Theorieansätze und exemplarische Vergleiche der aktuellen Medien- und Kommunikationsforschung


Vordiplomarbeit, 2003

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Historischer Ansatz
1.2. Wirkungsansatz
1.3. „Uses and Gratifications Approach“ - Nutzenansatz.
1.4. Ethnomethodologischer Ansatz
1.5. Medienbiografischer Ansatz
1.6. Medienökologischer Ansatz

2. Aufsätze zum Thema
2.1. Aufenanger: „Wie Kinder und Jugendliche Gewalt im Fernsehen verstehen“
2.2. Kunczik: „Wirkungen von Gewaltdarstellungen – Zum aktuellen Stand der Diskussion“
2.3. Vollbrecht: „Jugendkulturelle Szenen und ihre Medien“

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Eine einheitliche Theorie zur Erklärung der Phänomene im Zusammenhang mit dem Mediengebrauch von Kindern und Jugendlichen gibt es zur Zeit (noch) nicht.[1]

Im Folgenden soll versucht werden einen Überblick über die aktuellen Theoriemodelle der Medien- und Kommunikationsforschung herzustellen. Besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die Rezeption von Gewalt- und Aggressionshandlungen in den Medien gelegt, wobei auch hier die unterschiedlichen Ansätze beleuchtet werden sollen.

Kann also „menschliches Handeln als ein im weiteren Sinne dinglich verursachtes Ereignis oder aber eher als Ergebnis von [...] selbstverantwortlich bestimmten Willensäußerungen eines aktiven und selbstreflexiven Subjekts angesehen werden [...]“[2] ? Inwieweit adaptieren Kinder und Jugendliche die Medieninhalte, und in welchem Ausmaß tragen diese zur Gestaltung des sozialen und familiären Alltags bei? Könnten in diesem Fall demzufolge eindeutige Rückschlüsse über das Nachahmen von Fernsehgewalt im realen Leben gezogen werden? Gerade diese in der Öffentlichkeit sehr populären Fragestellungen sollen in den folgenden Kapiteln besondere Berücksichtigung finden, mit verschiedenen Theorieansätzen untersucht und durch weiteres Textmaterial überprüft werden. Als Grundlage dienen dabei die Aufsatzsammlung von Mike Friedrichsen und Gerhard Vowe sowie Michael Charltons und Klaus Neumann-Brauns Einführungsliteratur in die aktuelle kommunikationswissenschaftliche Forschung.

Die darin zu findenen Forschungsansätze liefern einen Einblick in die kontroverse Diskussion um die Rolle des Zuschauers als „passiven Rezipienten und [der] Wirkung des Mediums“[3]. Des Weiteren soll so ein Überblick über die mannigfache Hypothesenbildung geschaffen und einleitend auf die kommunikationswissenschaftlichen Texte vorbereitet werden.

1.1. Historischer Ansatz

Die Hinwendung zur Geschichtsperspektive in der Medienforschung verdankt ihre Rechfertigung nicht allein dem Umstand, dass es an sich interessant ist, eine pointiert medienwissenschaftliche Geschichtsschreibung vorzunehmen; vielmehr bemisst sich die Relevanz kommunikationshistorischer Fragestellungen an ihrer Funktionalität für die Untersuchung aktueller Kommunikationsprobleme.[4]

Die von Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun beschriebene Entwicklung der letzten Jahre, nämlich die zunehmend historische Erforschung von individueller und gesellschaftlicher Kommunikation, steht im Vordergrund dieses Forschungsansatzes. So könne er maßgeblichen Einfluss auf Erkenntnisse und Lösungsvorschläge aktueller Kommunikationsprobleme nehmen, Erklärungen anbieten und den geschichtlichen Werdegang heutiger Phänomene zu erklären helfen.

Es dürfe, laut Roland Burkart, jedoch nicht der Fehler gemacht werden, Verhaltensweisen und Auswirkungen zurückliegender Medienrezeption ohne Berücksichtigung der sich heute ständig verändernden Medienlandschaft in die aktuelle Kommunikationsforschung mit einzubeziehen. So unterstreichen die Autoren die Bedeutung der Inter- und Multidisziplinarität, denn heutige Theorien und historische Erkenntnisse seien nur durch das Zusammenwirken verschiedener Wissenschaftsrichtungen eindeutig miteinander zu verknüpfen und als solche definierbar.

