Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Definitionen
2.1.1 Innovation
2.1.2 Krieg
2.2 Forschungsstand
3 Fallbeispiel: Die synthetische Kautschukproduktion in Deutschland bis 1945
3.1 Von der Invention zur Innovation
3.2 Instrumente der staatlichen Kriegswirtschaft
4 Fazit
1 Einleitung „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König.“ Dieser Ausspruch wird dem griechischen Philosophen Heraklit (von ca. 520 bis 460 v. Chr.) zugesprochen, der damit die schöpferische Kraft der militörischen Auseinandersetzung als Movens der historischen Entwicklung betont. Ubertragt man diesen Ausspruch in den Bereich der Innovationsforschung, so stellt sich die Frage, inwiefern man der Rüstung eine innovationsfördernde Funktion zugestehen kann. Die vorliegende Arbeit mochte deshalb folgende Forschungsfrage beantworten: Haben Investitionen in Militär und Krieg Auswirkungen auf die Entwicklung technologischer Innovationen?
Das Thema lösst sich in den viel allgemeineren Fragekomplex einordnen, wie Innovationen entstehen. Die Literatur stellt ganz unterschiedliche Faktoren in den Vordergrund: Da werden zum einen die Persoönlichkeiten und Unternehmenskulturen betont; andere verweisen auf die Wichtigkeit von Gewerbetraditionen, Kapital, bestimmte historische Kontexte oder auf die Wichtigkeit von Wissen.
Eine zentrale Kontroverse beschaöftigt sich dabei mit dem Verhaöltnis von Staat und Technik: Wer kann für Innovationen sorgen? Gilt das Primat der Politik oder das Primat der Ökonomie? Mit der Rustung als Teil staatlichen Handelns kann hier ein Ausschnitt dieser bekannten Fragestellung naher betrachtet werden. Dabei interessiert auf der einen Seite, ob Rustung Innovationen induzieren kann. Auf der anderen Seite -und das ist die interessantere Frage- welche Wirkungsmechanismen zum Tragen kommen.
Des Weiteren war und ist das Thema nicht nur för die akademische Diskussion von Interesse, sondern auch im politischen Tagesgeschöft sehr relevant. Gerade in der Zeit des kalten Krieges diente das Argument, dass von der Ruöstungsforschung deutliche wirtschaftliche Impulse auf den zivilen Bereich ausgehen, als Legitimation för die hohen Investitionssummmen[1]. So war sich beispielsweise Franz-Josef Strauß zum in den 80er Jahren geplanten amerikanischen Raketenabwehrsystem SDI sicher: „Die riesigen Forschungen im Zusammenhang mit dem Weltraumprogramm führen zu noch ungeahnten technologischen Fortschritten. Deshalb sollten auch deutsche Firmen an dem Programm beteiligt werden“ (Spiegel 1985, 45). Aber auch heute sind solche Argumente noch Teil der politischen Diskussion. So verwies der Bundestagsabgeordnete Erich G. Fritz im Oktober 2011 im Rahmen der Debatte um Rustungsexporte auf folgenden Sachverhalt: „Wir wissen, dass Rüstungsexporte in einem Zusammenhang stehen mit eigenen militürischen Fühigkeiten (...). Wir wissen, dass viele Fühigkeiten entwickelt werden, die beileibe nicht nur militärische sind“ (Bundestag 2011, 15667; eigene Hervorhebung). Aber auch die ganz aktuellen Diskussionen uber den Ausstieg aus der Kernenergie und die damit angestrebte Energiewende“ , lassen sich letztendlich auf das Verhaltnis von Staat und Wirtschaft reduzieren. Denn es ist ja gerade der strittige Punkt, ob der Staat Einfluss auf die Entwicklung neuer regenerativer Technologien ausuben kann und welche Instrumente dabei den größten Erfolg versprechen.
