Extrait
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die europäische Zivilgesellschaft im wissenschaftlichen Diskurs
1.1. Kernfragen und wissenschaftliche Problemstellungen
1.2. Demokratietheoretische Einordnung
1.3. Demokratietheoretische Problemstellungen
2. Theorieaffine Dimension des Diskurses
2.1. Die organisierten europäischen Zivilgesellschaften in der beteiligungszentrierten Demokratietheorie
2.2. Die theoretische Ausgestaltung des Weißbuches
3. Die Wahrnehmung der Europäischen Kommission auf die Zivilgesellschaft zwischen Demokratie- und Integrationsbestrebungen
3.1. Demokratischer Impetus
3.2. Instrumentelle Perzeption
4. Die Etablierung und der Nutzen einer europäischen Bürgerinitiative
4.1. Die europäische Bürgerinitiative zwischen demokratietheoretischer Konzeption und instrumenteller Gestaltung
4.2. Intentionale Hinweise über die Ausgestaltung im Weißbuch
5. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“1 sagte die Deutsche Bundeskanzlerin in der Regierungserklärung vom 26. Oktober 2010. Doch was genau soll Europa hierbei darstellen? So könnte man schlussfolgern, Europa sei ein gewachsener Staatenverbund, dessen tragendes Fundament eine gemeinsame Währung ist. Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden kulturellen Gemeinsamkeiten und des historischen Erbes erscheint die Reduzierung auf das Resultat der Währungsunion als einendes Element wenig nachvollziehbar. Es räumt der Währungsunion eine prioritäre Stellung gegenüber der Bürgerunion ein. Angesichts des entschlossenen Ziels „[...] einer immer engeren Union der Völker Europas [,..]“2 offenbart sich die Frage, wie diese vollzogen werden soll und woraufhierbei der Schwerpunkt liegt.
Was geschieht, wenn fiskal- und wirtschaftspolitische Gesichtspunkte die dominierende Größe sind und Bürgerbedürfnisse dabei unterminiert werden, verdeutlichen die Occupy-Protestbewegungen. Doch auch dieser Protest wird nicht als das wahrgenommen, was er darstellen will: ein Bedürfnis nach Partizipation und sozialer Gerechtigkeit.
Der Gerechtigkeitsbegriff wird in Artikel 2 EUV - Werte der Union - ebenso benannt, wie auch die Demokratie als zentraler Wert der EU festgeschrieben steht. Angesichts der jüngsten Äußerungen des Kommissionspräsidenten darf auch vermutet werden, dass eine Besinnung auf diese Werte und deren Einhaltung höchste Priorität erfährt. Dies in besonderem Maße, sollte der Verdacht bestehen, gegen sie werde verstoßen.3 Gerechtigkeit, Demokratie und damit Partizipation erscheinen somit als nur allzu europäische Bedürfnisse.
Als vitale Sphäre jenseits von Markt und Staat sind zivilgesellschaftliche Akteure rahmensetzend. Der stark ausgeprägte mediale Fokus auf wirtschaftspolitische Themen verleiht der Debatte um das Demokratiedefizit in der EU neuen Auftrieb. Dabei spielen Aspekte wie: Responsivität der Union und die Irreversibilität ihrer Entscheidungen, die Einfluss auf die Sphäre der Zivilgesellschaft ausübt, eine elementare Rolle. Kritisiert wird dabei ebenfalls die als intransparent und ineffizient wahrge nommene Repräsentationskette und vor diesem Hintergrund wird die EU als legitime Vertretung der europäischen Bürger in Frage gestellt.
Die mannigfaltigen Indizien einer defizitären Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung wurden auch von Seiten der Union und ihrer Organe wahrgenommen. Daher unternahm die Kommission den Versuch, einen neuen Modus im Umgang mit der europäischen Bevölkerung und damit den organisierten europäischen Zivilgesellschaften zu finden, um diese stärker einzubinden.
