Plura­li­sierung und Individualisierung betrachtet.

Pluralisierung beschreibt den Prozess zu einer zunehmenden Vielfalt unserer Lebens­welt in vielen Bereichen, z. B. religiöser und politischer Pluralismus, Werteplu­­ralis­mus. Diese Ent­wick­lung ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da mit ihr vielfältige Op­tio­nen für die Le­bens­ge­staltung des Einzelnen einhergehen. Zunehmende Plu­ra­lisierung fin­det sich auch im Be­reich Werte und Werthaltungen. Unter dem Schlagwort ´Werte­plu­ralis­mus` wird bis­weilen eine Diskussion ge­­führt, in der ge­wan­del­te Werte mit ´Wer­­te­verfall` gleichgesetzt, und auf den Verlust ge­­­­­sell­schaftlicher Se­kun­där­tu­gen­den re­duziert wer­den. Dagegen hat sich in öffent­licher Diskussion als Kon­vention durch­gesetzt „über Werte diskutiert man nicht […], Werte und Überzeugungen sind Privat­an­­ge­legen­heiten“[88], womit die Anforderung nach Orien­tierung an dem Einzelnen ab­­gegeben wird. Im Rahmen dieser Arbeit kann auf die Werte­dis­kus­sion nicht vertiefend ein­­gegangen wer­den, viel­­mehr stehen die, sich durch die Plurali­sierung an junge Menschen stellenden An­for­der­un­­gen im Focus.

In plu­ra­ler Lebenswelt sieht sich der Ein­zelnen einer Vielzahl unterschiedlicher Wert­hal­tun­­gen ge­gen­über, womit sich für Jeden die Frage stellt, an welchen Werten er sich orien­tiert. Früheren Ge­nera­tio­nen bot sich eine größere moralische Sicherheit, da men­sch­liches Tun „durch ein sehr eng­­­maschiges Netz mo­rali­scher Tugend“[89] und geführt von der In­ter­pre­ta­tion des kirch­li­chen Lehr­amtes einer klaren Klassifikation in Form von ´richtig` und ´falsch` un­ter­wor­fen war[90]. Auf diese klare Klassifikation und Einheitlichkeit kann heute nicht mehr zu­rück­ge­griffen werden, sondern die Vielfalt nebeneinander exis­tie­render Strömungen und Deu­tungsmuster in pluraler Lebenswelt führt zur Un­be­greif­lich­keit der Welt als Ganzes, in der der Einzelne die sinnhafte Integration der Lebens­voll­züge selbst bestimmen muss[91]. In­so­fern stellt sich für den Einzelnen in der plura­lisierten Ge­sell­schaft die Anforderung, die Viel­­falt der gesellschaftlich gelebten Wirk­lich­keit auf sich selbst bezogen zu ordnen und zu se­lek­­­tieren, um dadurch das System der indi­­vi­du­ellen Überzeugungen als integrierbares, sinn­­volles Ganzes zu erhalten[92]. Aber wie kann er das? Woran kann der Einzelne sich heute bei seinen Ent­­scheidungen orien­tieren? Auf welcher Grundlage können diese Entschei­dun­gen ge­troffen werden und welche Fähig­keiten oder Eigen­schaf­ten erfordert eine autonome Ent­­­scheidung? In gleicher Hinsicht, wie die Pluralisierung dem Einzelnen Entscheidungs­op­tio­nen offeriert, stellen sich durch den Prozess der Individualisierung neue Entscheidungs­an­fra­gen an das In­di­viduum.

Unter der Individualisierung werden das Herauslösen des Einzelnen aus vor­ge­ge­benen So­zial­formen und sozialen Bindungen, aber auch der Verlust von Sicherheiten, so­wie einer neuen Art der sozialen Einbindung verstanden. Beck beschreibt den Verlust von tra­­di­tio­na­len Sicher­­­heiten, wie Handlungswissen, Glaube und leitende Normen als ´Ent­­zau­berungs­di­mension` der Individualisierung.[93] Durch diesen fortlaufenden Prozess, in dem die re­geln­den Funktionen von Institutionen immer weiter in den Hinter­grund ge­ra­ten, stellt sich an das In­di­viduum die Anforderung, das persönliche Leben „im Sinne eines Pro­­gramms re­flexiv ge­steu­erter Selbstent­faltung[94] “ zu ´konstruieren`[95], bzw. sich seine per­sön­­liche Exis­tenz mehr oder weniger ohne handlungsleitende Regeln zu ´basteln`[96]. Somit sind mit der In­di­­­­vi­du­ali­sierung erweiterte Entscheidungs­op­tionen ver­bun­­­den, die sich so­wohl auf die Aus­­­bil­­­­dung einer eige­nen Werthaltung, als auch auf die persönliche Lebens- und Bio­graphie­­planung be­ziehen.

Im Kontext dieser Arbeit sind Aspekte zur beruflichen Biographiesierung im Zuge der In­di­vi­­dualisierung von Interesse. Während für vorindividualisierte Generationen die Wahl des Be­rufes und der beruflichen Biographie nicht entscheidungsoffen war, und z. B. weibliche Bio­gra­­phien überwiegend durch die Familie geprägt wurden, bietet sich dem Ein­zelnen heute - wenn auch nicht unbegrenzt - eine Vielzahl an Gestal­tungs­op­tionen sowie die Per­spek­­tive, eine getroffene Entscheidung mög­licherweise auch revidieren zu können oder zu müssen. Le­bens­­läufe unterliegen nicht mehr einem durch soziale Strukturen vor­ge­zeichneten Ver­lauf, als ´Normalbiographie`, dennoch ist der Einzelne als Planer seiner Biographie nicht ent­schei­dungs­offen, denn die Ent­schei­dungen über Ausbildung, Beruf, Arbeitsplatz, Kin­derzahl usw. mit all ihren Unterentscheidungen können nicht nur, sondern müssen getroffen werden[97] und auch dort, „wo die Rede von ´Entscheidungen` ein zu hoch­tra­ben­des Wort ist, weil we­der Be­wusstsein noch Alternativen vorhanden sind, wird der Ein­zel­ne die Kon­se­­quen­zen […] ´aus­­baden` müssen“[98]. Insofern unterliegt der Lebenslauf des In­di­­viduums einer Dialektik von Freiheit und Repression, oder mit Beck/ Beck-Gernsheim ´ris­kanten Frei­heiten`[99].

