Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
3. Über dieAutoren
3.1 Balthasar Springer
3.2 Niccolò de Conti beziehungsweise Poggio Bracciolini
3.3 Duarte Barbosa
4. Die Wahrnehmung der Witwenverbrennung in den Quellen
4.1 Der Reisebericht Balthasar Springers
4.2 Der Reisebericht von Bracciolini über die Reisen Niccolò de Contis
4.3 Der Bericht über die Reisen Duarte Barbosas
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Welt zu erforschen liegt seit jeher in der Natur des Menschen. Die Entdeckung fremder Regionen gehört in einem besonderen Maße dazu. Im späten Mittelalter bereis- ten Europäer über den Seeweg verschiedene Regionen und hinterließen der Nachwelt nach und nach ausführliche Reiseberichte. Sie dienten dazu, Weltkarten zu überarbeiten, auch den daheim gebliebenen einen Eindruck fremder Regionen und Kulturen zu ver- mitteln und selbstverständlich - dies war wohl der wichtigste Aspekt - einen Eindruck zu gewinnen, welche Möglichkeiten des Handels und des Herrschaftsausbaus sich ba- ten. Der Reisebericht als Quellengattung birgt jedoch einige Schwierigkeiten.1 Denn Reiseberichte tragen autobiografischen Charakter und sind stark durch ihre Subjektivität geprägt.2 In dem was und wie berichtet wird, zeigen sie nicht immer deutlich auf, ob die Beobachtungen tatsächlich vorgenommen wurden oder der Fantasie des Verfassers ent- sprechen. Allerdings lassen Reiseberichte auf Grund ihrer meist detailgenauen und rea- listischen Beschreibung viele Rückschlüsse über die berichtete Zeit und Region ziehen. Andere hingegen lassen einen großen Drang zur Übertreibung und Fiktionalität erken- nen3, so dass die Glaubhaftigkeit dieser Quellen stets kritisch betrachtet werden sollte.4 Die Berichte des 15. Jahrhunderts ähneln sich in vielen Punkten, so beschreiben die Reisenden vor allem Dinge und Erlebnisse, die sie aus ihrer Heimat nicht kennen. Ne- ben Tieren, Pflanzen und Landschaften gilt die Aufmerksamkeit überwiegend den Men- schen der fremden Region. Sie beobachten die Art der Kleidung, das Verhalten unterei- nander, ihre Mentalität und Kultur ganz genau. In diesem Zusammenhang wird auch ein bestimmtes Ritual beobachtet. Es verläuft wie folgt: Stirbt ein männlicher Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt, wird die Beerdigung in der Stammesgemeinschaft zeleb- riert. Er wird vor der Bestattung verbrannt und mit ihm auch seine Ehefrau. Dieses Ri- tual nennt sich „Witwenverbrennung“. Die Beobachtungen zu Witwenverbrennungen und Bestattungsritualen finden sich in den Reiseberichten oft wieder. Es handelt sich um ein Ritual, welches sowohl in den westlichen Ländern, als auch im speziellen den Rei- senden wohl unbekannt war. Im Zusammenhang mit dem „ Bild “ der Religion soll das Ritual der Witwenverbrennung Gegenstand dieser Arbeit sein. Als wichtigste Informati- onsquelle zur Totenfolge, im speziellen der Witwenverbrennung, dient Fisch mit Tödli- che Rituale, die indische Witwenverbrennung und andere Formen der Totenfolge.5 Als weitere Sekundärliteratur fungieren Reichert mit Erfahrung der Welt - Reisen und Kul- turbegegnungen im späten Mittelalter6 und Scior mit seiner Dissatation zu Identität und Fremdheit7 und Knefelkamp mit Weltbild und Realität. Einf ü hrung in die mittelalterli- che Geschichtsschreibung8.