So erschien am 18. März 2002 ein Bericht des European Foundation Centre (EFC), der Bezug nahm auf das Weißbuch der Europäischen Kommission: „Europäisches Regieren“ vom 25.7. 2001. Dabei wurden gewisse Kernpunkte zur besseren Partizipation und Einbindung zivilgesellschaftlicher Partner in die europäische Politik benannt und einige Hauptziele formuliert wie: ,,the building of a strong civil dialogue“4 Die Ausgestaltung solch eines Dialoges und die Einrichtung eines grundsätzlichen Rahmens, für direkte Partizipation durch die Unionsbürger, ist Kerngegenstand des EFC-Berichts vom 31. Januar 2010. „There is a need to set up a framework for civil dialogue at European level in order to allow a structured and permanent dialogue within organised civil society and between civil society organisations and EU institutions.”5 Die Europäische Bürgerinitiative soll dabei das Instrument sein, mit dem dieser Dialog zielgerichtet geführt werden soll.
Die Zivilgesellschaft wird in Art. 11 Abs. 2 EUV direkt benannt, was ein Novum in einem Vertrag europäischer Staaten darstellt. Es kann ferner als Signum der Notwendigkeit verstanden werden, eine Partizipationsmethode einzuführen, an der sich jeder Unionsbürger direkt beteiligen kann. Doch wie soll diese mit der europäischen Zivilgesellschaft ausgestaltet werden und wie vereinbar ist diese mit den beteiligungszentrierten Demokratietheorien?
Diese Arbeit beginnt zunächst zu prüfen, inwiefern die europäische Zivilgesellschaft im wissenschaftlichen Diskurs zu verorten ist. Geklärt werden soll dabei nicht, ob eine europäische Zivilgesellschaft existent, möglich oder unmöglich ist, sondern an welchen Themenkomplexen die Wissenschaft besonderes Interesse aufzeigt und wo Problemgegenstände ausgemacht werden. Daran anschließen soll die demokratietheoretische Einordnung eben dieses Diskurses. Hier soll ein Einblick über theorieaffine Probleme und Verbindungen zur Thematik gegeben werden. Diese sollen im Hinblick auf deliberative und partizipative Elemente näher untersucht werden. Die Eingrenzung ist insofern wichtig und sinnvoll, als die genannten Elemente Kernbereiche sozialer Interaktion ausmachen. Diese wiederum sind integraler Bestandteil zivilgesellschaftlichen Engagements. Abschließen soll das erste Kapitel mit der Kenntlichmachung konfliktär besetzter Bereiche des angesprochenen Diskurses im Hinblick auf beteiligungszentrierte Elemente.
Die im vorrangegangenen Kapitel angeführten Probleme und Handlungsfelder sollen nun in Bezug auf die gewählte Theorie benannt und umfänglicher erläutert werden. Hierbei wird diese Arbeit die europäische Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund beteiligungszentrierter Demokratietheorie genauer untersuchen und deliberative sowie partizipative Elemente herausarbeiten. Aufgrund des Umfanges wird diese Arbeit jedoch nicht auf die detaillierte Genese einzelner Theoriestränge eingehen. Der Fokus liegt auf den theoretischen Kernaussagen. Eben diese sollen geprüft und in einem zweiten Schritt anhand des Weißbuches erörtert werden. Hier gilt es zu klären, welche Formen der Partizipation die Kommission vorschlägt, auf welchen Grundlagen sie dies tut und wie sie gedenkt, diese zu verwirklichen. Es gilt ferner, demokratietheoretische Implikationen im Weißbuch kenntlich zu machen.
In Kapitel 3 geht diese Arbeit der Frage nach, welche Intention dem Weißbuch zugrunde liegt. Insofern sei zu prüfen, ob sich die europäische Zivilgesellschaft in einem Spannungsfeld befindet, zwischen einem genuin demokratischen Impetus einerseits und Bestrebungen zur instrumentellen Formung der europäischen Zivilgesellschaft zu einem Integrationsagenten anderseits.
