Extracto
Gliederung
1 Das Prinzip der Menschenrechte in bioethischen Kontroversen
2 Zum Verständnis von Grund und Inhalt des Begriffs Menschenwürde sowie deren Trägerschaft, als Basis für bioethische Diskussionen.
2.1 Darstellung von Grund und Inhalt des Begriffs Menschenwürde
2.1.1 Die Gründe bzw. der Grund für die Menschenwürde als höchstes Moral- und Rechtsprinzip
2.1.2 Der Inhalt der Menschenwürde
2.2 Zum Verhältnis von Menschsein und Personsein im Kontext der Trägerschaft von Menschenwürde.
2.2.1 Personale Eigenschaften als Voraussetzung für den prinzipiellen Anspruch auf Menschenwürde?
2.2.2 Erkenntnisse der Embryonalentwicklung können den prinzipiellen
Anspruch auf Menschenwürde begründen
2.3 Alles menschliche Leben hat Anspruch auf Menschenwürde
3 Eine Stellungnahme zu zwei aktuellen bioethischen Kontroversen
3.1 Zur Problematik von Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik
3.1.1 Chancen und Risiken der Pränataldiagnostik
3.1.2 Präimplantationsdiagnostik - Selektion von menschlichem Leben
3.2 Eine kritische Stellungnahme gegen aktive Sterbehilfe
3.2.1 Aktive Sterbehilfe – eine Option um menschenwürdig zu sterben?
3.2.2 Umfasst Selbstbestimmung auch die absolute Selbstverfügung?
3.3 Die Selbstzwecklichkeit des menschlichen Lebens schließt Abwägungen über das Lebensrecht aus
4 A ktuelle eugenische Tendenzen im Bereich der Biomedizin erfordern ethische Grenzziehungen
5 Literatur
1 Das Prinzip der Menschenrechte in bioethischen Kontroversen.
Die Menschenrechte stehen jedem Menschen als Mensch zu. Damit schien die UN-Menschenrechtscharta von 1945 die Frage nach der Trägerschaft der Menschenwürde endgültig fixiert zu haben. Aber durch die neuen Biotechnologien passen die damaligen Kriterien für Menschsein nicht mehr. Was ist menschliches Leben? Die in das Menschsein einschließende Ereignisse Geburt und Tod stellen heute keine klaren Kriterien mehr dar. Ein achtzelliger menschlicher Embryo gehört unzweifelhaft zur Gattung Mensch, auch wenn seine Geburt erst in Zukunft, oder vielleicht sogar nie stattfinden wird. Ebenso unscharf stellt sich durch medizintechnische Neuerungen die Grenze zwischen Leben und Tod dar. Welche technischen Möglichkeiten sind menschlich sinnvoll?
Bioethische Kontroversen drehen sich um den ´Kern des Menschseins`, um Fragen von Würde und Autonomie. Der Differenzpunkt liegt oft im Menschenbild, dabei spielt das Verständnis der zentralen Kategorie Menschenwürde eine herausragende Rolle. Daher befasst sich das Kap. 2.1 mit dem Verständnis von Grund und Inhalt des Begriffs Menschenwürde als Basis für bioethische Diskussionen. Um bioethische Fragen, den Lebensanfang und das Lebensende betreffend diskutieren zu können, sind die Begriffe Menschsein und Personsein, sowie der Anspruch auf Rechte und Würde von grundlegender Bedeutung. Es steht zu klären, an welchen Merkmalen, Kriterien oder vielleicht Fähigkeiten der absolute Würdeanspruch festgemacht werden kann (vgl. Kap. 2.2).
In konkreten bioethischen Fragestellungen ist eine Argumentation mit der Menschenwürde als Prinzip nicht ausreichend. Sowohl in Hinblick auf ethische Entscheidungen am Lebensanfang (vgl. Kap. 3.1), sowie zu konkreten ethischen Fragen das Lebensende betreffend, ist für eine begründete Stellungnahme die Autonomie des Menschen heranzuziehen. Wie gehen wir am Lebensende mit der Autonomie um? Die Autonomie als ein Aspekt der Menschenwürde im Kontext von aktiver Sterbehilfe steht in Kap. 3.2.2 im Mittelpunkt.
Fragen des Lebensschutzes sind elementare Fragen der Menschenwürde. Der zentrale Punkt in der Diskussion um ethische Fragen zum Lebensschutz, ist die Frage, ob je ein Mensch das Recht haben kann, darüber zu entscheiden, ob ein anderer Mensch leben darf oder nicht.
2 Zum Verständnis von Grund und Inhalt des Begriffs Menschenwürde, sowie deren Trägerschaft, als Basis für bioethische Diskussion.
