Vetostrukturen und Reformprozesse in Entwicklungs- und Schwellenländern

Eine quantitative Analyse der Außenwirtschaftspolitik in 133 Staaten von 1990 bis 2005


Mémoire (de fin d'études), 2012

125 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Relevanz der Fragestellung
1.2 Konzeptionelle Überlegungen
1.3 Daten
1.4 Gliederung

2 Theorie
2.1 Die Vetospielertheorie
2.1.1 Individuelle und kollektive Vetospieler
2.1.2 Institutionelle und parteiliche Vetospieler
2.1.3 Zusätzliche Vetospieler
2.1.4 Die Judikative als Vetospieler
2.1.5 Vetospieler in automatischen Regierungssystemen
2.1.6 Policy-Stabilität
2.1.7 Die Logik der Vetospielertheorie
2.2 Vier Einflussfaktoren der Policy-Stabilität
2.2.1 DiePosition desStatus Quo
2.2.2 Anzahl der Vetospieler
2.2.2.1 Die Absorptionsregel
2.2.3 Ideologische Distanz von Vetospielern
2.2.4 Interne Kohäsion kollektiver Vetospieler
2.3 Alternative Ansätze zur Analyse von Vetostrukturen
2.4 Kritik an der Vetospielertheorie

3 Das Politikfeld
3.1 Traditionelle Determinanten der Aubenwirtschaftspolitik

4 Die Hypothesen

5 Forschungsdesign
5.1 Fallauswahl
5.2 Operationalisierung
5.2.1 Vetospieler
5.2.1.1 Der Index of Political Constraints von Witold J. Henisz
5.2.1.2 CHECKSvonBeck etal
5.2.1.3 POLARIZ von Beck et al
5.2.2 Die abhängige Variable
5.2.2.1 Außenhandelsquote
5.2.2.2 Außenhandelsregulierung
5.2.3 Kontrollvariablen
5.2.3.1 Ausgangsniveau
5.2.3.2 Sozioökonomischer Druck
5.2.3.2.1 Arbeitslosigkeit
5.2.3.2.2 Wirtschaftswachstum
5.2.3.2.3 Inflation
5.2.3.3 Bruttoinlandsprodukt
5.2.3.4 Kredite multilateraler Geberorganisationen
5.2.3.5 Mitgliedschaft in globalen und regionalen Handelsorganisationen
5.2.3.6 FixedEffects
5.3 Methode

6 Empirische Befunde
6.1 Deskriptive Darstellung
6.2 Bivariate Analyse
6.3 Multivariate Analyse
6.3.1 Überprüfung derHypotheseHl
6.3.2 Überprüfung der Hypothese H2
6.3.3 Heteroskedastizität

7 Interpretation der Ergebnisse

8 Schluss

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Logikder Vetospielertheorie

Abbildung 2: Hinzufügen eines Vetospielers

Abbildung 3: Ideologische Distanz zwischenVetospielern

Tabelle 1: Bivariate Korrelationsmatrix

Tabelle 2: POLCONIII/Außenhandelsquote (Lineare Regression)

Tabelle 3: CHECKS/Außenhandelsquote (Lineare Regression)

Tabelle 4: POLCONIII/Außenhandelsregulierung (Lineare Regression)

Tabelle 5: CHECKS/Außenhandelsregulierung (Lineare Regression)

Tabelle 6: POLARIZ/Außenhandelsquote (Lineare Regression)

Tabelle 7: POLARIZ/Außenhandelsregulierung (Lineare Regression)

Tabelle 8: Ländersample derAnalyse

Tabelle 9: POLCONV/Außenhandelsquote (Lineare Regression)

Tabelle 10: POLCONV/Außenhandelsregulierung (Lineare Regression)

1 Einleitung

„Die Globalisierung istfür unsere Volkswirtschaften das, wasfür die Physik die Schwerkraft ist. Man kann nicht für oder gegen das Gesetz der Schwerkraft sein - man muß damit leben. Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten, sie ist ein Fakt. “ - Alain Mine, franz. Ökonom1

Die Globalisierung der Weltwirtsehaft ist ein Fakt, mit dem spätestens seit der „new wave of globalization“ (Collier/David 2002: S.31) aueh Entwieklungs- und Sehwellenländer leben müssen. Wie sie dies tun, hängt entseheidend von ihrer Fähigkeit ab, auf Potentiale, Risiken und Ungleiehgewiehte von Angebot und Naehfrage mit Reformprozessen in der Außenwirt- sehaftspolitik reagieren zu können. Denn die mit der Globalisierung rapide ansteigenden Ge- sehwindigkeiten des Austausehs von Waren und Dienstleistungen stellen grundsätzlieh neue Anforderungen an nationale Außenwirtsehaftspolitik. An Börsenplätzen von Hong Kong bis Chieago weehseln Weizen, Kaffee, Kohle oder Baumwolle innerhalb von Sekunden den Be­sitzer. Sehwankende Weehselkurse, nationale und Weltmarktpreise verändern kontinuierlieh Riehtung und Ausmaß globaler Handelsströme. Politik, die versueht, mit der Gesehwindigkeit dieser Entwieklungen Sehritt zu halten, muss flexibel sein. Komparative Kostenvorteile kön­nen dureh eine liberale Außenwirtsehaftspolitik genutzt, internationalem Konkurrenzdruck für die heimisehe Industrie kann mit einer regulierenden Außenhandelspolitik Einhalt geboten werden. Kurzum: Poliey-Flexibilität ist ein zunehmend wiehtiger Faktor im global geführten Wohlstandswettlauf.

Gleiehzeitig konkurrieren Staaten als Produktionsstandorte im integrierten Weltwirtsehafts- system um die Gunst multinationaler Unternehmen. Politisehe Stabilität und Reehtssieherheit sind dabei Kernbestandteile wirtsehaftlieher Investitionsentseheidungen. Eine stabile Außen­wirtsehaftspolitik kann für Vertrauen bei in- und ausländisehen Investoren sorgen und den Wohlstand eines Staates mehren. Das credible commitment einer Regierung zu hoher Poliey- Stabilität kann ein entseheidender Vorteil im globalen Standortwettbewerb sein. Kurzum: Aueh Poliey-Stabilität spielt für die Außenwirtsehaftspolitik unter Globalisierungsbedingun­gen eine bedeutende Rolle.

Doch ist die Bedeutung von Policy-Stabilität und der Fähigkeit zu politischem Wandel in der Außenwirtschaftspolitik für Entwicklungsländer noch viel größer, da ihr wirtschaftlicher Auf­schwung stark vom Kapital und Vertrauen ausländischer Investoren abhängt, während sie gleichzeitig flexibel auf Risiken und Potentiale für die weitere Entwicklung ihrer noch jungen Volkswirtschaften reagieren müssen2. Eine stabile oder flexible Außenwirtschaftspolitik kann abhängig vom Kontext und der Perspektive des Betrachters gut oder schlecht sein. In jedem Fall ist die „Steuerungsfähigkeit des politischen Systems “ (Strohmeier 2003: S.19) eine Kern­komponente effizienter Außenwirtschaftspolitik im Globalisierungszeitalter des 21. Jahrhun­derts.

Die Fähigkeit der Regierungen, ihre Außenwirtschafspolitiken zu reformieren, wird maßgeb­lich bestimmt durch die politischen Institutionen der nationalen Entscheidungsarena. Die Ausgestaltung von Parteien-, Regierungs- und Wahlsystem entscheidet über die Struktur ge­setzgeberischer Entscheidungsprozesse. Doch unterscheiden sich diese Ausgestaltungen in der Gesamtbetrachtung der Entwicklungs- und Schwellenländer deutlich. Autokratische Re­gime stehen präsidentiell oder parlamentarisch verfassten Demokratien gegenüber. Einige Staaten verfügen über unabhängige Verfassungsgerichte, andere nicht. Manche Staaten sind durch ein polarisiertes Mehr-Parteien-System geprägt, während sich in anderen Ländern keine Partei dem demokratischen Wettbewerb stellt.

Eine Chance, nationale Reformfähigkeit in der Außenwirtschaftspolitik trotz von Staat zu Staat höchst unterschiedlicher institutioneller Kontexte in einem kohärenten Konstrukt zu systematisieren, bietet die Vetospielertheorie von George Tsebelis (1995; 2000; 2002).

1.1 Relevanz der Fragestellung

Die Vetospielertheorie von George Tsebelis ist nach politikwissenschaftlichen Standards eine „good theory “ (Hallerberg 2010: S.21). Sie ist „parsimonious, [...] testable, and[...] travels well“ (Hallerberg 2010: S.21).

In der Tat ist die Vetospielertheorie gut gereist, konnte sie doch trotz ihrer theoriehistorischen Frische - es gibt sie in der Form von Tsebelis erst seit Mitte der 1990er Jahre - für Reform­prozesse in vielen Politikfeldern parlamentarischer wie präsidentieller Systeme Westeuropas und Nordamerikas angewandt werden. Hallerberg/Basinger untersuchen die Steuersenkungs­politik der OECD-Staaten in den späten 1980er Jahren und kommen zum Ergebnis, dass die von ihnen als Dummy-Variable (ein beziehungsweise zwei und mehr Vetospieler) operationa- lisierten Vetospieler eine große Erklärungskraft aufweisen und ihr Effekt durchweg konsistent ist (Hallerberg/Basinger 1998). Tsebelis/Chang untersuchen Budgetstrukturen der Staatshaus­halte von 19 entwickelten Industrienationen zwischen 1973 und 1995 und finden einen star­ken Vetospielereffekt auf Veränderungen der Budgetstruktur (Tsebelis/Chang 2004). Regie­rungen in Staaten mit vielen Vetospielern fällt es per se schwerer, ihren Haushalt strukturell zu verändern, als Regierungen in Systemen mit wenigen Vetospielern. Überhaupt wurde die empirische Relevanz der Theorie vor allem anhand von Politikfeldern in entwickelten westli­chen Demokratien überprüft. Tsebelis selbst untersucht die Arbeitsmarktpolitik 15 entwickel­ter Demokratien Westeuropas zwischen 1981 und 1991 und findet einen Vetospielereffekt in theoretisch zu erwartender Richtung (Tsebelis 1999). Ebenso Michael Becher, der die Agend­akontrolle innerhalb von Regierungen am Beispiel der Arbeitsmarktpolitik von 20 OECD- Staaten zwischen 1973 und 2000 mithilfe der Vetospielertheorie untersucht (Becher 2010). Wolfgang Merkel prüft die Erklärungskraft der Vetospielertheorie qualitativ anhand dreier Fallstudien, nämlich der Steuer-, der Renten- sowie der - ausgebliebenen - Reform des Ar­beitsmarktes der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2002 (Merkel 2003). Uwe Wagschal analysiert Steuerreformen in 23 OECD-Staaten zwischen 1980 und 1997 mithilfe der Vetospielertheorie (Wagschal 2009).

