Schillers Abhandlung „Über Anmut und Würde“ in der praktischen Analyse in Bezug auf sein Drama "Die Jungfrau von Orleans"


Term Paper, 2010

16 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Gliederung

Königsberger Sinnensklaverei: Schillers Ausgangslage

Über Anmut und Würde führt die Veredelung: Zur Ethik

Über Anmut und Würde führt die Veredelung: Zur Ästhetik

Geschlechterdifferenzen in der Abhandlung

Die Jungfrau von Orleans- Sinnbild und Querulantin

Bellizistische Hand Gottes oder anmutige Eigenregie?

Das Haupt der Medusa

Königsberger Sinnensklaverei: Schillers Ausgangslage

Im Jahr 1793, nach nur etwa sechs Wochen Schreibarbeit, erscheint die Schrift „Über Anmut und Würde“, jenes ästhetische Werk, mit dem sich Schiller zum ersten Mal auf das fremde Terrain der praktischen Philosophie begibt, um sich dort an der Gegendarstellung zu einem äußerst populären Thema zu erproben; doch der Philosoph, den er herausfordert und revidieren will, ist eine mächtige Instanz: Immanuel Kant.

Acht Jahre zuvor, 1785, hat Kant mit der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ eine Ethik vorgelegt, an deren rigider „[…] dualistischer Erstarrung […]“[1] von Sinnlichkeit einerseits und Sittlichkeit andererseits sich der flammende Protest Schillers entzündet. Anders als für den moralischen Grandseigneur ist für Schiller die Vorstellung unerträglich, […] die unterdrückende Vernunft […] selbst zur blinden Macht [zu erheben], wie sie die Natur ursprünglich ist.“[2] Anstelle einer Sollensphilosophie, in deren Konzept die Moral des Individuums stets über seine natürlichen Begierden herrscht, möchte Schiller eine auf Harmonie aller Wesenskonstituenten basierende Ethik entwickeln. Die pure Vernunft als alleinigen Motor des (guten) Menschen zu isolieren, zu ihren Gunsten also eine andere humane Kraft zu opfern, erscheint ihm als „[…] ein garstiges Zerrbild der Freiheit.“[3] Was außerdem geschieht, wenn sich Massen unter dem Banner rein ideeller, vorgeblich vernünftiger Ziele zusammenrotten, hat die deutsche Kulturelite kurz zuvor im Nachbarland erfahren. Als Schillers Abhandlung „Über Anmut und Würde“ im Juni 1793 in der Zeitschrift „Neue Thalia“ veröffentlicht wird, ist in Frankreich gerade der Grande Terreur losgebrochen; das erste Projekt unter der Ägide der Vernunft in Europa ertrinkt in Blut, und Schiller erkennt, dass seine kürzlich übersandte französische Ehrenbürgerschaft vor dem Hintergrund dieses eklatanten Widerspruchs zur leeren Makulatur wird.

Freilich rezipiert Schiller den Stoff, der von außen an ihn herangetragen wird, nicht in eklektischer Weise, sondern formt ihn in einem kreativen Prozess soweit, dass daraus ein originärer Gedankengang hervorgeht- doch was besagt der?