Die gesammelten Erkenntnisse zum benannten Spannungsfeld finden in Kapitel 4, in Bezug auf die europäische Bürgerinitiative, Anwendung. Eine solche Initiative als direktdemokratisches Partizipationsinstrument stellt im Mehrebenensystem der EU ein Novum dar. Verbunden damit werden viele Hoffnungen hin zu mehr Transparenz und verbesserter Responsivität. In diesem Kapitel gilt es zu prüfen, ob diese Initiative das langersehnte Desiderat hin zu einer demokratischeren EU darstellt oder ob sie als europäisierender Mechanismus genutzt werden soll. Um dies zu prüfen, soll versucht werden, entsprechende Indikatoren, ebenfalls im Weißbuch, zu identifizieren.
Durch die zusammengetragenen Fakten wird nun versucht zu verdeutlichen und zu belegen, in welchen Aspekten die beteiligungszentrierte Demokratietheorie vereinbar ist mit den politischen Intentionen zur Implementation der europäischen Bürgerinitiative, vor allem mit denen der Kommission. Ferner soll aufgezeigt werden, welche Art der Intention im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit mit den Zivilgesellschaften - auch konzeptionell - überwiegt: die Affirmation der politischen Teilhabe oder die instrumentell-europäisierende Dimension. Darüber hinaus soll belegt werden, auf welchen Modus die europäische Bürgerinitiative beruht, was von einer solchen Initiative zu erwarten ist und welche Bereiche bereits vor der Einführung konfliktär besetzt erscheinen.
Die verwendete Literatur setzt sich zur adäquaten thematischen Verortung sowohl aus Monographien als auch aus Zeitschriftenbeiträgen aus der wissenschaftlichen Diskussion zusammen. Ebenso genutzt werden Materialen und Beiträge, die durch die EU online zugänglich gemacht wurden. Insbesondere das bereits genannte Weißbuch „Europäisches Regieren“ markiert dabei eine zentrale Analysequelle.
Das Erkenntnisinteresse, das dieser Arbeit zu Grunde liegt, ist die demokratietheoretische Verortung eines solchen direktdemokratischen Beteiligungsmechanismus auf supranationaler Ebene.
1. Die europäische Zivilgesellschaft im wissenschaftlichen Diskurs
1.1. Kernfragen und wissenschaftliche Problemstellungen
Die gesamte Thematik der bürgerlichen Partizipation sowie die unterschiedlichen Konfigurationen einer „Civil Society“: ,,[...] ist so reichhaltig und bunt wie die Lebenswirklichkeit selbst.“6 So reichhaltig präsentieren sich auch die Debatten und die Diskurse im wissenschaftlichen Metier. Anzumerken sei, dass das Zitat von Ralf Dahrendorf sich auf eine national eingebettete Zivilgesellschaft bezieht. Innerhalb der Debatte um eine gemeinsame Bürgergesellschaft steigen somit die zu berücksichtigenden verschiedenen Lebenswirklichkeiten europäischer Gesellschaften, was den Diskurs in seiner Vielfalt nochmals enorm anreichert.
Durch den Vertrag von Maastricht und der in ihm formulierten Absicht eine gemeinsame Unionsbürgerschaft anzustreben, entschlossen eine Union der Bürger einzuführen, rückte die Thematik in den wissenschaftlichen Blickpunkt. Es ergaben sich nun forciertere Beschäftigungen mit der gesellschaftlichen Sphäre der nun etablierten Europäischen Union. Einher gehen damit auch Untersuchungen im Hinblick auf den bisherigen Stand der Integration dieser gesellschaftlichen Ebene. Diese konstatieren, dass Fragen bzgl. der Integration zu sehr auf ökonomische Belange ausgerichtet waren. Daran gekoppelt auch ein Hoffen auf einen sozial-integrativen im Sinne einer funktionalistischen Denkweise. Eine wesentliche Frage im Hinblick auf eine gemeinsame europäische Bürgergesellschaft, ist ihre Fähigkeit transnational agieren zu können. Dies führte unmittelbar zu einer Analyse der Organisationsprinzipien und Fragen der Zuständigkeit. Eine wesentliche Rolle erfährt dabei das Subsidiaritätsprinzip und die Frage nach der Zielsetzung.