Weit weniger wurde die empirische Relevanz der Theorie von George Tsebelis - trotz ihres generalistischen Anspruchs - für Politikfelder im Rest der Welt, den Entwicklungs- und Schwellenländern, getestet (Hallerberg 2010: S:29; 33). Dies mag mit dem vorherrschenden Misstrauen in die Stabilität und das Funktionieren der institutionellen Gegebenheiten der ge­nannten Staatengruppe zusammenhängen (Simons-Kaufmann 2003: S.55 ff.). Regierungen und ganze Regime wechseln häufig durch Putsch, Entscheidungsprozesse sind oft - besonders in Autokratien - wenig transparent. Staatsgewalt wird nicht in den von der Verfassung vorge­gebenen Bahnen und Grenzen ausgeübt. Judikative und Bürokratie funktionieren - euphemis­tisch formuliert - nicht effizient, die Rechtssicherheit ist häufig mangelhaft.

Doch gibt es vielversprechende Policy-Analysen, die die Erklärungskraft von politischen In­stitutionen für Unterschiede in der Staatstätigkeit von Entwicklungsländern - oder zumindest unter Einbezug dieser - untersuchen. Thomas Oatley stellt einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Regimetyp eines Entwicklungslandes und dessen Auslandsverschuldung fest. Autokratische Regime verschulden sich im Verhältnis zum Nationaleinkommen relativ stär­ker im Ausland als demokratische Regime (Oatley 2010). Przeworski et al. vergleichen wirt­schaftliche Leistungen von Entwicklungsländern und stellen fest, dass autokratische Regime nicht per se schlechtere Resultate abliefern als demokratische (Przeworski et al. 2000). Chris­tian Martin untersucht die regulative Ausgestaltung der Außenwirtschaftspolitik von demo­kratisch sowie autokratisch verfassten Entwicklungsländern und kommt zum Schluss, dass das Regulierungsinstrument der Quote gegenüber Zollbeschränkungen mit zunehmender De­mokratisierung an Attraktivität verliert (Martin 2004).

Auch die Vetospielertheorie selbst wurde schon für Policy-Analysen jenseits der OECD-Welt operationalisiert. Cunningham untersucht in einem eher ungewöhnlichen Artikel die Korrela­tion zwischen der Dauer von Bürgerkriegen und der Anzahl an Vetospielern, die einer Lösung der Konflikte zustimmen müssten (Cunningham 2006). Henisz/Mansfield untersuchen in ei­nem der vorliegenden Analyse ähnlicheren Forschungsdesign die Außenwirtschaftspolitik von 60 Staaten - unter Einschluss von Entwicklungsländern - zwischen 1980 und 2000 und stel­len einen intervenierenden Effekt der Vetospielerkonstellation zwischen makroökonomischen Krisenindikatoren - vor allem Arbeitslosigkeit - und Änderungen der Außenwirtschaftspoli­tik eines Staates fest (Henisz/Mansfield 2006)3. Stephen Weymouth analysiert Policy- Stabilität im Bereich Eigentumsrechte am Beispiel der Wertstabilität nationaler Währungen in 127 Staaten von 1975 bis 2004 mithilfe der Vetospielertheorie. Er findet einen Vetospieleref- fekt in theoretisch erwarteter Richtung (Weymouth 2011). Frye/Mansfield untersuchen die außenwirtschaftliche Orientierung post-kommunistischer Staaten nach dem Zusammenbruch der UdSSR und kommen zum kontraintuitiven Schluss, dass eine Reform der Außenwirt­schaftspolitik gerade mit zunehmender Anzahl an Vetospielern wahrscheinlicher wird (Frye/Mansfield 2003)4. Ein interessantes Beispiel für die Anschlussfähigkeit von Tsebelis‘ Theorie ist die Analyse von Wolfgang Muno, die Reformpolitiken in Argentinien, Uruguay und Thailand mithilfe einer Kombination aus Vetospielertheorie und dem Advocacy- Coalition-Framework von Sabatier und Jenkins-Smith zu erklären versucht (Muno 2005)5. Angesichts der Vetospieleranalysen und ihrer Ergebnisse für Entscheidungsprozesse in Ent­wicklungsländern kommen König und Debus zum Schluss, dass „work on developing [...] countries is encouraging“ (König/Debus 2010: S.274). Doch bemerkt Hallerberg - im glei­chen Sammelband - im Vergleich zur großen Anzahl von Studien für den demokratisch und wirtschaftlich weiter entwickelten Teil der Erde, dass „the relative paucity of work outside of the developed world has [...] to do [...] with the fact that the theory is yet to be tested“ (Hal­lerberg 2010: S.39). Und weiter: „There is so much more that can be, and should be, done in thefuture“ (Hallerberg 2010: S.39).

Die vorliegende Arbeit möchte dem Wunsch Hallerbergs nachgehen und die Hypothesen der Vetospielertheorie von George Tsebelis auf den sogenannten globalen Süden anwenden. Sie unternimmt den Versuch, die von Hallerberg formulierte Forschungslücke zu schmälern und die Reichweite der Theorie von George Tsebelis abzustecken, indem sie dessen Erklärungs­kraft fernab der entwickelten Welt testet. Die Arbeit soll die postulierte generelle Anwend­barkeit und große Erklärungskraft der Theorie einer kritischen Prüfung unterziehen, sowohl im Hinblick auf die zu untersuchende Staatengruppe wie auch im Hinblick auf das zu unter­suchende Politikfeld. Denn die Außenwirtschaftspolitik der Entwicklungs- und Schwellenlän­der seit dem Ende des Kalten Krieges ist „ein für das theoretische Modell ,harter‘ Fall“ (Zohlnhöfer 2009: S.51) in zweifacher Form. Erstens bezogen auf das Ländersample, da insti­tutionelle Variablen in Entwicklungs- und Schwellenländem aufgrund häufig mangelnder Rechtssicherheit, ständiger Putschgefahr sowie oft intransparenten Entscheidungsprozessen keine große Erklärungskraft erwarten lassen. Zweitens bezogen auf das Politikfeld, die Au­ßenwirtschaftspolitik. Außenwirtschaftspolitik ist direkt von Globalisierungseinflüssen betrof­fen, sie steht im Zentrum des Globalisierungsdiskurses. Globale Waren- und Kapitalströme, multinationale Unternehmen mit immer mobileren Produktionsstandorten und Absatzmärkten auf der ganzen Welt sowie ein informationstechnisch nahezu komplett vernetzter Globus füh­ren dazu, dass sowohl die nationale Außenwirtschaftspolitik als auch die gesamte nationale Wirtschaftspolitik einem Imperativ von Wettbewerb und Deregulierung ausgesetzt scheinen. Nationalstaaten können sich eine Regulierung oder gar Abschottung ihrer Märkte nicht leis­ten, da ihre „Regierungen mit günstigen Standortbedingungen um Investitionen konkurrie­ren'' (Zohlnhöfer 2005: S.42) und bei Regulierung die „Abwanderung von Produktion und Arbeitsplätzen drohe“ (Zohlnhöfer 2005: S.42). Im Extremfall würde der durch Globalisie­rung ausgelöste Standortwettbewerb zur Triebfeder eines Liberalisierungsdrucks, der sich unabhängig nationaler Willensbildungsprozesse quasi automatisch in Deregulierungspolitik übersetzt. In einer solchen - von Globalisierungstheoretikern wie Scharpf vorgebrachten - Automatismusvorstellung ist für politisch-institutionalistische Einflussgrößen nationaler Her­kunft wenig Platz.

Insgesamt darf die Erklärungskraft politisch-institutionalistischer Variablen sowohl in Anbe­tracht des Ländersamples wie auch des Politikfeldes zu diesem Zeitpunkt der Analyse als ge­ring erwartet werden. Gleichzeitig bedeutet der Test von Tsebelis‘ Vetospielertheorie an ei­nem solch harten Fall aber auch, dass „die Überzeugungskraft des Modells wächst, wenn sei­ne Prognosen in einem Feld Bestand haben, wo dies nicht von vornherein zu erwarten war“ (Zohlnhöfer 2009: S.51). Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist folglich von großer Rele­vanz für den politikwissenschaftlichen Theoriendiskurs. Sollte sich Tsebelis‘ Theorie auch unter solch widrigen Bedingungen erklärungskräftig zeigen, ist das Vertrauen in und die Be­deutung von Tsebelis‘ Vetospieler(-n) zur Erklärung von Staatstätigkeit deutlich gesteigert. Die empirischen Ergebnisse würden - gemäß den fünf Stufen der Erkenntnissicherheit (Schulze 2006: S.64) - zur Bestätigung der theoretischen Prämissen führen. Die für probabi­listische Sozialwissenschaften unerreichbaren Erkenntnissicherheiten von Falsifikation oder Verifikation außer Acht gelassen, ist eine Bestätigung der theoretischen Prämissen die höchs­te in der Politikwissenschaft zu erreichende Stufe der Erkenntnissicherheit. Doch auch wenn die empirischen Ergebnisse den theoretischen Erwartungen widersprechen, ist die Analyse für den politikwissenschaftlichen Diskurs über Güte und Reichweite der Theorie von George Tsebelis relevant. In diesem Fall besteht der Erkenntnisgewinn aus begründetem Zweifel an den theoretischen Prämissen. In jedem Fall aber bedeuten die Ergebnisse der vorliegenden Analyse einen Erkenntnisgewinn für die politikwissenschaftliche Theoriebildung.

Neben der Relevanz für die politikwissenschaftliche Theoriebildung und Forschung hat die Analyse von Reformprozessen in Entwicklungs- und Schwellenländern mithilfe des Vetospie­lertheorems auch praxisrelevanten Nutzen außerhalb der Wissenschaft. Denn sollte sich die Vetospielertheorie als bedeutend erklärungskräftig für den Willensbildungsprozess in Ent­wicklungs- und Schwellenländern erweisen, erhielte die oftmals wenig theoriegeleitete Be­trachtung politischer Prozesse in diesen Staaten eine einheitliche Systematik, eine gemeinsa­me theoretische Basis. Dies gilt in besonderem Maße für die Betrachtung autokratischer Sys­teme, über deren Staatstätigkeit bislang wenig Systematisches zu finden ist6. Von praktischer Relevanz dürfte dies für all diejenigen sein, die ein Interesse an Flexibilität und/oder Stabilität von legislativen Stati Quo in Entwicklungs- und Schwellenländern haben. In Bezug auf die Zielgruppe der Untersuchungen von Henisz (2000a; 2000b; 2002) oder MacIntyre (2001) sind dies zunächst einmal Investoren, die ein Interesse am Erhalt oder der Änderung des gesetzge­berischen Status Quo für beispielsweise Eigentumsrechte haben. Aber zu denken ist auch an Mitarbeiter von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, deren Ziel es ist, einen Status Quo, zum Beispiel im Bereich Menschenrechte, zu festigen oder zu ändern.

