Behavioral Finance: Sinnvolle Ergänzung der kapitalmarkttheoretischen Forschung?


Bachelorarbeit, 2012

131 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1. Entwicklungen in den Wirtschaftswissenschaften
1.1. Evolutionsökonomik
1.2. Intuitives Controlling
1.3. Bionik im Management
1.4. Behavioral Economics und Behavioral Finance

2. Die kapitalmarkttheoretische Forschung
2.1. Modelle der modernen Kapitalmarkttheorie
2.1.1. Portfolio-Selection-Modell
2.1.2. Capital Asset Pricing Model (CAPM)
2.1.3. Arbitrage Pricing Theory (APT)
2.2. Verhaltensannahmen der modernen Kapitalmarkttheorie
2.2.1. Homo oeconomicus
2.2.2. Theorie informationseffizienter Märkte
2.3. Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Elemente

3. Kritische Würdigung der modernen Kapitalmarkttheorie

4. Behavioral Finance
4.1. Begriffsbestimmung
4.2. Die begrenzte Rationalität als Grundlage der Behavioral Finance
4.3. Informationserfassung und Informationsverarbeitung mittels Heuristiken
4.3.1. Heuristiken zur Komplexitätsreduzierung
4.3.1.1. Vereinfachung von Sachverhalten
4.3.1.2. Mental Accounting
4.3.1.3. Verfügbarkeitsheuristik
4.3.1.4. Vernachlässigung von Informationen
4.3.2. Heuristiken zur schnellen Urteilsfindung
4.3.2.1. Verankerungsheuristik (Anchoring)
4.3.2.2. Repräsentativitätsheuristik
4.4. Prospect Theory – Theorie der relativen Bewertung
4.4.1. Referenzpunktabhängigkeit
4.4.2. Verlauf der Wertfunktion
4.4.3. Konsequenzen für das Entscheidungsverhalten
4.4.4. Dispositionseffekt
4.4.5. Zusammenspiel von Prospect Theory und Mental Accounting
4.4.6. Hedonic-Framing
4.5. Theorie der kognitiven Dissonanz
4.5.1. Kernaussagen
4.5.2. Bedürfnis nach Dissonanzfreiheit
4.5.2.1. Selektive Wahrnehmung
4.5.2.2. Selektives Entscheiden
4.5.3. Regretaversion
4.5.4. Loss-Aversion
4.5.5. Endowment Effekt
4.5.6. Kontrollbedürfnis
4.5.6.1. Locus of Control
4.5.6.2. Home Bias
4.5.6.3. Kontrollillusion

5. Behavioral Finance in der Praxis
5.1. Behavioral Finance-Fonds
5.1.1. Methodik
5.1.2. Beispiele
5.2. Klassische Fonds
5.3. Performance-Vergleich
5.4. Risiko-Messung mittels Risiko-Tool der Universität Mannheim

6. Kritische Würdigung der Behavioral Finance

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Intuitions-Rationalitätsmodell nach Müller

Abbildung 2: Fehlentscheidungen im Anlagezyklus

Abbildung 3: The Portfolio Selection Model – Risk Return Diagram

Abbildung 4: Bewertungsgleichung des CAPM

Abbildung 5: Rendite eines Wertpapiers mit n-Marktfaktoren

Abbildung 6: Rendite eines Wertpapiers mit spezifischer Risikoprämie

Abbildung 7: Der Homo oeconomicus der Volkswirtschaftslehre

Abbildung 8: Gleichung der Effizienzmarkthypothese (EMH)

Abbildung 9: Empirische Realität und klassische Theorie (EMH)

Abbildung 10: Grafik Behavioral Finance

Abbildung 11: Überblick der Heuristiken

Abbildung 12: Primat-Effekt (1.1)

Abbildung 13: Primat-Effekt (1.2)

Abbildung 14: Formel für die Wertfunktion

Abbildung 15: Wertfunktion der Prospect Theory

Abbildung 16: Dispositionseffekt

Abbildung 17: Regretaversion bei einem nicht zahlungswirksamen Konto

Abbildung 18: Verbindung zwischen Commitment und Verlustaversion

Abbildung 19: Referenzpunktabhängigkeit in der Prospect Theorie A

Abbildung 20: Risikoscheu im Verlustbereich bei extremen Ausprägungen A

Abbildung 21: Integration und Segregation beim Hedonic framing A

Abbildung 22: Gemeinsamkeiten zwischen den Konsequenzen aus dem Bedürfnis nach Dissonanzfreiheit und dem Kontrollbedürfnis A

Abbildung 23: Wesentliche Unterschiede zwischen neo-klassischer Kapitalmarkttheorie und Behavioral Finance A

Einleitung

Das Thema ‚Behavioral Finance: Sinnvolle Ergänzung der kapitalmarkttheoretischen Forschung?‘ greift die aktuelle Thematik der Veränderungen der Wirtschaftswissenschaften auf, speziell im Bereich der Finanzwissenschaft. Die Arbeit soll den momentanen Stand der Forschung zeigen und einen möglichen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen geben.

Das erste Kapitel der Arbeit beginnt mit den allgemeinen Entwicklungen der Wirtschaftswissenschaften. Es werden vornehmlich Forschungsrichtungen behandelt, in denen verhaltenswissenschaftliche und psychologische Elemente Einzug gehalten haben.