Die Arbeit geht folgendermaßen vor: Nach dieser ersten Einordnung der Fragestellung und dem Aufzeigen der Relevanz des Themas wird im nüachsten Abschnitt definiert, was unter den zentralen Begriffen zu verstehen ist. Danach werden die wichtigsten Argumente aus der Forschungsliteratur vorgestellt. Im dritten und zentralen Schritt wird eine exemplarische Untersuchung durch- gefuhrt. Dabei wird im Detail darauf eingegangen, wie sich die Rustungswirt- schaft der nationalsozialistischen Regierung auf die Entwicklung des synthetischen Kautschuks ausgewirkt hat. Im letzten Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengetragen und auf weitere Forschungsmüoglichkeiten hingewiesen.
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Definitionen
Bevor in der Arbeit nüaher auf die Beziehung der beiden Komplexe Krieg und Militar sowie technologische Innovationen eingegangen wird, sollen die beiden Begriffe zunüachst definiert und abgegrenzt werden.
2.1.1 Innovation
May definiert Innovation als die „Umsetzung von Erfindungen im Produktionsprozess, auf Produktebene (Produktinnovation) wie auch auf Verfahrensebene (Prozessinnovation).“ (May 2004, 281). Ähnlich unterscheidet Streb zwischen Invention und Innovation: „Ein neues Produkt wird vom Zeitpunkt seiner Erfindung bis hin zur nicht zwangslaufig erfolgenden Markteinführung als Invention und danach als Innovation bezeichnet.“ (Streb 2002, 367).
2.1.2 Krieg
Der Brockhaus definiert Krieg wie folgt: „Krieg ist eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Staaten, Bündnissen oder innerstaatlichen Gruppierungen (Burgerkrieg), von denen mindestens eine der Konfliktparteien militürisch organisiert ist.“ (Brockhaus 2006, 739)
Fur diese Arbeit ist besonders die Betonung der Bewaffnung und des Konflikts zwischen Staaten wichtig. Schließlich ist jede Waffe gekennzeichnet durch ein mehr oder weniger hohes Maß an Technik und kann deshalb als Gegenstand der Innovationsforschung betrachtet werden. Weiterhin wird im Verlauf der Arbeit klar, dass es gerade die Spezifika des Nationalstaates sind, die zu technologischen Entwicklungen beitragen künnen.
2.2 Forschungsstand
Die Literatur gibt eine Vielzahl an Argumenten für die Frage, ob bzw. wie das militüarische System Auswirkungen auf die Entwicklung technologischer Innovationen hat. Dabei ist das Thema durchaus umstritten, wie Landes zusammenfasst:„Seine [des Krieges] Auswirkungen auf den technologischen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung sind ein kontroverses Thema“ (Landes 1983, 391). Der nun folgende Abschnitt fasst die wichtigsten Argumente zusammen. Dies dient als gute Grundlage fuür ein besseres Verstüandnis der spüter zu erfolgenden Fallstudie. Weiterhin wird ein Nachteil der Fallstudie so behoben: Bei der spezifischen Betrachtung der Synthesekautschukproduktion im Dritten Reich können natürlich nicht alle Wirkungsmechanismen und Argumente aufgezeigt werden. Jedes Beispiel steht in einem speziellen zeitlichen und räumlichen Kontext. So fiele beispielsweise bei einer reinen Betrachtung des zweiten Weltkriegs die sehr interessanten und aufschlussreichen Untersuchungen zum Spin-Off-Effekt aus der Darstellung heraus. Dem Willen, einen möglichst ganzheitlichen Uberblick des behandelten Themas zu geben, ist deshalb diese Literaturübersicht geschuldet.
Zunachst scheint es einleuchtend, dass in Zeiten des Krieges eine starke Konzentration von finanziellen und personellen Ressourcen stattfindet. Dies liegt darin begründet, dass sich die einzelnen Staaten gerade uber ihre Sou- verünitüt definieren. Deshalb wird jede Kriegshandlung, die ja einen Angriff auf diese Souverüanitüat darstellt, als existentielle Bedrohung aufgefasst. Sich dieser Gefahr entgegenzustellen genießt in der staatlichen Fuhrung oberste Prioritat. Dieses Prioritäts-Argument legt also den Schwerpunkt auf das spezifische Charakteristikum, das in Krieg und Militür steckt. Deshalb verwundert die stetige Verbesserung von Waffen und anderen kriegsspezifischen Produkten nur wenig.