1.2 Konzeptionelle Überlegungen

Die ländervergleichende Staatstätigkeitsforschung möchte Varianzen in der Regierungspolitik vornehmlich westlich entwickelter Demokratien der OECD-Welt erklären. Hierzu dient in den allermeisten Untersuchungen ein quantitativer Zugriff mittels multivariater Regressionsanaly­se zur Erfassung möglichst vieler unabhängiger Variablen der unterschiedlichen Theorieschu­len (s. Kapitel 2) unter Berücksichtigung politikfeldspezifischer Kontrollvariablen. Qualitati­ve Methoden sind seltener, bleiben jedoch nicht unberücksichtigt (Zohlnhöfer 2008a: S.157; 164 f.).

Die vorliegende Analyse unterscheidet sich insofern von diesem traditionellen Forschungsde­sign, als sie ein kleineres Angebot an Theorie - die Vetospielertheorie - an einer größeren Anzahl von Fällen - 133 Staaten - jenseits der OECD-Welt - den Entwicklungs- und Schwel­lenländern - überprüft. Die Analyse folgt dem klassisch quantitativen Modell der empirischen Überprüfung deduktiv formulierter Hypothesen, indem die Erklärungskraft der kausal formu­lierten Hypothesen von George Tsebelis anhand einer großen Fallzahl und dem Einsatz mul- tivariater Statistik überprüft werden. Die Stärke eines solchen variablenorientierten quantitati­ven Vorgehens liegt darin, „dass wir generalisierbare Aussagen über einen Ursache- Wirkungs-Zusammenhang gewinnen können “ (Obinger 2009: S.232). Aufgrund des hohen Abstraktionsniveaus numerischer Verfahren wie der Regressionsanalyse gelingt es, die von Tsebelis‘ Vetospielertheorie postulierten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge hinsichtlich ihrer Güte einer empirischen Überprüfung mit großer Fallzahl zu unterziehen. Kurzum, die Regressionsanalyse „ermöglicht [...] die empirische Überprüfung von Theorien“ (Obinger 2009: S.232).

Quantitative Vorgehen sind in der ländervergleichenden Staatstätigkeitsforschung jedoch auch mit Problemen behaftet, von denen in Anlehnung an Obinger drei in Bezug auf ihre Re­levanz für die vorliegende Analyse kurz diskutiert werden sollen (vgl. Obinger 2009: S.232 ff.).

Das erste Problem quantitativer Analysen betrifft die Fallzahl. So liegt klassischen Analysen der ländervergleichenden Staatstätigkeitsforschung meist wie erwähnt das Ländersample hoch entwickelter Demokratien der OECD-Welt zugrunde. Dieses Sample ist jedoch - im Ver­gleich zur großen Zahl von Staaten außerhalb der OECD - relativ klein und „naturgemäß begrenzt“ (Obinger 2009: S.232). Gleichzeitig integriert die Staatstätigkeitsforschung - be­dingt durch das große Angebot an Theorien (s. Kapitel 2) sowie das betrachtete Politikfeld - meist eine große Anzahl unabhängiger Variablen zur Erklärung unterschiedlicher Policies. Das Problem kleiner Fallzahlen und vieler unabhängiger Variablen, das „small-NProblem“ (Obinger 2009: S.232), führt dazu, dass einzelne Staaten und damit auch mögliche statistische Ausreißer einen großen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Dies erhöht die Gefahr statisti­scher Verzerrungen. Im Extremfall kann die Kombination kleiner Fallzahlen und vieler unab­hängiger Variablen so ausgeprägt sein, dass die Anzahl an Variablen die Fallzahl übersteigt. In einem solchen Fall ist es nicht mehr möglich, kausale Inferenzen zu untersuchen. Mit einer (maximalen) Fallzahl von N= 2128 bei gleichzeitiger Betrachtung von (jeweils) 30 unabhän­gigen Variablen ist das Problem kleiner Fallzahlen im Kontext der vorliegenden Analyse je­doch nicht virulent.

Zweitens müssen sich quantitative Analysen der ländervergleichenden Staatstätigkeitsfor­schung aufgrund ihres hohen Abstraktionsniveaus - ihrer eigentlichen Stärke - auch Proble­men jenseits kleiner Fallzahlen stellen. Eines davon ist das sogenannte „BlackBox Problem“ (Obinger 2009: S.233). Ein häufiger Vorwurf lautet, quantitative Analysen könnten zwar Kausaleffekte zwischen unabhängigen und abhängigen Variablen mithilfe von Regressions­analysen identifizieren, nicht aber den dazugehörigen Kausalmechanismus. Diesem Vorwurf begegnet die quantitative Forschung in jüngerer Vergangenheit häufig mit verhaltensbasierten Modellen, die der Untersuchung von Makrozusammenhängen eine Mikrofundierung voran­stellen. In der Folge werden die Implikationen des Modells mithilfe von Makrodaten empi­risch getestet. Tsebelis‘ Theorie ist mit ihrem Fokus auf das präferenzgesteuerte Handeln von Vetospielern ein Paradebeispiel verhaltensbasierter Modelle (Jahn 2010: S.65). Sie soll als Mikrofundierung der vorliegenden Analyse dienen, dessen Implikationen in der Folge durch Makrozusammenhänge empirisch überprüft werden.

Aufgrund der Abstraktion quantitativ ländervergleichender Analysen ist drittens oft - rekur­rierend auf eine methodische Kritik des Anthropologen Sir Francis Galton an einer Studie seines Kollegen Edward E. Tylor (Jahn 2006: S.409 f.) - vom sogenannte „Galton-Problem“ (Obinger 2009: S.233) die Rede. Demzufolge agieren Staaten bei der Verabschiedung ihrer Policies nicht unabhängig voneinander, sondern interdependent. Regierungen reagieren mit ihren Policies auf Staatstätigkeit in anderen Ländern. Der Grundidee von Policy-Transfer und -Diffusion entsprechend lassen sich nationale Policies und auch Änderungen derselben durch Policies in anderen Staaten erklären7. Die Regressionsanalyse „setzt jedoch die Unabhängig­keit der Untersuchungsobjekte voraus“ (Obinger 2009: S.234). Im vorliegenden Politikfeld würde also zum Beispiel ein Staat X auf eine Änderung der Außenhandelsregulierung in Staat Y mit einer Änderung des Status Quo seinerseits reagieren. Durch die Regressionsanalyse bliebe dieser Einfluss unbeachtet. Der Einwand gilt für die vorliegende Analyse allerdings noch in viel stärkerem Ausmaß, als die Untersuchung nicht nur länderübergreifend sondern auch über Zeitpunkte hinweg vergleicht. Untersuchungsobjekte sind also nicht bloß Staaten im Querschnitt sondern Staaten im Quer- und Längsschnitt. Dass die Policy eines Staates X zum Zeitpunkt t+1 allerdings unabhängig von der Policy desselben Staates zum Zeitpunkt t ist, erscheint vor dem Hintergrund von Pfadabhängigkeit und Politikerbe unplausibel. Für diesen Einwand wie für den Großteil der Kritik an quantitativen Verfahren gilt jedoch, „dass solche Interaktionen [...] explizit modelliert [...] werden können “ (Obinger 2009: S.234). In der vorliegenden Analyse werden Ausgangsniveaus der Außenhandelsquote und -regulierung als Kontrollvariablen in die Analyse einbezogen, um mögliche Schätzfehler durch die Interak­tion von Ausgangsniveau und Veränderungsrate innerhalb eines Staates zwischen verschiede­nen Zeitpunkten zu verringern. Zudem kontrollieren die Regressionen für Regionendummies, um regionale Effekte wie die Interaktion von Policy-Änderungen zwischen Nachbarstaaten einzubeziehen8.

Zentrale Abgrenzungsmerkmale zwischen den beschriebenen quantitativen Methoden und ihrem traditionellen Gegenüber, der qualitativen Forschung, sind der Grad an konzeptueller Abstraktion und die Fallzahl der Analyse (Landman 2000: S.22 f.). Qualitative Methoden konzentrieren sich im Unterschied zum Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit auf die Analyse einiger weniger Länder oder signifikanter historischer Ereignisse. Ihre Befunde stüt­zen sich im Unterschied zu den statistischen Verfahren quantitativer Analysen auf ausführli­che nicht-numerische Informationen und spezifische Konzepte mit einem hohen Maß an Kon- textualisierung. Sie sind anders als quantitative Methoden aufgrund der oft geringen Fallzahl nicht auf ein hohes Maß an Abstraktion angewiesen. Eine solche Kontextualisierung der Mes­sung kann für die skizzierten black-box- oder Galton-Probleme nur hilfreich sein. Im gleichen Moment bedeutet sie aber auch, dass die Ergebnisse qualitativer Studien in der Regel nicht auf andere Zusammenhänge übertragbar sind (Bäck/Dumont 2007: S.470)9. Kurz: Bei der Wahl quantitativer und qualitativer Methoden besteht ein Zielkonflikt zwischen „knowing more about less and knowing less about more“ (Gerring 2004: S.348).

Der Bedeutung qualitativer Methoden für die Staatstätigkeitsforschung soll nicht widerspro­chen werden. Auch soll die Entscheidung für quantitative Methoden nicht als generelle Ab­lehnung qualitativer Methoden oder Parteinahme im „,Methodenkrieg“‘ (Kritzin­ger/Michalowitz 2009: S.249) verstanden werden. Dennoch sollen beziehungsweise können qualitative Methoden aufgrund der enormen Fallzahl in der vorliegenden Analyse nicht an­gewandt werden. In der Untersuchung soll zunächst einmal die Erklärungskraft der Vetospie­lertheorie für die Außenwirtschaftspolitik von Entwicklungs- und Schwellenländern quantita­tiv anhand eines großen Samples überprüfen. In einem zweiten Schritt können qualitative Studien helfen, die eventuell festgestellten kausalen Effekte mithilfe von durch Fallstudien und process-tracing ergründeten Kausalmechanismen zu überprüfen. Dieser Schritt kann an­gesichts der großen Fallzahljedoch nicht Teil der vorliegenden Arbeit sein10.

Neben der Wahl von quantitativ-statistischen Methoden zur Analyse einer großen Fallzahl ist für das Forschungsdesign die Konzentration auf nur eine Theorie zur Erklärung von Staatstä­tigkeit von entscheidender Bedeutung. Diese Konzentration führt dazu, dass das Forschungs­design der vorliegenden Analyse - im Unterschied zu klassischen Analysen der Staatstätig­keitsforschung - nicht primär auf eine möglichst hohe Erklärung der Varianz von Reformpro­zessen in der Außenwirtschaftspolitik von Entwicklungs- und Schwellenländern zielt. Die Analyse möchte vielmehr die Erklärungskraft der Vetospielertheorie für Reformprozesse in der Außenwirtschaftspolitik der 133 Staaten im Ländersample empirisch möglichst genau abbilden. Es soll festgestellt werden, inwiefern Unterschiede in der Staatstätigkeit auf institu­tionelle Variablen - genauer: Vetospieler - zurückzuführen sind. Ziel der Untersuchung ist nicht die maximale Erhöhung des R2 zur Erklärung der Varianz der abhängigen Variable Y, sondern die möglichst genaue Messung der Erklärungskraft der unabhängigen Variable X. Das Forschungsdesign ist also in der auf Ganghof zurückgehenden Terminologie X- zentriert11.