Das zweite Kapitel behandelt die kapitalmarkttheoretische Forschung. Es wird anfangs auf die Modelle der Theorie eingegangen und dann zu den Verhaltensannahmen übergegangen. Bereits am Ende des Kapitels wird eine Berücksichtigung von verhaltenswissenschaftlichen Einflüssen kurz behandelt. Im dritten Kapitel findet die moderne Kapitalmarkttheorie ihre kritische Würdigung.

Das Kapitel Vier befasst sich ausgiebig mit sämtlichen Inhalten der Behavioral Finance-Forschung. Angefangen mit einer allgemeinen Einführung zum Thema geht es über Heuristiken und die Prospect Theory bis zur Theorie der kognitiven Dissonanz auf sämtliche Inhalte der Forschung ein. Besonders Forscher wie Kahnemann und Tversky haben zur Entwicklung der Behavioral Finance beigetragen. Hierbei ist anzumerken, dass in der deutschsprachigen Literatur vor allem Goldberg und von Nitzsch sehr viel mit den Forschungen der beiden o.g. Wissenschaftler gearbeitet haben. In dieser Arbeit wird deshalb häufig auf Goldberg und von Nitzsch Bezug genommen oder verwiesen.

Im fünften Kapitel wird auf die praktische Relevanz der Thematik eingegangen. Das Kapitel Sechs widmet sich der kritischen Würdigung der Behavioral Finance. Kapitel Sieben zieht ein Fazit, speziell aus den beiden kritischen Würdigungen.

1. Entwicklungen in den Wirtschaftswissenschaften

Die Disziplin der Wirtschaftswissenschaften ist seit einiger Zeit im Wandel, was nicht nur auf die Wirtschafts- und Finanzkrise zurückzuführen ist, sondern mit der rasanten Veränderung der Märkte und des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfelds sowie den Auswirkungen der Globalisierung und der sich stets beschleunigenden Welt zusammenhängt.

Dies fordert die Wissenschaft dazu auf, sich den Gegebenheiten anzupassen und die neuesten Erkenntnisse und Entwicklungen zu berücksichtigen.

Einige Beispiele verdeutlichen den Trend, dass die Wirtschaftswissenschaften einen weitreichenden Wandel durchlaufen.

So wurde zum Beispiel der Nobelpreis 2011 im Bereich Wirtschaftswissenschaften an zwei Wissenschaftler, Thomas Sargent und Christopher Sims, vergeben, die der „traditionellen Mainstream-Ökonomie“[1] angehören. Kritiker werfen den beiden Wissenschaftlern vor, realitätsferne Modelle erstellt zu haben, in denen es beispielsweise keinen Bankensektor gibt und die Anleger sich stets rational verhalten.[2] Diese Kritik ist nicht unbegründet, denn selbst einer der betitelten Wissenschaftler, Christopher Sims, gab in einer Befragung zur Lösung der aktuellen Krise die nüchterne Antwort: „Ich habe leider keine einfache Antwort parat, wie wir die Krise überwinden können“[3].

Auch wenn man Meldungen aus der Finanzkrise in 2008 betrachtet, kann beobachtet werden, wie tief die Verunsicherung in den Glauben an die Lehrbücher und die Wissenschaft sitzt. Ein renommierter Dozent und Finanzexperte[4] meinte kurz: „Vielleicht ist diesmal doch alles anders“[5].

Experten und Politiker arbeiten seit geraumer Zeit an einer neuen Möglichkeit zur Messung des Wohlstands. Das Bruttoinlandsprodukt, welches als zentrale Größe zum Ausdruck von Wohlstand in der öffentlichen Meinung dient, hatte schon vor 40 Jahren Kritik von Ökonomen erfahren. Seither arbeiten verschiedenste Institutionen und Forscher an einem neuen Maßstab, um Wohlstand besser zu messen. Im klassischen Bruttoinlandsprodukt wird zum Beispiel der Untergang einer Ölplattform (inkl. aller Lösch-, Aufräum- und Sanierungsarbeiten) genauso als Wachstumssteigerung betrachtet wie der Aufbau eines Offshore-Windparks. Der bisherige Maßstab reicht den Industrienationen nicht aus und es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Dimensionen in der Messung von Wohlstand zu erweitern.[6]

Häufig wird auch von einem Paradigmenwechsel[7] gesprochen. In diesem Zusammenhang taucht häufig der Name Daniel Kahnemann auf. Der Professor aus Princeton[8] ist einer der Vorreiter der Verhaltensökonomie und erhielt 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Bereits vor 30 Jahren hatte Kahnemann erste Forschungen zur Verhaltensökonomie angestellt und somit einen Trend in den Wirtschaftswissenschaften begründet. Er und sein Forscherkollege Amos Tversky, ein Pionier im Bereich Kognitionswissenschaften, stellten damals bereits fest, dass Entscheidungen „häufig auf Grundlage des Bauchgefühls und nicht strikt rational“[9] entstehen. Viele Erkenntnisse und Forschungsergebnisse von Kahnemann und Tversky helfen heute, die Finanzkrise zu erklären und besser zu verstehen.[10] Besonders diese Krise ruft die Forschungen der beiden Wissenschaftler ins Gespräch, denn „immer mehr Ökonomen kritisieren, zu modelllastiges und realitätsfernes Denken würde der Entwicklung realitätstauglicher Lösungen im Weg stehen“[11].

An diesen ausgewählten Beispielen können bereits Richtungen erahnt werden, welche die Wirtschaftswissenschaften in Zukunft prägen werden und welche Entwicklungen in dieser Disziplin entstehen und bereits entstanden sind.

