Fiktive Gegenstände bei Wolfgang Künne und Maria E. Reicher. Ein Vergleich


Hausarbeit, 2013

13 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

2. Die Betrachtung fiktiver Gegenstände bei Wolfgang Künne

3. Die Betrachtung fiktiver Gegenstände bei Maria E. Reicher

4. Fazit und abschließender Vergleich

5. Literaturverzeichnis

6. Eigenständigkeitserklärung

1. Einleitung und Fragestellung

Die Ontologie, die sich „mit dem Sein in seiner Gesamtheit“[1], „mit dem Seienden und dem Sein“[2] schlechthin beschäftigt, bildet eine der tragendsten Säulen der traditionellen Philosophie, „seit ihr Aristoteles zum Thema das ‚Seiende als Seiendes’ gegeben hat“[3]. Als metaphysica generalis fragt sie nach den eigentlichen Grundbedingungen des Seins und wirft die Fragen auf, was überhaupt existiert und was genau unter Existenz zu verstehen ist. Dabei ist ihr Gegenstand abzugrenzen von anderen Disziplinen der Philosophie, beispielsweise von der Ethik, die zwar auch nach einem Was? in der Form eines Was ist…? fragt, allerdings nach dem Was ist…? des guten Lebens. Andererseits überschneidet sie sich mit anderen Disziplinen, wie zum Beispiel mit der metaphysica specialis, die in Form der Theologie nach der Existenz Gottes fragt oder auch, wenn es um die Existenz von Zahlen geht, mit der Philosophie der Mathematik.

Eine der interessantesten Fragestellungen im Bereich der Ontologie ist die nach dem Status fiktiver Gegenstände. Fiktiven Gegenständen lässt sich, so die vorphilosophische Meinung des Laien, schwerlich Existenz zusprechen, werden sie doch gerade durch das Wort „fiktiv“ mit der Bedeutung „erfunden“, „auf einer Fiktion beruhend“ als nicht seiend charakterisiert. Was jedoch verwundert, ist die Tatsache, dass sich ohne Probleme auf sie referieren lässt, denn das bloße Faktum, dass ein bestimmter fiktiver Gegenstand nicht existiert, macht eine Bezugnahme auf ihn noch lange nicht unmöglich:

Bezugnahme setzt nicht die Existenz eines Gegenstandes voraus, auf den Bezug genommen wird. […] In diesem Sinne sind z. B. Verehrung und Vorstellung existenzindifferente Relationen; denn man kann sich Baal auch dann vorstellen und ihn verehren, wenn es ihn nicht gibt. Im selben Sinne ist nun auch Referenz eine existenzindifferente Beziehung: Man kann auf Baal […] Bezug nehmen, um ihn […] zu charakterisieren. So folgt daraus, daß man auf abstrakte Gegenstände Bezug nehmen kann, beileibe nicht, daß es abstrakte Gegenstände gibt.[4]

Der ontologische Status fiktiver Gegenstände, den wir nur allzu vorschnell gern als nicht-existent betiteln möchten, bereitet darüber hinaus noch weitere Probleme: Wenn wir zugestehen, dass Romanfiguren und ihre Biographien nicht existieren, wie können sie dann bei unserer Lektüre in uns teils heftige Emotionen wie Trauer, Wut oder Mitgefühl auslösen? Wie vermag eine ontisch nicht existierende Ursache auf uns doch so psychisch reale Wirkungen auszuüben?

Die folgende Arbeit nimmt es sich zum Ziel, die unterschiedlichen Positionen zweier Vertreter der modernen analytischen Philosophie zum genannten Problemgegenstand näher zu untersuchen und sie kontrastierend gegenüberzustellen. Der erste Teil dieser Untersuchung wird sich mit dem ersten und dritten Paragraphen zum Anhang des Werkes Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie[5] von Wolfgang Künne auseinandersetzen. Der Autor vertritt in seiner Habilitationsschrift die platonische Auffassung, dass abstrakte Gegenstände existieren und prüft, nach einer anfänglichen Einteilung in konkrete und generelle sowie in singuläre und abstrakte Terme, diverse Merkmale wie etwa Unveränderlichkeit, Nicht-Wahrnehmbarkeit etc. hin auf ihre Tauglichkeit als notwendige oder hinreichende Bedingung für die Existenz solcher Gegenstände. Was jedoch fiktive Gegenstände angeht, so lehnt er deren Existenz ab und schafft formallogische Rahmenbedingungen, um in angemessener Weise über diese sprechen zu können.

In einem zweiten Teil werde ich mich mit der Position Maria Elisabeth Reichers, ihres Zeichens Professorin für Philosophie in Aachen, zur Ontologie fiktiver Gegenstände auseinandersetzen, wobei ich mich hauptsächlich auf ihren Aufsatz

The Ontology of Fictional Characters[6] beziehen werde. Reicher geht – im Gegensatz zu Künne – sehr wohl von der Existenz fiktiver Gegenstände aus und sucht in ihrem Aufsatz Identitätskriterien für solcherlei Gegenstände aufzustellen.