Neben berufsbiographischen Aspekten betrifft die Individualisierung den Verlust von lei­ten­den Normen für den Einzelnen und damit die Frage nach moralischer Orientierung. Dieser Pro­zess, des zunehmenden Verlustes der regelnden Funktionen der Institutionen, be­deutet für den Einzelnen ein Zugewinn an Autonomie, dem­ge­genüber aber auch ein Ver­lust an Sta­bi­lität. Zudem entsteht durch die Zunahme an Ent­scheidungs­­­optionen auch Wahl­­zwang, weil in Bereichen, in denen früher keine Ent­scheidung möglich war, z. B. in ele­men­ta­ren Fragen, wie jene das Lebensende be­treffend, heute Ent­scheidun­gen nötig sind. Da­mit ver­schärft sich für jeden Einzelnen die Frage, an welchen Kriterien er sich auf seinem Weg zu einem er­füll­ten Leben und dem persön­lichen Glück orien­tieren kann. Die Individualisierung wird auch als neuer Modus der ´Vergesellschaftung` dar­gestellt, weil an die Stelle tra­di­tio­na­ler Bindungen neue Bin­dungen treten, z. B. Be­dingungen des Bil­dungssystems, des Ar­beits­marktes und der Kon­sum­existenz, die den Lebens­lauf des Ein­zeln­en prägen und ihn mit den in ihnen ent­hal­ten­en Stan­dardisierungen, ge­gen­läufig zu der indi­vi­­duellen Ver­fü­gung, „zum Spiel­ball von Mo­den, Verhältnissen, Kon­junk­turen und Märkten [macht]“.[100] In­so­fern wird In­di­­­vi­duali­sie­rung zu einer Form markt-, rechts-, bildungs- usw. ab­hän­giger Verge­sell­­­schaf­tung[101] mit neu­en Vorgaben, die die Menschen in ihrer Suche nach Orientierung auf­­grei­fen, die durch die neu­en Freiheiten ent­standenen Lücken werden gefüllt mit neuen Orien­­tierun­gen, z. B. aus Massen­medien[102]. Somit stehen an­stelle alter Verbind­lich­keiten neue In­stan­zen und In­sti­tu­tio­nen, neue Zwänge werden ge­schaffen, die aber auf der Suche nach Orien­­­tier­ung keine neue Sicherheit anbieten.

Unter der Fragestellung nach einer Bezugsquelle für moralische Orientierung kumulieren die Herausforderungen durch die oben beschriebenen gesellschaftlichen Prozesse. Im Zuge der Pluralisierung sind sittliche und religiöse Wirklichkeitsdeutungen zahlreich und für den Ein­zel­nen präsent geworden. Der christliche Glaube hat als sittliche Instanz seine un­­hin­ter­­­fragte Gül­tigkeit verloren und ist im Zuge der Individualisierung zunehmend in den Raum der Pri­vat­sphäre gerückt. Für den Einzelnen ergibt sich mehr Freiheit und Auto­no­­mie, allerdings wird auch auf die Institutionalisierung eines Konsenses ver­zichtet, wo­durch sich für den ein­zel­nen Mensch die Anforderung ergibt, die disparaten Segmente der funktional aus­di­fferen­zier­ten Gesellschaft[103] sowohl hinsichtlich seiner Lebensge­stal­tung, als auch für seine mora­li­sche Orientierung zu verknüpfen. Daher stellt sich nicht ´nur` die Frage, woher der Einzelne seine moralische Orientierung beziehen kann, son­dern auch, welche Fähigkeiten und Eigen­schaf­ten er für die o. g. Anforderungen be­­nötigt.

Im Rahmen dieser Arbeit stellt sich daher die Frage, wie ausbildungsplatz­markt­be­nach­tei­lig­ten Jugendlichen eine kon­sensfähige mora­lische Grund­lage aufgezeigt werden kann, aus der der Einzelne in der Risikogesell­schaft selbst­bestimmt seine Orien­tierung beziehen kann. Des­wei­teren besteht mit der geschilderten gesellschaftlichen Situation die An­for­derung, aus­bil­dungs­platz­markt­be­nach­teiligten Jugendlichen eine Orientierung zur Lebens­ge­stal­tung zu bieten. Darüber hinaus kann es nicht ausreichend sein, den Ju­gendlichen ent­sprech­ende Optionen anzubieten, sondern es steht zusätzlich zu be­den­ken, mittels welcher per­sonalen Voraus­setzungen sich die Jugendlichen den dar­ge­stellten An­forderungen stellen können, und wie die berufliche Bildung sie in der Ent­wick­lung bzw. Stärkung derer unter­stützen kann.

3.1.2 Tugenden - Zugangsvoraussetzung in die Berufsausbildung?

Die ´Risikogesellschaft` mit den bisher dargestellten Entwick­lun­gen zeigt auch Auswirkungen auf das gesellschaftliche Teilsystem Berufsbil­dung, und für diese Ar­beit be­deutend, in beson­derem Maße an der Über­gangsschwelle von Schule in die Berufs­welt. In der Tradition des drei­gliedrigen deutschen Schulsystems war ein nach Bil­dungs­ni­veau diffe­renzierter und rei­bungs­loser Übergang ins Berufsausbildungs- und Erwerbssystem durch die Zu­ordnung von Schul­abschlüssen zu beruflichen Bildungsgängen vorgesehen. Diese klar struk­turierten Über­gangs­wege an der ersten Schwelle in die Be­rufs­­­­­welt sind aller­dings für immer weniger Ju­gend­liche noch zutreffend.[104] Für leistungsstarke Jugend­liche kann dieser Strukturverlust von Vorteil sein, indem die horizontale Durchlässigkeit und sich damit bie­ten­­de Chancen genutzt werden können. Demgegenüber kann der Verlust der klaren Über­gangs­struktur in die Be­rufs­welt auch mit Unsicher­heiten und dem Risiko, den Über­gang nicht rei­bungslos oder gar nicht zu vollziehen, verbunden sein. Ins­be­­­sondere pro­ble­ma­tisch sind diese Indi­vi­duali­sie­rungs­aspekte für Ju­gend­li­che, die die Schule mit einem niedrigen Bil­dungs­niveau ver­lassen, weil diese Ent­wick­lungen innerhalb der ´Ri­si­ko­­­ge­sell­schaft` maß­geb­lichen Einfluss auf ihre Be­nachteiligung am Ausbildungs­platz­markt haben.