In den folgenden Punkten werden einige Forschungsrichtungen näher erläutert, die in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen haben: die Evolutionsökonomik, das Intuitive Controlling, das Thema der Bionik im Management sowie das Hauptthema dieser Arbeit, Behavioral Finance.

1.1. Evolutionsökonomik

Die Evolutionsökonomik[12] ist eine Forschungsrichtung innerhalb der Wirtschaftswissenschaften. Diese Wissenschaft „befasst sich mit der Rolle des Wissens und seinem Wandel für die Wirtschaft“[13]. Es gibt derzeit zwei verschiedene Auffassungen der evolutorischen Ökonomik:

- Ein Teil der Vertreter sieht diese Forschungsrichtung als Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften, die sich speziell mit Innovationsprozessen und technologischem Wandel auseinandersetzt.[14]
- Andere Vertreter sehen in dieser Disziplin einen völlig neuen Ansatz der Wirtschaftswissenschaften. In dieser Auffassung betrifft die Evolutionsökonomik das Fach sowie alle Teildisziplinen.[15]

Während die traditionelle Wirtschaftswissenschaft von einer „Optimierung der individuellen Bedürfnisbefriedigung bei knappen Ressourcen“[16] ausgeht, steht in der Evolutionsökonomik das wirtschaftliche Grundproblem des Unwissens im Vordergrund.[17]

Die Evolutionsökonomik „fragt, wie das Wissen über Bedürfnisse, die Möglichkeiten ihrer Befriedigung und die relevanten Techniken gewonnen wird und sich verändert, und wie die Auswahl von Alternativen unter den Bedingungen fundamentalen Unwissens und ständiger Generierung von Neuheit möglich ist“[18].

Die Forschungsrichtung vereint Methoden der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften, erweitert um Komponenten aus den Naturwissenschaften und der Psychologie. Dies führt zu einer ständigen Reflektion und Hinterfragung, um dem Integrationsanspruch gerecht zu werden.[19]

Herrmann-Pillath beschreibt das Unwissen als den „archimedischen[20] Punkt der Theorie“[21]. In der Wirtschaftswissenschaft ist der Wandel erklärt durch das Phänomen des Wettbewerbs. Hier knüpft die Evolutionsökonomik an, allerdings mit einer konsequenten Betrachtung des Wissensproblems. Zudem stellt Herrmann-Pillath fest, dass die „Fähigkeit des Menschen, komplexe Prozesse zu überschauen“[22] begrenzt ist. Während in der traditionellen Wirtschaftswissenschaft angenommen wird, dass Individuen sich stets rational verhalten und über das korrekte Modell der Wirklichkeit verfügen, bricht die Evolutionsökonomik mit dieser Annahme und „stellt sich der Einsicht, dass die Anerkennung fundamentalen Unwissens eine komplette Revolutionierung der Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Wirtschaftswissenschaften im Besonderen zur Folge hat“[23]. Die sogenannte Ontologie[24] der Evolutionsökonomik unterscheidet sich von der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaft grundlegend.[25]

In seiner Kurzbeschreibung stellt Herrmann-Pillath die Evolutionsökonomik als „das dynamischste Forschungsfeld der Wirtschaftswissenschaft“[26] dar und fordert die Wirtschaftswissenschaft auf, deren Anschlussfähigkeit zu anderen Disziplinen zu verbessern. Er schreibt zudem, dass die Erkenntnisse der Evolutionsökonomik und die Entwicklungen als Herausforderung gesehen werden sollten, vor allem für die wirtschaftspolitische Steuerung.[27]

1.2. Intuitives Controlling

Der „wachsenden Komplexität, Dynamik und Diskontinuität der Unternehmenswelt muss sich auch das heutige Controlling stellen“[28], erläutern Müller und Sauter in ihren Ausführungen über die junge Disziplin des Intuitiven Controlling bereits anfangs in ihrem Buch, und stellen damit eindeutig klar, dass die Aufgaben des Controlling und der Unternehmenssteuerung anspruchsvoller und komplexer denn je sind. Das Ziel der Bemühungen ist, dass Controlling aus einer anderen Sichtweise zu betrachten und „eine Art Gegengewicht zu analytisch geprägten Herangehensweisen“[29] zu schaffen.

Die junge Forschungsdisziplin des Intuitiven Controlling basiert auf einem interdisziplinären Ansatz, der sich auf verschiedene Wissenschaften bezieht, der neben wirtschaftswissenschaftlichen Inhalten auch kognitionswissenschaftliche und psychologische Aspekte enthält.

Müller ist der Auffassung, dass die Intuition als weiteres Kompetenzfeld im Controlling hilfreich ist und damit die Unternehmenssteuerung unterstützt und verbessert wird. Er betrachtet in seinen Forschungen bewusste und unbewusste Prozesse als einen „simultanen Mix“[30], wie in der folgenden Abbildung ersichtlich wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Intuitions-Rationalitätsmodell nach Müller

Quelle: Müller, J., Sauter, U., 2009, S. 30

Der Grundgedanke des Modells ist die „dynamische Interaktion von Rationalität/Bewusstsein und Intuition/Unbewusstsein“[31], wonach sich beide Sphären in einem Austauschprozess befinden, der ständig abläuft.

