Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung, die Option für die Armen und die römisch-katholische Kirche


Essai Scientifique, 2013

13 Pages


Extrait


Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung, die Option für die

Armen und die römisch-katholische Kirche

Die Option für die Armen, die ihnen im Kampf gegen Ungerechtigkeit eine Stimme geben will, ist das Kernanliegen der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. Dass der neue, aus Lateinamerika kommende Papst programmatisch den Namen Franziskus angenommen hat und offensichtlich auch von seinem Lebensstil und Auftreten her für diese Option einsteht, lässt hoffen; andererseits bleibt abzuwarten, wie sich sein Reformwille entwickelt und auswirkt.

Diese Hoffnungen, Wünsche und skeptischen Anfragen gibt es natürlich und in besonderem Maße auch im Blick auf die Theologie der Befreiung. Einerseits könnte man erwarten, dass ihr in Zukunft - aus den oben genannten Gründen - auch von Rom her mehr Verständnis entgegengebracht wird als bisher, andererseits ist (noch) nicht bekannt geworden, ob und (falls ja) wie Kardinal Bergoglio sich auf die Befreiungstheologie bezogen hat. Gleichzeitig muss man rückblickend zur Kenntnis nehmen, dass die Theologie der Befreiung in den letzten Jahren nicht nur in Europa, sondern scheinbar sogar in Lateinamerika, wo sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) bedeutsam geworden war, an Gewicht eingebüßt hat.

Doch dieser Schein trügt. Trotz vieler Widrigkeiten hat die Befreiungstheologie in der lateinamerikanischen Kirche ihre Lebendigkeit nicht nur nicht verloren, sondern in letzter Zeit - nicht zuletzt auch durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen - sogar neuen Aufschwung erhalten. Angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrisen der jüngsten Zeit und ihrer verheerenden Auswirkungen (vor allem auf die Armen) haben die Anliegen der Theologie der Befreiung sogar in den reichen Ländern des Nordens und damit weltweit eine unerwartete Aktualität gewonnen.

Grundlagen

Der christliche Glaube wird – vor allem in der römisch-katholischen Tradition – von den meisten Zeitgenossen nach wie vor nicht ohne weiteres mit „Freiheit“ assoziiert. Lange Zeit wurde damit eher „Gehorsam“ und „Unmündigkeit“ in Verbindung gebracht. Dabei hat der Glaube in der Bibel eine eindeutig befreiungstheologische Grundlage. Im Unterschied zur griechisch-römischen Antike, in der Freiheit kein Gut für alle war, sondern ein Privileg der Oberschicht, der Sklaven und unterworfene Völker dienen mussten, war für das Volk Israel die Befreiung aus Sklaverei von Anfang an zentrales Thema. „Die grundlegende geschichtliche Erfahrung ist die der Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft in Ägypten“. In dieser Erfahrung ist der Bund mit Gott begründet, der darauf zielt, „die in Gottes Befreiung geschenkte Freiheit durch Achtung vor dem Leben, durch Gerechtigkeit und Barmherzigkeit wie durch Zeugnis für die Wahrheit zu verwirklichen. Die Zehn Gebote sind Weisungen zu einem Leben in Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit.“[i]

Wenn auch das Christentum in seinen Anfängen das Freiheitsverständnis stark eschatologisiert und sich zunehmend an stoisch-hellenistischem Denken orientiert hat, so tauchen doch immer wieder auch im NT Kernsätze der genuin biblischen Freiheitsverheißung auf, so vor allem bei Paulus („Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, Gal 5,1). Widersprüche zwischen Glaube und Freiheit potenzieren sich dann vor allem in den Umbrüchen der Neuzeit und durch die Ansprüche der Aufklärung; die in diesem Kontext sich durchsetzenden Bürger- und Freiheitsrechte galten der Kirche lange Zeit als Gefährdung von Glaube und Moral. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde wieder das christliche Hoffnungsbild von einem neuen Menschen im Reich Gottes in den Vordergrund gestellt, das in der Bibel grundgelegt und tief hinein verwoben ist in jene Zukunftsbilder, welche die politischen und sozialen Freiheits- und Befreiungsgeschichten der Neuzeit bewegt haben und bewegen.[ii]

Die durch die Pluralisierung und Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaften auch individuell massiv gesteigerten Freiheits- und Unabhängigkeitsgrade haben für den einzelnen Menschen heute zunehmend ambivalente Auswirkungen. Einerseits ist man dadurch von autoritärem Zwang befreit und kann eigenverantwortlich einen selbst bestimmten Umgang mit dem Leben erfahren. Diese Entwicklung macht auch den Weg frei für das Mündigwerden von Christinnen und Christen, wie es das Konzil und die Würzburger Synode (1971-75) aufgezeigt haben. Andererseits ist die/der Einzelne mit dem oben genannten hohen Freiheitsgrad in einer bisher nie da gewesenen Weise herausgefordert und unter Umständen auch überfordert. Dies spiegelt sich gegenwärtig u.a. in den Sehnsüchten einer subjektzentrierte Religiosität wider, die (vor allem bei Jugendlichen) oft vom Erleben einer besonderen Atmosphäre, eines religiösen Events, einer erfahrenen Innerlichkeit oder dem Ausdrucksmedium des Ästhetischen abhängig ist. Da in einer Gesellschaft mit verteilten Zuständigkeiten, in der auch die Subjekte flexibel sein müssen und den einzelnen Teilsystemen (z.B. Vereinen) nur noch „auf Zeit“ angehören können, übergreifende Sinnzusammenhänge nicht mehr bestehen, sind Subjekte gezwungen, sich ihren Lebenssinn selbst zu suchen. Gleichzeitig ist in einer differenzierten und komplexen Gesellschaft jede/r Einzelne in Fragen der Lebensführung immer häufiger abhängig von Lebensbedingungen, die sich einer individuellen Steuerung und Beeinflussung entziehen.[iii]

[...]


[i] Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Gemeinsame Texte 9, Bonn/Hannover 1997, Nr. 253, Nr. 97.

[ii] Vgl. Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Offizielle Gesamtausgabe I, hg. von L. Bertsch u.a., Freiburg/Basel/Wien 1976, 71-111.

[iii] vgl. Höhn, H.-J., Postsäkular. Gesellschaft im Umbruch – Religion im Wandel, Paderborn, u.a. 2007, 41ff.

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung, die Option für die Armen und die römisch-katholische Kirche
Université
University of Cologne
Auteur
Année
2013
Pages
13
N° de catalogue
V211833
ISBN (ebook)
9783656404170
ISBN (Livre)
9783656406051
Taille d'un fichier
434 KB
Langue
allemand
Mots clés
Theologie der Befreiung, Option für die Armen, römisch-katholische Kirche, Freiheit, Subsidiarität, Gerechtigkeit, Papst Franziskus, Subjekt werden, Zweites Vatikanisches Konzil, Würzburger Synode, Hoffnung auf Reformen, Religionsunterricht, Bildung, kontextuelle Theologien, Lernchancen, Franziskus
Citation du texte
Dr. Josef Senft (Auteur), 2013, Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung, die Option für die Armen und die römisch-katholische Kirche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211833

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