Es soll aufgezeigt werden, welche Funktion die Witwenverbrennung innerhalb der Glaubenskultur der indischen Bevölkerung innehatte. Dazu werden exemplarisch Quel- lenstellen nach der Thematisierung des Bestattungsrituals untersucht. Die Grundlage dafür bilden drei Reiseberichte, welche ungefähr um 1500 verfasst wurden: Ein Bericht Balthasar Springers mit dem Titel Merfart in Faksimile - Die Meerfahrt und Entde- ckung neuer Seewege zu unbekannten Inseln und Königreichen9, Die Reisen des Niccol ò de Conti im Osten zu Beginn des 15. Jahrhunderts10 und Eine Beschreibung der Ostaf- rikanischen K ü ste und der K ü ste Malabars11 von Duarte Barbosa. Zur besseren Einord- nung werden im ersten Teil der Arbeit Informationen über die Personen gegeben und in ihren historischen Kontext gebettet. Hier wird ihre unterschiedliche Intention deutlich werden. Danach werden exemplarisch Quellenstellen nach der Thematisierung des Be- stattungsrituals untersucht. Interessant wird dann sein, wie die drei genannten Reisen- den ihre Beobachtungen schildern und ob sich wertende Aussagen in den Quellen wie- derfinden. Ziel dieser Arbeit wird die Analyse und der Vergleich der Quellenstellen und die Beantwortung der Frage nach der Funktion der Witwenverbrennung sein. Im Ergebnis wird außerdem ein sehr ausführliches Bild über das Bestattungsritual vorliegen.
2. Begriffsklärung
Die Witwenverbrennung stellt einen Teilbereich der Totenfolge12 dar. Die Ehefrau des Verstorbenen wird bei seinem Begräbnis, welches üblicherweise in Form von Verbren- nung des toten Körpers vollzogen wurde, ebenfalls verbrannt. Die Witwe begleitet ihren Mann, indem sie lebendig und bei Bewusstsein in die Begräbnisgrube eingesperrt wird. Die Umsetzung des Rituals kann sich von Ort zu Ort unterscheiden. So können manche Verbrennungen statt in Gruben auch in Form eines Scheiterhaufens stattfinden. Oft fin- det sich die Witwenverbrennung auch unter dem Begriff „Sati“ wieder - eine „Frau, die den richtigen, mutigen Weg wählt“.13
3. Über die Autoren
3.1 Balthasar Springer
Balthasar Springer war ein Geschäftsmann aus Valz in Tirol14. Er unternahm zwischen 1505 und 1506 im Auftrag der Welser15 die von ihm beschriebene zwanzigmonatige Indienfahrt.16 Es handelte sich hierbei um eine Handelsreise, welche ebenso das Expan- sionsbestreben wie die Sehnsucht nach dem Unbekannten befriedigen sollte. Er verfass- te den Reisebericht selbständig17 und fügte unter Mitarbeit des Augsburger Illustrators Hans Burgkmair einige Zeit später eine Reihe von Darstellungen18 zur Veranschauli- chung des Erlebten hinzu. Der Reisebericht entstand relativ zeitnah zur Reise selbst. Im Gegensatz zu den beiden weiteren ausgewählten Berichterstattern handelte es sich bei Springer um eine sehr kurze Reise.
3.2 Niccolò de Conti beziehungsweise Poggio Bracciolini
Ebenso wie Balthasar Springer bereiste auch der venezianische Kaufmann Niccolò de Conti den indischen Kontinent. Nachdem er schon als Jugendlicher seinen Vater auf Ge- schäftsreisen in den Orient begleitete, brach er vermutlich 1413 oder 141819 zusammen mit einer Handelskarawane nach Bagdad auf.20 Seine kaufmännischen Interessen und die geweckte Neugier aus früheren Reisen wird ihn bewogen haben, den östlichen Raum weiter zu erkunden. Erst nach 25 Jahren kehrte er nach Italien zurück. Reichert bezeichnet ihn „als eine Art ‚kulturellen Grenzgänger‘, wenn nicht gar ‚Überläufer‘“21, da er sowohl die arabische Sprache beherrschte, eine indische Christin heiratete, als auch seinem Glauben abschwor und zum Islam konvertierte. Der Grund für den unfrei- willigen Übertritt zum Islam war, dass er auf der Heimreise als Christ enttarnt wurde. Dies und die Tatsache, dass seine Frau und zwei seiner vier Kinder auf der Reise verstarben, zeigt deutlich die Gefahr der damaligen Reisen.22 Für die Nachwelt stellte sich der Abfall de Contis vom christlichen Glauben als glückliche Fügung dar. Denn für die Absolution, welche er von Papst Eugen IV. erbat, musste er als ‚Buße‘ von den „Wechselfälle[n] seines abenteuerlichen Lebens“23 berichten.24 Die Verschriftlichung seiner Erlebnisse übernahm Poggio Bracciolini25.