Die bisherigen Ansätze im Controlling sind ohne den Gedanken an Intuition konstruiert. Die frühen Konzeptionen des Controlling haben besonders die Informationsversorgung als Hauptaufgabe ermittelt.[32] Besonders Müller schreibt in seinen Ausführungen: „Diese (…) Konstruktion des Controlling-Bereiches eröffnet die Möglichkeit, dem Controlling die dringend erforderliche Aufgabe der Koordination der innerbetrieblichen Informationsbeschaffung mit dem Informationsbedarf für die Lösung nachgelagerter Aufgabenstellungen zu übertragen. (…)“[33].

Ein anderer Ansatz sieht das Controlling als erfolgszielbezogene Steuerung. Und ein weiterer Ansatz bezeichnet es als Koordinationsfunktion. Ohne auf die oben genannten näher einzugehen, besteht ein weiterer, und in diesem Zusammenhang, letzter Ansatz, der Controlling als Rationalitätssicherung der Führung sieht. Der von Weber und Schäffer begründete Ansatz der Rationalitätssicherung beinhaltet die Akteure, die durch den Besitz ihrer kognitiven Fähigkeiten, die individuell begrenzt sind, Ziele verfolgen. Hierbei können in der Rationalität, durch „Wollens- und Könnensbeschränkungen“[34], Defizite entstehen, die durch das Controlling erkannt und vermindert werden können und sollen.[35]

Wie zuvor erwähnt lassen die Ansätze jedoch das Thema Intuition unberücksichtigt. In seinen Forschungen schreibt Müller: „Neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die daraus resultierende Veränderung der Anforderungen an den Controller zwingen das Controlling, für das Bewerkstelligen des Aufgabenbündels neue Lösungsansätze in Betracht zu ziehen. Für die vorliegende Problemstellung ist die Weiterentwicklung von anerkannten Konzeptionen im Rahmen praxisorientierter Anwendungen von geringem Gewinn. (…)“[36].

Somit lässt sich erkennen, wie Müller die Weiterentwicklung des Controlling-Verständnis vorantreibt und auch, welcher Trend allgemein in den Wirtschaftswissenschaften zu erkennen ist; der Einzug von verhaltenswissenschaftlichen und psychologischen Aspekten in viele Gebiete der wirtschafswissenschaftlichen Disziplinen.

1.3. Bionik im Management

Das Thema Bionik im Management wird oft in Verbindung mit Kybernetik[37], Managementkybernetik oder verwandten Forschungen gebracht, die auf Forscher wie Fredmund Malik[38] oder Frederic Vester[39] zurückzuführen sind. Hier wird jedoch auf die Bionik in der Managementlehre speziell eingegangen.

Besonders häufig ist im Zusammenhang mit Bionik von Schwarmintelligenz die Rede. Gerade Ameisen stehen hier als Paradebeispiel zur Verfügung. Aufgrund ihrer Organisationsform gelingt es ihnen, sich schnellstmöglich auf Veränderungen einzustellen.[40] Ein Vorbild für Manager, die häufig in kürzester Zeit weitreichende Entscheidungen treffen müssen.

Andere Insekten, wie zum Beispiel Termiten, bieten ebenfalls Lösungen für komplexe Problemstellungen. Obwohl die Kommunikation zwischen Termiten nicht direkt geschieht, funktioniert sie perfekt. So wurden diese Prinzipien bereits vom amerikanischen Geheimdienst übernommen, da sich kein besseres Beispiel dafür in der Natur finden lässt, ein Netzwerk ideal zu organisieren und zu steuern.[41]

Die Ausprägungen der Bionik reichen nicht nur von Organisationsentwicklung bis hin zur Effizienzverbesserung, sondern führen sogar bis in die Strategieentwicklung.[42]

Vor allem aber lehrt die Bionik, dass es verschiedenste Phasen der Entwicklung gibt, wie Wachstum oder Stagnation. Und auch Absterbeprozesse sind Bestandteil in einem derartigen Zyklus, der Manager lehren soll, diese Prozesse zu begleiten und auf neue Modelle umzusteigen und andere Wege und Vorgehensweisen zu entwickeln.[43]

Viele Anhänger und Vertreter der Bionik sind überzeugt, dass Unternehmen und Manager sehr viel von der Natur lernen können um besonders in Krisensituationen besser und schneller reagieren zu können.[44]

1.4. Behavioral Economics und Behavioral Finance

Das Hauptthema der Arbeit, Behavioral Finance, soll hier nur kurz angeschnitten werden.

Behavioral Finance, allgemein auch unter Behavioral Economics behandelt, beschäftigt sich mit Anlegerverhalten und der Psychologie am Finanzmarkt, besonders mit irrationalem Verhalten.

Die Tatsache ist, dass Anleger sich nicht stets rational verhalten, sondern von ihren Gefühlen und Überzeugungen geleitet werden.[45]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Fehlentscheidungen im Anlagezyklus

Quelle: Barclays Wealth in Schulz, B., 2011, Internetquelle

In Studien, die von verschiedensten Wissenschaftlern an diversen Universitäten erstellt wurden, geht hervor, dass selbst Berater in Banken den Fehlentscheidungen der Anleger nicht entgegenwirken, da die Anreizsysteme in Banken, die hauptsächlich auf Provisionen abzielen, dementsprechend falsch sind.[46]

Die Studie von Barclays Wealth[47] zeigt zudem auf, dass Anleger die Langfristigkeit aus dem Auge verlieren, um kurzfristig Erfolge zu verbuchen, sowie die gesamte Struktur ihrer Portfolios unbeachtet lassen und einzelne Entscheidungen treffen, die sich negativ auf das Portfolio auswirken können. Langfristig gesehen haben viele Aktienindizes nahezu keine Verluste, jedoch lassen sich Anleger häufig von Stimmungen beeinflussen und übersehen und missachten damit auch ihre eigentlich gewählten Anlagestrategien.[48]

Nicht nur private Anleger sind von diesen Phänomenen betroffen, auch professionelle Händler, Banker und Großanleger bleiben nicht unverschont. Als prominente Beispiele sind hier Nick Leeson[49] und Jérôme Kerviel[50] zu nennen.

