Todesbilder - Die Differenziertheit in der Wahrnehmung des Todes


Studienarbeit, 2012

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die veränderte Wahrnehmung des Todes
2.1. Funktional differenzierte Todesdefinitionen / -bilder
2.2. Der juristisch / medizinische Tod
2.3. Die neue Sichtbarkeit des Todes
2.3.1. Darstellung in Nachrichten
2.3.2. Verdrängung der Körper

3. Der Tod als absoluter Schlusspunkt

4. Die Vielfalt der Todesbilder als eine Folge des Individualisierungsprozesses

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Der Tod enthüllt sich zwar als Verlust, aber mehr als solcher, den die Verbleibenden er- fahren. Im Erleiden des Verlustes wird jedoch nicht der Seinsverlust als solcher zugäng- lich, den der Sterbende «erleidet». Wir erfahren nicht im genuinen Sinne das Sterben der Anderen, sondern sind höchstens immer nur «dabei»." (Heidegger 1972, S. 239)

Unsere Gesellschaft scheint die Thematik des Todes und den Umgang damit immer mehr aus dem Bewusstsein der Individuen bzw. der gesellschaftlichen Diskussion zu drängen. Wir beschäftigen uns nicht mehr derart mit dieser Thematik, da es nicht nötig ist weil diese nicht mehr zu unserem Alltag gehört. So oder so ähnlich lautet eine häufig formulierte The- se, die von einer Verdrängung des Todes ausgeht. Doch scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein, geht man von einer Zunahme der Individualisierung und einer damit verbun- denen Zunahme der Todesbilder aus. Die Unsicherheit nimmt zu, eben weil eindeutige An- schlussmöglichkeiten nicht (mehr) existieren, da jedes System geschlossen operiert und sich selbst reproduziert und somit Antworten schafft die sich bewähren oder nicht.

Der Tod ist somit als solcher nicht erfahrbar, nicht definierbar. Man kann nichts über ihn sagen und doch gibt es soviel über ihn zu sagen. Es gibt keine Gewissheit darüber was er ist und wie er zu deuten ist. Die Einschränkung auftretender Kontingenz kann somit nicht mehr mit einer eindeutigen Antwort bewältigt werden, wie es einst etwa durch die Religion möglich war, sondern jedes System findet gerade wegen seiner funktionalen Dif- ferenziertheit andere oder ähnliche Lösungen den Tod zu erklären bzw. ihn darzustellen und damit umzugehen. Dennoch haben fast alle Systeme, außer der Religion, eines ge- meinsam: Der Tod stellt eine erhebliche Störung des Systems dar, den es im Rahmen der system- internen Lösungsmöglichkeiten zu bewältigen gilt. Doch wenn also nicht von ei- ner Verdrängung der Thematik an sich ausgegangen werden kann, stellt sich nun die Frage, wo die Grenze zwischen Leben und Tod gezogen wird und wieso eine derartige Kommuni- kationsfülle über ihn scheinbar notwendig ist. Welche verschiedenen Antworten auf diese Frage geben die Funktionssysteme und kann man die Verdrängungsthese als eine Verleug- nung dieser neuen Sichtbarkeit des Todes deuten?

Anhand einiger Beispiele wird versucht werden diese Fragen zu beantworten um schließ- lich mögliche Gründe für ihr Aufkommen zu finden, sowie die zur Verfügung stehenden

Lösungsvorschläge und deren aktuelle, gesellschaftliche Relevanz zu beurteilen. Wieso gibt es diese Fragen überhaupt bzw. warum scheint ein gesellschaftliches Verlangen zur Beantwortung dieser überhaupt zu existieren? So lautet letztendlich die Kernfrage dieser Arbeit bei der nicht nur die jeweiligen Antwortmuster der Systeme, sondern gerade die Entstehung der Frage, also deren scheinbare Notwendigkeit an sich, genauer betrachtet werden soll.

2. Die Veränderte Wahrnehmung des Todes

Von einer Verdrängung des Todes kann man, wie auch schon A. Nassehi bemerkte, nicht ausgehen, "sondern vielmehr von einer Verwissenschaftlichung, Politisierung, Ökonomi- sierung, Medikalisierung, Juridifizierung des Todes in der modernen Gesellschaft - neben und mit seiner Individualisierung, Privatisierung und Verinnerlichung, die heute eine Band- breite an Todesbildern produziert, die kaum überschaubar ist." ( Nassehi 2004, S.131). Man muss also von einer veränderten Wahrnehmung und Darstellung sprechen, die sich inner- halb der Gesellschaft konstatieren lässt. Überdies wäre aufgrund einer enorm gewachsenen Kommunikationsfülle bzw. -möglichkeit ein Rückgang, im Sinne der Verdrängungstheorie, dieser Thematik geradezu paradox. Die Frage lautet: Wann ist jemand tot und welche Wahrnehmung der Toten herrscht in einer Gesellschaft vor, in der der Umgang mit toten Körpern und deren Anblick keineswegs mehr zur alltäglichen Realität gehören?