Ragin unterscheidet fallorientierte von variablenorientierten Forschungsansätzen (Ragin 1987: S.34 ff.; S.53 ff.). Die vorliegende Analyse ist vornehmlich variablenorientiert, da sie Х-zentriert die Güte des Vetospielertheorems am Beispiel der Außenwirtschaftspolitik von Entwicklungs- und Schwellenländern untersucht. Wie in der Einleitung angesprochen, soll die Analyse mithilfe der Vetospielertheorie jedoch auch Aufschluss darüber geben, inwiefern Reformprozesse in der Außenwirtschaftspolitik von Entwicklungs- und Schwellenländern ähnlichen Logiken - nämlich den institutionalistischen Prämissen der Vetospielertheorie - folgen wie Reformprozesse in den entwickelten Demokratien der westlichen Welt. Insofern ist die Analyse vorrangig variablenorientiert, ihre Ergebnisse habenjedoch auch fallorientierte Implikationen.

1.3 Daten

Daten zu Außenhandelsquote, Inflations- und Arbeitslosenrate, Bruttoinlandsprodukt, Brutto­inlandsprodukt pro Kopf, Wirtschaftswachstum, Staatsausgaben sowie dem nationalen Schul­denstand bei multilateralen Geberorganisationen stammen aus der World Development Indi­cators - Datenbank der Weltbank aus dem Jahr 201012. Daten zur Außenhandelsregulierung entstammen dem CACAO-Datensatz von Christian Martin (2005). Daten zur Mitgliedschaft in GATT/WTO und regionalen Handelsorganisationen stammen von den Internetauftritten der jeweiligen Organisation. Die Vetospieler-Indizes sind dem Political Constraint Index (POL- CON) Datensatz von Witold J. Henisz (2000a; 2002) sowie der Database on Political Institu­tions von Beck et al. (2001) entnommen.

1.4 Gliederung

In Kapitel 1 wurde die Fragestellung der vorliegenden Analyse erläutert und ihre Relevanz für den politikwissenschaftlichen Theoriediskurs sowie die berufliche Praxis herausgestellt. Erste konzeptionelle Überlegungen wurden angestellt.

Kapitel 2 bildet die theoretische Grundlage der vorliegenden Analyse. Die Vetospielertheorie von George Tsebelis soll im Detail erläutert und für die vorliegende Analyse präzisiert wer­den. Kritik an der Theorie soll ebenso Teil des Kapitels sein wie der Vergleich von Tsebelis‘ Theorie mit alternativen Ansätzen zur Erfassung von Vetostrukturen. Insgesamt soll Kapitel 2

Aufschluss darüber geben, inwieweit das theoretische Konstrukt von George Tsebelis tatsäch­lich „sparsam, elegant und in sich [...] schlüssig“ (Merkel 2003: S.255) ist.

Kapitel 3 erläutert traditionelle Theorieströme zur Erklärung der Außenwirtschaftspolitik und ordnet diese in den Kontext der vorliegenden Analyse ein. Kapitel 4 stellt daraufhin die über Tsebelis‘ Theorie hergeleiteten Hypothesen auf. Kapitel 5 beschäftigt sich mit der Operatio­nalisierung unabhängiger und abhängiger Variablen sowie der statistischen Methode der Ana­lyse, geht also der Frage nach, inwiefern Tsebelis‘ Theorie „testable“ (Hallerberg 2010: S.21) ist. Die bi- und multivariate Überprüfung der Hypothesen soll in Kapitel 6 erfolgen. In Kapi­tel 7 sollen die statistischen Ergebnisse im Hinblick auf ihre Erklärungskraft für die Außen­wirtschaftspolitik der Entwicklungs- und Schwellenländer sowie ihrer Relevanz für den poli­tikwissenschaftlichen Theoriediskurs interpretiert werden.

Kapitel 8 formuliert Schlussfolgerungen der Analyse und wünschenswerte Impulse für zu­künftige Analysen mithilfe der Vetospielertheorie sowie Policy-Analysen in Entwicklungs­und Schwellenländern.

2 Theorie

Die folgende Erläuterung und Analyse der Vetospielertheorie soll zeigen, inwieweit das Kon­strukt von George Tsebelis tatsächlich den - in der Einleitung angesprochenen - Charakter der theoretischen Übersichtlichkeit und Eindeutigkeit aufweist. Insbesondere der Vergleich mit alternativen Ansätzen zur Analyse von Vetostrukturen soll die besonderen Eigenschaften der Vetospielertheorie verdeutlichen.

2.1 Die Vetospielertheorie

Die Vetospielertheorie von George Tsebelis entstammt der Theorieschule des Institutionalis- mus. Im Vergleich zu anderen klassischen Theorieschulen der vergleichenden Staatstätig­keitsforschung betonen institutionalistische Theorien ihrem Namen entsprechend die heraus­gehobene Rolle des politisch-institutionellen Kontextes zur Erklärung von Staatstätigkeit13.

Im kleinsten gemeinsamen Nenner bedeutet dies: ,,, institutions matter (Tsebelis 1995: S.289; Wiberg 2009: S.41).

Politische Institutionen haben einen potentiell großen Einfluss auf die Staatstätigkeit, „indem sie Akteurskonstellationen, Akteursstrategien und die Interaktionsmuster zwischen Akteuren konfigurieren“ (Zohlnhöfer 2008: S.160). Unterschieden werden kann zwischen institutionel­len Arrangements, die den zentralstaatlichen Regierungen Kompetenzen a priori vorenthalten, und Institutionen, die den Entscheidungsprozess strukturieren, also bestimmen, „ob die Zu­stimmung bestimmter Akteure notwendig ist, um Reformen durchzusetzen“ (Zohlnhöfer 2003a, S.64). Gemeinsam ist beiden, dass sie den Handlungsspielraum der Regierung begren­zen und diese potentiell zu Konzessionen bei der Durchsetzung der präferierten Politik zwin­gen (Zohlnhöfer 2008: S.160).

Ein Beispiel für ein institutionelles Arrangement, welches der zentralstaatlichen Regierung Befugnisse vorenthält, ist die föderale Kompetenzaufteilung im deutschen Grundgesetz14. So ist die Gesetzgebungskompetenz in zum Beispiel dem Bildungs- oder Polizeiwesen auf die Länderebene übertragen und der Bundesregierung sind Einflussmöglichkeiten in diesen Poli­tikfeldern - zumindest formal - vorenthalten. In gleicher Weise wirkt ein institutionelles Ar­rangement mit einer unabhängigen Zentralbank - wie der deutschen Bundesbank beziehungs­weise nach Einführung des Euro der Europäischen Zentralbank - welches der Regierung In­strumente der Geldpolitik komplett entzieht.

Beispiele für Institutionen, die den Entscheidungsprozess strukturieren und die beteiligten Akteure zu Kompromissen bei der Durchsetzung der präferierten Politik zwingen (können), sind zahlreich und vielseitig. Ein institutionelles Arrangement wie das präsidentielle Regie­rungssystem der USA mit seiner ausgeprägten Gewaltenteilung sowie den konstitutionell ver­ankerten checks and balances schränkt die Kontrolle des Präsidenten über die Legislative formal ein. Gesetze werden vom Kongress verabschiedet. Doch können weder Senat noch Repräsentantenhaus ohne Rücksicht auf die Präferenzen des Präsidenten Gesetze verabschie­den, müssen sie doch stets mit einem Veto desselben rechnen15. Bonoli spricht in Bezug auf präsidentielle Regierungssysteme anschaulich von „separation of power systems“ (Bonoli 2001, S.241 f.). Neben der personellen und funktionalen Trennung von Exekutive und Legis­lative kann auch die Existenz einer starken zweiten Parlamentskammer innerhalb der Legisla­tive den Handlungsspielraum einer Regierung begrenzen. Allerdings bleibt die Wirkung der zweiten Parlamentskammer auf den Entscheidungsprozess abhängig davon, ob die Mehrheits­verhältnisse in beiden Kammern gleichgerichtet oder verschieden sind (Zohlnhöfer 2003a, S.65). Eine Besonderheit bilden hier föderalistische zweite Kammern, die aus entsandten Ver­tretern der Gliedstaaten bestehen und die Interessen derselben vertreten. Sind in einer Sach- frage die spezifischen Interessen einzelner Gliedstaaten betroffen, können diese in der Ab­stimmungsdynamik schwerer ins Gewicht fallen als parteipolitisches Kalkül oder diesem so­gar zuwider laufen. Somit ist die Wirkung einer föderalistischen zweiten Parlamentskammer auf den Entscheidungsprozess nicht nur abhängig von divergierenden oder gleichgerichteten Mehrheitsverhältnissen in beiden Kammern, sondern je nach Sachfrage auch von den genuin landesspezifischen Interessen16. Auch die Existenz einer unabhängigen Verfassungsgerichts­barkeit durch zum Beispiel den Supreme Court der USA oder das deutsche Bundesverfas­sungsgericht setzt den Handlungs- beziehungsweise Entscheidungsspielräumen der Akteure im Entscheidungsprozess Grenzen.

Göhler spricht analog den dargestellten Beispielen auch von Institutionen als „Organisations­feldern “ (Göhler 1987: S.8) der Politik. In der populären Trias von politics, polity undpo- licy verordnet er politische Institutionen als Teil der polity, der Strukturen des politischen Sys­tems. Vermittelt über die Strukturierung der politischen Prozesse (politics) beeinflussten Insti­tutionen letztlich auch die Inhalte der Politik, die policy (Göhler 1987: S.8).

Doch trotz der scheinbar eindeutigen Bedeutung von Institutionen hat sich in der Politikwis­senschaft17 keine widerspruchsfreie Definition dessen, was eine zu analysierende Institution ist, durchsetzen können (Blondel 2006: S.718 ff.). Goodin spricht vielmehr von einer großen Vielfalt an Meinungen darüber, welche Regeln und Beziehungen als Institutionen gelten dür­fen und welche nicht (Goodin 1996: S.20). Die Bandbreite reicht dabei von einem weit ge­fassten Institutionenbegriff im soziologischen Institutionalismus bis hin zu relativ enger ge­fassten Definitionen in Rational Choice Theorien neueren Datums oder der rechtswissen­schaftlich geprägten formal-legalen Tradition institutionalistischer Analysen zu Beginn des 20. Jahrhunderts18. Beispielhaft sei Schmidt 2007 erwähnt, der Institutionen relativ weit ge­fasst als „interpersonelle formelle oder informelle Regeln und Normen “ definiert (Schmidt 2007: S.63). So definiert kann das Wahlsystem Frankreichs im Grunde ebenso als Institution analysiert werden wie die ungeschriebenen Konventionen im britischen Regierungssystem, die amerikanischen Vorwahlverfahren, die deutsche Straßenverkehrsordnung oder die Regel, sich an der Supermarktkasse in eine Warteschlange einzureihen.