Über Anmut und Würde führt die Veredelung: Zur Ethik

Das Hauptaugenmerk Schillers liegt auf den Möglichkeiten der Visualisierbarkeit von inneren, moralischen Kräften, nach denen ein Individuum handelt. Von Kant, also aus der Ethik, übernimmt er die Dichotomie von Sittlichkeit und Neigung, deren Einflüsse auch nach seinem Verständnis das Handeln leiten- auch wenn er, wie bereits angedeutet, einen besonderen Zustand der Übereinstimmung zulässt, ja fordert; denn in einer Person, die über Anmut verfügt, „[…] setzen sich [die Triebe] mit den Gesetzen in Harmonie, und der Mensch ist einig mit sich selbst.“[4] Obwohl sich der anmutigen Person immer auch eine besondere, „[…] bewegliche Schönheit […]“[5] beifügt, ist ihr Merkmal also „[…] zuletzt eine moralische oder ethische Leistung […]“[6]. Sie integriert die ihrem Ursprung nach zügellose Leidenschaft ohne Reibungsverluste in den Geist. Von nun an sind beide Kräfte auf die gleichen Ziele gerichtet und potenzieren dadurch ihre Wirkmacht. Über das Zustandekommen dieser Synthese schweigt sich Schiller zwar aus, betont jedoch, dass sie „[…] von dem Subjekte selbst hervorgebracht wird.“[7] Der Mensch, glaubt Schiller, ist autonom, er kann Kraft seines Verstandes Gesetze über sich selbst verhängen. Hierin steht er Kant noch nah. Die Triebe aber, Lust, Freude, Wohlgefallen – eben alle Herzensangelegenheiten will er partout nicht aus ihren Rechten entlassen, wie Kant es fordert. Für den Dichter der Freiheit liegt das Heroische am Menschen eben keineswegs in einer Überwindung des Menschlichen, sondern in der vollendeten Teilhabe der Natur am Spiel des Verstandes. Erst wenn aus dem Dualismus ein Duett geworden ist, kann man von einem „[…] ganzheitlichen Bild vom Menschen […]“[8] sprechen. Es handelt sich dabei, wie etwa Mareen van Marwyck meint, um einen „[…] umfassenden Disziplinierungsprozesses, in welchem die Pflicht zur zweiten Natur […]“[9] wird. Beachtet man aber die Feinheiten in Schillers Systematik, dann ist dieser Befund falsch. Im Sinne der von Schiller proklamierten spezifisch menschlichen Veredelung gesellt sich die Natur zur Pflicht und stimmt dort mit dieser überein. Mit gewohntem Gespür für die Pointe formuliert Schiller diese Feinheit selbst folgendermaßen: der Mensch „[…] soll seiner Vernunft mit Freuden gehorchen.“[10]

Der Sparringspartner der Anmut, die Würde, ist dagegen ein getreues Abbild von Kants Pflichtauffassung: ein würdiger Mensch erlebt den Zwiespalt in sich, spürt die Verlockungen des Wollens, aber entscheidet sich letzten Endes doch für das Sollen - wenn auch schweren Herzens. Das Resultat dieses Pyrrhussieges ist laut Schiller „[…] Ruhe im Leiden [als] Ausdruck seiner moralischen Freiheit.“[11]

Wie in den meisten theoretischen Werken Schillers erlebt auch Über Anmut und Würde seinen eigentlichen Höhepunkt in der Verschmelzung beider Gesichtszüge. In ihrer Synthese, bekennt Schiller gegen Ende der Abhandlung, „[…] ist der Ausdruck der Menschheit […] vollendet […]“[12] ; das Individuum hat sich- sittlich gesehen- zum Meisterwerk entwickelt. Die nachgeborenen Germanisten mussten diese Fusion freilich prozessual deuten, so, dass der Mensch eben je nach den Erfordernissen des Tages seinen Januskopf wendet. Eine Gleichzeitigkeit der Kräfte wäre nicht praktizierbar.

Über Anmut und Würde führt die Veredelung: Zur Ästhetik

Aber auch wenn man diese empirisch schwer nachvollziehbaren Prämissen annimmt- und viele Kritiker Schillers, am einflussreichsten wohl Theodor Adorno , haben das nicht getan- selbst dann bleibt die Frage bestehen, auf welche Weise dieser Ethik eine bühnenwirksame Darstellung, eine Ästhetik erwächst. Woran lassen sich Anmut und Würde im Alltagsverkehr ausmachen?

Bezeichnenderweise dreht sich Schillers Ästhetik in Über Anmut und Würde „[…] um Bewegung in doppelter Auslegung von movere […]“[13], wodurch die innere Bewegtheit, also seelische Aktionen in äußeres Geschehen transkribiert werden. Auf den ersten Blick scheint diese strenge Analogie etwas umständlich- warum können anmutige Person nicht einfach über ihre jüngst gewonnene Anmut sprechen? Zumal innere Bewegtheit doch nicht wirklich, nur metaphorisch, mit mechanischer Beinarbeit verglichen werden kann. Doch Schillers apodiktische Aussage, „[…] eine Veränderung im Gemüt [könne] sich nur als Bewegung in der Sinnenwelt offenbaren […]“[14], ließe sich dadurch rechtfertigen, dass alle Diskrepanz, die als Motivation für Unmuts- oder Freudenbekundungen dient, aus der Person getilgt ist. Demzufolge verspüren sie keinen Gesprächsbedarf, da ihr Wesen die konstruktive Interferenz der Seelenteile weitestmöglich übernommen hat- sie befinden sich im Gleichklang mit sich selbst. Zwei Jahre später übrigens wird Schiller den naiven Dichtertyp in Über naive und sentimentalische Dichtung als ebenso unwillig zur Reflexion beschreiben, da diesem, genau wie der anmutigen Person, das Reich der Ideen nicht von der Natur abgetrennt ist. Vielmehr bedingen sie einander reziprok.