Die genuine Bindung der Zivilgesellschaft an immateriellen Werten ist zentraler Gegenstand und beschäftigt im Zuge einer europäischen Zivilgesellschaft insofern, da die gemeinsame Union auch eine Werteunion ist. Solch eine gesellschaftliche Sphäre bezieht ihre Attraktivität und Bindungswirkung dadurch, dass sie einen Gegenpol zur Sphäre des Staates und des Marktes bildet.7 Diese offene und aktive Sphäre ist in besonderem Maße auf soziale Interaktion angewiesen, da sie zentrales und bindendes Element darstellt. Bei der Formierung transnationaler Zivilgesellschaften, wird ebenfalls häufig auf die Funktion von einender Symbolik hingewiesen. Die Verwendung von Symbolen ist essentiell, da diese identitätsstiftend wirken und das Bewusstsein der Gegenseitigkeit herausstellt.8 Eben dieser Gegenseitigkeitsgedanke führt unweigerlich zur Frage nach dem Grad der Solidarität die sich auch heute im Rahmen der EU-Schuldenkrise stellen lässt. Im Zuge der gegenwärtigen Krise wird auch die damit verbundene Steuerung von Solidarität benannt. Mit der Umverteilung und der Erhöhung von Sozialausgaben betrachten viele ihren Beitrag zur Solidarität für bereits abgegolten.9 Die somit aufgebrauchte Ressource der Solidarität steht der Verwirklichung einer gemeinsamen europäischen Bürgergesellschaft damit entgegen. Dadurch kann eine rein monetär ausgerichtete Solidaritätspolitik, entsolidarisierend wirken.10 Ein weiterer Ansatzpunkt für die Beschäftigung mit dem Konzept einer gemeinsamen Zivilgesellschaft geht mit den Effekten der Globalisierung einher. Die hier fehlende Verortung der Bürgergesellschaft führte zu einem Bedürfnis nach Teilhabegerechtigkeit im Zuge des Globalisierungsprozesses.11 Es wird ferner herausgestellt, dass [...] „Europas Zukunft in erheblichem Maße von den Problemen und Chancen der Globalisierung abhängt“12 Insofern sind Bestrebungen hin zu einem einheitlichen europäischen Handeln in Verbindung mit einer einheitlichen Bürgergesellschaft nur allzu verständlich.