2.1 Darstellung von Grund und Inhalt des Begriffs Menschenwürde.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“[1] Bezeichnet man die Menschenwürde als unantastbar, so wird damit vorausgesetzt, dass sie als grundlegendes ethisches Prinzip nicht weiter hinterfragt werden kann.[2] Dennoch stellt sich die Frage, worauf sich der Anspruch des Menschen auf das Privileg der Menschenwürde begründet? Mit welchen Eigenschaften, Merkmalen oder Fähigkeiten rechtfertigt der Mensch seinen Anspruch auf diese Vorrangstellung? Darüber hinaus steht zu klären, welche konkreten Inhalte das erste Prinzip der Würde für den Menschen hat. Welche Rechte, aber auch Verpflichtungen gehen damit einher?
2.1.1 Die Gründe bzw. der Grund für die Menschenwürde als höchstes Moral- und Rechtsprinzip.
Das Prinzip der Menschenwürde nimmt unter den allgemein anerkannten moralischen Grundsätzen eine besondere Rolle ein, den Charakter des absoluten, ersten Prinzips.[3] Die Begründung, den Grund für dieses erste Prinzip zu formulieren, bereitet Schwierigkeiten, weil der Begriff der Menschenwürde konstituierend für das Recht ist, und andere Begriffe erst aussagekräftig macht, z. B. weil wir Träger der Menschenwürde sind, haben wir Anspruch auf Freiheit.[4]
Der Versuch, dieses höchste Prinzip zu belegen, widerspricht damit der Grundsätzlichkeit der Menschenwürde als Leitprinzip aller Moral. Ließe sich ein Grund finden, der hinter der Menschenwürde steht, wäre sie nur ein (vorletztes) Prinzip vor diesem letzten Grund. Auf der anderen Seite stellt allerdings eine Prinzipsetzung ohne Begründung, Willkür dar. Ist dann der Menschenwürdebegriff überhaupt als Prinzip einsetzbar? Diese Frage muss bejaht werden, denn das Prinzip Würde ist in allen Bereichen bereits enthalten. Die Menschenwürde ist als Axiom zu verstehen, als Bedingung der Möglichkeiten. Das Prinzip der Menschenwürde ist die Voraussetzung für Recht und Moral. Somit setzt die Anwesenheit von moralischen und rechtsprinzipiellen Verhältnissen demnach die Anerkennung des Prinzips Menschenwürde voraus.[5]
Diese Betrachtung führt sinnvoll zur Frage: wer ist anspruchberechtigt auf Menschenwürde, und warum? Alle Menschen? Was kennzeichnet menschliches Leben? Mit welchen Argumenten lässt sich die Sonderstellung des Menschen begründen? Zur Begründung sind zwei argumentative Wege denkbar.
Eine Möglichkeit ist, die Vorrangstellung des Menschen auf den Stufenbau zunehmender Leistungsfähigkeit der Natur zu beziehen, und damit die obere Hierarchieebene für den Menschen zu reservieren. Problematisch ist dieser Argumentationsweg, weil dadurch die Würde des Menschen relativiert wird. Die Würde des Menschen wäre demnach nicht die absolute Würde, sondern nur die höchste Würde relativ zu den Tieren.[6] Darüber hinaus macht sich der Mensch mit dieser Kategorisierung abhängig von seiner tatsächlich vorliegenden Leistungsfähigkeit. Damit stünde sein Würdeanspruch in Phasen eingeschränkter Leistungsfähigkeit, z. B. bei Krankheit, Bewusstlosigkeit, aber generell sogar im Schlaf, zur Disposition.
Den absoluten Würdeanspruch zu begründen, ist mit Argumenten aus der Theologie einfach und schlüssig. Durch die Schaffung des Menschen nach Gottes Bilde, der Gottesebenbildlichkeit, ist der prinzipielle Würdeanspruch des Menschen begründbar.[7] Allerdings ist diese Argumentation in Kontroversen außerhalb des kirchlichen Raumes nicht zulässig, da Glaubensaussagen nicht für alle normativ sind. Eine Argumentation begründet auf die Offenbarung würde (von Nichtchristen) mit Recht als Binnendiskussion abgetan werden.
