Krieg und Moral bei Kleist - "Die Hermannsschlacht" und "Die Verlobung von St. Domingo"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Freiheit und Kleist
2.1 Kleists Biographie
2.2 Freiheit ist das höchste Gut

3 Die beiden Stücke als Beispiele
3.1 Die Verlobung von St. Domingo
3.1.1 Schwarz oder weiß oder...?
3.1.2 Hell vs. Dunkel
3.1.3 öffnen und schließen
3.1.4 Der Erzähler
3.1.5 Folgen fehlender Orientierung
3.2 Die Hermannsschlacht
3.2.1 Wir und die - die Vorteile des kategorischen Denkens
3.2.2 Hermann als Held?
3.3 Die Kriegsmoral der Stücke

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Heinrich von Kleist war in mehrfacher Hinsicht ein Extremist, dessen literarisches Schaffen, ebenso wie sein eigenes Leben, von teilweise unaufhebbaren Gegensätzen durchzogen war. Dies zeigt sich auch insbesondere an der Darstellung des Krieges in seinen Werken und der Auswirkung dieser Darstellung auf die Charaktere seiner Figuren.

Die vorliegende Hausarbeit untersucht die angedeutete Thematik hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Hermannsschlacht und die Verlobung von St. Domingo. Da es nach Meinung des Verfassers interessante Parallelen zu Kleists eigenem Leben gibt, seien einige biographische Informationen der Textbehandlung vorangestellt.

2 Freiheit und Kleist

2.1 Kleists Biographie

Heinrich von Kleist (1777- 1811) stammte aus einer Familie, der die preußische Krone seit dem 30jährigen Krieg 18 Generäle und 2 Feldmarschälle zu verdanken hatte und sollte, aus dieser Familientradition heraus, ebenfalls eine militärische Laufbahn einschlagen. Der sensible, musisch und literarisch interessierte Kleist entzog sich aber schon bald wieder dem soldatischen Leben und schied 1799 aus dem Dienst aus. Craig kommentiert diese Entwicklung mit den Worten, Kleist habe sich durch nichts „von der Überzeugung abbringen lassen, dass seine eigene geistige und ästhetische Entwicklung wichtiger sei als alles andere auf der Welt und das es außerhalb der Sphäre seines eigenen Ichs nichts gebe, für das es sich einzusetzen lohne“ (Craig, 1993, S. 90). Kleist begann, in Frankfurt/ Oder zu studieren, gab aber, durch Kants Theorien tief erschüttert, das Studium ein Jahr später wieder auf. Er unternahm verschiedene Reisen, vor allem mit seiner Schwester Ulrike, zu der er ein sehr enges Verhältnis hatte. Nach einem seelischen Zusammenbruch trat er 1804 erneut in den preußischen Staatsdienst ein, den er Anfang 1807 endgültig wieder quittierte. Über die Gründe seines erneuten Eintritts in die Armee wird viel spekuliert. Jedoch kann angenommen werden „dass es in erster Linie Napoleon war, der Kleist zum politischen Aktivisten werden ließ“ (Craig, 1993, S. 92). Dabei hat wohl vor allem der Haß eine Rolle gespielt, den Kleist auf Napoleon hatte. So bezeichnete Kleist Napoleon als „bösen Geist der Welt“ und machte ihn persönlich dafür verantwortlich, dass der „Brunnen seiner Kreativität“ (Craig, 1993, S. 92) 1803 zeitweise versiegte. Es mag auch eine Rolle gespielt haben, dass Kleist einmal von den Franzosen als Spion verhaftet und 6 Monate gefangengehalten wurde.

Vertreter der Meinung, Kleist`s persönliche Aversion sei Ursprung einiger seiner literarischen Werke gewesen, sehen in der Hermannsschlacht ein „nur dünn verpacktes Lehrstück für die Zeitgenossen“ (Craig, 1993, S. 95), das diese zur Nachahmung anregen sollte. Zu dieser Theorie mag passen, daß Kleist die Hermannsschlacht zu dem Zeitpunkt schrieb, als „Fichte in Berlin seine Reden an die deutsche Nation hielt. Fichte forderte darin eine geistliche und geistige Wiedergeburt als Vorbedingung für die Befreiung Deutschlands; dagegen zog Kleist –durch den Mund seines Helden­ – über jene Schwätzer her, die über die Befreiung Deutschlands lediglich theoretisierten“ (Craig, 1993, S. 96). So urteilt Hermann „Die Schwätzer, die! Ich bitt dich;/ Laß sie zu Hause gehn.-/ Die schreiben, Deutschland zu befreien,/ mit Chiffren... (Kleist, S. 585). Im Gegensatz dazu propagierte Kleist die große Sache nicht nur, er wollte ihr dienen und sie vorantreiben. Jedoch erfüllten sich Kleists Hoffnungen nicht. Österreich unterlag Napoleon in der Schlacht von Wagram und die Deutschen traten nicht in erneute Kampfhandlungen. Unter dem Eindruck der nationalen Niederlage und seines persönlichen Scheiterns als Dichter und Journalist[1] beging Kleist zusammen mit seiner unheilbar kranken Lebensgefährten Henriette Vogel Selbstmord.