Ferner wird auf die mediale Berichterstattung und deren Effekte hingewiesen. Der Befund ist, dass die Unterschiede zwischen einzelnen europäischen Staaten, weitaus stärker illustriert werden als die jeweiligen Gemeinsamkeiten. Dies wiederum ist einer Annährung unterschiedlicher europäischer Gesellschaften nicht förderlich.13 Es wird als vertane Chance angesehen, dass keine Medien geschaffen wurden, die eine europäische Öffentlichkeit zu gestalten vermag, wobei eben dieser Umstand, im Hinblick auf die beklagte mangelnde Transparenz, Abhilfe schaffen könnte.14 Diese Faktoren machen ein wesentliches Problem kenntlich, das der Identifikation der Unionsbürger als solche und generell als Europäer. Dieses Defizit ist vielfach belegt, u.a. im Eurobarometer. „Die eigene Nationalität bleibt die wichtigste Bestimmungsgröße der europäischen Bürger in Bezug auf ihre Identität“15 Dabei handelt es sich nicht um eine reine Bestandsaufnahme sondern um einen gesellschaftlichen Trend. Nationalstaatliche Fokussierung ist insofern eine gesellschaftsintegrative Problematik. Woran es fehlt, sind Verflechtungen von Alltagserfahrungen die zur Identifikation und einem Bewusstsein der Gegenseitigkeit europäischer gesellschaftlicher Subsysteme beitragen.16 Relevant dabei ist allerdings nicht nur die Verfügbarkeit intermediärer Schnittstellen sondern ihre Nutzungshäufigkeit. Solche Schnittstellen zu etablieren ist kein EU-Spezifikum sondern eine Problematik die aus den Nationalstaaten, insbesondere Frankreich, hervorgeht.17 Ebenfalls wird das Verhältnis der Zivilgesellschaft in Spanien, im Hinblick auf die institutionelle Neuausrichtung zur Demokratie, als problematisch bezeichnet.18 Diese beiden Beispiele verdeutlichen die schwierige Verortung der Zivilgesellschaft, bereits innerhalb des jeweiligen Nationalstaates. Dass die Dichte konfliktär besetzter Bereiche auf der supranationalen Ebene zunimmt, ist daher konkludent.
Ein weiterer Problemzweig innerhalb der defizitären Ausgestaltung einer gemeinsamen Öffentlichkeit ist die allumspannende Finalitätsfrage.19 Diese ist ein wesentliches Argument, warum eine europäische Gesamtidentifikation schwer fällt. Im gegenwärtigen Diskurs wird konstatiert, die Frage um den Weg Europas sei: „[...] die Abwesenheit einer identitätsstiftenden Zielprojektion.“20 Die Folgewirkungen sind dabei offensichtlich. Europa in einer globalisierten Welt muss, um Gehör zu finden und Einfluss zu erlangen, als einheitlicher Akteur auftreten. Die Abwesenheit einer gemeinsamen Zielformulierung - der Finalitätsfrage Europas - verhindert den Prozess der Identitätsfindung und „Ohne Identitätsgrundlage fehlt aberjedem politischen System die Basis seiner Handlungsfähigkeit.“21
Hier ist ein Kreislauf erkennbar dessen negative Folgewirkungen den nötigen Rekalibrierungsbedarf des EU-Systems beschreiben. Im Hinblick auf eine gemeinsame einheitlich-europäische Handlungsfähigkeit, besteht enormer Handlungsbedarf.
Der bereits angeführte problematische Kem zur Fähigkeit transnational agierender europäischer Zivilgesellschaften ist daher ein systeminhärenter.
Die Grundlage politischer Handlungsfähigkeit ist an die Legitimität gekoppelt und diese wiederum ist das Destillat bürgerlicher Partizipation. Die Frage nach adäquater Legitimation beschreibt jedoch ein wesentliches Kernproblem in Bezug auf die Europäische Union. Das Demokratiedefizit, dessen Ursache u.a. im Legitimitätsdefizit ausgemacht wird, ist häufig thematischer Schwerpunkt des Diskurses. Dieses Defizit wird in der wissenschaftlichen Debatte jedoch auf annähernd alle Ebenen ausgemacht, sodass eine allumfängliche Beschreibung hier nicht dargelegt werden kann. Als wesentliches Merkmal einer Zivilgesellschaft wird stets ihre Autonomie angeführt. Daher markiert die Frage nach dem Grad der Heteronomie der Zivilgesellschaft durch die EU-Organe eine wesentliche, die sich einreiht in die Debatte um das Demokratiedefizit. Interessant hierbei ist die im Diskurs perzipierte Korrelation zwischen solch einem Defizit und den Einbindungsversuchen der Zivilgesellschaft.22 Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei die Europäische Kommission. Im Diskurs wird vermehrt aufgezeigt, dass ihr alleiniges Initiativrecht keine Legitimation durch die Bürger erfuhr. Daher ist auch der Unmut denen die EU-Bürger verspüren und der sich in Umfragen, siehe Eurobarometer, widerspiegelt nachvollziehbar. Dieser Umstand ist vor allem dadurch zu erklären, dass die Kommission: ,,[...] über ein Machtinstrument verfügt, das in den Nationalstaaten den direkt gewählten Parlamenten vorenthalten ist“23
Es ließ sich aufzeigen, dass Kernfragen und wissenschaftliche Problemstellungen vielfältig auszumachen sind. Vordergründig sind es Fragen nach der genauen Rolle der Zivilgesellschaft in einem global vernetzten Europa sowie ihrer Fähigkeit und dem Bedürfnis sich auf dieser Ebene zu artikulieren. Bei der Vielzahl der Faktoren ist eine interdependente Dynamik erkennbar. Dies betraf besonders die der Finalitätsund Identitätsfrage. Zentral sind aber auch die Effekte einer medialen Berichterstattung, die den Dissens in europäischen Fragen eher thematisiert als Errungenschaften. Um diese Vielzahl von Problemen zu systematisieren, sollen u.a. die bereits genannten konfliktär besetzten Bereiche eine demokratietheoretische Einordnung erfahren.
1.2. Demokratietheoretische Einordnung
Im Weißbuch „Europäisches Regieren“ findet man Grundsätze, welche die Kommission formulierte mit ihrem Verständnis von gutem Regieren:
„Gutes Regieren und die in diesem Weißbuch vorgeschlagenen Änderungen beruhen auf fünf Grundsätzen: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz. Auf diese Grundsätze, von denen jeder einzelne für demokratischeres Regieren wichtig ist, stützen sich die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten.”24
Die Kommission postuliert ein Verständnis von der Art des Regierens, die sie als gut erachtet. Dadurch öffnet die Europäische Kommission eine normative Ebene und der Ansatzpunkt für die partizipatorische Demokratietheorie wird ersichtlich. Partizipation im Politischen ist dieser Theorie ein innewohnender Wert. Daher ist die Forcierung hin zu mehr Beteiligung die logische Folge. John Dryzek führt folgendes an: „if democracy is a good thing [...], then even more democracy is presumably an even better thing.”25
Dieses Zitat ist für eine gemeinsame europäische Zivilgesellschaft ein interessanter Ansatz. Je mehr Bestrebungen dahingehend unternommen werden, die Partizipation zu steigern, je mehr Anreize dahingehend geschaffen werden und je mehr Personen diese zu nutzen bereit sind, desto mehr Gutes kann entstehen. Die fünf genannten Grundsätze sollen dabei ein einheitliches demokratieförderndes Fundament bilden. Um ein gesamteuropäisches Verständnis zu generieren müssen jedoch, auf allen Ebenen der Union, diese Kriterien etabliert und gefestigt werden, da sonst das Ziel - mehr Demokratie - nicht möglich ist. Mehr Demokratie und Partizipation, rückt den Blick daher in Richtung partizipative Demokratietheorie.
Das dieser Theorie zugrunde liegende aristotelische Menschenbild des „Zoon Polit- ikon“ erlaubt eine recht simple Erklärung warum Partizipation wichtig ist. Der Mensch ist darauf ausgerichtet in einer politischen Gemeinschaft zu bestehen und ihr anzugehören. Damit er dies kann, muss er auch seine politische Umgebung, ihre Werte und Ideen kennen und bestenfalls in sich aufnehmen. Der Mensch kann ein gutes Leben nur in solch einer politischen Gemeinschaft führen. Hier eröffnet die Semantik des Guten erneut eine normative Ebene. Der Mensch lebt gut in einer Ge- meinschaft, an der er aktiv mitwirken kann. Er will gut leben, er will teilhaben und er will gut regiert werden, er will am Guten teilhaben und daher sollte er auch am guten Regieren seiner Gemeinschaft teilhaben können.