Jedoch legen die allermeisten politisch-institutionalistischen Analysen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung einen eindeutigeren Rahmen der für ihre Untersuchungen relevanten Institutionen zugrunde. Sie beschränken sich auf die formalen Institutionen des politischen Systems. Regimetheoretiker wie Linz (1994) oder Stephan/Skach (1994) zielen in ihren Ana­lysen auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen präsidentiellen und parlamentari­schen Regierungssystemen. Castles (2000) untersucht Unterschiede in der Staatstätigkeit von föderalen Bundes- und unitaristischen Einheitsstaaten. Sartori unterscheidet kompetitive von nicht-kompetitiven Parteiensystemen (Sartori 1976).

Dieser Zustand zumeist dichotomer Analysen politischer Institutionen entlang der System­grenzen von Föderalismus vs. Unitarismus, Parteiensystem, Präsidentialismus vs. Parlamenta­rismus oder auch Verhältnis- vs. Mehrheitswahlrecht, Einkammer- vs. Zweikammersysteme u.v.m. ist für Tsebelisjedoch unbefriedigend (Tsebelis 1995: S.292; Tsebelis 2002: S.1). Tse- belis‘ Vetospielertheorie, die der Versuch ist, „to [...] analyze political systems regardless of the level of their institutional complexity“ (Tsebelis 2002: S.2) „within the same framework“ (Tsebelis 2002: S.85), möchte den Zustand dichotomer Analysen und damit die „gängigen Charakterisierungen der Regierungslehre [...] überwinden“ (Zohlnhöfer 2003b: S.255). Sie tut dies, indem Tsebelis eine „radikale Vereinfachung“ (Zohlnhöfer 2003b: S.255) vornimmt undjenseits aller Systemunterschiede auf die allen Systemen gemeinsame Logik im Entschei­dungsprozess abstellt: Bestimmte Akteure müssen einer Änderung des Status Quo zustimmen. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob diese Akteure in präsidentiellen oder parlamentarischen Systemen agieren, ob nur ein Akteur eines autokratischen Regimes oder viele Akteure, bei­spielsweise sämtliche Mitglieder einer Viel-Parteien-Regierung in Italien, zustimmen müssen. Unerheblich ist auch, ob die Akteure Parteien, Parlamente, Präsidenten, Militärführer, Gerich­te oder Gewerkschaften sind. Die angesprochene Logik bleibt gleich.

Tsebelis geht sogar noch weiter und impliziert, dass die Entscheidungsprozesse in Staaten mit unterschiedlichen Systemcharakteristika nicht nur entlang eines Kriteriums analysiert werden können, sondern sollten. Ein Vergleich entlang nur einer Systemeigenschaft sei nicht nur the­oretisch unbefriedigend sondern unscharf. Die theoretische Betrachtung der Beziehungen po- litisch-institutionalistischer Variablen zueinander sei unterentwickelt (Tsebelis 2002: S.1). Wie beeinflusst ein Parteiensystem mit starken Parteien ein präsidentielles Regierungssystem und umgekehrt? Wie kann man Dänemark, ein parlamentarisches System mit einer legislati­ven Kammer und vielen starken Parteien, mit den Vereinigten Staaten von Amerika, einem präsidentiellen Regierungssystem mit zwei Parlamentskammern und wenigen schwach orga­nisierten Parteien, vergleichen? Warum funktioniert der Entscheidungsprozess des präsidenti­ellen Regierungssystems der USA nach einer vollkommen anderen Logik als der präsidentiel- ler Systeme Südamerikas (Tsebelis 2002: S.1)?

Ohne diese Frage exhaustiv beantworten zu wollen, fallen ad hoc doch eine Menge Charakte­ristika auf, entlang derer sich Südamerikas politische Systeme vom US-amerikanischen unter­scheiden. Parteien in Bolivien, Venezuela oder Chile sind nicht durch die organisatorische Schwäche amerikanischer Republikaner oder Demokraten gekennzeichnet. Zudem zeichnen sich südamerikanische Parteiensysteme durch die Existenz von weit mehr als zwei Parteien aus. In Venezuela beispielsweise sind mehr als zehn Parteien im Parlament vertreten. Doch neben Parteientyp und -system gibt es viele weitere Unterschiede, die Wahlsystem, Verfas­sungsgerichtsbarkeit, institutioneile Machtbefugnisse des Präsidenten, direktdemokratische Partizipationsrechte und vieles mehr betreffen.

Bei alleinigem Fokus auf die Gemeinsamkeit dieser Staaten - das präsidentielle Regierungs­system - treten die Unterschiede in den Hintergrund. Doch zeigen gerade diese Unterschiede, dass klassische unabhängige Variablen vergleichender Analysen - wie Regierungs-, Parteien­system oder die Anzahl legislativer Kammern - nicht unabhängig voneinander wirken (Tsebe- lis 1995: S:322 f.). Vielmehr beeinflussen die politischen Institutionen als unabhängige Vari­ablen die Staatstätigkeit und wirken wechselseitig aufeinander. Ihre Beziehung ist multikolli- near. Diese Multikollinearität bleibt durch den Fokus auf nur eine politische Institution gewis­sermaßen verborgen. In Bezug auf die Beziehung politischer Institutionen zueinander spricht Colomer beispielsweise davon, dass “electoral systems are intertwined with party systems, which in turn shape the relations between the legislature and the executive “ (Colomer 2006: S.223). Tsebelis löst das Problem der Multikollinearität, indem er alle politischen Institutio­nen in Vetospielerkonstellationen übersetzt, die über klassische Systemgrenzen der Regie­rungslehre hinweg gleich definiert sind (Tsebelis 2002: S.17 f.). Er legt den Fokus seiner Theorie weniger auf strukturelle Unterschiede zwischen präsidentiellen und parlamentari­schen Regierungssystemen oder Zwei- und Viel-Parteiensystemen, sondern auf die durch die­se Systemeigenschaften bedingte „Steuerungsfähigkeit des politischen Systems“ (Strohmeier 2003: S.18).

Durch die Systematisierung dieser Steuerungsfähigkeit unabhängig klassischer Kategorien und Charakteristika der Regierungslehre gelingt es Tsebelis‘ Theorie, Entscheidungsprozesse in Autokratien, präsidentiellen oder parlamentarischen Demokratien, Ein- oder Zweikammer­Systemen, mit und ohne Verfassungsgerichtsbarkeit entlang eines Instruments zu vergleichen. Reformprozesse im kommunistischen China können mit denen im Königreich Marokko, Ugandas Fähigkeit zu politischem Wandel kann mit der Brasiliens verglichen werden. Tsebe­lis4 Theorie verfolgt dabei einen generalistischen Anspruch. Es ist im Grunde kein politisches System denkbar, dessen Entscheidungsprozesse sich nicht in einem Szenario von Anzahl, Kongruenz sowie interner Kohäsion von Vetospielern darstellen ließen. Aus dem Fokus auf dieses eine Kriterium - die Vetospieler - folgt, dass die politischen Systeme „quasi- kontinuierlich^]“ (Martin 2005: S.50) anhand ihrer Vetospielerkonstellation verordnet wer­den können. Es entfällt „die Notwendigkeit einer dichotomen Trennung mit ihrer unvermeid- lichen Unfähigkeit, einzelne Systeme eindeutig zu klassifizieren “ (Martin 2005: S.50)19. Eine analytische Fähigkeit, die die Vetospielertheorie fast automatisch zur theoretischen Fundie­rung der vorliegenden Analyse werden lässt. Denn die politischen Systeme im Ländersample der Entwicklungs- und Schwellenländer sind von einer Vielfalt und Variation gekennzeichnet, die eine Einteilung und Analyse der Entscheidungsprozesse entlang klassischer Charakterisie­rungen der Regierungslehre verunmöglichen könnte, mindestens aber zum Ausschluss einer großen Anzahl von Fällen führen würde. Die Vetospielertheorie von George Tsebelis hinge­gen löst durch ihre simple und konzeptionell konsistente Modellierung der Vetospieler dieses Kernproblem der vergleichenden Politikwissenschaft: kleine Fallzahlen (Hallerberg 2010: S.25; Tsebelis 1995: S.292).

Tsebelis’ Theorie eignet sich zur Analyse politischer Institutionen im Entscheidungsprozess, weniger jedoch zur systematischen Betrachtung institutioneller Arrangements, die einer Re­gierung Kompetenzen a priori vorenthalten (Zohlnhöfer 2003b: S.257). Ein Vergleich von zum Beispiel der deutschen und britischen Bildungspolitik mit Tsebelis‘ Vetospielerkonstella­tionen ist nur begrenzt hilfreich, da die deutsche Bildungspolitik exklusive Entscheidungsho­heit der Gliedstaaten ist, während sie in Großbritannien zentralstaatlich geregelt wird. So hät­ten wir es in der Bundesrepublik mit 16 verschiedenen und voneinander unabhängigen Veto­spielerkonstellationen zu tun, während Großbritannien einzig die nationale Entscheidungsare­na kennt. Tsebelis selbst bezieht sich schon im ersten Abschnitt der Einleitung zum 2002 er­schienenen Grundlagenwerk explizit nur auf die Analyse von Entscheidungsprozessen, indem er von seiner Theorie als Versuch der Identifizierung von „dimensions along which decision making in differentpolities is different“ (Tsebelis 2002: S.1) spricht.

2.1.1 Individuelle und kollektive Vetospieler

Der legislative Entscheidungsprozess folgt unbeachtet jedweder Systemeigenheiten in allen politischen Systemen im Kern immer der gleichen Logik: Bestimmte Akteure müssen einem Politikwechsel, einer Reform, einer Gesetzesänderung beziehungsweise einer Änderung des legislativen Status Quo zustimmen20. Diese Akteure heißen bei Tsebelis Vetospieler. Ein Ve­tospieler ist ein individueller oder kollektiver Akteur, dessen Zustimmung zur Änderung des legislativen Status Quo notwendig ist (Tsebelis 1995: S.289; 293; Tsebelis 2002: S.2; 19; 37). Individuelle Vetospieler sind zunächst einmal Personen wie zum Beispiel Präsidenten oder Diktatoren autokratischer Regierungssysteme. Allerdings sind nicht alle Staatenlenker auto­matisch Vetospieler, da nicht alle eine formale Vetoposition im Entscheidungsprozess inne­haben. Die Zustimmung der Präsidenten Venezuelas, Haitis oder Perus etwa ist zur Änderung des jeweiligen legislativen Status Quo nicht notwendig. Individuelle Vetospieler sind jedoch nicht nur Personen sondern auch kollektive Akteure, deren Präferenzordnungen durch „mono­lithic majorities “ (Tsebelis 2002: S.38) strukturell denen von Individuen entsprechen (s.u.). Tsebelis nennt das Beispiel kommunistischer Parteien (Tsebelis 2002: S.38).