Mit Blick auf eine Theateradaption seiner theoretischen Ableitungen schreibt er zur Sichtbarmachung der Anmut, sie sei „[…] in demjenigen, was bei absichtlichen Bewegungen unabsichtlich […]“[15] ist, zu finden. Glaubt man zunächst noch an eine Paradoxie, indem eine Intention ohne Absicht gesetzt wird, verschafft schon der Nachsatz die Erklärung; denn „[…] zugleich aber einer moralischen Ursache im Gemüt […]“[16] soll dieses Unabsichtliche entstammen. Entscheidend ist also, würde man heute vielleicht sagen, die Art und Weise, wie jemand beispielsweise die Arme auf den Tisch stützt; sanft wallend muss die Bewegung sein, gleichzeitig aber auch zielstrebig und unnachgiebig. Jedwede Kontaminierung der Sitten durch eine animalische Natur, die sich in der Anmut schließlich auch durch Lümmeln oder Sabbern Bahn brechen könnte, schließt Schiller aus zugunsten eines universalen Kulturanspruchs. Für „[…] eine Heroeninszenierung auf der Bühne […]“[17] ist dieser Aspekt zentral, soll doch die Aufführung immer auch als Lehrstück oder zumindest als Sympathie-und Identifikationsmöglichkeit für das Publikum dienen.

Auch die Würde hat nach Schillers Ethik einen unstrittigen Idol-Charakter, der sich in seiner schauspielerischen Gestaltung eher des stillen Selbstkonflikts bedient. Schmale Lippen, konvulsivischer Oberkörper, stierer Blick- solcherart sind die Attribute, deren Kombination den steinigen Pfad des guten Willens anzeigen und dem Betrachter einen Zwiespalt im Betrachteten nahelegen.

[...]


[1] Safranski, Rüdiger: Friedrich Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus. 1. Auflage. München Wien: Carl Hanser Verlag 2004. (S. 368)

[2] Pott, Hans- Georg: Schiller und Hölderlin: Studien zur Ästhetik und Poetik. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2002 (= Oppelner Beiträge zur Germanistik; Bd. 4) (S.62)

[3] Safranski, Rüdiger (S. 370)

[4] Träger, Claus (Hrsg.): Friedrich Schiller: Über Kunst und Wirklichkeit. 2., veränderte Auflage. Leipzig: Reclam 1975. (S. 221)

[5] Ebd. (S. 190)

[6] Feger, Hans (Hrsg.): Friedrich Schiller: Die Realität des Idealisten. 1. Auflage. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006 (S. 165)

[7] Träger, Claus (Hrsg.) (S. 193)

[8] Safranski, Rüdiger (S. 368)

[9] Van Marwyck, Mareen: Gewalt und Anmut: weiblicher Heroismus in der Literatur und Ästhetik um 1800. 1. Auflage. Bielefeld: Transcript 2010. (S. 127)

[10] Träger, Claus (Hrsg.) (S. 224)

[11] Ebd. (S. 238)

[12] Ebd. (S. 243)

[13] Feger, Hans (Hrsg.) (S. 154)

[14] Träger, Claus (Hrsg.) (S. 203)

[15] Träger, Claus (Hrsg.) (S. 211)

[16] Ebd. (S. 211)

[17] Van Marwyck, Mareen (S. 131)

Excerpt out of 16 pages

Details

Title
Schillers Abhandlung „Über Anmut und Würde“ in der praktischen Analyse in Bezug auf sein Drama "Die Jungfrau von Orleans"
College
Martin Luther University  (Germanistisches Institut)
Course
Modul: Themen, Stoffe, Motive
Grade
1,3
Author
Year
2010
Pages
16
Catalog Number
V211737
ISBN (eBook)
9783656398202
ISBN (Book)
9783656398653
File size
524 KB
Language
German
Keywords
schillers, abhandlung, über, anmut, würde, analyse, bezug, drama, jungfrau, orleans
Quote paper
Max Rössner (Author), 2010, Schillers Abhandlung „Über Anmut und Würde“ in der praktischen Analyse in Bezug auf sein Drama "Die Jungfrau von Orleans", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211737

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