Neue übergesetzliche Entschuldigungsgründe nach dem StGB


Seminararbeit, 2009

26 Seiten, Note: 13 Punkte (gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. § 35 StGB als Grundnorm gesetzlicher Entschuldigungsgründe nach dem StGB
I. Vorbemerkung
II. Historische Entwicklung des § 35 StGB
1. Die Vorgängervorschriften §§ 52 a.F. und 54 a.F. StGB
2. Probleme der §§ 52 a.F. und 54 a.F. StGB
3. Vergleich zur heutigen Vorschrift des § 35 StGB
III. Anwendungsbereich des § 35 StGB
1. Grundgedanke und Klassifizierung als Entschuldigungsgrund
2. Abgrenzung zu § 34 StGB und Systematik
3. Die Voraussetzungen des § 35 StGB im Einzelnen

C. Übergesetzliche Entschuldigungsgründe
I. Klassische Fälle des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands
1. Der Entscheidungskonflikt oder der „Euthanasie- Fall
a) Sachverhalt
b) Problematik
c) Lösungsansätze
d) Voraussetzungen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands
e) Stellungnahme
2. Die Wahl des kleineren Übels oder der „Weichensteller-Fall“
a) Sachverhalt
b) Problematik
c) Lösungsansätze
d) Stellungnahme
II. Neuere Fälle des übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes
1. Die Gefahrengemeinschaft oder das Luftsicherheitsgesetz
a) Sachverhalt
b) Problematik
c) Lösungsansätze
d) Stellungnahme
2. Die psychische Drucklage oder der „Folter-Fall“
a) Sachverhalt
b) Problematik
c) Lösungsansätze
d) Stellungnahme

D. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Schlussversicherung

A. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema: „Neue übergesetzliche Entschuldigungsgründe nach dem StGB“ und wurde anlässlich des bevorstehenden Austausches mit der staatlichen Universität Tiflis (Georgien) im Seminar „Der moderne Mensch: Neue Dimensionen des Strafrechts?” des Netzwerks studentischer Austauschseminare an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (Netzwerk Ost-West) verfasst.

Sie nimmt sich der Grundproblematik übergesetzlicher Entschuldigungsgründe an, namentlich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands. Dieser entstand, weil die gesetzlichen Regelungen nicht alle Konstellationen erfassen, in denen eine Entschuldigung dem Gerechtigkeitsempfinden nach angezeigt wäre.

Ziel der Arbeit ist es nicht, ein ausgewähltes Problem möglichst detailreich zu untersuchen, sondern die Darstellung soll für den im Rahmen des Austausches stattfindenden Vergleich zwischen georgischem und deutschem Strafrecht eine überschaubare Grundlage schaffen.

Hierzu wird zuerst auf die Geschichte und den Anwendungsbereich des § 35 StGB als Grundnorm gesetzlicher Entschuldigungsgründe eingegangen. Danach soll die Grundproblematik des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands an zwei klassischen Fällen sowie an zwei Fällen aus der neueren Rechtsprechung aufgezeigt werden. Jeder Sachverhalt wird kurz vorgestellt. Daran schließt sich jeweils die Problematik der Konstellation an, für welche der Fall repräsentativ steht. Sodann werden verschiedene Lösungsansätze vorgestellt und die Möglichkeit einer Subsumtion unter den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand diskutiert und persönlich Stellung genommen. Im Rahmen des ersten Falles wird hierzu auf die Voraussetzungen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands eingegangen.

B. § 35 StGB als Grundnorm gesetzlicher Entschuldigungsgründe nach dem StGB

I. Vorbemerkung

Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung des § 35 StGB[1] gegeben. Daran anschließend folgt ein knappe Erörterung des Anwendungsbereichs der Vorschrift, um sich ihrer Grenzen bewusst zu werden, die in den Fällen eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes überschritten werden und ihre Anwendung daher ausschließen. Auf Grund des Umfangs dieser Arbeit und gestützt auf die Auffassung, dass die übergesetzlichen Entschuldigungsgründe ihren Anknüpfungspunkt in § 35 finden, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht auf die §§ 33, 139 Abs. 3 S. 1, 157 Abs. 1 und 258 Abs. 5 und Abs. 6 eingegangen werden, welche als (spezielle) Entschuldigungsgründe angesehen werden.[2]

