Auswirkungen der Reformation auf die Beerdigungspraxis im christlichen Europa des 16. Jahrhunderts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

25 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die Geschichte des christlichen Begräbniswesens in Europa
2.1. Die vorchristliche Zeit
2.2. Die christliche Zeit bis in das Spätmittelalter
2.3. Die Zeit der Reformation
2.3.1. Neue alte Grundlagen
2.3.2. Der hygienische Aspekt
2.3.3. Ohne Fegefeuer, mit sanitären und ästhetischen Bedenken

3. Tatsächliche Auswirkungen
3.1. Standpunkte in der Fachliteratur
3.2. Die Kirchenordnungen

4. Schlussfolgerung

5. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Man kann ohne große Probleme die Reformation als eine der wichtigsten Entwicklungen des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit betrachten. Die Veränderungen die sie hervorrief dürften keinen Bereich im spirituellen und weltlichen Leben des christlichen Europas ausgelassen haben. Die historizistische Fachliteratur scheint auf den ersten Blick einig zu sein, was die Bewertung der Reformation in den verschiedenen Aspekten des historischen Geschehens angeht. Bei genauerem Hinsehen allerdings offenbaren sich Fragen, die es im Detail zu klären gilt.

Wenn Barbara Happe schreibt

"Die Reformatoren brachen mit dem Dogma von einer wirksamen Handlung für den Tten und so mit jeglicher Form der Fürbitte. Nach protestantischem Verständnis endet mit der Stunde des Todes jeder seelsorgerische Dienst am Nächsten. Hierdurch verliert der wichtigste theologische Grund für den Zusammenhang von Kirche und Begräbnisplatz seine Gültigkeit, und es entstehen die Vorraussetzungen für eine Neubestimmung des Begräbnisortes.

Die bibliographische Nachsuche ergab, daß dem Einfluß der Reformation auf die Entwicklung der Friedhöfe in der Forschung bisher nicht genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde."[1]

so scheint sie ein Problem zu benennen, das von der bisherigen Auffassung von den Auswirkungen der Reformation ausgehend garnicht existieren dürfte. Allerdings wird bei genauerer Recherche klar, dass über die Auswirkungen der Reformation gerade im christlichen Begräbniswesen kein Konsens herrscht. Die größte Veränderung wird dem 18. Jahrhundert und der Aufklärung zugeschrieben, über die Rolle der Reformation herrscht große Uneinigkeit: von den einen als Wegbereiter betrachtet, wird sie von anderen als Randerscheinung oder simpler Steigbügelhalter für die Veränderungen der folgenden Zeit betrachtet, und wiederum andere sehen die Reformation als klare Konsequenz einer veränderten Verhältnis zu den Toten.

Diese Arbeit wird sich zuerst mit der Geschichte des europäischen Begräbniswesens bis zur Reformation beschäftigen. Danach werde ich die Ansichten der Reformatoren erläutern, mit Berücksichtigung nicht- theologischer Tendenzen zu der Zeit, die zu einer veränderten Wahrnehmung des Begräbniswesens geführt haben. Abschließend werde ich die verschiedenen Standpunkte in der Fachliteratur darlegen und mit Referenz zu ausgewählten Kirchenordnungen als Quellen der betreffenden Zeit bewerten.

2. Die Geschichte des christlichen Begräbniswesens in Europa

2.1. Die vorchristliche Zeit

Die römisch-hellenische Antike trennte den Bereich des Götterkults noch strikt von jenen Räumen, die man den Toten der Gesellschaft zugestand. Schon das Zwölftafelgesetz schrieb vor, dass Begräbnisse stets extra mrros, außerhalb der sakralen Stadtgrenzen, des pomerirms, stattzufinden hatten. Waren innerhalb der Stadtmauern ganze Bereiche, die templa, der pietas und dem crltrs zugeordnet, so wurde der Totenkult gänzlich vor die Stadtmauern verlagert.