2.1. Funktional differenzierte Todesdefinitionen / -bilder

Der Begriff funktionaler Differenzierung soll hier als "die historisch kontingente Entste- hung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien, die die Annahmewahrscheinlich- keit für bestimmte Kommunikationsprozesse erhöhen und damit Systembildung in Gang setzen" , verstanden werden (ebd., S. 127). Damit ist klar, dass gerade aufgrund der Zunah- me differenzierter Todesbilder,es ein wichtiges Anliegen ist, zu definieren wann den nun jemand tatsächlich tot ist. Wie kann Sicherheit in diesem Fall gegeben werden um nicht beispielsweise einer Fehldiagnose zu unterliegen und welche Folgen hat der Tod etwa für die Verbliebenen? Welche Antworten liefern hierfür die Systeme bzw. wie gehen sie damitum? Expertenwissen ist an dieser Stelle erforderlich, da es vermeintliche Sicherheiten schafft und Antworten geben kann. Doch ist die Eindeutigkeit der Antworten im Kontext anderer Möglichkeiten lediglich ein Blickwinkel neben vielen weiteren, der sich je nach System unterscheidet und aufgrund der strukturellen Kopplung nicht komplett von einander gelöst sein kann.

2.2. Der juristische / medizinische Tod

Zunächst einmal gibt es im juristischen Sinne keine Todesdefinition per se, da im Rechts- system nicht die Definition als solche interessiert, sondern lediglich ob es sich um einen "natürlichen" oder einen Tod unter den Folgen von Fremdeinwirkung handelt, also einen Tod "unnatürlicher" Natur. Mit einem natürlichen Tod ist meist der Herzstillstand gemeint, wobei hierbei das Paradoxon darin liegt, dass eigentlich jeder Tod den Herzstillstand zur Folge hat, doch dies ist eine Diskussion die auf medizinischer Ebene geführt wird. Einen Hinweis auf den juristischen Tod liefert das Transplantationsgesetz, in dem es heißt dass "der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, [...] " zu definieren ist(TPG § 3 Abs. 1 Nr. 2).

Eine stetige Wandlung der Definition, wird also geradezu erwartet, was die Eindeutigkeit dieser in extreme Abhängigkeit zu ihrer Deutung und dem aktuellen Wissensstand setzt, denn medizinische Technik entwickelt sich stets fort und mit ihr die Möglichkeiten Aussa- gen zu treffen die einen vermeintlich höheren Wahrheitsgehalt haben, ganz einfach weil sie aktueller sind. Wissenschaften schaffen Unsicherheiten. Den eindeutigen Tod gibt es also scheinbar nicht, sondern lediglich einen zu interpretierenden Zustand, um es etwas zuge- spitzt zu formulieren. Dass sich Gesetz und Medizin an diesem Punkt nicht immer einig sind, kann überdies am Beispiel der Sterbehilfe im Kontrast zur Abtreibung deutlich ge- macht werden. So sind zwischen 1974 und 2010 in Deutschland (Ost und West) nach offi- ziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes rund fünf Millionen ungeborener Kinder abgetrieben worden.

Es greift an dieser Stelle also wieder ein anderes System ein, und zwar, dass der Ethik. Was moralisch gut oder schlecht ist, scheint in beiden Fällen nicht eindeutig zu sein. Diskutiert man darüber einen eindeutigen Zeitpunkt des Todes definieren zu wollen, so muss man auch darüber sprechen, wann denn das Leben überhaupt beginnt. Ab wann hat man ein Be- wusstsein und kann der Schwangerschaftsabbruch nicht als extremes Pro Argument für die aktive Sterbehilfe gelten, bei der der explizite Wille zu sterben geäußert wird und somit nicht gegen den Willen einer Person gehandelt wird? Wieder merkt man, dass hier noch ein zusätzliches System einwirkt und zwar das der Philosophie. Die Verkopplungen sind selbstverständlich noch weitreichender und komplexer, sodass zahlreiche weitere festzu- stellen wären. Doch was hier interessiert ist, dass man sieht, dass der Zustand vor dem "ge- boren werden" und dem des Sterbens an diesem Punkt ähnliche Schwierigkeiten zu liefern scheinen, da beide einem stetigem, historisch - ethischem Wandel unterliegen der gerade durch die zunehmende gesellschaftliche Ausdifferenzierung keine eindeutige Definition zulässt. Doch wie wird dann der Tod gesellschaftlich überhaupt wahrgenommen, wenn diese Eindeutigkeit nicht existiert?

2.3. Die neue Sichtbarkeit des Todes

Die "neue Sichtbarkeit des Todes" postuliert eine wiedergefundene Sichtbarma- chung des Todes, als ob er zeitweise unsichtbar war. (vgl. Macho, 2007) Dies meint jedoch seine Unvorstellbarkeit die nicht zu einer Verdrängung oder Verleugnung des Todes, sondern "[...] vielmehr [zu einem] gewaltigem Sturm von Bildern und Visio- nen [...]" geführt hat (Nassehi 2004, S. 9). System produzierte Bilder des Todes kön- nen sich ähnlich darstellen und doch ist ein Wandel in der Darstellung in einigen deutlich sichtbar geworden. Diese Sichtbarkeit der Körper kann anhand der Massen- medien und der filmischen Darstellung deutlich gemacht werden.

2.3.1. Die Darstellung der toten Körper in den Nachrichten

Nachrichtenformate liefern fast täglich Bilder von Leichen. Seien es Aufnahmen aus Kriegsgebieten, von Umweltkatastrophen oder von Verkehrsunfällen, der tote Körper wird bildlich festgehalten. Hierbei lassen sich Unterschiede in der Darstellung, abhängig vom Status einer Person, erkennen. Handelt es sich beispielsweise um einen getöteten Staats- feind oder Terroristen, so scheint geradezu eine Art Verlangen nach einer bildlichen Bestä- tigung für dessen Tod zu existieren. Bilder sind heutzutage der endgültige, ja sogar fast der einzig gültige Beweis für etwas geworden und das Vertrauen in das Wort in Schrift und Sprache liefert scheinbar keine gesellschaftlich akzeptierten Belege mehr. Erinnert man sich an die Todesmeldung Osama Bin Ladens 2011 oder die Hinrichtung Saddam Husseins, so ist die Sprache der Bilder und die damit verbundene Darstellung der getöteten "Feinde" eine durchaus neue Form, deren Entwicklung wohl auf die enorme Popularität des Inter- nets und Plattformen wie "YouTube" zurückzuführen sind. Die Flut der Bilder in Form von Handy Videos ist binnen weniger Minuten für jeden, weltweit abrufbar und liefert so eine qualitativ fragwürdige Informationsquelle. Oft werden die Gedanken, die hinter der Ver- breitung gewisser Meldungen und Bilder stecken könnten nicht hinterfragt. Bilder sind oft gefälscht und Videos können die auch sein. Dennoch scheint eine breite Akzeptanz gegen- über der Authentizität von Bildern zu herrschen. Videos wie die Hinrichtung S. Husseins haben Millionen von aufrufen und auch das Bild des toten Bin Ladens war bis in den letz- ten Winkel der Welt der entscheidende und nötige Beweis für seinen tot.

Der gravierende Unterschied in der Darstellung von Toten in den Nachrichten, wird sehr deutlich wenn man die erwähnten Beispiele mit den Meldungen getöteter deutscher Solda- ten in Afghanistan vergleicht. Es wäre unvorstellbar, ja geradezu skandalös die toten Kör- per der Soldaten darzustellen. Die Würde dieser Menschen scheint einen bedeutenderen Stellenwert zu haben, als die anderer Menschen. Gezeigt wird hier in der Regel lediglich der Sarg und ein Foto. Präsentiert wird das ganze dann im Rahmen einer Zeremonie an der sich Politik wie Gesellschaft in betroffener Haltung beteiligen. Wieso ist es hier nicht wichtig, dass der Todesbeleg in Form eines Bildes erbracht werden muss? Die Antwort hierauf ist nicht unbedingt eindeutig und aus soziologischer Sicht könnte man annehmen, dass ein allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass es fast schon selbstverständlich ist Feindbild geschaffen zu haben, bei dem die Person dahinter eigentlich gar nicht mehr exis- tiert. Der Körper als fleischliche Hülle scheint keinen großen Wert zu haben und wird ohne die sonst üblichen Formen im Umgang mit toten Körpern, zu einer Art Allgemeingut. Die angehörigen und die Familie der Toten haben keinerlei Anspruch auf jegliche Bestattung oder Abschiedsnahme.

Man kann zusammenfassend sagen, dass diese Art der Genugtuung kein neues Phänomen ist, man denke nur an die Tötungen im Namen der Kirche, doch ist bemerkenswert, dass aktuell ein allgemeiner internationaler Konsens darüber vorherrscht, den gewaltsamen Tod einzelner Individuen zu begrüßen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Todesbilder - Die Differenziertheit in der Wahrnehmung des Todes
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V210719
ISBN (eBook)
9783656382997
ISBN (Buch)
9783656386353
Dateigröße
434 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Der Tod enthüllt sich zwar als Verlust, aber mehr als solcher, den die Verbleibenden erfahren. Im Erleiden des Verlustes wird jedoch nicht der Seinsverlust als solcher zugänglich, den der Sterbende «erleidet». Wir erfahren nicht im genuinen Sinne das Sterben der Anderen, sondern sind höchstens immer nur «dabei»." (Heidegger 1972, S. 239)
Schlagworte
Thanato, Soziologie, Heidegger, Nassehi, Todesbilder, Wahrnehmung, des, Todes, Norbert, Elias, Ariès
Arbeit zitieren
Matthias Girtler (Autor:in), 2012, Todesbilder - Die Differenziertheit in der Wahrnehmung des Todes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210719

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