II. Historische Entwicklung des § 35 StGB

1. Die Vorgängervorschriften §§ 52 a.F. und 54 a.F. StGB

Die Vorgängervorschriften des § 35 bilden die §§ 52 a.F. und 54 a.F. Im Zuge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes (2. StrRG), welches am 1. Juli 1975 in Kraft trat, wurden beide Normen durch § 35 ersetzt.[3] § 54 a.F. (sogenannter strafrechtlicher Notstand) besagte, eine strafbare Handlung sei nicht vorhanden, wenn diese außer im Fall der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstand zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben des Handelnden oder eines nahen Angehörigen begangen worden war. § 52 a.F. hatte den sogenannten Nötigungsnotstand zum Gegenstand, welcher als Unterfall des § 54 a.F. angesehen werden kann.[4] Hiernach entfiel die Strafbarkeit der Handlung, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden war. Beide Normen befanden sich bereits mit seinem Inkrafttreten im RStGB,[5] wobei der Nötigungsnotstand – obgleich im Zusammenhang mit der Unzurechnungsfähigkeit geregelt – auf den § 40 des preußischen StGB zurückgeht.[6] Der allgemeine Notstand war in Preußen nur gewohnheitsrechtlich anerkannt, in anderen Territorialgesetzgebungen aber schon kodifiziert.[7]

2. Probleme der §§ 52 a.F. und 54 a.F. StGB

Zeit ihres Bestehens waren die §§ 52 a.F. und 54 a.F. Gegenstand kontroverser Diskussionen.[8] Kritik wurde wesentlich aus drei Gründen laut: Zum Ersten leuchte die Trennung in allgemeinen und Nötigungsnotstand nicht ein, weil letzterer nur einen Unterfall des ersten bilde.[9] Zweitens sei eine systematische Zuordnung zur Schuldebene schwierig gewesen.[10] Der Wortlaut der beiden Normen enthielt lediglich die Feststellung, dass eine strafbare Handlung nicht vorhanden sei. Erst § 35 Abs. 1 S. 1 lässt dem Wortlaut nach die Schuld entfallen, was eine eindeutigere Zuordnung im dreigeteilten Deliktsaufbau ermöglicht. Zum Dritten erfassten beide Normen nicht alle Bereiche des Notstands.[11] So wies das StGB vor dem 1. Juli 1975 keine Regelung zum rechtfertigenden Notstand auf. Dieser war nur als Gewohnheitsrecht zu Gunsten des Täter anerkannt.[12] Nach der Differenzierungstheorie muss jedoch zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand unterschieden werden, weil nicht alle Notstandsfälle entweder nur der einen oder nur der anderen Ebene zugeordnet werden können.[13] Auch erscheint eine Trennung wegen der Möglichkeit, an beide Tatbestände unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen, sinnvoll.[14]

3. Vergleich zur heutigen Vorschrift des § 35 StGB

Der bereits erwähnten Differenzierungstheorie folgend wird heutzutage zwischen dem rechtfertigenden (§34) und dem entschuldigenden Notstand (§35) unterschieden. Die Spezialnorm des Nötigungsnotstandes fällt heute unter § 35. Sachlich wurden die Vorschriften der §§ 52 a.F. und 54 a.F. im Hinblick auf die notstandsfähigen Güter um das der „Freiheit“ erweitert, was der Bedeutung der freiheitlichen Grundordnung geschuldet ist.[15] Ebenfalls wurde der Kreis der vom Notstandsprivileg umfassten Menschen auf die dem Täter nahe stehenden Personen ausgedehnt. Der Gesetzgeber wollte auch Konstellationen wie enge Lebensgemeinschaften und Betreuungsverhältnisse vom Notstandsrecht umfasst wissen.[16] In den Gesetzestext mit aufgenommen wurden auch die schon vor der Reform von Rechtssprechung und Literatur berücksichtigten Gefahrtragungs- und Zumutbarkeitsregeln des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Halbsatz.[17] Nicht auf Vorbilder gestützt fanden die Regeln zur Strafmilderung des § 35 Abs. 1 S. 2 2. Halbsatz und zum Irrtum in § 35 Abs. 2. Eingang in die Norm.[18]

III. Anwendungsbereich des § 35 StGB

1. Grundgedanke und Klassifizierung als Entschuldigungsgrund

Der Grundgedanke der Entschuldigungsgründe liegt darin, dass die Schuld auf ein so geringes Maß verringert ist, dass dem Täter ein ausreichender Schuldvorwurf nicht mehr zu machen ist.[19] Es wird also das voluntative Schuldelement verneint.[20] Dies bedeutet, dass der Täter zwar in der Lage ist, sein unrechtmäßiges Verhalten zu erkennen, aber in der Möglichkeit, sich demgemäß auch rechtmäßig zu verhalten durch eine außergewöhnliche Motivationslage derart beeinträchtigt ist, dass auf einen Schuldvorwurf verzichtet werden kann.[21] Beim entschuldigenden Notstand kann der Täter auf Grund seines Selbsterhaltungstriebs oder der engen persönlichen Beziehung und der daraus resultierenden psychischen Bedrängnis sich nicht genügend motivieren, rechtmäßig zu handeln.[22] Ein normgemäßes Verhalten ist ihm somit unzumutbar und die Schuld sinkt auf ein nicht mehr strafwürdiges Maß.[23] Diese Herabsetzung des Schuldvorwurfs unter die Grenze der Strafwürdigkeit kennzeichnet den entschuldigenden Notstand als Entschuldigungsgrund.[24] Davon zu unterscheiden sind die Strafausschließungsgründe, bei deren Vorliegen es an einem schuldbegründenden Merkmal fehlt.[25] Bei diesen fehlt das intellektuelle Schuldelement, also die Fähigkeit, Unrecht einzusehen.[26] Dies ist beispielsweise bei einer seelischen Störung im Sinne des § 20 Var. 1 der Fall.[27]