Festgehalten werden muß, dass Freiheit in allen Werken Kleists eine große Rolle spielt, wie auch in seinem eigenen Leben, in dem er sich gegen Zwänge äußerer und innerer Natur durchzusetzen sucht[2]. Insofern ist die zentrale Stellung der Freiheit in seinen Werken auch persönlich motiviert.

2.2 Freiheit ist das höchste Gut

Frage: Also auch, wenn alles unterginge, und kein Mensch, Weiber und Kinder mit eingerechnet, am Leben bliebe, würdest du den Kampf noch billigen?

Antwort: Allerdings, mein Vater.

Frage: Warum?

Antwort: Weil es Gott lieb ist, wenn Menschen, ihrer Freiheit willen, sterben.

Frage: Was aber ist ihm ein Greuel?

Antwort: Wenn Sklaven leben

(Katechismus der Deutschen)

Das dargestellte Kleist-Zitat, das sich im Katechismus der Deutschen finden lässt, verdeutlicht, dass Freiheit einen der wichtigsten Werte im Leben Heinrichs von Kleist darstellte. Dieses Gut war, wie bereits angedeutet, für Kleist dermaßen wichtig, dass er eigens in die ihm ansonsten so verhasste preußische Armee eintrat, um persönlich dafür zu sorgen, dass Deutschland sich der französischen Fremdherrschaft entbinden konnte. Auch in seinen literarischen Werken bearbeitete Kleist dieses Thema und dies vor allem in der Hermannsschlacht und der Verlobung von St. Domingo[3].

Die traditionelle Interpretation dieser Werke lässt sich wie folgt zusammenfassen: Während die Hermannsschlacht oftmals nur als Propagandastücke gegen die Franzosen bzw. als politisches Lehrstück[4] verstanden wurde, in dem Kleist seinen ganz persönliche Hass auf Napoleon zu verarbeiten suchte, sah man in der Verlobung eher ein literarisches Werk, in dem traditionelle moralische Themen in eine Liebesgeschichte eingebettet waren. Dass beide Stücke nicht strikt einer Thematik zuzuordnen sind, sondern beides zugleich sind, wird oftmals übersehen. Die Freiheitsthematik lässt sich demzufolge in beiden Werken finden, aber sie reicht nicht aus, um deren inhaltliche Vielfalt ausreichend zu beschreiben. Zunächst einmal dennoch zu ihrem Beispielcharakter:

3 Die beiden Stücke als Beispiele

Kleist hatte zwei Schauplätze zur Auswahl, um die Möglichkeit des erfolgreichen Kampfes gegen Fremdherrschaft darzustellen. Einer bot sich ihm durch ein damals aktuelles Beispiel, nämlich den Vorgängen auf Haiti - als Beispiel der einzig erfolgreichen Sklavenrevolution in der Weltgeschichte. Ein anderer ergab sich durch die geschichtliche Rückschau auf die Germanen, die sich „gegenüber den Römern in ungefähr derselben kulturellen Unterlegenheit befanden wie die modernen Schwarzen gegenüber den Franzosen“ (Klüger, 1994, S. 135). Beide Beispiele führten Kleist die Möglichkeit vor Augen, wie sich scheinbar hoffnungslos unterlegene Völker gegen scheinbar übermächtige Unterdrücker befreiten. Man darf demzufolge vermuten, dass Kleist, der die Deutschen als „die unterjochten Völker der Römer bezeichnete“[5] bezeichnete, in der Tat „dem neuen unabhängigen Staat von Haiti eine weitaus größere Bedeutung zumaß als es Kleists spätere Interpreten taten, für die die Insel samt ihrer Geschichte in einem tropischen Nebel verschwand“ (Klüger, 1994, S. 134). Beide Geschichten behandeln mögliche Wege, sich selbst zu befreien. Um dies zu erreichen sind gewisse Tugenden vonnöten, die Kleist in diesen Werken beschreibt. Bevor diese Tugenden jedoch ihre Gültigkeit erlangen, oder eher: parallel zu diesem Prozess, löst Kleist in seinen Werken traditionelle moralische Werte und Orientierungspunkte auf. Wie dieser Prozeß sich darstellt, ist im folgenden zu beschreiben.

3.1 Die Verlobung von St. Domingo

Die Figuren in Kleists Erzählung die Verlobung von St. Domingo sehen sich einer Situation ausgesetzt, in der nichts mehr so ist, wie es einmal war: Die Schwarzen haben die Kontrolle über die ehemaligen Besitztümer der Weißen übernommen und stellen nunmehr die herrschende Klasse da, während die kultivierten Plantagen in Rauch aufgehen und mit ihnen – so wird deutlich – sämtliche Orientierungspunkte und moralischen Werte, die bis zu diesem Zeitpunkt Bestand hatten.