Wie ist nun die Menschenwürde allgemeingültig mit interkulturellen Argumenten als ethische Grundlage für Grenzziehung in der Biomedizin zu begründen? Diese Arbeit bezieht sich zu dieser Frage auf den kategorischen Ansatz, nachdem die Menschenwürde an keine weiteren empirischen Bedingungen knüpft, als an die, ein menschliches Wesen zu sein, aus der Kantische Moralphilosophie.[8]
In diesem Modell unterscheidet Kant Wert von Würde. Werte sind abhängig von Abwägungen, sie werden gesetzt und sind damit relativ. Die Würde dagegen ist ein Wert, ein Zweck an sich, der unabhängig von Abwägung bleibt.[9]
„Der Mensch [stellt] einen Zweck an sich dar, weil er als Wesen, das mit Vernunft und einem freien Willen begabt ist, die Fähigkeit hat, sich selbst Zwecke zu setzen.“[10]
Der Wert des Menschen ist demnach über allem Preis erhaben, seine Würde ist nicht zu verrechnen. Weil der Mensch über moralisches Unterscheidungsvermögen und über die Fähigkeit sein Handeln danach auszurichten, verfügt, ist er ein Zweck an sich selbst. Obwohl Menschen auch entgegen ihrer moralischen Urteile handeln können, und damit ggf. auch zu unwürdigem Handeln in der Lage sind, begründet sich der Würdeanspruch über das Moralvermögen. Die Fähigkeit zur sittlichen Autonomie ist der Grund der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen, die die Würde des Menschen ausmacht.[11]
Damit ist auch schon impliziert, dass die Anlage zu diesen Fähigkeiten ausreichend ist, und der Mensch nicht zwingend aktuell über die Fähigkeit zum moralischen Handeln verfügen muss, um ein Recht auf absolute Würde zu haben (Vgl. Kap. 2.2).
Der Mensch kann seinen absoluten Würdeanspruch berufen auf seine Fähigkeit zur sittlichen Selbstbestimmung, auf seine Vernunft. Die Vernunftfähigkeit schlägt sich in der Moralfähigkeit nieder, und damit ist der Mensch als moralfähiges Wesen über allem Wert erhaben und für sich selbst Selbstzweck, nicht bloß Mittel. Die Begründung für den Würdeanspruch ist also die sittliche Autonomie des Menschen.
Dabei muss unbedingt beachtet werden, dass die Zuordnung zur Kategorie Mensch lediglichdas einschließende Sortierungskriterium, der Anwendungsbereich, nicht der Geltungsgrundfür den Würdeanspruch ist.[12] Denn bezieht man den Geltungsgrund der Menschenwürde auf die biologische Zugehörigkeit zur Gattung Mensch, ebnet dieses Argument den Weg für den Vorwurf der willkürlichen Bevorzugung der eigenen biologischen Spezies.[13] Aber gäbe es eine andere Spezies mit demselben Moralvermögen, hätte auch sie Anspruch auf kategorische Würde.[14]
2.1.2 Der Inhalt der Menschenwürde.
Über die Fähigkeit des Menschen zu vernünftiger und sittlicher Selbstbestimmung, lässt sich seine Vorrangstellung, sein Anspruch auf absolute Würde begründen. Was beinhaltet das Prinzip Menschenwürde? Welche Rechte leiten sich aus dem Würdeanspruch ab?
In Kap. 2.1.1 wurde mit Kant auf den kategorischen Würdebegriff, als Zweck an sich, unabhängig von Relativierung, Verrechnung und Abwägung, hingewiesen. Die Überlegungen zum harten Kern der Menschenwürdevorstellung zielen auf das, was den Menschen zum Menschen macht, die Fähigkeit zum freien Handeln, zu eigenverantwortlicher sittlicher Selbstbestimmung. Dies lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Die Selbstzwecklichkeit des Menschen. Aus dem Verständnis des Menschen als Zweck in selbst, folgt daher das unmittelbare Instrumentalisierungsverbot.
„Kein Mensch darf zum bloßen Mittel der Verwirklichung von Zwecken gemacht werden, die andere gesetzt haben, d. h. er darf nicht zum Objekt der Verfügung eines fremden Willens werden.“[15]
Der Zweck an sich selbst hat niemals einen verrechenbaren Preis, deshalb ist der Mensch unverfügbar für Werteinschätzungen. Der Mensch existiert um seiner selbst willen und hat das Recht so behandelt zu werden, aber auch die Pflicht entsprechend zu (be)handeln.[16]
Jeder Mensch schuldet sowohl sich selbst, als auch seinen Mitmenschen die Anerkennung der Selbstzwecklichkeit. Somit kann kein Mensch durch unwürdiges Verhalten, z. B. durch Verbrechen, das Recht auf Menschenwürde verlieren, weil er als Mensch ein Zweck an sich bleibt, und weil Menschen sich die Anerkennung der Menschenwürde gegenseitig schulden. Mängel in der Wechselseitigkeit entlassen den Menschen nicht aus seiner gegenseitigen Bringschuld. Ebenso uneingeschränkt steht die Achtung der Menschenwürde denjenigen Menschen zu, die ihren Würdeanspruch nicht geltend machen können, z. B. Kranke und Behinderte,aber auch Menschen in der sehr frühen Lebensphase.[17]
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde muss vorbehaltlos respektiert werden. Jeder Mensch hat die moralische Pflicht, den Würdeanspruch des anderen zu achten, auch um seinen eigenen Würdeanspruch gerechtfertigt vertreten zu können.