Bracciolini war ein päpstlicher Privatsekretär und Humanist am Konzil in Florenz.26 Er lebte von 1380 bis 1459, wurde in Terranuova (Valdarno) geboren und war ausgebilde- ter Notar.27 In späteren Jahren war er für den Papst Eugen IV. in Florenz als Schreiber tätig. Zuletzt hatte er das Amt des Kanzlers von Florenz inne, bevor er sich gänzlich den humanistischen Studien widmete.28 Bracciolini verfasste zahlreiche Schriften und fand mit ihnen zahlreiche Leser in ganz Europa. Seine f ü nf Invektiven29 gegen Valla30 zählen zu den bedeutendsten kulturgeschichtlichen Dokumenten des 15. Jahrhunderts.31 Im Vorwort des Reiseberichtes schildert Bracciolini, wie er vorgegangen ist, um die notwendigen Informationen für den dargestellten Reisebericht zusammenzutragen. Er betont, dass er fleißig zugehört und viele Fragen gestellt hätte32, um herauszufinden, welche Erlebnisse de Contis für die Nachwelt aufbewahrt werden sollten. „De Conti war der erste Europäer, der vor dem Zeitalter der großen Entdeckungen eine schriftliche Darstellung des Inneren Indiens gab.“33 Sein Bericht es deshalb von großer Bedeutung, denn er lieferte erstmals genaue Beobachtungen über die religiösen, sozia- len und wirtschaftlichen Gegebenheiten Indiens. Er trug damit auch zur Aktualisierung von Weltkarten bei.34 Außerdem ist er der erste Europäer, der soweit in das Landesinne- re vorgedrungen ist und über einen sehr langen Zeitraum im asiatischen Raum verweilte.
Bei der Analyse des verfassten Berichtes ergibt sich die Schwierigkeit, einzuordnen welche Aussagen tatsächlich von de Conti stammen und welchen Stellenwert sie in den eigenen Beobachtungen eingenommen haben. Der Reisebericht wird stark durch Bracciolini beeinflusst sein, auch wenn dieser versucht seine Objektivität zu betonen35. Eine klare Trennung zwischen de Contis und Bracciolinis Interpretation ist deshalb nicht möglich und sollte bei der Analyse der Textstellen bedacht werden.
[...]
1 Goetz, Hans-Werner: Proseminar Geschichte: Mittelalter, Stuttgart 2006, S. 125.
2 Ebd.
3 Vgl. Mandeville: Reisen des Ritters John Mandeville vom Heiligen Land ins ferne Asien, 1322-1356, aus dem Mittelhochdt. übers. / hrsg. Christian Buggisch, Darmstadt 2004; engl. Fassung: The Travels of Sir John Mandeville. The version of the Cotton manuscript in modern spelling, bearb. A. W. Pollard, London 1909.
4 Vgl. Goetz, S. 125.
5 Fisch, Jörg: Tödliche Rituale. Die indische Witwenverbrennung und andere Formen der Totenfolge, Frankfurt am Main 1998.
6 Reichert, Folker: Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnungen im späten Mittelalter, Stuttgart 2001.
7 Scior, Volker: Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck, Berlin 2002. (= Orbis mediaevalis 4)
8 Knefelkamp, Ulrich: Weltbild und Realität. Einführung in die mittelalterliche Geschichtsschreibung, Pfaffenweiler 1992.