Der historische Ansatz einer aktuellen Medien- und Kommunikationsforschung impliziere zudem weit mehr als nur die bloße geschichtliche Betrachtung des Pressewesens – vielmehr erstrecke er sich nunmehr auch auf andere Aspekte und Erscheinungsformen wie beispielsweise die Studien zur historischen Publikums- und Wirkungsforschung[5], zur Geschichte der Medien- und Kommunikationswissenschaften[6] oder zur Geschichte der Institution der Medienproduktion[7]. Charlton und Neumann-Braun betonen jedoch, dass diese Ansätze allein noch nicht ausreichen, um eine eigenständige und für sich abgerundete Theorie der Kommunikationsgeschichte auszumachen. Nur die Summation dieser und verschiedener weiterer Aspekte könne helfen die Mediengeschichte als „eine Geschichte kultureller Differenzierungen“[8] zu verstehen. Was damit gemeint ist, soll das folgende Beispiel deutlich machen.

Bezug nehmend auf die oben referierten Thesen, greifen Charlton und Neumann-Braun auszugsweise den Text „Kinderwelten in einer sich verändernden Medienumwelt“ von Bettina Hurrelmann, auf. Dieser zeigt deutlich, welchen Wandel die Inhaltsbedeutung, Vermittlung und Rezeption vom Medium Literatur im sozialen Kontext der Familie in den letzten Jahrhunderten genommen haben. Die historische Relevanz eines sinnstiftenden und sachlichen Lesens/Vorlesens habe sich bis zur heutigen Zeit zunehmend verändert. So hatte die Buchlektüre im 18. Jahrhundert primär autoritative und pädagogische Funktionen im interfamiliären Eltern-Kind Verhältnis zu erfüllen – „lesen wurde als eine soziale Interaktionsform praktiziert“[9]. Diese Eigenschaft veränderte sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts insofern, als dass Geselligkeit und selbstständiges Lesen der Kinder immer mehr in den Vordergrund traten. Heute jedoch stehe das Lesen zunehmend in Konkurrenz zu anderen Medien, so dass familiäre Gemeinsamkeiten und Kommunikationsinhalte vermehrt in Fernsehkonsum und -rezeption wieder zu finden seien. So stiften Bücher heute, laut Hurrelmann, kaum noch wichtige soziale Situationen und Interaktionen im Familienverbund – diese Funktion habe zunehmend das Fernsehen übernommen.

Die Geschichte eines Mediums ist ohne Berücksichtigung von individuellen bzw. sozialen Verwendungspraktiken bzw. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat zu erfassen.[10]

1.2. Wirkungsansatz

Charlton und Neumann-Braun unterteilen den von ihnen beschriebenen Wirkungsansatz in drei unterschiedliche Ausprägungen: Die medien-zentrierten und rezipienten-orientierten Ansätze sowie das komplexe Kausalmodell der Medien-Rezipienten-Beziehung. Diese werden im Folgenden einzeln aufgegriffen, so dass die verschiedenen Ansätze und Verflechtungen des aktuellen Forschungsstandes detailliert betrachtet werden können.

So gibt es in der heutigen medien-zentrierten Wirkungsforschung ein einfaches, und zugleich weit verbreitetes Denkmodell, das auf der starren Verbindung zwischen Medienreiz und –rezeption beruht. Demnach hätte der übermittelte Inhalt direkten Einfluss auf die daraus resultierende Reaktion des Zuschauers – eine vermutete Gesetzmäßigkeit, die trotz vorhandener Gegenbeweise immer noch einen festen Platz in der Medienforschung einnimmt. Die Autoren definieren sie als „direkte Wirkungshypothese“[11], als konkrete Schlussfolgerung von den Inhalten auf die Wirkungen, die den Rezipienten als eindeutig passiven Empfänger charakterisiert.

Die Erweiterung dieses Modells hin zur rezipienten-kontextorientierten Forschung zeige jedoch, dass dieses zwar nicht grundlegend falsch sei, jedoch weitere, für diesen Ansatz fundamentale Aspekte außer acht lasse.

Die Berücksichtigung situativer, subjektiver und formaler Bedingungen während der Rezeption liefere ein weitaus realistischeres Bild des Zusammenhangs zwischen Reiz und Reaktion. Der Zuschauer gelte nicht mehr nur als passiver Informationsempfänger, vielmehr könne er durch oben genannte Einflüsse die Medieninhalte individuell verarbeiten, selbst auswählen und während der Rezeption mit anderen Zuschauern interagieren.