In einem abschließenden Fazit sollen hernach die verschiedenen Unterschiede der einzelnen Positionen jeweils kritisch abgewogen und bewertet werden. Wo zeigen sich signifikante Vorteile der einen gegenüber der anderen Haltung und welche Position ist insgesamt der anderen vorziehen?

2. Die Betrachtung fiktiver Gegenstände bei Wolfgang Künne

In § 1 des Anhangs seines Werkes Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie beschäftigt sich Wolfgang Künne mit „Fiktionale[r] Rede und Behauptungen über fiktive Gegenstände[7] und behauptet, dass in fiktionaler Redeweise keine Behauptungssätze auftauchten, selbst dann nicht, wenn derjenige, der sich einer solchen Redeweise bedient, „einen Behauptungssatz äußert“[8]: „Wer in fiktionaler Rede den Behauptungssatz ‚p’ äußert, der lügt auch dann nicht, wenn er davon überzeugt ist, daß nicht-p. Er behauptet also nicht, daß p“[9]. Andererseits gebe es auch eine Form des Nicht-Behauptens, die dennoch keine fiktionale Rede sei. Die fiktionale Verwendung eines Behauptungssatzes bestünde Künne zufolge jedoch lediglich in einem „mimetischen Akt“[10], von ihm auch „Quasi-Behauptung“[11] genannt. Man könne, so sagt er, dem Autor von fiktionaler Rede niemals eine Täuschungsabsicht unterstellen, denn

wer in fiktionaler Rede so tut, als ob er etwas behaupte, der will nicht täuschen; er will nicht andere glauben machen, er stelle wirklich eine Behauptung auf. Andernfalls wäre ein Erfolgskriterium für sein Tun, daß seine Hörer/Leser seine fiktionale Rede für einen Tatsachenbericht halten. In Wahrheit kann und soll derjenige, der mit der Institution, mit dem Sprachspiel ‚fiktionale Rede’ vertraut ist, den Umständen der Rede […] entnehmen, daß nicht mit behauptender Kraft gesprochen wird.[12]

Wenngleich es durchaus möglich ist, dass „konkrete singuläre Terme in fiktionaler Rede so verwendet [werden können, K.S.], daß gilt: es gibt einen Gegenstand, auf den der Erzähler mit dem Term Bezug nimmt“[13], so gibt es noch eine zweite, von Künne „Quasi-Referenz[14] genannte Verwendungsweise, bei der es „keinen Gegenstand

[gibt, K.S.], auf den der jeweilige Erzähler mit diesen Termen Bezug nimmt“[15]. Quasi-referentiell gebrauchte Ausdrücke nennt Künne „fiktionale singuläre Terme[16]. Ein

fiktiver Gegenstand[17] wiederum ist ein solcher, der von einem fiktionalen singulären Term bezeichnet wird.

[...]


[1] Störig, Hans Joachim: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Frankfurt am Main: Fischer, 1987. S. 25.

[2] Diemer, Alwin: Einführung in die Ontologie. Monographien zur philosophischen Forschung. Bd. 22.
Meisenheim am Glan: Verlag Anton Hain, 1959. S. 7.

[3] Ebd.

[4] Künne, Wolfgang: Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp,
1983. In: Luhmann, Niklas; Henrich, Dieter (Hg): Theorie. S. 23. Hervorhebung wie im Original.

[5] Künne, a.a.O.

[6] Reicher, Maria E.: The Ontology of Fictional Characters. In: Eder, Jens/Jannidis, Fotis/Schneider, Rolf
(Hg.): Characters in Fictional Worlds: understanding imaginary beings in literature, film and other
media. Revisionen. Grundbegriffe der Literaturtheorie. Bd. 3. Berlin/New York: de Gruyter, 2010.
S. 111-133.

[7] Künne, a.a.O., S. 291. Hervorhebung wie im Original.

[8] Ebd.

[9] Ebd., Hervorhebung wie im Original.

[10] Ebd., S. 292.

[11] Ebd.

[12] Ebd., S. 293.

[13] Ebd.

[14] Ebd., S. 294. Hervorhebung wie im Original.

[15] Ebd.

[16] Ebd., Hervorhebung wie im Original.

[17] Ebd., Hervorhebung wie im Original.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Fiktive Gegenstände bei Wolfgang Künne und Maria E. Reicher. Ein Vergleich
Hochschule
Universität Münster  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Ontologie
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
13
Katalognummer
V212993
ISBN (eBook)
9783656408970
ISBN (Buch)
9783656413691
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
fiktive, gegenstände, wolfgang, künne, maria, reicher, vergleich
Arbeit zitieren
Kim Schlotmann (Autor:in), 2013, Fiktive Gegenstände bei Wolfgang Künne und Maria E. Reicher. Ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212993

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