Das deutsche Grundgesetz entspricht dem Gedanken der Unantastbarkeit, indem es die Menschenwürde der Abwägung mit allen anderen Rechten entzieht, und die Menschenwürde als Basis und Geltungsgrund für alle nachfolgenden Rechte festlegt. Das bedeutet, dass Würdeberechtigte gleichzeitig immer Rechtsträger sind, unabhängig von ihrer Fähigkeit, alle Rechte wahrnehmen zu können. Daher gilt ´das Recht, Rechte zu haben` und der Anspruch auf Instrumentalisierungsverbot für alle Menschen (Vgl. Kap. 3.1). Die Menschenwürde im juristischen Sinne konstituiert in erster Linie Abwehrrechte (z. B. Folterverbot), zur Verhinderung der Instrumentalisierung durch andere.[18]
Die Würde des Menschen ist ein angeborenes Privileg, aber auch eine angeborene Verantwortung. Sie bedeutet eine Würde, der man durch seine Lebensweise würdig werden soll, die man aber auch in Unwürdigkeit nie verliert. Das Privileg des Menschen ist demnach ein Mitbringsel und eine Aufgabe zugleich.[19]
Ist der Menschenwürdebegriff als Ausdruck von Menschsein im umfassenderen Sinne als Menschenbild zu verstehen? Oder ist die Menschenwürde kein Ausdruck von Menschsein, sondern ein Unterscheidungskriterium zwischen personalem Mensch und Menschsein im Sinne von Gattungszugehörigkeit?[20] Diese Frage wird in Kap. 2.2 weiter verfolgt.
2.2 Zum Verhältnis von Menschsein und Personsein im Kontext der Trägerschaft von Menschenwürde.
Die Frage, die in der derzeitigen Kontroverse in der Bioethik am häufigsten diskutiert wird, ist die nach der Trägerschaft von Menschenwürde. Was kennzeichnet menschliches Leben? Für welches menschliche Leben gilt der Anspruch auf Würde und Autonomie? Gilt der Würdeanspruch nur für Personen, die einen reflexiven Begriff ihrer Identität haben und ihren Anspruch äußern können?
Durch eine Einschränkung des universellen Anspruchs auf Menschenwürde wäre damit menschliches Leben, in der frühen Phase, aber auch bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit bei Krankheit, Behinderung und im hohen Alter, verfügbar. Im Folgenden wird die Trennung zwischen Mensch und Person problematisiert und eine Argumentation für den prinzipiellen Würdeanspruch angeführt.
2.2.1 Personale Eigenschaften als Voraussetzung für den prinzipiellen Anspruch auf Menschenwürde?
Wer ist Träger der Menschenwürde? In kirchlichen Dokumenten wird stets betont, der Mensch sei von Anfang an Gottes Ebenbild und damit ein Träger der Würde. Menschsein wird mit Personsein gleichgesetzt.[21] Demgegenüber steht in bioethischen Kontexten die Kontroverse um eine Unterscheidung zwischen biologischem Menschsein und Personsein mit ethischen Ansprüchen immer wieder im Mittelpunkt.
[...]
[1] Grundgesetz, 1949, Art. 1 Abs. 1
[2] Vgl. Mieth, 2002, 456
[3] Vgl. Höffe, 2002, 49
[4] Vgl. Mieth, 2002, 458
[5] Vgl. Höffe, 2002, 51f
[6] Vgl. a. a. O., 56
[7] Vgl. Mieth, 2002, 445f
[8] Vgl. Braun, 2004, 81
[9] Vgl. a. a. O., 83
[10] Braun, 2004, 83
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. a. a. O., 91
[13] Vgl. Speziezismusargument von Peter Singer 1994
[14] Vgl. Braun, 2004, 83
[15] Braun, 2004, 87
[16] Vgl. Höffe, 2002, 65
[17] Vgl. a. a. O., 67f
[18] Vgl. Braun, 2004, 89
[19] Vgl. Höffe, 2002, 51f
[20] Vgl. Mieth, 2002, 459
[21] Vgl. Mieth, 2002, 454
- Citar trabajo
- Ines Triphaus-Giere (Autor), 2010, Bioethik und Menschenwürde. Moralische Untersuchung von Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik und aktiver Sterbehilfe, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212081
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