9 Ausgabe und Übers.: Andreas Erhard & Eva Ramminger (Hg.): Die Meerfahrt Balthasar Springers Reise zur Pfefferküste, Innsbruck 1998, S. 39-53.
10 Übers. aus dem Original von Bracciolini, Poggio: The Travels of Nicolò Conti in the East in the Early Part of the Fifteenth Century, transl. from the original of Poggio Bracciolini, with notes by John Winter Jones, in: Major, Richard Henry (ed.): India in the Fifteenth Century. Being a Collection of Narratives of Voyages to India in the century preceding the Portuguese discovery of the Cape of Good Hope; from Latin, Persian, Russian, and Italian Sources now first translated into English, edited with an Introduction by R. H. Major, London 1857. (= Works issued by the Hakluyt Society 22). Ins Deutsche übersetzt und folgend: Bracciolini.
11 Barbosa, Duarte: A Description of the Coasts of East Africa and Malabar in the Beginning of the Six- teenth Century, translated from an early Spanish manuscript in the Barcelona library, with notes and a preface by Henry Edward John Stanley, London 1866. (= Works issued by the Hakluyt Society I, 35). Ins Deutsche übersetzt und folgend: Barbosa.
12 Vgl. Fisch, S.16: „ Nach dem Tode einer Person folgen dieser in einem ritualisierten undöffentlichen Akt eine oder mehrere andere Personen freiwillig oder unfreiwillig in den Tod. “ .
13 Sati (Sanskrit, wörtl.: „die Seiende“, Frau, die den richtigen, mutigen Weg wählt) URL: http://www.religion24.net/was-versteht-man-unter-witwenverbrennung.html [Stand: 08.09.2011].
14 Vgl. Reichert, S. 176.
15 Ebd.
16 Vgl. Erhard & Ramminger.
17 Vgl. Reichert, S.177.
18 Vgl. ebd.
19 Zu Beginn seiner Reise war er 18 Jahre alt. Sein Geburtsjahr ist jedoch nicht sicher und wird mit 1395 oder 1400 angeben. Vgl. Reichert, S. 170.
20 Vgl. Reichert, S. 170.
21 Ebd.
22 Vgl. a.a.O., S. 170-171.
23 a.a.O, S. 171.
24 Vgl. Hamann, G.: Niccolò dei Conti, IN: LexMA 3, Stuttgart 1999, Sp. 197-198; Knefelkamp, Ulrich: Europäisches Weltbild und Geschichtsschreibung über außereuropäische Kulturen, IN: Weltbild und Realität. Einführung in die mittelalterliche Geschichtsschreibung, hrsg. von Ulrich Knefelkamp, Pfaffenweiler 1992, S. 154.
25 Harth, Helene: Poggio Bracciolini, IN: LexMA 7, München 1997, Sp. 38-39.
26 Vgl. Reichert, S. 171.
27 Vgl. Shepherd, William: The life of Poggio Bracciolini, Liverpool 1802, S.3-4.
28 Harth, Sp. 38.
29 Vgl. Helmrath, Johannes: Streitkultur. Die >Invektive< bei den italienischen Humanisten, IN Die Kunst des Streitens. Inszenierung, Formen und Funktionen öffentlichen Streits in historischer Perspektive, hrsg. von Simons, Roswitha, Göttingen 2010, S. 265- 277.
30 Vgl. Hoeges, D.: Lorenzo Valla, IN: LexMA 8, München 1997, Sp. 1392-1393.
31 Harth, Sp. 38.
32 Bracciolini, S. 3.
33 Schmitt, Eberhard: Die mittelalterlichen Ursprünge der europäischen Expansion. Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, München 1986, S. 120.
34 Vgl. Kartenzeichner Fra Mauro.
35 Bracciolini distanziert sich von einigen Aussagen, von denen er annimmt, dass sie der Fantasie entspre- chen. Vgl. Bracciolini, S. 25 Ausdrücke, wie ‚Niccolò behauptet‘ oder Vgl. Bracciolini, S. 26 ‚allen Ernstes‘.