3.1.1 Schwarz oder weiß oder...?

Der erste Gegensatz, der gleichzeitig einen möglichen Orientierungspunkt darstellt, ist der schon angedeutete Gegensatz zwischen schwarz und weiß[6], bzw. hell und dunkel. Dieser Gegensatz findet sich vor allem und zuallererst in den Hautfarben der beiden verfeindeten Parteien wenn es zu Beginn der Verlobung heißt „zu Anfange dieses Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weißen ermordeten“. Die Schwarzen und die Weißen stehen sich als Parteien gegenüber, die von jedem Beteiligten aufgrund ihrer Hautfarbe sofort der einen oder der anderen Seite zugeordnet werden können. Tatsächlich verfahren die Figuren der Erzählung nach diesem Muster. So ist beispielsweise Gustav[7] bei seiner nächtlichen Begegnung mit Babekan vor allem darum besorgt, ob es sich um „eine Negerin“ handelt oder nicht. Weiße Farbe steht für ihn für vertrauenswürdige Personen während er vor schwarzen Angst hat. Er ist schließlich erleichtert, als er in Babekan eine Weiße zu erkennen glaubt und sagt: „Euch kann ich mich anvertrauen, aus der Farbe eures Gesichtes schimmert mir ein Strahl der meinigen entgegen“.

[...]


[1] Kleists Stärke lag eindeutig auf dem Gebiet des Dramas, aber auch seine Novellen sind durchaus als Meisterwerke zu bezeichnen. Allerdings sahen Kleists Zeitgenossen dies nicht so: Von seinen acht Dramen wurden nur zwei aufgeführt, wobei die Aufführung des Zerbrochenen Kruges ein totaler Mißerfolg wurde. Neben der Misere der deutschen Theatersituation spielten vor allem die ungewöhnliche Thematik und die exzentrische Durchführung eine Rolle[1].

[2] In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass für einige Literaturhistoriker der Prinz von Homburg Kleists „Einsicht in berechtigte Einschränkung der individuellen Freiheit“ (Craig, 1993, S. 103) repräsentiert.

[3] Beide Stücke im Zusammenhang zu betrachten ergibt sich auch aus der zeitlichen Nähe ihrer Schaffung. Kleist schrieb die Hermansschlacht um 1808 und die Verlobung 1811, wobei er diese wahrscheinlich bereits 1807 entworfen hatte.

[4] Gemäß dieser Auffassung repräsentierten die Römer die Franzosen, und „die in sich zerstrittenen deutschen Fürsten mit dem preußischen König als Hermann an der Spitze und dem österreichischen Kaiser als versöhnten Rivalen neben sich, (waren) mit den Fürsten des Rheinbundes und mit dem sächsischen Verräter als römischen Helhershelfer“ (Millner, 1984, S. 98) gleichzusetzen. Zu dieser These passt Kleists Bemerkung über die zerstrittenen Fürsten, die stark mit Kleists eigener Auffassung übereinstimmt. Im Stück kommentiert Wolf diesen Vorgang mit den Worten:: „Du hast recht! Es bricht der Wolf, o Deutschland/ in deine Hürde ein, und deine Hirten streiten/ um eine Handvoll Wolle sich“ (Kleist, S. 537).

[5] Kleist nach der Niederlage der Preußen bei Jena an seine Schwester.

[6] Charbon (1996) hat schon darauf hingewiesen, dass es Schwarze und Weiße „im Sinn der Legende als Repräsentanten von Gut und Böse (gibt) – und es gibt sie als Angehörige der schwarzen Rasse“ (Charbon, 1996, S. 81). Hier vermischen sich allerdings die traditionellen Zuordnungen.

[7] Gustav heißt Gustav von der Ried. Ried bezeichnet in seiner Grundbedeutung eine Staude und wird auch als Zucker-Ried verwendet, Gustav hingegen setzt sich aus den germanischen Bedeutungen für Stab und Kampf zusammen „In Verbindung mit dem Nachnahmen könnte man kühn vom ’Kampf um das Zuckerrohr’ sprechen“ (Gribnitz, 2002, S. 113).

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Krieg und Moral bei Kleist - "Die Hermannsschlacht" und "Die Verlobung von St. Domingo"
Hochschule
Universität Hamburg  (Germanistik)
Veranstaltung
Seminar II Der Krieg im Werk von Kleist
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V21249
ISBN (eBook)
9783638249096
ISBN (Buch)
9783638932271
Dateigröße
615 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krieg, Moral, Kleist, Hermannsschlacht, Verlobung, Domingo, Seminar, Krieg, Werk, Kleist
Arbeit zitieren
Hanno Frey (Autor:in), 2000, Krieg und Moral bei Kleist - "Die Hermannsschlacht" und "Die Verlobung von St. Domingo", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21249

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