Der aktive Partizipationsprozess generiert die Input-Legitimation, die dadurch zentrale Bedeutung erlangt. Das tut sie auch für Zivilgesellschaften und in einer gemeinsamen Union erscheinen gemeinsame Bestrebungen hin zu mehr Input-Legitimation folgerichtig. Ohne aktive Teilnahme ergäbe sich eine Art Orientierungslosigkeit die den Bestrebungen, hin zu mehr Demokratie und damit zum Guten, entgegensteht. Dieser Befund reiht sich ein in die zuvor geschilderten Kernprobleme innerhalb des Diskurses um die Identitäts- und Finalitätsfrage.
Wie bereits erwähnt, ist Partizipation ein Eckpfeiler guten Regierens. Ohne sie entsteht keine ausreichende Legitimation, was ein Defizit erzeugt. Defizitäre Partizipation führt somit unweigerlich zu einem Demokratiedefizit. Wird die Demokratie als mangelhaft empfunden, verlieren die formulierten Grundsätze ihre Wirkung und ein zentraler Wert der gemeinsamen Union seine Bedeutung.
Ein weiterer Grundsatz ist die Offenheit. Denn: „Offenheit ist deshalb so wichtig, weil sie helfen kann, das Vertrauen in komplexe Institutionen zu stärken.“26 In diesem Zusammenhang wird auf die Relevanz der Sprache hingewiesen, die so gestaltet sein muss, dass jedermann sie verstehen kann.27 Insbesondere in Europa, mit einer immensen Sprachvielalt ist dies relevant. Dabei ist Sprache nicht nur als das Medium zu verstehen, sondern auch als Ansatz für die Vorgehensweisen einer diskursiven Demokratietheorie.
Zentrales Element der Theorie der Deliberation ist der Diskurs zwischen den Bürgern, nicht die politische Teilhabe. Dennoch erscheinen diese theoretischen Zweige, im Hinblick einer Einordnung europäischer Zivilgesellschaft, miteinander verbunden zu sein. Gemein ist beiden der hohe Wert der politischen Partizipation. Doch neben der herausragenden Relevanz der Input-Legitimität ist das zentrale Anliegen der deliberativen Theorie die Erzeugung hochwertiger Outputs.
[...]
1 Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel am 26.10.2011 in Berlin vor dem Deutschen Bundestag
2 Schwartmann 2009: S. 4. Präambel EUV
3 Vgl.: Busse 2012: Rechtsstreit Ungarns mit der EU. Onlineartikel der FAZ
4 European Foundation Centre 2002: S. 2
5 European Foundation Centre 2010: Hervorhebung im Original. S. 1
6 Dahrendorf 1992: S. 271
7 Vgl. Waschkuhn 1995: S. 109
8 Vgl. Ebd.: S. 110 ff.
9 Vgl. Ebd.: S. 120
10 Vgl. Ebd.
11 Vgl. Frantz 2002: S. 133 ff.
12 Kühnhardt 2005: Hervorhebung im Original S. 4
13 Vgl. Frantz 2002: S. 136
14 Vgl. Gellner; Glatzmeier 2005: S. 13
15 Europäische Kommission 2010a: S. 130
16 Vgl. Frantz 2002: S. 138
17 Vgl. Hartmeier 2001: S. 14
18 Vgl. Bernecker 2001: S. 89 ff.
19 Vgl. Frantz 2002: S. 139 ff.
20 Weidenfeld 2011: S. 295
21 Vgl. Ebd.
22 Vgl. Fritsch 2008: S. 8
23 Ebd.
24 Europäische Kommission 2001: S. 13
25 Dryzek 1996: S. 475
26 Europäische Kommission 2001: S. 13
27 Vgl. Ebd.
- Citation du texte
- Bachelor of Arts Ronny Peters (Auteur), 2012, Die Bürgerinitiative der Europäischen Union. Bürgerliche Partizipation oder supranationale Manipulation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210489
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