Sehr viel häufiger findet man in politischen Entscheidungsprozessen jedoch kollektive Veto­spieler. Kollektive Vetospieler sind Vetospieler, die sich aus mehreren Akteuren zusammen­setzen, deren interne Präferenzen nicht durch monolithische Homogenität geprägt sind und die ihre Entscheidungen nach einfachem oder qualifiziertem Mehrheitsentscheid treffen (Tse­belis 2002: S.38)21. Individuelle und kollektive Vetospieler unterscheiden sich nicht in der Qualität ihres Vetos. Besitzt ein Akteur ein Vetorecht - ist seine Zustimmung also notwendig zur Änderung des legislativen Status Quo - , wird er als Vetospieler in die Analyse einbezo­gen.

Ein fundamentaler Unterschied zwischen individuellen und kollektiven Vetospielern ist je­doch - wie bereits angedeutet - die (mögliche) Struktur ihrer Präferenzordnungen. Anders als alternative Ansätze zur Analyse von Vetostrukturen ordnet Tsebelis seinen Vetospielern Po- licy-Präferenzen zu. Die Policy-Präferenzen werden durch einen Idealpunkt im n- dimensionalen Policy-Spektrum abgebildet (Tsebelis 2002: S.20; vgl. Abbildung 1). Die An­zahl n ist die Anzahl an Dimensionen, die einem betrachteten Politikfeld oder einer Sachfrage zugrunde liegt. Ein Beispiel: Die Entscheidung zur Aufteilung von Haushaltsmitteln zwischen zwei Budgetposten Soziales und Verteidigung könnte als zweidimensionales - die zwei Di­mensionen entsprechen den zwei Budgetposten - Policy-Spektrum abgebildet werden. Um den Idealpunkt im Policy-Spektrum wird die Präferenzordnung individueller Vetospieler mit­hilfe einer euklidischen, kreisförmigen Indifferenzkurve durch den legislativen Status Quo abgebildet. Indifferenzkurve deshalb, da ein Vetospieler zwischen dem Status Quo und allen Punkten - Policies - auf dieser Kurve indifferent ist. Ebenso zwischen anderen Punkten mit gleicher räumlicher Distanz zum Idealpunkt. Für Punkte beziehungsweise Policies innerhalb dieser Indifferenzkurven gilt aufgrund der räumlichen Distanz zum Idealpunkt, dass der be­treffende Vetospieler diese dem Status Quo vorzieht. Für Policies jenseits der kreisförmigen Indifferenzkurve gilt dementsprechend, dass diesen der Status Quo vorgezogen wird, der be­treffende Vetospieler einer Änderung des Status Quo also nicht zustimmen würde. Je näher ein Punkt am Idealpunkt ist desto eher entspricht die vorgeschlagene Policy den idealen Prä­ferenzen des jeweiligen Vetospielers. Ein dem Idealpunkt näherer Punkt wird einem entfern­teren Punkt immer vorgezogen. Individuelle Vetospieler haben folglich transitive Präferenz­ordnungen (Tsebelis 2002: S.41)22.

Doch wo individuelle Vetospieler - abgebildet durch ihre euklidischen, kreisförmigen Indiffe­renzkurven - über transitive Präferenzordnungen verfügen, können die Präferenzordnungen kollektiver Vetospieler aufgrund interner Mehrheitsverhältnisse und Entscheidungsregeln nicht eindeutig strukturiert sein, ihre Indifferenzkurven können einen „unusual shape“ (Tse­belis 2002: S.47) annehmen. Innerhalb kollektiver Vetospieler kann es unterschiedliche Mehrheiten für verschiedene Policies geben. Dabei folgen die Mehrheiten für Policies nicht notwendigerweise einer transitiven Rangfolge, vielmehr kann die Mehrheit für Policy A im Vergleich zu der für B, die für B im Vergleich zu C, aber die für C im Vergleich zu der für A größer sein. Tsebelis versucht, die Präferenzordnungen kollektiver Vetospieler mithilfe eines wincircle zu approximieren23. Dieser beinhaltet ähnlich der kreisförmigen Indifferenzkurve individueller Vetospieler alle Punkte, die von einer - auch wechselnden - Mehrheit im kol­lektiven Vetospieler dem Status Quo vorgezogen wird. Dies ist jedoch mit theoretischen Un­wägbarkeiten verbunden. Vor allem Tsebelis‘ Aussage größerer Policy-Stabilität bei größerer ideologischer Distanz der Vetospieler (s. Kapitel 2.2.3) muss nicht in jedem Fall richtig sein. Denn wincircle sind lediglich Approximationen der Präferenzordnungen und so ist es auf­grund intransitiver Verteilungen bei kollektiven Vetospielern zum Beispiel möglich, „to de­crease the distance and decrease the winset of the status quo“ (Tsebelis 2002: S.44). Die Po­licy-Stabilität würde entgegen Tsebelis‘ Erwartung mit geringerer ideologischer Distanz grö­ßer. Es ist ebenso möglich, dass sich die wincircle kollektiver Vetospieler überschneiden, dass das so gebildete winset aber leer ist. Denn die wincircle enthalten zwar alle dem Status Quo überlegenen Policies, doch sind gleichzeitig nicht alle Policies im wincircle dem Status Quo überlegen. Wincircle sind lediglich Annäherungen der Präferenzordnungen kollektiver Veto­spieler. Auch wenn Tsebelis Fälle wie diese nicht als „frequentphenomenon“ (Tsebelis 2002: S.44) sieht, bezeichnet er die für individuelle Vetospieler formulierten Theoreme im Bereich kollektiver Vetospieler vorsichtiger als Vermutungen (Tsebelis 2002: S.44).

Bei der Betrachtung möglicher Präferenzordnungen wird deutlich, warum Tsebelis neben In­dividuen auch eigentlich kollektive Akteure mit „monolithic majorities“ (Tsebelis 2002: S.38) - wie zum Beispiel eine kommunistische Partei - analog individuellen Vetospielern ana­lysiert. Denn diese handeln durch die enorme Homogenität ihrer internen Präferenzen ähnlich einem individuellen Vetospieler. In ihrer internen Entscheidungsfindung gibt es - zumindest oberflächlich - keine unterschiedlichen Mehrheiten für verschiedene Vorschläge. Ihre Präfe­renzordnung ist klar transitiv, ihre Indifferenzkurven haben keinen unusual shape sondern lassen sich kreisförmig um einen Idealpunkt im Policy-Spektrum abbilden.

2.1.2 Institutionelle und parteiliche Vetospieler

Neben der dichotomen Unterscheidung von kollektiven und individuellen Vetospielem unter­scheidet Tsebelis parteiliche von institutionellen Vetospielem. Unterscheiden sich individuel­le und kollektive Vetospieler hinsichtlich der (möglichen) Struktur ihrer Präferenzordnungen, werden institutionelle von parteilichen Vetospielem nach der Quelle ihres Vetorechts unter­schieden. Institutionelle Vetospieler sind durch die Verfassung vorgegeben (Tsebelis 2002: S.19). Ihr Vetorecht im Gesetzgebungsprozess ist in der Verfassung festgeschrieben, ihre Zu­stimmung formal notwendig zur Änderung des legislativen Status Quo. Institutionelle Veto­spieler können individuelle, wie der deutsche Bundespräsident, oder kollektive, wie die Nati­onalversammlung Südafrikas, Vetospieler sein. Ein aufschiebendes Veto reicht zur Qualifizie­rung als institutioneller Vetospieler jedoch nicht aus. Das britische House of Lords etwa ist für Tsebelis kein Vetospieler, da es - obwohl am Gesetzgebungsprozess beteiligt - nur über ein aufschiebendes Veto verfügt (Tsebelis 1995: S.305).

Parteiliche Vetospieler, in der Literatur auch als „parteipolitische“ (Strohmeier 2003: S.18) Vetospieler bezeichnet, sind Vetospieler, die innerhalb institutioneller Vetospieler agieren. Ihr Vetorecht speist sich nicht aus verfassungsrechtlichen Vorgaben sondern aus dem „political game“ (Tsebelis 2002: S.79), aus ihrer Machtstellung im von Mehrheitserfordernissen ge­prägten Gesetzgebungsprozess. Mit der Betrachtung politischer Machtverhältnisse verbindet Tsebelis zur Modellierung seiner Vetospieler die eher statische polity-Dimension institutio­neller Vetospieler mit der dynamischeren politics-Dimension parteilicher Vetospieler (Stoiber 2007: S.126). Dadurch erhöht sich - im Vergleich zu alternativen Ansätzen zur Analyse von Vetostrukturen (s. Kapitel 2.3) - die potentielle Erklärungskraft der Theorie, da Tsebelis mit dem Kriterium parteilicher Vetospieler Einflüsse von Parteiensystemen in die Analyse auf­nimmt. Ein Beispiel: Die politischen Systeme von Staat A und Staat B unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihres Parteiensystems. Beide haben ein parlamentarisches Regierungs­system mit nur einer Parlamentskammer. In Staat A sind drei Parteien im Parlament vertreten. Keine Partei erreicht die absolute Mehrheit, eine Koalition aus zwei dieser drei Parteien bildet die Regierung. In Staat B hingegen sind fünf Parteien im Parlament vertreten. Keine Partei erreicht die absolute Mehrheit, auch eine Koalition aus zwei Parteien reicht nicht zur Regie­rungsbildung. So regiert in Staat B eine Drei-Parteien-Koalition. Bei reiner Betrachtung insti­tutioneller Vetospieler wären die Entscheidungsprozesse in beiden Systemen durch gleiche Vetostrukturen - jeweils ein institutioneller Vetospieler - gekennzeichnet. Die Entscheidungs­prozesse in beiden Systemen unterscheiden sich jedoch offensichtlich, da in Staat A lediglich zwei, in Staat В aber drei Koalitionspartner einer Änderung des legislativen Status Quo zu­stimmen müssen. Eine Substitution des institutionellen Vetospielers durch die an der Regie­rungsmehrheit beteiligten parteilichen Vetospieler würde die unterschiedlichen Vetostruktu­ren ihren Unterschieden entsprechend - zwei (parteiliche) Vetospieler in Staat A, drei (partei­liche) Vetospieler in Staat В - abbilden.

Entscheidend für die Analyse parteilicher Vetospieler sind stabile Mehrheitsverhältnisse. Denn nur wenn eine stabile Koalition oder eine disziplinierte Partei einen kollektiven institu­tionellen Vetospieler kontrolliert, ist die Substitution durch den oder die die Mehrheit konsti­tuierenden parteilichen Vetospieler sinnvoll. Andernfalls “we would be talking about a single collective vetoplayer, theParliament” (Tsebelis 2000: S.447).

Vergleichsweise eindeutig lässt sich die Sinnhaftigkeit einer Substitution am Abstimmungs­verhalten im Deutschen Bundestag illustrieren. Zwar gilt für Abgeordnete des Deutschen Bundestages nach Art.38 Abs.l Satz 2 GG der Grundsatz des freien Mandats. Doch unter an­derem durch Landeslisten, eine an den Fraktionen orientierte Geschäftsordnung des Bundes­tages und an den Parteien orientierte Wahlkampffinanzierung haben deutsche Parteien und Fraktionen großen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten ihrer Parlamentarier. Fasst eine Fraktion einen Mehrheitsbeschluss, gilt die Fraktionsdisziplin und die gesamte Fraktion stimmt - im Regelfall - geschlossen ab. Regierungskoalitionen funktionieren nach ähnlichem Prinzip und stimmen - im Regelfall - geschlossen für Regierungsentwürfe und gegen die der Opposition. In einem solchen Szenario geschlossen abstimmender Fraktionen ist es sinnvoll und relativ einfach, den institutionellen Vetospieler Bundestag durch die die Mehrheit konsti­tuierenden parteilichen Vetospieler der Regierungskoalition zu substituieren. Anders bei Ab­stimmungen, bei denen die Abgeordneten von ihrer Fraktionsdisziplin befreit abstimmen, etwa bei den Entwürfen zur möglichen Einführung der Präimplantationsdiagnostik (PID). In diesem Szenario ist es aufgrund mangelnder Vorhersagbarkeit des Abstimmungsverhaltens nicht möglich und sinnvoll, parteiliche Vetospieler innerhalb des Bundestages zu identifizie­ren. Es bleibt die Analyse des kollektiven institutionellen Vetospielers, dem Deutschen Bun­destag.

Einen Sonderfall bilden präsidentielle Systeme wie das der USA, in denen die Parteiendiszip­lin prinzipiell gering ausgeprägt ist. In solchen Systemen ist es per se schwer bis unmöglich, das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten im Parlament vorherzusagen. So ist es extrem schwierig, parteiliche Vetospieler innerhalb von Abgeordnetenhaus und/oder Senat zu identi­fizieren. Tsebelis nennt als Beispiel die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA, die Präsident Clinton mehrheitlich mit Stimmen der Republikaner im US-Kongress ratifizierte. Im Gegensatz dazu verabschiedete er seine Steuerreform 1993 mit den Stimmen der Demo­kraten gegen die Stimmen der Republikaner. Ohne solche Koalitionswechsel wäre Politik im „divided government“ (Tsebelis 2002: S.85) der USA sehr viel schwieriger, durch sie wird eine Substitution institutioneller durch parteiliche Vetospieler aber unmöglich, so Tsebelis (Tsebelis 2002: S.85). Doch schwerwiegender als Koalitionswechsel ist, dass Republikaner und Demokraten eher selten und zumindest nicht vorhersehbar geschlossen ihre Koalition wechseln. Vielmehr können Wahlkreisinteressen wichtiger als die ohnehin schwach ausge­prägten Parteiinteressen ins Gewicht fallen und die Abgeordneten dazu bewegen, fernab ihrer Parteilinie abzustimmen. Den schwach organisierten Parteien der USA fehlen die Mittel, das Abstimmungsverhalten ihrer Parlamentarier zu disziplinieren. So bleibt eine Analyse parteili­cher Vetospieler - die prominenten ersten 100 Tage unter Präsident Roosevelt einmal ausge­nommen - wenig fruchtbar für Entscheidungsprozesse im präsidentiellen System der Verei­nigten Staaten. Gewiss sind andere präsidentielle Systeme wie die Südamerikas durch weni­ger volatiles Abstimmungsverhalten der Parlamentarier gekennzeichnet. So muss vor der Analyse der Vetospieler präsidentieller wie parlamentarischer Systeme ein Urteil darüber ge­fällt werden, ob die Parteiendisziplin im betrachteten Szenario es sinnvoll erscheinen lässt, institutionelle durch relevante parteiliche Vetospieler zu substituieren. Ist die Parteiendisziplin schwach ausgeprägt, erscheint eine Substitution also nicht sinnvoll, „we will be confined to the study of institutional veto players“ (Tsebelis 2002: S.85) und „veto player analysis cannot move beyond the institutional level“ (Tsebelis 2002: S.145).

Der grundsätzliche Unterschied zwischen institutionellen und parteilichen Vetospielern ist, dass die Zustimmung parteilicher Vetospieler - streng betrachtet - weder formal notwendig noch hinreichend ist während die Zustimmung institutioneller Vetospieler per definitionem formal notwendig und hinreichend zur Änderung des Status Quo ist (Tsebelis 1995: S.302; Wiberg 2009: S.43). Die Zustimmung parteilicher Vetospieler ist nicht hinreichend, da eine Änderung des legislativen Status Quo, der zum Beispiel alle Partner einer Regierungskoaliti­on zugestimmt haben, nichtsdestotrotz im Parlament abgelehnt werden kann. Dies ist insbe­sondere dann relevant, wenn den Regierungsparteien Instrumente zur Disziplinierung ihrer eigenen Parlamentsmitglieder fehlen (Tsebelis 1995: S.302 f.)24 Die Zustimmung parteilicher Vetospieler ist nicht notwendig, da Koalitionspartner umgangen oder gegeneinander ausge­spielt werden können. Es gibt zwei Fälle, in denen dies prinzipiell möglich ist: Minderheits­und übergroße Mehrheitsregierungen parlamentarischer Regierungssysteme. Allerdings schränkt Tsebelis diese strenge Betrachtung in seiner Antwort auf eine Kritik von Kaare Strom (2000) deutlich ein. Realistisch betrachtet müssten auch in Minderheits- und übergro­ßen Mehrheitsregierungen alle Koalitionspartner einer Änderung des Status Quo zustimmen. Denn „participation in a government grants parties the right to veto legislation and to pro­voke a government crisis if they so wish“ (Tsebelis 2002: S.87). Tsebelis leitet das Vetorecht der Koalitionspartner also weniger aus Mehrheitserfordernissen als vielmehr aus den politi­schen Zwängen von Koalitionsregierungen her. Die Drohkulisse einer möglichen Regier­ungskrise „is a sufficient condition for a party to qualify as a veto player“ (Tsebelis 2002: S.87). Regierungen sind an Stabilität und einer Fortführung ihrer Arbeit interessiert. So kön­nen sie es sich auch trotz der theoretischen Möglichkeit realistisch nicht erlauben, Politiken ohne die Zustimmung eines Koalitionspartners zu verabschieden25.

Mit beiden Dichotomien - parteilich vs. institutionell und individuell vs. kollektiv - gelingt es Tsebelis, Entscheidungsprozesse in verschiedensten institutionellen Kontexten über klassische Systemgrenzen hinweg durch das einheitliche Konzept des Vetospielers zu systematisieren. Doch trotz der scheinbar eindeutigen Abgrenzung eines Vetospielers erreicht auch Tsebelis‘ Instrument Grenzen der Eindeutigkeit. Dieser Graubereich möglicher Vetospieler, deren Veto sich weder aus der Verfassung eines Staates noch aus der parteipolitischen Kontrolle eines institutionellen Vetospielers ergibt, soll in der Folge erläutert und für den Kontext der vorlie­genden Analyse präzisiert werden.

[...]


1 Quelle: http://www.zeit.de/1998/33/Glueeksfan_Euro (12.01.2012)

2 Entwicklungs- und Schwellenländer im Sinne der vorliegenden Analyse sind zunächst einmal alle Staaten mit einem Bruttonationaleinkommen von weniger als $10.065 pro Kopf/Jahr (2004), die im Jahr 2006 - also ein Jahr nach Ende des Untersuchungszeitraums 1990 bis 2005 - auf der Liste des Entwicklungshilfeausschusses (des sogenannte Development Assistance Committee - kurz: DAC) der OECD stehen. Entwicklungshilfe an diese Staaten kann auf die vertraglich zugesagte und international verbindliche Quote an öffentlich finanzier­ter Entwicklungshilfe (die sogenannte Official Development Assistance Quota - kurz: ODA-Quote) eines Mitgliedslandes des OECD-Entwicklungshilfeausschusses (nicht alle Mitglieder der OECD sind gleichzeitig Mitglieder im Entwicklungshilfeausschuss der OECD) angerechnet werden. Ausführlicher http://www.oecd.org/document/1/0,3746,en_2649_33721_46662849_1_1_1_1,00.html (18.10.2011). Für ei­nen Überblick des Ländersamples vgl. die Tabelle 8 im Anhang.

3 Die vorliegende Arbeit geht insofern über die Analyse von Henisz/Mansfield hinaus, als sie ein anderes, größe­res Ländersample in einem anderen Zeitraum mit anderen Operationalisierungen und anderen statistischen Methoden untersucht. Die Analyse löst das von Henisz/Mansfield festgestellte Problem der Operationalisie­rung von Änderungen der Außenwirtschaftspolitik mithilfe von Änderungen der Importquote eines Staates und kommt so Tsebelis‘ theoretischer Änderung des legislativen Status Quo deutlich näher (Henisz/Mansfield2006: S.194).

4 Auch wenn die Autoren nicht direkt von Vetospielern sprechen sondern lediglich von „institutional or partisan constraints“ (Frye/Mansfield 2003: S.643) oder „actors that can block policy change“ (Frye/Mansfield 2003: S.643), kommen Frye/Mansfield mit ihrer dann folgenden Operationalisierung Tsebelis1 Vetospielern sehr nahe.

5 Das Advocacy-Coalition-Framework von Sabatier und Jenkins-Smith ist nicht Teil der vorliegenden Analyse und soll nicht weiter erläutert werden. Zur Erläuterung vgl. Sabatier/Jenkins-Smith 1993 sowie Sabatier 1993.

6 Ausnahmen sind zum Beispiel die vom Autor genannten Untersuchungen von Oatley 2010; Przeworski et al. 2000; Henisz/Mansfield 2006.

7 Zu Policy-Transfer und -Diffusion u.a. Dolowitz/Marsh 2000.

8 Der Lösung von „Gallon’s problem“ (Jahn 2006: S.410) würde eher eine Variable entsprechen, die explizit Änderungen von Außenhandelsquote und -regulierung in Nachbarländern und/oder wichtigen Handelspart­nern des Staates X zum Zeitpunkt t zur Erklärung von Änderungen des Status Quo in Staat X zum Zeitpunkt t+1 misst. Die vorliegende Analyse nutzt für die Erfassung jeglicherfxed effects - ähnlich Henisz/Mansfield 2006 - jedoch regions- und zeitraumspezifische Dummy-Variablen.

9 Zur ausführlicheren Darstellung qualitativer Methoden vgl. Devine 1995: S.137 ff.; Für quantitative Methoden

auch Miller 1995: S.154 ff..

10 Einzelfallstudien für eine Stichprobe aus dem Ländersample der Analyse (Tabelle 7 im Anhang) sind wün­ schenswert und vielversprechend, um die quantitativ festgestellten Effekte qualitativ mit nötiger Kontextuali- sierung - wie zum Beispiel dem Einbezug zusätzlicher, für einen bestimmten Entscheidungsprozess relevan­ter Vetospieler - zu überprüfen. Dies insbesondere deshalb, da potentielle Vetospieler wie zum Beispiel der Internationale Währungsfonds (IWF) aufgrund mangelnder Daten nicht Teil der quantitativ-statistischen Analyse der vorliegenden Arbeit sein können. Optimal wäre gar eine qualitative Fundierung für die zunächst quantitativ erhobenen Effekte anhand des gesamten Ländersamples. Doch können solche Analysen im Rah­men der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden.

11 Zu X- und Y-zentrierten Forschungsdesigns Gschwend/Schimmelpfennig 2007: S.21 ff..

12 Aufgrund der enormen Knappheit empirischer Daten für das Ländersample liefert auch der Katalog der World Development Indicators der Weltbank nicht für alle Länder und Zeitpunkte - vor allem nicht für die wirt­schaftlich schwach entwickelten Staaten Afrikas südlich der Sahara - Daten zu Arbeitslosenrate und anderen Kontrollvariablen. Dem Autor ist jedoch keine umfassendere und gleichzeitig frei zugängliche Datenbank bekannt, die diesen Mangel an Daten beheben könnte.

13 Auf die weiteren Theorieschulen der Heidelberger Schule zur vergleichenden Staatstätigkeitsforschung - Funktionalismus beziehungsweise sozio-ökonomische Schule, Machtressourcentheorie, Parteiendifferenzleh­re, Internationale Hypothese und Pfadabhängigkeit beziehungsweise Politikerbe - soll im vorliegenden Kapi­tel 2 nicht näher eingegangen werden. Bei der Bestimmung der Kontrollvariablen für die empirische Analyse finden sich Argumente der anderen Theorieschulen. Doch liegt der theoretische Fokus der vorliegenden Ar­beit auf dem institutionalistischen Vetospielertheorem von George Tsebelis. Für eine kurze Übersicht der sechs Theorieschulen vgl. Blum/Schubert 2009: S.39 ff.. Zur ausführlicheren Darstellung vgl. Schmidt et al. 2007: S.21 ff.; Zohlnhöfer 2008: S.157 ff..

14 Art.70 Abs.1 GG i.V.m. Art.73 GG und Art.74 GG.

15 Die Möglichkeit des presidential override - also dem Überstimmen des direkten Veto des Präsidenten durch eine Zweidrittelmehrheit von Senat und Repräsentantenhaus - analog Tsebelis 2002 außen vor gelassen (Vgl. Tsebelis 2002: S.19). Zudem gilt die Möglichkeit nur für das reguläre, direkte Veto des Präsidenten. Ein indi­rektes Veto des amerikanischen Präsidenten - das sogenannte pocket veto - kann nicht vom Kongress über­stimmt werden (Schultz 2009: S.776 ff.).

16 Die Abstimmungshistorie im deutschen Bundesrat bietet hierfür zahllose Beispiele. So verfügte die Opposition schon ab 1999 über eine Blockademehrheit - Landesregierungen unter Beteiligung einer Oppositionspartei des Bundestages enthalten sich ihrer Stimme - im Bundesrat gegenüber der damaligen rot-grünen Bundesre­gierung. Allerdings verstand es die Regierung, diese Blockademehrheit bis 2002 durch die Berücksichtigung genuiner Länderinteressen und das Herauslösen einzelner oppositionell geführter Landesregierungen (soge­nannter Kuhhandel) zu umgehen (Schlieben 2007: S.116 ff). Merkel spricht angesichts der zuweilen nicht vorherzusagenden Verhandlungsdynamik anschaulich von der „black box Bundesrat“ (Merkel 2003: S.270).

17 Auf eine Erläuterung und/oder Diskussion des Institutionenbegriffs sozialwissenschaftlicher Nachbardiszipli­ nen, vor allem Soziologie und Volkswirtschaftslehre, soll in der vorliegenden Arbeit verzichtet werden. Für eine Diskussion des Begriffs und seiner Bedeutung in unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen vgl. Blondel 2006: S.716 ff..

18 Die Bandbreite unterschiedlicher Theorieströmungen und -ansätze im Institutionalismus ist enorm und kann in der vorliegenden Arbeit nicht exhaustiv diskutiert werden. Für eine Erläuterung der drei neueren Theo­rieströmungen - dem historischen, dem Rational Choice und dem soziologischen Institutionalismus - vgl. Sanders 2006: S.39 ff.; Shepsle 2006: S.23 ff. und besonders Hall/Taylor 1996; Für eine Diskussion soge­nannter alter institutionalistischer Ansätze vgl. Rhodes 2006: S.90 ff..

19 Zwar bezieht sich Martin in seinen Erläuterungen nicht explizit auf die Vetospielertheorie sondern auf das von ihm aufgestellte Kriterium der „Zahl der Personen, die [...] über die Politik zu bestimmen haben, die in ei­nem Land verwirklicht werden soll“ (Martin 2005: S.49). Dieses Kriterium ähnelt in seiner Logik allerdings stark Tsebelis1 Vetospielern, die einer Änderung des legislativen Status Quo zustimmen müssen.

20 Auch wenn ein Politikwechsel im alltäglichen Sprachgebrauch nicht notwendigerweise eine Gesetzesänderung meint, sondern sich mitunter auch auf die Anpassung einer Strategie der Öffentlichkeitsarbeit oder Verhand­lungstaktik beziehen kann, setzt Tsebelis eine Änderung des legislativen Status Quo bereits in der Einleitung mit einem Politikwechsel gleich (Tsebelis 2002: S.2). Die vorliegende Arbeit verwendet das Vokabular von Politik- oder Policy-Wechsel, legislativer Änderung des Status Quo, Gesetzesänderung und Reform - ähnlich Tsebelis - gleichbedeutend.

21 Den sehr seltenen Sonderfall von Parlamenten, die einstimmig entscheiden, rechnet Tsebelis der Kategorie individueller Vetospieler zu (Tsebelis 2002: S.38). Jedes Parlamentsmitglied ist als Individuum ein individu­eller Vetospieler. So ließe sich der Entscheidungsprozess in einem solchen Parlament durch die Abbildung jedes einzelnen Abgeordneten als individuellem Vetospieler abbilden. Tsebelis nennt einzig und allein das polnische Parlament zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Beispiel für eine Parlamentskammer mit Einstim­migkeitserfordernis.

22 Eine wichtige Prämisse für die Validität kreisförmiger Indifferenzkurven im n-dimensionalen Raum ist, dass Vetospieler die zugrunde liegenden Dimensionen gleich gewichten, dass ihre Präferenzen in allen Dimensio­nen gleich wichtig sind (Tsebelis 2002: S.20). Nur unter Annahme solcher „Euclidian Preferences“ (Gang­hof 2003: S.8) sind sie zwischen allen Punkten - also Policies - mit gleicher Distanz zum Idealpunkt indiffe­rent und bevorzugen solche, die näher am jeweiligen Idealpunkt verortet werden können. Sollte sich heraus­stellen, dass ein Vetospieler nur an einer von n Dimensionen interessiert ist, können seine Präferenzen nicht mehr durch euklidische Indifferenzkurven abgebildet werden und „the statements having to do with the ideo­logical distance among veto players have to be reevaluated“ (Tsebelis 2002: S.20).

23 Auf eine Erläuterung zur grafischen Herleitung solcher wincircle soll hier verzichtet werden. Auch eine Dis­kussion von yolk und m- beziehungsweise q-cohesion soll hier unterbleiben. Für die vorliegende Analyse ge­nügt die Feststellung, dass Tsebelis versucht, die Präferenzordnung eines kollektiven Vetospielers - sowohl bei einfachem wie qualifiziertem internem Mehrheitsentscheid - mithilfe eines wincircle zu approximieren. Ausführlicher Tsebelis 2002: S.45 ff..

24 Tsebelis selbst nennt Beispiele aus Frankreichs IV. Republik und Italien (Tsebelis 1995: S.302 f.).

25 Tsebelis führt die Diskussion zur Wertung aller Koalitionspartner übergroßer Mehrheitsregierungen als partei­ liche Vetospieler noch weiter aus. Rein numerisch sei die Zustimmung aller Regierungspartner nicht erfor­derlich. Es gebe auch Beispiele für Ablehnungen durch einzelne Regierungsparteien, die nicht zum Bruch der Regierung geführt haben (Tsebelis nennt Israels Arbeiterpartei in Koalition mit der Likud im Jahr 2001). Sollte dieses Phänomen regelmäßiger auftreten, ließe sich das Szenario derart in die Vetospielertheorie integ­rieren, als eine Regierung eine Policy dann nicht mehr unter Berücksichtigung aller Koalitionspartner - also einstimmig - sondern mit qualitativem Mehrheitsentscheid unter Vernachlässigung nicht abstimmungsrele­vanter Regierungspartner verabschiede (Tsebelis 2002: S.95 f.). Bis dahin hält Tsebelis die Einbeziehung al­ler Regierungsparteien als Vetospieler jedoch für eine „good approximation for policy stability“ (Tsebelis 2002: S.96).

Fin de l'extrait de 125 pages

Résumé des informations

Titre
Vetostrukturen und Reformprozesse in Entwicklungs- und Schwellenländern
Sous-titre
Eine quantitative Analyse der Außenwirtschaftspolitik in 133 Staaten von 1990 bis 2005
Université
University of Bamberg  (Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften)
Note
1,7
Auteur
Année
2012
Pages
125
N° de catalogue
V213431
ISBN (ebook)
9783656416227
ISBN (Livre)
9783656417873
Taille d'un fichier
989 KB
Langue
allemand
Annotations
Mots clés
Tsebelis, Vetospielertheorie, Außenwirtschaft, Handelspolitik, Entwicklungsland, Reformprozesse, Autokratien, Politische Systeme, Politikfeldanalyse, Schwellenländer
Citation du texte
Bastian Thöle (Auteur), 2012, Vetostrukturen und Reformprozesse in Entwicklungs- und Schwellenländern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213431

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