Wichtig für die privaten Anleger sind, laut unabhängigen Experten, konkrete Regeln für ihr Portfolio aufzustellen und sich daran auch zu halten. Zudem sollten diese Anleger sich von anderen Anlegern fernhalten, die zu häufig ihre Präferenzen ändern und kurzfristige Meldungen, die das eigene Portfolio betreffen, meiden.[51]

Dieser kurze Einblick in die Forschung der Behavioral Finance gibt eine Vorschau auf das Hauptthema der Arbeit.

2. Die kapitalmarkttheoretische Forschung

Die Forschung im Bereich der Kapitalmarkttheorie ist eine relativ junge Disziplin; diese reicht nur ca. 50 Jahre in die Vergangenheit zurück. Der Name Markowitz[52] wird hierbei häufig mit den Anfängen der Forschungen in der Kapitalmarkttheorie in Verbindung gebracht.[53]

Viele weitere Forschungen wurden im Laufe der Jahre angestellt, einzelne Ergebnisse daraus werden in folgenden Punkten kürzer oder ausführlicher erläutert.

2.1. Modelle der modernen Kapitalmarkttheorie

Im Folgenden wird auf das Portfolio-Selection-Modell, das Capital Asset Pricing Model (CAPM) und die Arbitrage Pricing Theory (APT) eingegangen.

2.1.1. Portfolio-Selection-Modell

Das Portfolio-Selection-Modell von Markowitz hat in der Wissenschaft als auch in der Praxis im Asset Management eine herausragende Stellung.[54] Der Grundgedanke des Portfolio-Selection-Modells „besteht in der simultanen Berücksichtigung von erwarteten Renditen und prognostizierten Risiken (gemessen durch Varianzen und Kovarianzen) im Rahmen der Portfolioplanung“[55].

Zimmerer zeigt in seinen Ausführungen zu den Grundlagen der Portfoliotheorie die zentralen Aussagen des Portfolio-Selection-Modells auf:[56]

- Maßgeblich für die Portfoliokonstruktion sind die Größen ‚erwartete Rendite‘ und ‚Risiko‘.
- Die Kombination von risikobehafteten Anlagen zu Portfolios ist aus Gründen der Diversifikation sinnvoll.
- Die Schlüsselgröße für die Risikoreduktion ist die (negative bzw. schwach positive) Korrelation von Assetrenditen.
- Als effizient werden solche Portfolios bezeichnet, zu denen es bei gleicher Rendite kein Portfolio mit einem geringeren Risiko gibt, oder zu denen es bei gleichem Risiko kein Portfolio mit einer höheren Rendite gibt.

Zum weiteren Verständnis zeigt Zimmerer in seinen Ausführungen zum Thema „Global Strategic Asset Allocation“:[57]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: The Portfolio Selection Model – Risk Return Diagram

Quelle: Zimmerer, T., 2008, Vorlesungsunterlage / Präsentation, S. 18

Dieser kurze Einblick in das Portfolio-Selection-Modell soll nun weiterführen zu den Modellen des Capital Asset Pricing Model sowie der Arbitrage Pricing Theory.

2.1.2. Capital Asset Pricing Model (CAPM)

Das Capital Asset Pricing Model, kurz CAPM, wurde von Sharpe[58], Lintner[59] und Mossin[60] entwickelt. Das Modell baut auf die Portfoliotheorie von Markowitz auf.

Das CAPM ist „ein Modell zur Bestimmung fairer erwarteter Renditen unter den Bedingungen des Marktgleichgewichts“[61]. Das Besondere an dem Modell ist, Einzelwertrisiken quantifizierbar und bewertbar gemacht zu haben.[62]

Grundsätzlich basiert das CAPM auf zwei Annahmen:[63]

1. Ausgangspunkt ist, dass alle Marktteilnehmer effiziente Portfolios halten wollen, bedeutet, diese sind Portfolio-Optimierer nach Markowitz.
2. Es wird von einem Gleichgewicht am Markt ausgegangen und der Marktpreis des Risikos ist einheitlich.

Der Ausgangspunkt für das CAPM ist die Kapitalmarktlinie.

Somit sind die wesentlichen Annahmen, die zur Ableitung benötigt werden, wie folgt:[64]

- Vollkommener Kapitalmarkt (keine Steuern, keine Transaktionskosten)
- homogene Erwartungen der Investoren (keine Informationsvorsprünge einzelner Marktteilnehmer)
- Existenz einer risikolosen Anlage

Nach der mathematischen Optimumsbestimmung folgt die Bewertungsgleichung des CAPM:[65]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

mit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Bewertungsgleichung des CAPM

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 66 f.

Auf die Gleichung wird hier nicht näher eingegangen.

Das CAPM besitzt in Theorie und Praxis einen hohen Stellenwert. Besonders aufgrund seiner Einfachheit und Plausibilität findet es hohen Anklang. Die Akzeptanz für das Modell kommt vor allem durch die „deskriptive Qualität“[66], bedeutet, die Beschreibung vom tatsächlichen Geschehen an realen Märkten.[67]

Ein Konkurrenzmodell zum CAPM bildet die Arbitrage Pricing Theory, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird.

2.1.3. Arbitrage Pricing Theory (APT)

Die Arbitrage Pricing Theory, kurz APT oder APM, geht in ihren Ursprüngen auf Ross[68] zurück. Dieses Modell gilt als „Herausforderer“ des Capital Asset Pricing Model. Das Ziel der APT ist dasselbe wie beim CAPM: Bewertung von risikobehafteten Wertpapieren im Marktgleichgewicht.[69]

Im Gegensatz dazu steht jedoch das APM, da es wesentlich weniger Restriktionen aufweist als das CAPM. Der erste Unterscheid besteht darin, dass die APT als Basis ein Mehrfaktormodell besitzt, wohingegen das CAPM lediglich auf einem Einfaktormodell, dem Marktmodell, basiert. Die APT besagt, dass die Rendite eines Wertpapiers von mehreren Faktoren abhängt, Faktoren die Träger von systematischen, d.h. nicht diversifizierbaren Risiken sind. Häufig sind dies makroökonomische[70] Einflussfaktoren.[71]

Eine weitere Voraussetzung für die Faktoren der APT ist, dass diese nicht miteinander korrelieren bzw. korreliert sind.[72] Der zweite bedeutende Unterschied zum CAPM stellt die Annahme der Arbitragefreiheit[73] des Marktes dar.

Das Mehrfaktormodell lässt sich durch folgende Gleichung darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Rendite eines Wertpapiers mit n-Marktfaktoren

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 72 f.

Unter der Annahme der Arbitragefreiheit und eines vollkommenen Kapitalmarkts weist Ross jedem Faktor F eine Risikoprämie λ zu, woraus sich die erwartete Rendite eines jeden Wertpapiers ergibt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Rendite eines Wertpapiers mit spezifischer Risikoprämie

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 72 ff.

Auf die Gleichungen wird hier nicht näher eingegangen.

Kurz zusammenfassend lassen sich die Vorteile der APT im Vergleich zum CAPM darstellen:

- Mehrdimensionalität

Die APT erlaubt eine „flexiblere Modellierung und einen differenzierteren Einblick in die Risikostruktur von Kapitalanlagen“[74].

- Interpretierbarkeit

Die ökonomische Interpretationsmöglichkeit ist wesentlich besser als beim CAPM.[75]

- empirische Überprüfbarkeit

Da das Marktportfolio keine „explizite Rolle in der APT“[76] spielt, und auch die „Nicht-Beobachtbarkeit in der Realität“[77] für empirische Tests nicht relevant ist, lässt sich die APT wesentlich besser empirisch testen als das CAPM.

Doch bietet die APT nicht nur Vorteile, sondern weist durch die nicht spezifischen Risikofaktoren und die daraus resultierenden „Scheinzusammenhänge“[78] durchaus auch Nachteile auf.[79]

Damit sind die Hauptmodelle der modernen Kapitalmarkttheorie dargestellt. Der nächste Abschnitt wird sich mit den Verhaltensannahmen der modernen Kapitalmarkttheorie befassen.

2.2. Verhaltensannahmen der modernen Kapitalmarkttheorie

Die Grundlagen für die bereits vorher beschriebenen Modelle der Kapitalmarkttheorie basieren hauptsächlich auf den Forschungen von Bernoulli[80]. Das Rationalprinzip, auch Bernoulli-Prinzip genannt, ist eines der grundlegenden Prinzipien, die nicht nur die Kapitalmarkttheorie, sondern auch die neuere Wirtschaftstheorie mitgeprägt hat.

Das Prinzip besagt, dass Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen ihren erwarteten Nutzen zu maximieren versuchen.[81] Unser schreibt in seinen Ausführungen dazu: „Bei Anwendung dieses Prinzips wählt man diejenige Alternative, für die der Erwartungswert der Ergebnisverteilung maximal ist“[82].

In den 1940er Jahren wurde die Nutzentheorie von den beiden Wissenschaftlern von Neumann und Morgenstern erforscht und erweitert. Sie stellten fest, dass zum Einen die Marktteilnehmer sich nicht durchweg rational verhalten und zum Anderen weiteten die Wissenschaftler die Theorie zu einer Risiko-Nutzen-Theorie aus, dies bedeutet, sie bezogen Rendite und Risiko in das theoretische Konstrukt mit ein. Somit wurde das Prinzip auf ‚Entscheidungen unter Unsicherheit‘ ausgeweitet. Somit wird jeder rationale Anleger nur ein höheres Risiko eingehen, wenn dafür eine höhere Rendite erzielt wird. Diese ‚Rational-Choice-Theory‘ bildete nicht nur eine Grundlage für die wirtschaftwissenschaftliche Entscheidungstheorie, sondern auch für andere Disziplinen wie der Politologie und der Soziologie.[83]

Zudem haben beide Wissenschaftler das Nutzenkonzept erweitert. Nutzen wurde durch die Nutzenfunktion dargestellt, welche „individuelle Präferenzen zu bestimmten Gütern und Dienstleistungen mathematisch“[84] abbildete. Eine gegebene Voraussetzung war jedoch, dass Präferenzen „vollständig, bewusst, durchgängig und stabil“[85] sein mussten. Das Konzept wurde jedoch als ‚leeres‘ Konzept angesehen, da es nur eine „Rangordnung des Nutzens verschiedener Wirtschaftsgüter“[86] ermöglichte. Morgenstern und von Neumann bezogen jedoch die „zukünftigen, unsicheren Resultate eines Güterkaufs“[87] geordnet nach dem Erwartungswert ihres Nutzens mit ein. Somit wurde der Nutzen eines Gutes mit der Wahrscheinlichkeit seines Eintreffens gemessen, was eine exakte, kardinale Messung ermöglichte.[88]