In öffentlicher Diskussion, auch im Kontext des ´Ausbildungspaktes` ver­schiebt sich die Dis­kussion zur Thematik Ausbildungsplatzmarktsituation zunehmend von ´Aus­­­­­bildungsplatz­man­­­gel` zum Verhältnis zwischen den individuellen Kennt­­­nissen und Kom­pe­ten­zen der Aus­bil­dungsplatzbewerber einerseits und den Er­war­tun­­gen und Anforderungen der Aus­bil­dungs­betriebe andererseits. Aktuell scheinen wach­sen­­de Dis­kre­panzen zwischen den mitge­brach­ten und den erwarteten Zugangs­voraus­setz­ungen wahr­ge­nommen zu wer­den, wo­durch der Thematik eine erhöhte Virulenz zu­kommt[105]. So werden von Vertretern der be­trieb­­lichen Be­rufs­ausbildung zum Teil pau­scha­li­­sierend, Mängel in der Aus­bildungs­reife von Ju­­gend­lichen beklagt, die aller­dings teil­weise mit erhöhten Ansprüchen der aus­bil­den­den Be­trie­be an die Be­wer­ber er­klärt werden können[106] und nicht unbe­dingt als Defizite auf der Be­wer­berseite ge­sehen werden können. Schließ­lich ziehen sich mit dem Wan­del zur Wissens­ge­sellschaft und der Strukturierung zu Ra­­tionalisierungs- und Re­orga­ni­­sierungs­pro­zessen so­wie der dadurch be­dingten verän­der­ten Stra­tegien der Personal­rekru­tierung, viele Be­triebe zu­nehmend aus der Aus­bildung zurück[107], wo­durch dann teil­weise im ´ver­kürz­ten Um­kehr­schluss` aus der daraus resultierenden Nicht­ver­­mittel­bar­­keit der Ju­gend­lichen ein Indikator für sinkende Aus­bil­­dungs­­reife der Ju­gend­li­chen ge­se­hen wird. Im Zuge dieser Problematik sehen sich in Deutschland derzeit über 294.294 Ju­gend­liche pro Jahr[108], beim Übergang von der allge­mein­bil­den­den Schule in die Be­rufs­aus­bil­dung einer Hür­de gegenüber und gehen, trotz des aktuell ent­spannten Aus­­­bil­dungs­­stellen­­­mark­­tes[109] nach Be­endigung der all­ge­mein­bil­den­den Schule nicht in eine Be­rufs­­aus­bildung, son­dern be­such­en Schul­for­­­­men des ´Über­gangs­systems`[110]. Mit Blick auf die ak­tu­ellen Zah­len der Aus­­­­bil­dungsplatzmarktstatistik (vgl. Kap. 2.1) und unter dem Eindruck der öffent­­lich ge­­führ­ten Dis­kussion zum (drohenden) Fach­­­­kräfte­mangel in ver­schie­denen Bran­chen und Wirt­­schafts­zwei­gen, beispielsweise dem Hand­werk, stellt sich die Frage: Warum ver­­­zich­ten ausbildende Betriebe jährlich auf die ge­nann­ten 294.294 Ju­gendlichen? Welche Fä­hig­­­keiten oder Ei­gen­schaf­ten werden für den Zu­gang zur du­alen Berufs­ausbildung voraus­ge­­­setzt, die eini­ge Be­wer­ber nicht mit­bringen? Wo­durch ist ´Ausbildungsreife` charak­teri­siert?

Zur Bearbeitung dieser Frage fokussiert sich der Blick auf die BEK als eine der Schulformen des ´Übergangssystems`. Eine Eingrenzung ist notwendig, da die Viel­falt des ´Übergangs­systems` kaum zu überblicken und zudem bundeslandspezifisch ist. Für die Fokussierung auf die BEK seien zwei Gründe genannt, einer­seits lieferte die Beob­ach­tung einer BEK-Klasse den kon­kreten An­stoß zur Themen­wahl für die vor­liegende Arbeit und desweiteren ist die BEK ein voll­stän­dig neu konzi­pierter Bil­dungsgang, der in den Curri­cula als „eine sehr inno­va­tive Schul­form“[111] be­zeichnet wird. Diese Be­schreibung weckt Er­war­tungen an eine ziel­gruppen­­spe­zifische In­ten­tion und Konzeption des neuen Bil­dungs­gangs. In der Annahme, die Ziel­setz­ung dieser Schulform spiegele den Be­darf der Schüler wieder, an die sich das Angebot der BEK richtet, erfolgt ein Blick auf die curri­cular for­­mu­lierte Zielsetzung des Bildungsgangs BEK. Charakteristisch für eine Schul­form des ´Über­­­­gangs­systems` hat die BEK die Ziel­setzung, die­jenigen indivi­due­llen Kom­pe­ten­zen von Ju­gendlichen zu verbessern, die zur Aufnahme einer Berufsaus­bildung oder Be­schäf­­ti­gung not­­wendig sind[112]. Darüber hinaus verfolgt die BEK das zentrale An­lie­gen, die Aus­bil­dungs­­reife der Schüler zu erwirken, um sie für den Einstieg in die Berufs- und Aus­­­bil­dungs­welt zu qualifizieren[113]. Die spezifische Zielsetzung dieser Schulform ist demnach, jene Jugend­liche, die be­stim­mte Ei­gen­schaften, die sie als ´reif` gelten lassen für die Aufnahme einer Berufs­aus­bil­dung, ver­­missen lassen, in der Ent­wicklung dieser Ei­gen­schaft­en zu fördern, also zur ´Aus­­­bil­­dungs­­reife` zu führen. Wie ist der Begriff ´Aus­bil­dungs­rei­fe` inhaltlich gefüllt? In der ´Hand­reichung für die Berufseinstiegs­klasse` (BEK-Hand­rei­chung) wird der Begriff als „sehr vielschichtig und teils unterschiedlich interpretiert“[114] dar­ge­­stellt, allerdings be­stün­de Einigkeit darüber, dass „unter ´Aus­bildungs­reife` nur solche As­pek­­te subsumiert wer­den können, die schon bei An­tritt [Hervorh. d. Verf.] der Berufsaus­bil­dung vorhanden sein müssen“[115]. Welche Aspekte sind dies und welche Eigenschaften sind in dieser Sicht­weise not­wendig, um eine Berufs­aus­bil­dung an­treten zu können? Hierzu be­ruft sich die BEK-Handreichung auf die Befragung von ca. 500 Expertinnen und Ex­per­ten für die Berufs­ausbil­dung[116], und nennt sehr konkret Eigen­schaf­ten wie Zuver­lässig­­­keit, Lern­- und Lei­stungsbereitschaft, Ver­antwortungs­bewusst­sein, Kon­­­­zen­tra­­­­tions­­­fähig­keit, Sorg­falt, Rück­sicht­nahme, Höflichkeit, Toleranz, Fähig­­­­­keit zur Sel­bst­­­­­kri­tik, Kon­flikt­fähigkeit und die Bereit­schaft, sich in betriebliche Hierarchien ein­zu­ord­nen, welche als Se­kun­där­tu­­gen­den einordbar sind. Dazu findet sich auch in der BEK-Hand­rei­chung ex­plizit der Hin­weis, unter ´Aus­bil­dungs­­­reife` seien diejenigen Fähig­keiten und Ar­beit s­­­tu­gen­den zu zäh­len, die für alle Aus­bil­dungsberufe voraussetzend sind.[117] Damit kann fest­­­ge­halten wer­den, dass im Bereich der Berufsausbildung be­stimmte Arbeits-, Leistungs- und So­zial­tu­genden in der Be­rufs­aus­bildung als unerlässlich an­ge­sehen werden, und von den Be­­wer­bern er­wartet wird, dass sie diese Tugenden bei An­tritt der Aus­bildung mit­bringen.

Neben der spezifischen Zielsetzung der ´Ausbildungsreife` verfolgt die BEK das Ziel, „die­je­ni­gen individuellen Kom­petenzen von Jugend­lichen [zu ver­bessern], die zur Aufnahme einer Aus­­­­bildung oder Beschäftigung not­wendig sind“[118]. Welches sind diejenigen Kom­pe­tenz­as­pek­­te, die zur Auf­­­nahme einer Berufs­aus­bil­dung als not­wendig angesehen werden? In den Curricula ist das Kom­pe­tenz­kon­strukt der KMK-Handreichung (vgl. Kap. 2.2) als Bil­dungs­ziel der BEK definiert[119]. In der Perspektive dieser Arbeit ist unter den ein­zel­­nen Kom­­pe­­tenz­di­m­en­­sionen ins­be­sondere die Humankompetenz von In­teresse. Diese umfasst ge­mäß den Rah­men­richt­li­nien für die BEK, „Eigenschaften wie Sel­­­bst­­stän­dig­keit, Kritik­fähig­keit, Selbst­ver­­trauen, Zu­ver­lässigkeit, Verantwortungs- und Pflicht­­be­wusstsein“[120]. Dazu fällt ins Au­ge, dass hier per­so­nale Eigenschaften als As­pekte von Kom­­pe­tenz dar­gestellt werden, die zum Teil identisch sind mit denen, die als Merk­ma­le von ´Aus­­bil­dungs­reife` be­nannt wur­den, und zudem wie­derum als Sekundärtu­gen­den be­zeichnet wer­den können. Desweiteren ge­­hören zur Hu­man­kom­pe­tenz ge­mäß den BEK-Rah­men­richt­linien „ins­be­son­dere auch die Ent­­­wick­lung durch­dachter Wertvorstellungen und die selbst­be­stimmte Bin­­dung an Wer­te“[121].

Der erfolgte Blick in die Curricula der BEK verdeutlicht die Rolle von sozialen Tugenden und Werten als Bildungsziele der BEK. Außerdem lässt sich damit die Bedeutung von sozialen Tu­gen­­den und Werten in der Berufsausbildung hervorheben, da die BEK zur Auf­nahme einer Be­rufsausbildung befähigen soll. Implizit enthalten in den Formu­lier­un­gen der Bildungs­ziele ist die Annahme, Schüler der BEK, ­ent­sprechend dem hier zu­grun­de gelegten Begriffs­ver­ständ­nisses sind dies ausbildungs­platz­markt­benachteiligte Jugend­li­che, bedürften in dieser Hin­­sicht einer be­son­deren För­derung. Da­raus lässt sich wiederum die Annahme eines Zu­sammen­hangs zwischen Ausbil­dungs­platz­marktbenachteiligung und vor­­­liegenden Wert­e­orien­tierungen ab­leiten. Daher stehen zu­­nächst die Auswirkungen der ´Ri­siko­gesellschaft` für Jugendliche mit einem niedrigen Bildungsniveau an der Schwelle ins Be­­­rufs­­le­ben zu prä­zisieren. In der Folge zu klären, an welchen Werten sie sich in ihrer Le­bens­welt und Lebens­ge­stal­tung orien­­tieren.

3.1.3 Benachteiligt beim Zugang in die Berufswelt

Die Eingliederung in die berufliche Lebenswelt und damit in ein eigenverantwortliches Le­ben hat im Laufe der Adoleszenz eine hohe Bedeutung. Im deutschen beruf­lichen Bil­dungss­ystem kommt außerhalb von akademischen Berufen, für die Mehr­heit der Jugend­lichen (knapp 65% einer Jahrgangskohorte)[122], der beruflichen Erstausbildung im dualen System die Funk­tion einer Eintrittspforte in diesem Integrationsprozess zu, womit der Ab­schluss eines Aus­bil­dungsvertrages eine Ein­trittsschwelle dar­stellt. Durch die In­di­vidualisierung bieten sich bei der Berufswahl für den Ein­zel­nen eine Viel­falt an Entschei­dungs­­op­tionen, z. B. ist die Wahl des eigenen Be­ru­­fes, ent­ge­gen der Si­tua­tion in der stän­di­schen Gesellschaft, nicht mehr vollständig ab­hän­gig vom väter­lichen Beruf und dem jewei­li­gen sozio-öko­no­mischen Status der Ur­sprungs­fa­milie, allerdings geht damit für benach­tei­ligte Ju­gend­liche an diese Schwelle in den Beruf auch das Risiko einher, die Schwelle und damit den Übergang in den Beruf nicht be­­wäl­ti­gen zu können.

Damit werden Aspekte von Bildungsbenachteiligung und Selektions­pro­zessen im Bil­dungs­system, die ein weites Feld in verschiedenen Disziplinen darstellen, sowie eine ak­tuelle Dis­kussion in der Bil­dungspolitik angesprochen. Im Rahmen dieser Arbeit können nur aus­­ge­wähl­­te Ge­sichts­­punkte des komplexen Wirkungsgefüges von Merkmalen des Bildungs­sys­tems und so­­zial ungleichen Handlungsbedingungen und -folgen angesprochen werden. Im Fol­gen­den sollen vor allem die sozialen Integrations- und Selektionsmechanismen, die mit dem dualen System der beruflichen Bildung verbunden sind, thematisiert werden.