2. Abgrenzung zu § 34 StGB und Systematik

Obwohl anerkannt ist, dass § 35 als Entschuldigungsgrund auch unrechtmildernd wirkt[28], schließt er das Unrecht, insbesondere die Rechtswidrigkeit, nicht aus. Es ist daher strikt zwischen dem rechtfertigenden und dem entschuldigenden Notstand zu trennen.[29] Während der im rechtfertigenden Notstand Handelnde nicht gegen die Rechtsordnung verstößt, trifft den rechtswidrig handelnden Täter im entschuldigenden Notstand die Duldungspflicht, gegebenenfalls Notwehr gegen sein Handeln hinzunehmen.[30] Die Teilnahme an der entschuldigten Tat ist möglich.[31] Des weiteren greifen die Irrtumsregeln der §§ 16 und 17 nicht, sondern die des § 35 Abs. 2.[32]

Ähnlichkeiten bestehen jedoch hinsichtlich der Systematik. Der Tatbestand des § 35 lässt sich wie der des § 34 in Notstandslage, Notstandshandlung und ein subjektives Element teilen.[33] Darüber hinaus sind aber beim entschuldigenden Notstand die Zumutbarkeitsregeln, insbesondere die Gefahrtragungspflicht, des § 35 Abs. 2 S. 2 1. Halbsatz zu beachten.

[...]


[1]
§§ ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des StGB.

[2] LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 333, 339, 340.

[3] LK-Zieschang, § 35, vor Rn. 1.

[4] LK-Zieschang, § 35, vor Rn. 1.

[5] Bernsmann, 15.

[6] LK-Zieschang, § 35, vor Rn. 1.

[7] LK-Zieschang, § 35, vor Rn. 1.

[8] Bernsmann, 15.

[9] LK-Zieschang, § 35, vor Rn. 1.

[10] Bernsmann, 19.

[11] Bernsmann, 15.

[12] Zieschang, JA 10/2007, 679, 680.

[13] LK-Zieschang, § 35, Rn. 1.

[14] Vgl. zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen LK-Zieschang, § 35, Rn. 2.

[15] MK-Müssig, § 35, Rn. 12; Sch/Sch-Perron, § 35, Rn. 8.

[16] MK-Müssig, § 35, Rn. 19; Sch/Sch-Perron, § 35, Rn. 15.

[17] LK-Zieschang, § 35, vor Rn. 1.

[18] Bernsmann, 19.

[19] BeckOK StGB-Momsen, § 35, Rn. 3.

[20] LK-Zieschang, § 35, Rn. 3.

[21] LK-Rönnau, vor § 32, Rn. 322.

[22] Bernsmann, 14.

[23] LK-Rönnau, vor § 32, Rn. 324, 342; Wessels/Beulke, AT, § 10, Rn. 433.

[24] Wessels/Beulke, AT, § 10, Rn. 432.

[25] Sch/Sch-Cramer/Heine/Lenckner, vor §§32ff. Rn. 127.

[26] LK-Rönnau, vor § 32, Rn. 319.

[27] BeckOK StGB-Eschelbach, § 20, Rn. 9.

[28] LK-Rönnau, vor § 32, Rn. 325; Sch/Sch-Perron, § 35, Rn. 15.

[29] Differenzierungstheorie, vgl. oben B.II.2.

[30] Zieschang, JA 10/2007, 679, 681.

[31] MK-Müssig, § 35, Rn. 86.

[32] Kühl, Kommentar, § 35, Rn. 13.

[33] Wessels/Beulke, AT, § 8 Rn. 323, § 10 Rn. 445;

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Neue übergesetzliche Entschuldigungsgründe nach dem StGB
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltung
Der moderne Mensch: Neue Dimensionen des Strafrechts?
Note
13 Punkte (gut)
Autor
Jahr
2009
Seiten
26
Katalognummer
V210827
ISBN (eBook)
9783656390442
ISBN (Buch)
9783656391258
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Seminararbeit wurde im Rahmen des Austauschseminars der Humboldt-Universität zu Berlin und der Ivane-Javakhishvili-Universität Tblisi angefertigt.
Schlagworte
neue, entschuldigungsgründe, stgb
Arbeit zitieren
Mark Orthmann (Autor:in), 2009, Neue übergesetzliche Entschuldigungsgründe nach dem StGB, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210827

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Neue übergesetzliche Entschuldigungsgründe nach dem StGB



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden