Leseprobe
Gliederung
I. Einleitung
1. Fragestellung
2. Operationalisierung
3. Grundlegende Definitionen - was ist eine Frame Analyse?
II. Hauptteil
1. Materialauswahl
2. Frame Analyse
1. Dominierende Frames im Diskurs um Proteste in Griechenland
(Dezember 2008 bis April 2009)
2. Dominierende Frames im Diskurs um Proteste in Griechenland
(Dezember 2009 bis Juni 2011)
3. Kontinuitäten und Brüche im Framing der griechischen Proteste
III. Fazit
Literaturverzeichnis
Materialverweise
Artikel zu griechischen Protesten: Dezember 2009 bis Januar 2010
Artikel zu griechischen Protesten: Februar 2010 bis Juni 2011
I. Einleitung
Die vergangenen Jahre gehören für Griechenland zu den bewegtesten der letzten Dekaden. Seit langer Zeit hat es weder dort noch in einem anderen europäischen Land derart lang anhaltende Proteste und Ausschreitungen gegeben. Seit Ende des Jahres 2008 gab es nur wenige Monate, in welchen das Land nicht Zeiten massiver gesellschaftlicher Bewegung erlebt hat. Was aber hat zu diesem fast zur Normalität werdenden Ausnahmezustand des südosteuropäischen Landes geführt?
Es lassen sich zwei Phasen des Protestes ausmachen, welche zwar dem Anlass nach verschieden, der Form nach aber sehr ähnlich strukturiert sind. Die erste Phase betrifft die Zeit der Jahreswende 2008/09 und steht, so berichteten Medien, im Zusammenhang mit der Erschießung des 15-jährigen Alexis Grigoropoulos am 06. Dezember 2008. Die zweite Protestphase begann etwa ein Jahr später, im Februar 2010, und dauert bis zum heutigen Tage an. Diese steht medialen Berichten zufolge in Verbindung mit den sich verschärfenden Problemen des griechischen Staates, Zugang zu Krediten für die Refinanzierung des Staatshaushaltes über den Finanzmarkt zu erhalten und der daraus resultierenden Sparmaßnahmen der griechischen Regierung.
Doch woher beziehen wir unsere Informationen über die Geschehnisse injenem Land? Letztlich ist die deutsche Öffentlichkeit maßgeblich auf die Berichterstattung in den Medien angewiesen, um sich eine Meinung zur griechischen Problematik zu bilden. Jedoch sind Medien keineswegs neutrale Spiegel der Realität, vielmehr treffen sie eine Auswahl, was die berichtenswerten Informationen, die Ursachenanalyse, die normative Bewertung sowie daraus resultierend mögliche Handlungsoptionen angeht und sind damit ein zentraler Akteur im Hinblick auf die Bildung von Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung. Diese Entscheidung, wie über einen gewissen Sachverhalt berichtet wird (und auch, was dabei unerwähnt bleibt), nennt man Framing, die Analyse dieser medialen Rahmensetzungen heißt Frame Analyse.
In dieser Seminararbeit möchte ich die verwendeten Frames eines deutschen Leitmediums bezüglich der Proteste in Griechenland analysieren und darüber hinaus den Wandel derselben über den Zeitraum von Dezember 2008 bis Juni 2011 nachvollziehen. Ich werde mich dabei auf Artikel des führenden deutschen Online-Mediums sueddeutsche.de beziehen. Ziel ist es, zur Klärung der Frage beizutragen, wie Medien Framing nutzen, um bestimmte Inhalte zu transportieren und was zum Wandel von verwendeten Frames führen kann.
Im Folgenden verwende ich dabei Frame, Rahmen und Deutungsmuster weitgehend synonym.1
1. Fragestellung
Aus meinem Forschungsinteresse ergibt sich folgende Fragestellung: Welche Frames werden von dem deutschen Online-Medium sueddeutsche.de verwendet, um die Proteste von 2008 bis 2011 in Griechenland zu kontextualisieren? Hat sich das Framing während der zwei Protestphasen Dezember 2008 bis Januar 2009 und Februar 2010 bis Juni 2011 verändert?“
2. Operationalisierung
Zur theoriegeschichtlichen Einordnung der Frame Analyse erfolgt zunächst eine Abhandlung über die Entwicklung des Analyseinstrumentes bis hin zum Ansatz von Stephen Reese, welcher als theoretisches Fundament dieser Seminararbeit dienen soll.
Im Hauptteil werde ich zunächst die Auswahlkriterien erläutern, nach welchen der zu untersuchende Textkorpus entstanden ist. Anschließend werde ich die beiden Phasen der griechischen Proteste jeweils auf verwendete Frames hin untersuchen, indem verwendete Begriffe, Metaphern und vor allem Argumentationsmuster systematisch analysiert werden. Dies beinhaltet ebenso die Ableitung zugrundeliegender Masterframes, welche im folgenden Abschnitt näher erläutert werden. Schließlich wird das Ergebnis auf Kontinuitäten und Brüche in den verwendeten Frames hin beleuchtet, um mit einem abschließenden Fazit zur einleitenden Fragestellung Bezug zu nehmen. Da es sich hier um eine empirische Untersuchung handelt, bleibt der theoretische Teil lediglich einleitdend, der Fokus liegt auf der nachfolgenden Untersuchung.
3. Grundlegende Definitionen - was ist eine Frame Analyse?
Die Grundlagen der Frame Analyse legte Erving Goffman 1974 mit seinem Werk ,,Frame analysis: An essay on the organization of experience“1. Die Leitfrage, welche Goffman dabei verfolgt, ist nicht „Was ist wirklich?“ sondern „Unter welchen Umständen halten wir etwas für wirklich?“. Frames als allgegenwärtige Deutungsrahmen für Situationen stellen das Objekt der Goffmanschen Frame Analyse dar. Sie bezeichnen das System, nach welchem Menschen beurteilen, was in einer gegebenen Situation passiert und sind für zwischenmenschliche Kommunikation daher unentbehrlich2. Als primäre Frames werden dabei solche Deutungsrahmen bezeichnet, welche sich nicht aus vorhergehenden Deutungen ableiten, sondern „ursprünglich“ sind und sonst zusammenhanglose Ereignisse in der menschlichen Wahrnehmung zu einer sinnvollen Abfolge zusammenfügen. Hierbei unterscheidet Goffman zwischen natürlichen Frames (Physikalische Gesetzmäßigkeiten, bspw. Wetter) und sozialen Frames, welche zwischenmenschliches Handeln strukturieren (Verhaltensnormen, Beurteilungsmaßstäbe)3. Schließlich lassen sich von diesen Frames weitere Deutungsmuster ableiten; diese werden als Modulationen bezeichnet und wurzeln zwar in primären Frames, erhalten aber aufgrund eines veränderten Framings einen anderen Sinn (bspw. das Läuten eines Telefons in einem Film)4. Der primäre Frame lässt sich dabei als Kern einer Situation darstellen, während die Modulationen (welche auch multipel auftreten können) als Schalen dieses Kerns versinnbildlicht werden können. Die äußerste Schale bezeichnet Goffman als Rand des Rahmens, also jene Deutungsebene, welche im Normalfall als die gültige wahrgenommen wird5. Da Frames letztlich subjektiv gedeutet werden, kann es auch zu Rahmenirrtümern oder bewussten Täuschungen kommen, wenn Individuen den Inhalt oder den Rand des Rahmens unterschiedlich definieren6. Todd Gitlin baut stark auf dem Goffmanschen Rahmenbegriff auf und fasst ihn folgendermaßen zusammen: „Frames are principles of selection, emphasis and presentation composed of little tacit theories about what exists, what happens, and what matters."7.
Die Frame Analyse entwickelte sich im Bereich der Medienforschung, basierend auf Robert Entman und Anderen, deutlich weiter; er ergänzt das Konzept der allgegenwärtigen, unbewusst interpretierten Frames um die Dimension der aktiven Verwendung bestimmter Frames (Framing): "to frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation."8. Framing ist hier eine bewusste Strategie politischer Akteure, um durch gezielte Problemdefinition, Ursachendiagnose, normative Bewertung und konkrete Handlungsempfehlung einer Situation (durch Verwendung eines bestimmten Frames) die Einschätzung der Rezipierenden in einer gewünschten Weise zu beeinflussen, jedoch enthält nichtjeder Frame diese vier Elemente in gleicher Ausprägung9. Frames heben dabei einzelne Aspekte eines Phänomens stärker hervor als andere, lassen Teile weg und invozieren durch die Verwendung bestimmter sprachlicher Mittel latent existierende Deutungsmuster im Rezipierenden10. Daniel Kahneman hat dieses Phänomen als Framing-Effekt eingeführt und ausführlich beschrieben1112. Nach Stephen Reese spielen diese Handlungsstrategien insbesondere in den drei Bereichen Policy, Journalismus und in der Öffentlichkeit eine bedeutende Rolle13. Frames zeichnen sich darüber hinaus durch ihre zeitliche Persistenz und ihre soziale Verankerung aus; sie sind „organizing principles that are socially shared and persistent over time, that work symbolically to meaningfully structure the social world.“14. Ob kommunizierte Frames erfolgreich den gewünschten Framing-Effekt erzielen, hängt maßgeblich davon ab, ob sie sich mit kulturell verankerten und beim Rezipierenden latent vorhandenen Deutungsmustern decken oder nicht. Framing kann also nur sehr eingeschränkt grundsätzliche Einstellungen ändern, ist aber in der Lage, bestimmte Deutungsmuster im Hinblick auf eine spezifische Problematik zu aktivieren und damit die Bewertung und daraus folgend die Handlungspräferenz des Rezipierenden maßgeblich zu steuern; dieser Effekt wird von manchen Medienforscherinnen auch als Second Level Agenda Setting bezeichnet.
Reese unterscheidet zwei grundlegende Fragestellungen der Frame Analyse: Was der Frame impliziert und wie er es tut. Die Untersuchung des Inhalts eines Frames schenkt insbesondere Metaphern, Schlagworten und Argumentationsmustern Beachtung, welche auf zugrundeliegende, sozial anerkannte Deutungsmuster verweisen und so den Inhalt des Frames plausibilisieren. Hier steht die diskursive Struktur eines Themas im Vordergrund der Untersuchung; aus den an der Oberfläche erkennbaren Frames lässt sich auf zugrundeliegende Masterframes15 schließen, welche grundlegende, zum Teil kulturell bedingte Leitideen und Deutungsmuster darstellen. Verschiedenen Autoren zufolge sind drei dominierende Masterframes in der westlichen Industriegesellschaft der liberale Individualismus, der Ethno-Nationalismus und die Vorstellung einer „Harmonie mit der Natur“. Frames können also nur dann effektiv funktionieren, wenn sie an bereits bestehende Deutungsmuster der Rezipierenden anknüpfen. Dieses Anknüpfen bezeichnen David Snow und Robert Benford als Framing Alignment Process und unterscheiden dabei vier Funktionsarten der Verknüpfung: Frame Amplification bezeichnet die Verfestigung bereits bestehender Frames durch beständige Wiederholung und Bestärkung. Frame Extension bedeutet die Ausweitung des von einem Frame erfassten Inhaltes um einige weitere Aspekte; dies führt jedoch auch zu einer Verwischung der Kernaussage. Frame Bridging geht darüber hinaus und meint die Verbindung von zwei oder mehr thematisch wenig zusammenhängenden Frames zu einem gemeinsamen Deutungshorizont. Schließlich bezeichnet Frame Transformation die grundlegende inhaltliche Neuausrichtung eines Frames durch Fallenlassen alter und/oder hinzufügen substantiell neuer Inhalte16. Diese Systematik wurde in der Sozialen Bewegungsforschung entwickelt, ist aber als theoretischer Baustein der Frame Analyse insgesamt etabliert. Die eher prozessorientierte Frage nach dem Wie des Framings bezieht sich auf die strategische Verwendung machtpolitischer Ressourcen zur Erreichung definierter Ziele durch Personen oder Personengruppen17und spielt für die inhaltliche Untersuchung der diskursiven Grundstrukturen hinter den verwendeten Frames keine bedeutende Rolle.