Das wohl bekannteste Argument fuür die innovationsfüordernde Wirkung von Rustungsausgaben ist das der sogenannten Spin-Off-Effekte. Olken definiert in einer etwas breiteren Version wie folgt: „Profitable implementation of the technological advances made in the course of achieving the federal gover- nmenUs vast space, defense, and atomic energy programs.“ (Olken 1966, 17). Schrader präzisiert dies: Die Spin-Off-Wirkung sei ein „ihrem Wesen nach ungeplantes, zufülliges Nebenprodukt der Rustungsausgaben“ (Schrader 1989, 105). Weiterhin konne zwischen direkten und indirekten Spin-Offs unterschieden werden: versteht man unter ersteren die im Ruüstungsbereich entwickelten Produkte, Prozesse und Materialien (...), die eine zivile Verwendung finden“, umfassen letztere auch die Informationen, welche aus der Rustungsforschung stammen, aber auch zivil genutzt werden konnen (Schrader 1989, 105).
Schrader (1989) untersucht empirisch, inwiefern Spin-Offs eine Wirkung auf die Produktivitat eines Landes haben. Dabei ist es sein Ziel zu testen, inwiefern durch militüarische Forschung Technologieschuübe fuür den zivilen Bereich abgeleitet werden können. Er unterscheidet zwischen der Hypothese vom zivilen Nutzen und der Hypothese vom zivilen Schaden von Röstungsausgaben und gibt die jeweiligen Argumente der beiden Schulen wieder:
Für die erste Hypothese fuhrt er neben den Spin-Off-Effekten noch das Argument des sogenannten „dual use“ an: Dies besagt, dass die staatliche Nachfragepolitik die zivile Markteinführung solcher Produkte beschleunigt, die sowohl militarisch als auch zivil verwendet werden können. Beispiele fur diese Produkte sind in der Luftfahrt- und Elektronikindustrie zu sehen (Schrader 1989, 105).
Auch für die Hypothese vom zivilen Schaden liefert er einige Argumente: Rustungsausgaben führen nach Vertretern dieser Position nicht zu technischem Fortschritt. So habe sich seit den 1970er Jahren die Technologien im zivilen und militarischen Bereich stark ausdifferenziert. Die starkere Anwendungsorientierung fur spezifische militörische Problemstellungen seien immer schwerer auf den zivilen Bereich uöbertragbar, wodurch Spin-Off-Effekte stark reduziert werden (Schrader 1989, 106). Zudem führten die spezifischen Handlungslogiken des Militörs, wie der Geheimhaltung, zu negativen Effekten, da dadurch Diffussionsprozesse erschwert wuörden. Zusöatzlich schwinde die Marktmacht des Staates und Subventionen föorderten unternehmerisches Fehlverhalten (Schrader 1989, 107). Letztlich gingen Ressourcen, die fur mi- litarische Forschung aufgewendet wörden, der zivilen Forschung verloren. Um die beiden Hypothesen empirisch zu testen, berechnet er verschiedene Regressionsmodelle, in denen Rustungsausgaben und verschiedene Kontroll- variablen auf ihre Wirkung auf das Produktivitötswachstum hin untersucht werden. Er findet in seiner Querschnittsanalyse von 16 westlichen Industri- elöndern[2] in der Zeit von 1961 bis 1985, „daß weder Nachfrage- bzw.
[...]
[1] So sieht Olken beispielsweise die sogenannten Spin-Off-Effekte als Rechtfertigung für Ausgaben im militärischen Forschungs- und Entwicklungsbereich (Olken 1966, 18).
[2] An dieser Stelle könnten Kritiker die Auswahl der Untersuchungseinheiten kritisieren. Dem widerspricht allerdings eine Studie von Deger und Sen (1983), die den gleichen Fragekomplex für unterentwickelte Lönder quantitativ untersuchen und zu einem ähnlichen Ergebnis kommen: ,,We find that spin-off hast insignificant contribution to industrial growth even in areas where they should have had maximum effect“ (Deger & Sen 1983, 67).