Shefrin schreibt in seinen Ausführungen zu Verhaltensannahmen:

„Traditionally, finance has adopted the neoclassical framework of microeconomics. In the neoclassical framework, financial decision makers possess von Neumann-Morgenstern preferences over uncertain wealth distributions, and use Bayesian[89] techniques to make appropriate statistical judgments from the data at their disposal.”[90]

Zugleich schreibt Shefrin jedoch im Anschluss:

„Psychologists working in the area of behavioral decision making have produced much evidence that people do not behave as if they have von Neumann-Morgenstern preferences, and do not form judgments in accordance with Bayesian principles. Rather they systematically behave in a manner different from both. Notably, behavioral psychologists have advanced theories that address the causes and effects associated with these systematic departures.”[91]

Wahren schreibt in seinen Forschungen zum Thema ‚Entscheiden und Handeln‘, dass die von von Neumann und Morgenstern entwickelte Expected Utility Theory, zu Deutsch Erwartungsnutzen-Theorie, sowie die von Savage erforschte Subjective Expected Utility Theorie, zu Deutsch Theorie des subjektiv erwarteten Nutzens, die bekanntesten und am häufigsten verwendeten Theorien zum normativ beschriebenen Entscheidungsverhalten darstellen.[92]

Wahren stellt jedoch fest, dass Menschen eher nach dem Prinzip der Bounded Rationality, der begrenzten Rationalität handeln. Die Entscheidungen von Menschen werden häufig durch „unterschiedlichste Umstände, aber auch durch die Komplexität und Intransparenz der Situationen (…) negativ beeinflusst“[93]. Wahren schreibt weiter, dass bei der Bewertung des Verhaltens von Anlegern die rationalen Aspekte limitiert sind und weitere Aspekte berücksichtigt werden müssen.[94]

Wahren zeigt bei seinen Ausführungen zwei Arten von Entscheidern auf, zum Einen den ‚Maximierer‘ und zum Anderen den ‚Satisficer‘. Der erste Typus, der Maximierer, sucht immer nach dem optimalen Ergebnis und scheut hierbei keinen Aufwand. Der Satisficer hingegen versucht, dass Ergebnis zu erreichen, welches ihm gut genug erscheint. Hat er ein bestimmtes Ergebnis erreicht, wird dieser keinen weiteren Aufwand betreiben um eine noch bessere Lösung zu finden.[95]

Auf weitere Aspekte wie Zufriedenheit, etc. wird hier nicht weiter eingegangen.

Slovic hat folgende Feststellung in seinen Forschungen gemacht:

„The relative merit of scientific or statistical vs. subjective or intuitive methods of prediction is a controversial issue. The intuitive approach is the traditional and predominant method. Here decisions are seen as based more or less on a state of mind, on feelings or attitudes, (…).

(…) In the opposite corner (…) Bauman defines the scientific approach (…) taking advantage of theoretically-derived or empirically-determined quantitative relationships between market factors (…).”[96]

Bereits damals erkannte Slovic die Diskrepanz zwischen den traditionellen Annahmen, wie oben bereits genannt, und den neueren Ansätzen, die verhaltenswissenschaftliche Elemente in die Forschung mit einbezogen haben.

In den nächsten Punkten wird speziell näher auf das Modell des „Homo oeconomicus“ eingegangen und die Theorie informationseffizienter Märkte dargestellt.

2.2.1. Homo oeconomicus

Der Homo oeconomicus ist in der Wirtschaftswissenschaft das theoretische Modell des Nutzenmaximierers. In anderen Disziplinen wird der Homo oeconomicus ebenfalls herangezogen. In der Politikwissenschaft findet das Modell besonders in der Entscheidungstheorie Anwendung. Auch die Arbeitspsychologie macht von dem Modell Gebrauch für ihr Menschenbild.

In den Ausführungen von Goldberg und von Nitzsch wird der Homo oeconomicus als rationaler Nutzenmaximierer bezeichnet. Dieser berechnet Wahrscheinlichkeiten und für jede der gegebenen Alternativen den erwarteten Nutzen. Aus diesen Alternativen wählt er diejenige aus, welche den höchsten Nutzenerwartungswert liefert.[97]

Hinzufügend stellen die Forscher fest, dass zur absoluten Rationalität im Sinne des Modells jedoch noch weitere Faktoren gehören. Die „vollständige und ausgewogene Informiertheit, keine emotional begründeten Bewertungsverzerrungen und Stabilität der Nutzenfunktion“[98] sind als weitere Bedingungen genannt.