Aus diesen Erkenntnissen resultierend hat sich ein weiterer Aspekt der Medienwirkungsforschung herausgebildet – der rezipienten-orientierte Ansatz. Basierend auf der Voraussetzung von Eigenaktivität der Rezipienten bei der Verarbeitung der Medieninhalte, beruht dieser auf dem Bemühen, die kognitiven und emotionalen Abläufe dieses Vorgangs zu analysieren. So ist, laut Charlton und Neumann-Braun, der Zuschauer bereit die Inhalte dann nachzuahmen, wenn er diese „für […] erfolgreich und (moralisch) gerechtfertigt oder für […] übertragbar auf die eigene Person […] einschätzt“[12]. Die Fähigkeit zur individuellen Bewertung einer Situation entwickle sich jedoch erst im Laufe der Jahre. Kinder könnten demnach schwerer die moralischen Aspekte sowie Realität und Fiktion voneinander unterscheiden. Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von sozialkognitiven Fähigkeiten, die es dem Rezipienten später ermöglichen sollen, alltägliche Mediennutzungssituationen perspektivisch richtig einzuschätzen.

Je nach seinem persönlichen Situationsverständnis […] sieht bzw. liest oder hört der einzelne Rezipient möglicherweise etwas ganz anderes als das, was vom Autor intendiert worden ist […].[13]

Die komplexen Kausalmodelle der Medien-Rezipienten-Beziehung sind ein weiterer Ansatz der heutigen Wirkungsforschung. Im Gegensatz zu einfachen Ursache-Wirkungs-Analysen widmen sich diese Modelle den vernetzten und multiplen Systemen zwischen Mensch und Umwelt, zwischen ständig wechselnden Bedingungen und Ereignissen. Charlton und Neumann-Braun untersuchen exemplarisch, basierend auf den komplexen Modellen der Medienwirkungsforschung, die Auswirkungen von Gewalt im Fernsehen auf den Rezipienten. Die vermuteten Folgen[14], gerade für Kinder, konnten jedoch bis heute nicht eindeutig nachgewiesen werden – populäre Hypothesen, wie zum Beispiel die Katharsis-Hypothese[15], gelten heute als nahezu widerlegt.

Neuere, groß angelegte Untersuchungen wie die von Helmut Lukesch zeigen zumindest einen geringfügigen Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungsrezeption und reaktiver Aggressivität. Die Überprüfung dieses Ergebnisses durch die Einbeziehung anderer möglicher Faktoren, was dem Ansatz eines komplexen Kausalmodells entspricht, senkte diesen Bezug zwar, machte ihn aber doch nicht weniger signifikant. Des Weiteren kam Lukesch zu dem Ergebnis, dass vorhandenes Aggressionspotential das Interesse an Gewaltdarstellungen noch verstärke, was wiederum eine Forcierung der Gewaltbereitschaft bedeuten könne[16]. Diese Jugendlichen hätten Schwierigkeiten im Umgang mit anderen und isolierten sich von der sie umgebenden Alltagsrealität („Selbstselektionshypothese“[17] ).

Charlton und Neumann-Braun betonen jedoch, dass alle aufgeführten Zusammenhangsmaße sehr niedrig seien, und dass sich zudem themengleiche Untersuchungen im Ergebnis voneinander unterschieden haben. So sei der Fernsehkonsum nur eine von vielen Variablen, die für die Persönlichkeitsentwicklung prägend ist. Diese zu bestimmen, einzuordnen und zu analysieren sei Grundbestandteil des kausalnomologischen Untersuchungsmodells, „wenn es um die Untersuchung von Langzeiteffekten unter Berücksichtigung von sozialem Kontext und Persönlichkeit der Rezipienten geht.“[18]

1.3. „Uses and Gratifications Approach“ - Nutzenansatz

Der „Uses and Gratifications Approach“ wird verstanden als Versuch herauszufinden, warum „bestimmte Personen bestimmte Medien benutzen und wie sie von dieser Tätigkeit profitieren“.[19] Charlton und Neumann-Braun akzentuieren, dass mit diesem Modell die eigentliche Wirkungsforschung einen neuen Weg beschreite. Nach diesem Ansatz ist nicht der Rezipient den Beeinflussungen des Mediums ausgesetzt, vielmehr benutzt er es für seine Zwecke – er unterliegt also nicht passiv der Medienwirkung, sondern er handelt aktiv ihr gegenüber. Die Fragestellung lautet also, welche spezifischen Medien der Zuschauer zu welchem besonderen Zweck nutzt (Unterhaltung, Befriedigung des Informationsbedürfnisses, Entspannung, Ablenkung usw.).