Der Beruf hat für die gesellschaftliche Teilhabe, für die Sicherung der finanziellen Lebens­grund­lage und auch für die Identität des Einzelnen eine hohe Bedeutung. Deutlich wird dies, wenn die Frage ´Was sind Sie?` vielfach mit der Bezeichnung des Berufes beantwortet wird. In diesem Verständnis ist der Be­ruf nicht nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Funk­tion von Ar­beitsteilung, sondern viel­­­mehr Teil des so­ziokulturellen gesellschaftlichen Sys­tems. Dem­ent­sprechend kann dem Beruf die Funktion eines Rah­mens der individuellen Bio­gra­­phie, des Kerns der per­sön­lichen Identität sowie eines Me­diums der gesell­schaftlichen In­tegration und Status­zu­weisung zukommen.[123] Entsprechend fasst Greinert die Funktionen des Berufes, die als Pro­zess ebenso für die Berufsausbildung Gel­­tung haben, zusammen. So habe der Beruf für den Ein­zelnen eine Quali­­fi­zierungs­funk­tion, da mit der Berufsausbildung eine spezifische Quali­fi­ka­tion in Form einer bestimmten be­ruflichen Handlungskompetenz erlangt und mit Zer­tifi­ka­ten be­leg­bar wird. Für die Ge­sell­schaft und den Einzelnen kann die Allokations-, Selek­tions- und Sta­tus­distributionsfunktion des Berufes beschrieben werden, mit welcher der Einzelne durch die Berufsausbildung eine je­weils für seine Befähigung adäquate Position auf dem Ar­beits­markt er­­langen kann, bzw. sie ihm zuge­wie­sen oder auch verwehrt werden kann. Die Ab­­sorptions- und Auf­be­wah­rungs­funk­tion be­schreibt die Vergesell­schaf­tung des Ein­­zelnen in der Sichtweise des Nutzens für die Gesellschaft. Während die Ver­wer­tungs­­funk­tion den Nutzen der Berufs­aus­bil­dung für den Einzelnen beschreibt, indem diese, im Ideal­fall für die Dauer des Er­werbs­lebens, als Erwerbsgrundlage fungiert. Ebenso für den Ein­zelnen hat die Inte­gra­tions­funk­tion, mit der die Sozialisation des Einzelnen in die Ge­sell­schaft und die Lebenswelt der Er­wach­senen aus Sichtweise des Individuums, so­wie die Le­gi­timation für das Innehaben des mit der Berufsausbildung erreichten sozialen Status zu­kommt, eine Be­deu­­tung.[124] Aus theologischer Sicht kann die individuelle subjektive Be­deu­tung von Be­rufs­arbeit, für die durch eine Berufsausbildung die Voraussetzungen gelegt wer­den, betont wer­den. Denn „Arbeit ist ein Gut für den Menschen – für sein Menschsein, weil er durch die Ar­beit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpasst, son­dern auch sich selbst als Men­sch verwirklicht, ja gewissermaßen ´mehr Mensch` wird“[125].

Diese beiden As­pekte zur Propädeutik von beruflicher Erwerbsarbeit sollen die Be­deu­tung der Berufsaus­bil­dung als Eintritt in die Berufswelt verdeutlichen. Allerdings müssen sie an dieser Stelle ge­nügen, denn vertiefende Perspektiven zum deutschen Berufsbegriff, zum Ar­beits­ethos und zu theo­­logischen Dimen­sionen von Arbeit und Beruf, die wiederum As­pek­te von Menschen­wür­de tangieren, können im Rahmen dieser Arbeit nicht verfolgt werden. Be­tont sei das der beruf­lichen Bildung in Deutsch­land zu­grunde liegende Bil­dungs­verständnis, in dem beruf­li­che Bildung, in An­schluss an Ker­schen­steiner, als von den betrieblichen An­for­derungen ge­löstes, auf Ver­gesell­­schaftung bezogenes Erziehungs­prin­zip verstanden wird[126]. Damit grenzt sich die be­ruf­liche Bildung vom neuhu­manisti­schen Bildungsverständnis, in dem die Allge­mein­­bil­dung der beruf­li­chen Bildung entgegen­ge­setzt wird, und Letztere die „pure Aus­rich­tung des Menschen auf Nützlichkeit unter­stellt[127] “, womit die Ein­schrän­kung der in­di­vi­duellen Frei­heit und Sub­jekt­werdung ein­her gehe[128], ab (vgl. Kap. 2.2). Vielmehr be­­­steht der An­spruch, die beruf­liche Bildung solle den Pro­zess der Ver­ge­sell­schaf­tung und der so­­­zialen Integration von Ju­gendlichen un­ter­stützen und sie so auf ihrem Weg zu er­wach­sen­en Mit-Gestaltern der ´Risiko­ge­sell­schaft` be­­fähigen[129]. Entsprechend ist auch das eman­zi­­pa­to­rische Kom­pe­tenz­verständnis der KMK als Bildungsziel zu verstehen, mit dem Ju­gend­li­chen einer­seits für die Be­rufs­­tätig­keit qua­li­fiziert und sie anderseits zur Mit­gestaltung ihrer Arbeits­­welt und Le­bens­welt be­fähi­gt werden soll[130]. Ge­lingt es nicht, diese beiden Ziel­set­zungen anti-dualistisch zu inter­pretieren, setzt sich die be­ruf­liche Bildung dem Ver­dacht aus, eines der Ziele zu ver­nach­­­lässigen und er­­öffnet damit Wege, wie in den 1990er Jahren teil­weise ge­schehen, ihren Bil­­dungsauftrag durch von wirtschaft­lichen Interessen geleiteten Ar­gu­­­men­ten kri­tisch hinter­fra­gen zu lassen.[131] Damit kann die die sinn- und identitäts­stif­ten­de Funk­tion der Berufs­aus­bil­dung für den Ein­zelnen und ebenso eine hohe gesellschaftliche, so­ziale, öko­nomische und per­sönliche Be­­­deu­tung des Berufes und damit auch der Berufs­aus­bil­­dung festgehalten werden.

Die Stärke des dualen Berufsbildungssystems kann darin ge­sehen werden, dass es einer gro­ßen Mehrheit der Schulabgänger, die eine nichtaka­de­mi­sche Lauf­­­bahn einschlagen, einen re­la­tiv ´sicheren` Weg in den Be­ruf und damit in die qua­lifizierte Er­­­werbsarbeit ebnet. Damit hat das duale System, eine entscheidende Funk­tion im Hinblick auf die Ver­teilung von Le­bens­chancen.[132] Demgegenüber scheinen aller­dings für viele Ju­gend­liche die Schwierig­kei­ten, ihre beruf­liche Ein­mün­­dung erfolgreich aktiv zu ge­stal­ten, zu­ge­nommen zu haben und die Le­bensphase Jugend ist in in­di­vi­dualisierter Ge­sell­­schaft zu einem Lebens­ab­schnitt der struk­­­turellen Unsicherheit und Zukunfts­un­ge­wiss­heit ge­wor­den[133]. Grundsätzlich weist das be­rufliche Bildungssystem zwar gegenüber der drei­glie­drigen Struk­tur des allge­mei­nen Bil­dungs­systems eine ver­gleichs­­weise große soziale Offen­­heit auf, schon weil der Zu­­gang zu einer Ausbildung im du­alen System[134] zumindest for­mell nicht an bestimmte, nicht mal an einen Schul­ab­­schlüsse gebunden ist. Allerdings ist die so­ziale Offen­heit und da­mit auch die Zu­wei­sung von Le­benschancen de facto dennoch ein­ge­schränkt, denn die aus­bildenden Be­trie­be kontrollieren auch den Aus­bil­dungs­zu­gang, indem sie die Jugend­li­chen, denen sie einen Aus­bil­dungs­ver­trag an­bieten, aus­wäh­len. Die Beson­der­heit da­bei ist, dass Schul­ab­gänger aus allge­mein­bil­den­den Schulen nicht auf der Basis be­reits er­lern­ter be­ruflicher Hand­lungs­kom­pe­ten­z ausgewählt werden, son­­dern aufgrund ihrer po­ten­ziellen Eignung für das Er­lernen berufs­spe­zi­fischer Fertigkeiten und Kenntnisse werden Le­bens­chancen zugeteilt oder verwehrt. Durch dieses Vorgehen wird der Zu­gang zum dualen Sys­tem entscheidend durch die Auswahl der ausbildenden Be­­­trie­be bestimmt, und da dieses Aus­bil­dungs­system in beinahe allen Wirtschafts­be­rei­chen und Branchen vorrangig vor­­­han­den ist, bieten sich dem Einzel­nen kaum al­ter­native Wege in den Arbeitsmarkt.[135] In­so­fern spielt die ´erste Schwelle` in die Berufswelt, der Zu­gang zu einer Berufsausbildung im dualen System für die Mehrheit der Jugendlichen eine stra­te­gische Schlüsselrolle im Hin­blick auf die Zuweisung von Le­bens­chancen.

Anhand welcher Kriterien entscheiden betriebliche Ausbildungspartner über die Eignung eines Bewerbers für den vakanten Ausbildungsplatz? Da die Auswahl durch die ausbildenden Be­triebe nicht anhand von schon er­wor­be­nen beruflichen Qualifikationen erfolgen kann, stellt der erlangte Schulabschluss, das Bil­dungsniveau, das primäre Auswahlkriterium für die Be­triebe dar. In dieser Hinsicht lassen sich in den letzten Jahr­zehn­ten deutliche Ver­schie­bun­gen feststellen. Während im Jahr 1970 noch 80% aller Auszubildenden über einen Haupt­schul­­­abschluss verfügten[136], betrug bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Jahr 2010 der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss 3,1% und mit Hauptschulabschluss 32,9%. Die Realschulabsolventen stellen mit 42,9% den Hauptanteil und 21% der Zugänge in die Berufsausbildung verfügen über die Studienberechtigung.[137] Der auffällig ge­­sun­ke­ne An­teil der Hauptschulabsolventen bzw. –abgänger im dualen Sys­tem wird häufig auf zu­­­neh­men­­­de soziale Verdrängungsprozesse durch die vermehrte An­zahl an Be­wer­bern mit hö­he­ren Bil­dungsniveaus zurückgeführt, vermutlich dürften ebenso so­­zia­le Se­lek­tionseffekte und ne­gative Etikettierungen bzw. Stigmatisierungen eine be­deu­ten­­­­­de Rolle spielen. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch die veränderte Rolle der Haupt­schule von der ehemaligen ´Volksschule` zu einer Schulart für lernschwache und be­nach­teiligte Ju­­gendliche.[138] Mit die­ser Entwicklung haben sich auch die durch­schnitt­lichen Chan­cen von Absol­ven­ten der Haupt­­schulen auf dem Ausbildungsmarkt ne­gativ verändert und da­­mit ihre Zugangschan­cen in die Be­rufswelt, wodurch wiederum ihr Zugang zu be­stim­m­ten so­­zialen Po­si­tionen eine Ein­­­schränkung erfährt. In diesem Sinne wird in Deut­sch­land „eine soziale Fa­­ta­­lität dadurch ge­setzt, dass die Me­cha­nis­­­men des Bil­dungs­sys­tems und der Positionszu­wei­sung in der Ar­beits­welt vor­han­­­­dene Schichtun­ter­schiede eher be­­stä­tigt als auflockert“[139]. Dement­sprech­end heben die Autoren der Shell-Jugendstudie Bildung als Schlüssel in der Biographie Ju­gend­­licher her­vor und be­to­nen die Bedeutung des schulischen Er­­fol­ges als Weichenstellung für das wei­te­re Leben. Dabei nehmen die be­frag­ten Ju­gendlichen die Schlüsselrolle der Bil­­dung für den weiteren Le­bensverlauf durch­aus wahr, und entsprechend sehen Jugend­liche denen kein Bil­dungs­auf­stieg winkt, ihre ge­ringen Chan­cen und blicken mit wenig Opti­mismus auf ihre eigenen Mög­lichkeiten im Leben[140].

Damit stellt sich allerdings die Frage nach den Gründen für die Benachteiligung am Aus­bil­dungs­platzmarkt. Warum werden Jugendliche mit einem geringen Bildungsniveau sel­tener als andere in die betriebliche Be­rufs­ausbildung aufge­nommen? Lassen, aus Sicht der Aus­bil­der, ihre geringeren schuli­schen Leistungen ein geringeres Ver­mögen zum Erlernen beruf­licher Fertigkeiten, Kennt­­nisse und Qualifika­tionen erwar­ten? Unter Be­ach­tung der, von Be­rufs­­aus­­bil­dungs­ex­per­tinnen und -experten genannten Faktoren von Aus­bil­dungs­reife (vgl. Kap. 3.1.2), scheint be­merkenswert, dass hierzu in erster Linie Se­kun­där­tugenden ge­nannt wurden und erst in zweiter Linie Aspekte von Bildung, sowie kog­ni­tive Aspekte keine Er­wäh­nung hin­sicht­lich einer ´Reife` zur Berufsausbildung finden. Kann dem­ent­sprech­end von einem Ver­ständ­nis eines Zusammenhangs zwischen nie­dri­gem Bil­dungs­­ni­veau und Mängeln im Ver­fügen über Sekundärtugenden vonseiten der Aus­bilder aus­ge­gan­gen werden? In der Wertediskussion werden teilweise Sekundärtugenden und Werte unzureichend von­­­­einander ab­gegrenzt, kann es daher bei den geäußerten, bei Bewerbern erwünschten Se­­­kundär­tu­gen­den auch implizit um Werte gehen? Weisen ausbildungsplatzmarkt­be­nach­­teiligte Jugend­li­che in der Mehrheit Werteorientierungen auf, bzw. äußern sie Werte­orien­tierungen, die von denen der Mehrheit der Jugendlichen abweichen? Daher steht in Kap. 3.2 die Frage an Er­geb­­­nisse aus der empirischen Sozialforschung zu Werte­orien­tierungen aus­bil­dungs­platz­markt­­­benachteiligter Jugendlicher an.