Die entscheidenden Fragen für diese auf Stephen Reese aufbauende Frame Analyse sind also:
1) Welches Medium wird (über welchen Zeitraum) untersucht?
2) Welche Schlagwörter werden bei der Materialauswahl verwendet?
3) Welche Frames zeigen sich hinsichtlich Problemdefinition, Ursachenanalyse, Bewertung und Lösungsansätzen zeitlich persistent in dem ausgewählten Material?
4) Auf welche zugrundeliegenden kulturellen Deutungsmuster greifen diese zurück?
5) Lässt sich ein Wandel der verwendeten Frames über die Zeit erkennen? Hängt dieser gegebenenfalls mit realen Ereignissen zusammen?
II. Hauptteil
1. Materialauswahl
Um die dominierenden Frames eines deutschen Leitmediums zum Thema Proteste in Griechenland zu untersuchen, verwende ich in dieser Frame Analyse Artikel des Online-Mediums sueddeutsche.de. Als führendes Informationsmedium im Online-Bereich spiegelt diese Quelle den öffentlichen Diskurs eines bedeutenden Teils der deutschen Bevölkerung wieder; zugleich gehe ich davon aus, hier eine gewisse Bandbreite an Deutungsmustern zu finden, welche sonst wenige andere Leitmedien in der Form bieten können.
Zur primären Textauswahl werden bei der Archivsuche die Schlagwörter „Griechenland Protest“ verwendet; auf Basis dieses Textkorpus lassen sich im Anschluss feinere Analyseinstrumente anwenden. Quellenmaterial, auf welches im Folgenden Bezug genommen wird, ist im Anhang systematisch sortiert einsehbar. Auf Basis der so extrahierten Daten ließe sich in einem zweiten Schritt eine quantitativ angelegte Untersuchung größerer Datenmengen bewerkstelligen; dies ist jedoch im Rahmen dieser Seminarbeit nicht möglich.
Die Rastersuche des Archivs von sueddeutsche.de ergab 277 Treffer unter dem Stichwort „Griechenland Protest“. Eine erste Prüfung der Artikel ergab eine Gesamtzahl von 79 Treffern, welche sich auf Proteste in Griechenland beziehen.(2008/09: 18, 2010/11: 52), davon fallen 19
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1 Goffman, Erving: „Rahmen-Analyse: Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen“ (1977), 1. Auflage, Frankfurt (Main), Suhrkamp.
2 Ebd. S. 9ff
3 Ebd. S. 31ff
4 Hettlage, Robert und Karl Lenz (Hrsg.): „Erving Goffman - ein soziologischer Klassiker der zweiten Generation“ (1991), UTB für Wissenschaft, Stuttgart, S. 138.
5 Goffman (1977),S.96f
6 Ebd. S. 98ff
7 Gitlin, Todd: „The Whole World Is Watching: Mass Media in the Making and Unmaking of the New Left.“ (1980), University of California Press, Berkeley, S. 6.
8 Entman, Robert: „Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm.“ in: Journal of Communication Nr. 43 (1993), S. 52.
9Vgl.Ebd.
10Entman (1993), S. 53.
11Kahneman, Daniel et al: „Choices, Values and Frames“ (2000), University of Cambridge, Cambridge, S. 16f.
12Reese, Stephen: „Prologue - Framing Public Life: A Bridging Model for MediaResearch“ , in: Reese, Stephen (Hrsg.): „Framing Public Life: Perspectives on Media and our Understanding of the Social World “(2003), Lawrence Erlbaum Associates Inc, New York.
13Reese, Stephen: „Finding frames in a web of culture“ in: D'Angelo, Paul/Kuypers, Jim: „Doing news framing analysis“ (2010), Routledge, New York, S. 17.
14Ebd.
15Gamson, William: „Political Discourse and Collective Action“, in: International Social Movement ResearchNr. 1 (1988), JAI Press, Greenwich, S. 220ff.
16Snow, David et al: „'Frame Alignment Processes, Micromobilization and Movement Participation“ in: American Sociological Review Nr. 51 (1986), 464ff.
17Ebd. S. 18.