Die Autoren unterscheiden in ihrem Text, bezugnehmend auf eine Zusammenstellung des britischen Medienwissenschaftlers Denis McQuail, zwischen fünf Fragestellungen des „Uses and Gratifications Approach“: der „Medien-Gratifikation“ (Befriedigung, Gebrauch, Motiv, Inhaltsverbindung), der „Gratifikation und Mediengebrauch“ (Zusammenhang zwischen den Erwartungen und der Art/Häufigkeit des Medienkonsums), der „Sozialer Ursprung und Medien-Gratifikationen“ (Verbindung zwischen sozialer Herkunft/aktuellen Lebensumständen und den Gratifikationen), der „Gratifikationen und Wirkungen“ (Zusammenhänge zwischen Gratifikationen, Inhalten und Wirkungen), und der „Situation-Motivation-Mediengebrauch-Befriedigung-Konsequenzen“ (empirische Überprüfbarkeit solcher oder ähnlicher Abläufe; Beziehung zwischen den einzelnen Elementen ). Im Vordergrund dieser Ansätze steht immer die Position des Zuschauers in Verbindung mit seiner sozialen Situation. Die Autoren definieren dies als funktionalistisches Rezeptionsmodell, wonach der Mensch als sich selbst regulierendes, „auf Anpassung und Homöostase eingestelltes soziales System“[20] verstanden wird. Sie betonen jedoch, dass auch der „Uses and Gratifications Approach“ bis heute über keinen einheitlichen Konsens in der Medienforschung verfüge, da konzeptionelle Probleme nicht gänzlich ausgeräumt werden konnten.

Der in den siebziger Jahren entstandene Nutzenansatz hingegen basiert auf der Annahme, dass die Rezipienten die übermittelten Inhalte nicht einfach ungefiltert adaptieren, sondern dass sie diese aufgrund ihrer individuellen Ziele und Wertsetzungen mit einer ganz persönlichen Bedeutung versehen – „Medieninhalte werden also subjektiv rekonstruiert“[21]. Allerdings sei auch diese individuelle Rezeption eingebettet in das soziale System gesellschaftlicher Interpretationsmuster.

[...]


[1] Michael Charlton/Klaus Neumann-Braun: Theorieansätze und Methoden der Medien- und Kommunikationsforschung. In: Charlton/Neumann-Braun (Hg.): Medienkindheit, Medienjugend – Eine Einführung in die aktuelle Kommunikationswissenschaftliche Forschung. München 1992, S. 24.

[2] Ebd., S. 24.

[3] Ebd., S. 24.

[4] Ebd., S. 25.

[5] z.B. Kauf- und Lesepublikum von Zeitschriften; Lesegesellschaften im 17. und 18. Jahrhundert

[6] z.B. die Entwicklungsgeschichte von Soziologie und Zeitungskunde

[7] z.B. die Programmgeschichte des Fernsehens und des Hörfunks; Institutionalisierungsprozesse

[8] Ebd., S. 28.

[9] Ebd., S. 29.

[10] Ebd., S. 30.

[11] Ebd., S. 32.

[12] Ebd., S. 35.

[13] Ebd., S. 38.

[14] Darunter sind Aggressionsminderung, Wirkungslosigkeit oder Verstärkung der Gewaltbereitschaft als Zuschauerreaktion auf Gewaltdarstellungen zu verstehen.

[15] Sie besagt, dass Gewaltdarstellungen eine reinigende, also aggressionsmindernde Wirkung auf den Zuschauer hätten.

[16] Dieser Ansatz ist in der Forschung als rekursives Verursachungsmodell bekannt.

[17] Ebd., S. 42.

[18] Ebd., S. 45.

[19] Ebd., S. 46.

[20] Ebd., S. 47.

[21] Ebd., S. 48.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Theorieansätze und exemplarische Vergleiche der aktuellen Medien- und Kommunikationsforschung
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Soziologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
27
Katalognummer
V21035
ISBN (eBook)
9783638247511
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorieansätze, Vergleiche, Medien-, Kommunikationsforschung
Arbeit zitieren
Moritz Klöppel (Autor:in), 2003, Theorieansätze und exemplarische Vergleiche der aktuellen Medien- und Kommunikationsforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21035

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