3.2 Werteorientierungen ausbildungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher im Spiegel empirischer Jugendforschung

Durch die beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen stellen sich an den Einzelnen ganz un­terschied­liche soziale, institutionelle und individuelle An­for­derun­gen, die er je­weils für sich in Einklang bringen muss. Besonders Ju­gend­­liche sind der Individuali­sierung in einem ex­pliziten Masse ausgesetzt, daher stellt sich die Frage nach empirischen Ergebnissen. Wie ge­hen Jugendliche mit den He­raus­­­forderungen um? Welche Wertewirklichkeit schaffen sich ins­besondere ausbildungs­platz­­marktbenach­tei­ligte Jugendliche angesichts der ge­sell­­schaft­li­chen Ent­­wicklungen?

Zu Lebens- und Werteorientierungen Jugendlicher gibt es eine Vielzahl empirischer Unter­su­chun­­gen, von denen die Shell-Ju­gend­studie derzeit wohl zu den ak­tuellsten öffentlich dis­ku­tie­rten em­pi­rischen Stu­dien gehören dürfte, sowie die Studie zu ´Lebensorien­tierungen Ju­gend­­­licher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahr­neh­mung von Berufs­schüler­innen und –schü­lern in Deutsch­land`[141]. Beide Studien liefern Daten zu Wer­­te­orien­tierungen Ju­gend­­­licher, allerdings ver­wendet die Feige-Gennerich-Stu­die, im Ge­gen­­­satz zur Shell-Ju­gend­stu­­die, eine be­wusst vom kirch­lich-reli­giösen Sprachgebrauch ab­wei­­­­chen­de Seman­tik zu wert­bezogenen Be­­fra­gungs-Items[142]. Aus diesen Gründen erfolgt für die empiri­sche Grund­le­gung zur The­ma­tik dieser Arbeit ein Blick auf die Ergebnisse dieser bei­­den Stu­dien. Darüber hinaus liegt eine Viel­zahl weiterer Studien (z. B. Sinus-Milieu-Stu­die) vor, die allerdings im Rah­­­men dieser Arbeit nicht angefragt werden können. Die Aus­wer­tung der Daten aus den beiden genannten Studien bezogen auf aus­bil­dungs­platz­markt­be­nachteiligte Jugendliche, ge­mäß dem Be­­griffs­ver­ständ­nis in Kap. 2 eingegrenzt als Jugendliche ohne oder mit maxi­mal einem Haupt­­­schul­ab­schluss, sowie die dafür ver­wen­de­ten Daten, befinden sich im Anhang (vgl. Anhang 2 und 3) dieser Arbeit.

Wodurch kenn­zeich­nen sich die Werte­orien­tierun­gen dieser Gruppe Jugendlicher? Die Shell-Ju­gendstudie stellt für alle befragten Jugendlichen im Mittel eine hedonistische, aber lei­stungs­orientierte Werteorientierung[143] heraus, und für Jugendliche mit nie­dri­gem Bildungs­ni­­veau bezüglich mehrerer Faktoren von der Mehrheit ab­weichen­de Werte­­orien­tierun­gen[144]. Mit den Ergeb­nisse der Feige-Gennerich-Studie können für aus­bil­dungs­­platz­markt­­be­nach­tei­lig­ter Ju­gend­liche im Mittel über­wie­gend eher sel­bstorientierte und materi­a­lis­tische Werte­orien­tierungen erwartet werden[145].

Zusammenfassend können als Ergebnis der Anfrage an empirische Daten folgende Aussagen zu Werte­orien­tierungen aus­­bil­dungsplatzmarktbenachteiligter Jugendlicher getroffen wer­den. Sowohl mit der Shell-Jugend­stu­die als auch mit der Feige-Gennerich-Studie kann eine Ab­­­hängigkeit zwischen Ausbildungsplatzmarkt­be­nach­tei­li­gung und den Wer­teorientierungen der Ju­­gend­­li­chen an­ge­­­nommen werden. Es be­steht ein, wenn auch an einer kleinen Stich­pro­­be, belegter Zu­sammen­hang zwi­schen Aus­bil­dungs­­platz­­markt­be­nach­teiligung und ma­te­ria­­­listischen, auto­­­nomie- sowie sta­tusbe­zo­genen Wer­teorientierun­gen. Jugendliche ohne oder mit maximal einem Haupt­schul­ab­­schluss be­werten viele Werte aus dem gesell­schaft­­­li­chen, partner­schaft­­lichen und reli­gi­ö­sen Kon­text abweichend von Ju­gend­lichen mit ei­nem hö­­­­­­heren Bil­dungsniveau. So wer­den z. B. in einer Partnerschaft fremd­ge­hen, Ver­trauens­miss­­­brauch und Gewalt deut­lich eher ak­zep­­tiert als von der Mehrheit der Ju­gend­­li­chen[146]. Es sei allerdings be­tont, dass es sich hierzu um relativ geringe Zu­stimmungs­quoten handelt und daher lediglich als Ten­den­zen aufzeigend zu interpretieren sind.

[...]


[1] Gadamer, Hans-Georg, zit. n. Stoeckle 1975, 243

[2] Anmerkung: Jugendliche wird hier synonym mit ´jungen Menschen` gebraucht. Der Begriff bezieht sich nicht auf eine juristische Definition oder eine konkrete Altersspanne.

[3] Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird hier für Lehrerinnen und Lehrer, sowie für Schülerinnen und Schüler die männliche Form verwendet, die weibliche Form aber impliziert.

[4] Vgl. Tamke 2008, 2005

[5] Vgl. Noelle-Neumann/ Petersen 2001, 15

[6] Vgl. Tamke 2010, 231

[7] Vgl. Niedersächsischer Landtag 2000, 1 f

[8] Vgl. Niedersächsisches Schulgesetz 1998, § 2 Abs. 1

[9] Vgl. Berufsbildende Schulen Osnabrück Brinkstraße 2012, 1 (exemplarisch ausgewählt)

[10] Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, 163 f

[11] Vgl. Statistisches Bundesamt 2012, 1

[12] Vgl. Konietzka 2010, 291

[13] Vgl. BIBB 2012 c, 5

[14] Vgl. BMBF 2012, 11

[15] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012 , 1

[16] Vgl. BIBB 2012 c, 5

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. Colemann 1987, 179

[19] Anzenbacher 2003, 31

[20] Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, 163 f

[21] Vgl. Rützel 2002, 3 f

[22] Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 79

[23] Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 97 f

[24] Vgl. BMBF 2012, 34

[25] Vgl. a. a. O., 49

[26] Vgl. BMBF 2012, 11

[27] Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 99

[28] Vgl. KM 2010 b, 14

[29] Vgl. KM 2010 a, 5

[30] Vgl. Schelten 2004, 65

[31] Vgl. Schmidt 1998, 17

[32] Vgl. Bader/ Müller 2002, 176

[33] Vgl. Cycoll 2006, 272

[34] Vgl. Tramm 1994, 39 f

[35] Arendt 1978, 49

[36] Vgl. Kurtz 2002, 9

[37] Vgl. Czycoll 2006, 271

[38] Vgl. Tramm 1994, 39

[39] Aebli 1980, 15

[40] A. a. O., 18

[41] Vgl. Aebli 1980, 99

[42] Vgl. Seeber/ Nickolaus 2010, 10

[43] Vgl. Klieme/ Hartig 2007, 19

[44] Vgl. Klieme et al. 2003, 22

[45] Vgl. a. a. O., 73

[46] Vgl. Brand et al. 2005, 3 ff

[47] Vgl. Spöttl/ Musekamp 2009, 21

[48] Sekretariat der KMK 2007, 10

[49] Sekretariat der KMK 2007, 11

[50] Vgl. Sekretariat der KMK 2007, 11

[51] Ebd.