Die Bestattungspraxis war religiös nicht uniform sanktioniert, und so fanden sowohl Körper- als auch Brandbestattungen ihren Platz vor den Stadtmauern. Meist an den Hauptstraßen der jeweiligen civitas gelegen waren diese Gräberfelder gleichsam von den Lebenden abgegrenzt wie auch unübersehbarer Teil des alltäglichen Geschehens. Pflegten die Römer und Hellenen zwar den Großteil des crltrs beorrm innerhalb der Stadtmauern, in den benannten templa auszuüben, war das Grabfeld der Ort für rituelle Handlungen um die Toten. Zu diesen Feierlichkeiten gehörten auch die parentalia, an denen Staatsgeschäfte ruhten und die Menschen ihre Ahnen, die maiores, feierten indem sie ihre Gräber

schmückten, ihnen Opfer darbrachten und 'mit ihnen zusammen' Festmähler im Umfeld der Gräberfelder abhielten.

Obwohl die räumliche Trennung von Lebenden und Toten durch das Gesetz bestimmt und durch sowohl den religiösen Habitus, der die Toten als unrein betrachtete, als auch das pomerirm und die dieses repräsentierende Stadtmauer absolut war, bestand doch in den traditionellen Riten dieses Kulturkreises eine starke Bindung zwischen der Welt der Toten, dem orcrs, und der Welt der Lebenden, die auch eine gewisse Gemeinschaft einschloss; immerhin war der Glaube an Geister im Alltagsgeschehen fest verankert.[2]

Der Glaube an das Jenseits manifestierte sich nicht zuletzt in der Praxis, dem Toten eine Münze für den Fährmann, der die Seele des Verstorbenen über den Styx (welcher sowohl in der religio der Römer als auch in der 0qyo›sía der Helenen seine Gültigkeit hatte) transportieren würde, als auch die Tatsache, dass man im Leben nach dem Tod für seine Taten im Diesseits Rechenschaft ablegen musste, dies jedoch ohne dass ihm seine Hinterbliebenen im Diesseits Hilfe leisten konnten.

Im germanischen Kulturkreis ist die Bestattungspraxis weniger an feste Örtlichkeiten gebunden, da die Stämme des Mitteleuropäischen Raums bis in die Spätantike halbnomadisch lebten, d.h. in unregelmäßigen Abständen den Wohnort wechselten um dort bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Die bevorzugte Art der Bestattung war das Urnengrab, welches je nach Größe der Siedlung in gänzlichen Grabfeldern liegen konnte. Personen, die in der sozialen Hierarchie höher gestellt waren, wurden meist Körperbestattet, die Kumulation dieser Darstellung von sozialem Prestige fand sich in den Hügelgräbern. Wobei hier keine eindeutige Regelmäßigkeit festgestellt wurde.

Was jedoch den meisten Stämmen gemein war, war die Tatsache, dass sie ihre Toten außerhalb des eigentlichen Siedlungsbereichs begruben. Der an den Tod eines Menschen anschließende Totenkult, sei es zur Abwehr von Wiedergängern oder zur Ehrung der im Jenseits (im Reiche

Hels oder Valhalls) fortlebenden Person, fand jedoch seltener am Grab selber statt als an den dem Stamm heiligen Orten. Der Glaube ans Jenseits manifestierte sich auch in Grabbeigaben und Bestattungssitten, in denen sich der Wille zeigte, dem Verstorbenen die Überfahrt ins Jenseits so leicht wie möglich zu machen, und ihm die Möglichkeit zu erhalten seinen Status auch im Tode weiterhin darzustellen.[3]

2.2. . Die christliche Zeit bis in das Spätmittelalter

Mit der Verbreitung und Erstarkung des Christentums trat ein grundlegender, aber nicht abrupter Wandel in die Bestattungskultur Europas. In der Antike waren die wenigen Christen häufig noch gezwungen ihre Toten inkognito auf den Gräberfeldern der übrigen polytheistischen Gesellschaft zu begraben, und wenn ihre Gräber mit eindeutigen christlichen Symbolen kenntlich gemacht werden sollten, so ging dies nur an geheimen Plätzen. Am bekanntesten dürften hier die römischen Katakomben sein, die zu der Zeit als illegaler Bestattungsplatz genutzt wurden. Der moralische Vorbilder brauchende Glaube, der diese in den Märtyrern und später in den Heiligen fand, baute eben diesen Kult aus bis er schließlich in der Praxis gipfelte, unverweste, sterbliche Überreste, oder Teile derer, an die verschiedenen christlichen Gemeinden zu überstellen um dort den Kult zu stärken:

"Der aus der Heiligen- und Märtyrerverehrung hervorgehende Reliquienkult prägte die weitere Entwicklung der Begräbnispraxis. Die Grabstätten der Märtyrer und Heiligen übten nämlich auf die Gläubigen einen starken Einfluss aus und zogen weitere Bestattungen nach sich. Dies ist in erster Linie der in der Antike allgemein verbreiteten Vorstellung zuzuschreiben, dass Persönlichkeiten mit moralischen Qualitäten auch in der Geographie des Jenseits einen bevorzugten Platz bekämen. Dadurch seien sie in der Lage, auch für andere Tote Fürsprache zu leisten. Man gab dieser Hoffnung dadurch Ausdruck, dass man mit der Grabwahl die Nähe zu

solchen Leitfiguren suchte."[4]

Dies führte im Laufe der Erstarkung des Christentums auch dazu, dass die ursprüngliche Trennung zwischen Gräbergeographie und der Welt der Toten allmählich aufgehoben wurde. Gab es anfänglich noch eine strikte Trennung zwischen Kirchen, in denen Gräber angelegt werden konnten, und solchen, in denen die Messen abgehalten wurden, wurde mit Verbreitung der Reliquien diese Grenze allmählich aufgehoben und, wie Illi feststellt, mit dem Codex Iustinianus auch letztendlich das Verbot, Tote nur außerhalb der Stadtmauern zu beerdigen.[5] Dies soll auch aus Gründen der Bekämpfung von heidnischem Totenkult geschehen sein. Zu den Menschen, die der christlichen Begräbnispraxis ein kirchenrechtliches Fundament schufen, gehörte auch Augustinus, der mit seiner Schrift über die Sorge um die Toten ein maßgeblich religiöses Regelwerk für den Umgang mit den Toten verfasste.[6] Mit der immer stärker um sich greifenden Verbreitung des Christentums, das ein Netz an Kirchen über Europa spannte, verschwand auch im germanischen Raum die Handhabe, den Toten einen gesonderten Raum zuzugestehen.

Die christliche Kirche okkupierte im Laufe der Spätantike und des beginnenden Frühmittelalters den Götterkult und verwob diesen nach eigenen Vorstellungen auch mit dem Brauch, die Toten zu bestatten. So verschwand die Brandbestattung im christianisierten Europa beinahe völlig, da sich dies nicht mehr mit der Auferstehungsphilosophie des Christentums vereinbaren ließ. Die Körperbestattung war bald die einzige religiös sanktionierte Art die Toten zur Ruhe zu betten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die soziale Komponente wird vor allem im Verhalten der lokalen Eliten deutlich, die anstelle der eigenen Nekropolen und Mausoleen vermehrt Kirchen als Orte ihrer Grablegen wählten, oder gar bauten: Stiftskirchen wurden oft aus keinem anderen Grund errichtet, als dem seinem Ende vorauswirkenden Stifter sein postmortales Seelenheil zu sichern. Das Prinzip war das folgende: spendete ein Mensch von Wohlstand der Kirche, wurde ihm gleichsam die Wohlfahrt im Himmelreich, oder eine Verkürzung seines Aufenthalts im läuternden Fegefeuer versprochen.

Stadt, Zürich 1992, S. 12.

[...]


[1] Happe, Barbara, Die Entwicklungen der deutschen Friedhöfe von der Reformation bis 1870, Tübingen 1991, S. 179.

[2] Wissowa, Georg, Religion und Kultus der Römer, München 1912, S. 232/233.

[3] Schiller, G., Alt, K.W., Geißlinger, H., Grab und Grabbrauch, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 12, Bonn 1998, S. 382-401.

[4] Illi, Martin, Wohin die Toten gingen – Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen

[5] Illi, Martin, Wohin die Toten gingen – Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt, Zürich 1992, S. 12.

[6] ebenda, S. 16.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Auswirkungen der Reformation auf die Beerdigungspraxis im christlichen Europa des 16. Jahrhunderts
Hochschule
Universität zu Köln  (Historisches Seminar - Mittlere und Neuere Geschichte)
Veranstaltung
Der Tod im Ancien Regime
Note
1.7
Autor
Jahr
2010
Seiten
25
Katalognummer
V211317
ISBN (eBook)
9783656390756
ISBN (Buch)
9783656391661
Dateigröße
448 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ancien Regime, Reformation, Bestattungspraxis
Arbeit zitieren
Michael Kulüke (Autor:in), 2010, Auswirkungen der Reformation auf die Beerdigungspraxis im christlichen Europa des 16. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211317

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