[52] Vgl. Bader/ Müller 2002, 176

[53] Vgl. KM 2010 a, 5

[54] Vgl. Ehrenthal et al. 2005, 4

[55] Vgl. Höffe 1998, 46 f

[56] Vgl. Mieth 1984, 19

[57] Vgl. a. a. O., 33 f

[58] Vgl. Mieth 1984, 19

[59] Vgl. a. a. O., 36 f

[60] Vgl. Höffe 1998, 47

[61] Vgl. Anzenbacher 1998, 118

[62] Stoeckle 1975, 244

[63] Pieper 1974, 284

[64] Vgl. Beirer 1995, 85

[65] Vgl. Weber 1991, 320

[66] Vgl. Mieth 1984, 15

[67] Vgl. Quante 2008, 138

[68] Vgl. Eid 1975, 270

[69] Vgl. Beirer 1995, 81

[70] Vgl. Höffe 2007, 308 f

[71] Vgl. Eid 1975, 270 f

[72] Vgl. Albert et al. 2010 a, 28; Vgl. Feige et al. 2008 b, 27

[73] Vgl. Beirer 1995, 85

[74] Vgl. Auer 1975, 53

[75] Marcia, James E. 1980, zitiert nach Haußer 1983, 21

[76] Haußer 1983, 11

[77] Beirer 1995, 79 f

[78] Vgl. Fleischer 1975, 149

[79] Vgl. Haußer 1983, 104 f

[80] Maurer 1995, 33

[81] Vgl. ebd.

[82] Vgl. Ulrich 1982, 94

[83] Vgl. Beck 1986, 25

[84] Vgl. Vorgrimler 2008, 555

[85] Vgl. Beirer 1995, 76 ff

[86] Vgl. Luhmann, Paradigm Lost, 1988, zit. n. Höffe 2007, 33

[87] Vgl. Beck 1986, 206

[88] Lesch 1995, 145

[89] Römelt 1996, 119

[90] Vgl. Römelt 1996, 119

[91] Vgl. Goertz 1998, 339

[92] Vgl. Luhmann 1973, 224

[93] Vgl. Beck 1986, 205 f

[94] Kudera 1995, 86

[95] Vgl. Kudera 1995, 86

[96] Vgl. Hitzler/ Honer 1994, 310

[97] Vgl. Beck 1986, 216

[98] A. a. O., 216 f

[99] Vgl. Beck/ Beck-Gernsheim 1994, Titel

[100] Beck 1986, 211

[101] Vgl. Beck 1986, 210

[102] Vgl. Kos 2010, 5

[103] Vgl. A. a. O., 4

[104] Vgl. Lex/ Geier 2010, 164

[105] Vgl. Frommberger 2010, 3

[106] Vgl. Hilger/ Servering 2010, 97

[107] Vgl. Dobischat et al. 2009, 131 f

[108] Vgl. BMBF 2011, 42

[109] Vgl. BMBF 2012, 11

[110] Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 96

[111] KM 2010 a, 2

[112] Vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 79

[113] Vgl. KM 2010 a, 3

[114] A. a. O., 4

[115] Ebd.

[116] Anmerkung: Genannt werden 89 Ausbilder, 64 Lehrer an berufsbildenden Schulen, 87 Mitgliedern von Berufsbildungs­aus­schüssen, 54 Forschern und Entwicklern sowie 188 sonstigen Experten. Vgl. Ehrenthal et al. 2005, 1

[117] Vgl. KM 2010 a, 3

[118] Konsortium Bildungsberichterstattung 2010, 95

[119] Vgl. KM 2010 b, 5

[120] Ebd.

[121] Ebd.

[122] Vgl. BMBF 2011, 11

[123] Vgl. Arnold/ Gonon 2006, 74 f

[124] Vgl. Greinert 1998, 146 ff

[125] Papst Johannes Paul II. 1981, Laborem Exercens 9

[126] Vgl. Arnold/ Gonon 2006, 56 f

[127] Rebmann et al. 2003, 102

[128] Vgl. Rebmann et al. 2003, 102

[129] Vgl. a. a. O., 98

[130] Vgl. Sekretariat der KMK 2007, 9

[131] Vgl. Tramm 1994, 43

[132] Vgl. Konsietzka 2010, 297

[133] Vgl. Albert et al. 2010 a, 38

[134] Anmerkung: dies gilt für alle (z. Zt. 344) anerkannten Ausbildungsberufe nach § 4, 5 BBiG und § 25 Hand­werks­­­ordnung, jedoch nicht für Ausbildungsberufe an vollqualifizierenden Berufsfachschulen z. B. im Gesundheitswesen.

[135] Vgl. Konsietzka 2010, 281 ff

[136] Vgl. Tessaring 1993, 138

[137] Vgl. BIBB 2012 a, 155

[138] Vgl. Konietzka 2010, 290

[139] Gensicke 2010, 192

[140] Vgl. Albert et al., 16 f

[141] Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird der umfangreiche Titel der Studie als Feige-Gennerich-Studie bezeichnet.

[142] Vgl. Feige 2008, 220

[143] Vgl. Anhang 2, 6 f

[144] Vgl. Anhang 2, 7

[145] Vgl. Anhang 2, 19

[146] Vgl. Anhang 2, 18

Ende der Leseprobe aus 167 Seiten

Details

Titel
Können Tugenden moralische Orientierungen für benachteiligte Jugendliche auf dem Ausbildungsmarkt bieten?
Hochschule
Universität Osnabrück  (Katholische Theologie)
Veranstaltung
Moraltheologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
167
Katalognummer
V210300
ISBN (eBook)
9783656394808
ISBN (Buch)
9783656395140
Dateigröße
3922 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
können, tugenden, orientierungen, jugendliche
Arbeit zitieren
Ines Triphaus-Giere (Autor:in), 2012, Können Tugenden moralische Orientierungen für benachteiligte Jugendliche auf dem Ausbildungsmarkt bieten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210300

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