Die Informiertheit in ausgewogenem und vollständigem Maße beinhaltet das Interesse an allen für die Entscheidung relevanten Informationen, unverzerrt und ohne Auslassung bestimmter Informationen. Die Aufnahme der Informationen erfolgt dabei mit einer Sorgfalt und Logik vergleichbar mit der eines Computers.[99]

Bei der Bewertung von Entscheidungen als auch bei der Verschaffung und Verarbeitung von Informationen treten beim Homo oeconomicus keinerlei emotionale Bewertungsverzerrungen[100] auf.[101]

Die Stabilität der Nutzenfunktion bildet die letzte Rationalitätsbedingung für den Homo oeconomicus. Das Modell greift in jeder Situation auf die Nutzenfunktion zurück und berechnet für alle Alternativen die Nutzenerwartungswerte. Daraufhin wird die Vermögensänderung relativ zum aktuellen Vermögen betrachtet. Rationalität ist jedoch kein Garant dafür, dass sich immer ein Gewinn ergibt.[102]

Dahrendorf[103] charakterisiert den Homo oeconomicus in seinen Forschungen wie folgt:

„Die Sozialwissenschaft hat uns bisher zwei neue, höchst problematische Menschen beschert, denen wir in der Wirklichkeit unserer Alltagserfahrung kaum je begegnen dürften. Der eine ist der viel umstrittene Homo oeconomicus der neuen Wirtschaftswissenschaft; der Verbraucher, der vor jedem Einkauf Nutzen und Kosten sorgsam abwägt und Hunderte von Preisen vergleicht, bevor er seine Entscheidung trifft; der Unternehmer, der alle Märkte und Börsen im Kopf vereinigt und sämtliche Entschlüsse an diesem Wissen orientiert; der vollständig informierte, durch und durch ‚rationale‘ Mensch.“[104]

Hier wird anschließend die Feststellung erwähnt, dass sehr viele Wirtschaftswissenschaftler, trotz der starken Zweifel an dem Modell, an dem Homo oeconomicus festhalten.[105]

Selten[106] hat mit seinen Forschungen wesentlich zur Lockerung der Annahmen der strengen Rationalität beigetragen. Er stellte fest, dass in der Spieltheorie[107] ebenfalls von rational agierenden Akteuren ausgegangen wird. Allerdings ist beim beobachteten Verhalten eher eine eingeschränkte Rationalität vorhanden statt der beiden extremen Ausprägungen, vollständige Rationalität oder Irrationalität.

Aufgrund dieser Erkenntnisse hat man in die klassische wirtschaftswissenschaftliche Forschung Erkenntnisse aus der Psychologie, Soziologie und weiteren Disziplinen mit einbezogen, um diese weiterzuentwickeln.[108]

In einer leicht spielerischen Grafik wird der Homo oeconomicus wie folgt dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Der Homo oeconomicus der Volkswirtschaftslehre

Quelle: Becker, F., 2012, auf www.wpgs.de, Internetquelle

In der Literatur finden sich einige weitere Ausführungen zum Homo oeconomicus.

Volkswirte gehen in der Annahme, der Mensch sei bestens informiert. In der Realität ist jedoch das Gegenteil der Fall. Menschen übersehen viele Informationen, selbst wenn diese kostenlos verfügbar sind. In den USA beispielsweise zahlen die Bürger insgesamt rund 35 Mrd. US-Dollar an Überziehungsgebühren pro Jahr an ihre Banken, da sie in dieser Hinsicht schlicht unaufmerksam sind. Forscher versuchen mittels Modellversuchen herauszufinden, welche Informationen Menschen wahrnehmen und welche sie ausklammern.[109]

In einem weiteren Beitrag wird vom Homo oeconomicus als „Extrembild des rationalen Menschen“[110] gesprochen. Die Modelle von Selten werden hervorgehoben, die grundsätzlich auf denen des rationalen Entscheiders basieren. Diese modellierten Marktakteure verfügen über alle Informationen und treffen immer die beste Entscheidung. Im Rahmen seiner Spieltheorie entwickelte er diese Modelle dann weiter. In der Zeit der ‚New Economy‘ beispielsweise wurden von den rationalen Menschen in der Modellvorstellung keine Aktien des neuen Marktes gekauft. Ganz im Gegensatz zu den tatsächlichen Anlegern, die sich reihenweise mit diesen Anlagen überworfen hatten.

Überdies werden von den verhaltensorientierten Wirtschaftsforschern Fragen gestellt wie: „Wenn die Menschen nun partout nicht so rational sind, wie die Ökonomie annahm - können sie dann wirklich von freien Märkten profitieren?“[111] Die Ökonomen verändern mit dem Menschenbild auch die Weltsicht ihrer Disziplin.[112]

Die Anfänge begründete damals Adam Smith[113], der den rationalen Entscheider als Grundlage des wirtschaftlichen Denkens betrachtete. So erwartet in seinen Vorstellungen die Ökonomie vom Menschen nicht nur, alle Handlungsalternativen zu überblicken, sondern auch jegliche Folgen inklusive ihrer Wahrscheinlichkeit des Eintretens zu kennen. Im Laufe der Zeit erwarteten die Theoretiker jedoch mehr und mehr ‚Möglichkeiten‘ von ihrem Konstrukt des Homo oeconomicus. Und so heißt es am Ende des Beitrags: „Die Kritik am ökonomischen Menschenbild verschwindet nicht wieder.“[114] So hat das alte Modell des Menschenbilds die ökonomische Theorie auseinandergenommen und von dem neuen Menschenbild sind bisher nur Einzelteile vorhanden.[115]

[...]


[1] Storbeck, O., Heß, D., 2011, Internetquelle

[2] Vgl. ebenda

[3] Ebenda

[4] Conrad Mattern ist Vorstand der Conquest Investment Advisory AG und Lehrbeauftragter

an der Ludwig-Maximilians-Universität München

[5] Mattern, C., 2008, Internetquelle

[6] Vgl. Klooß, K., 2010, Internetquelle

[7] Der Ausdruck „Paradigmenwechsel“ bezeichnet den Wandel grundlegender Rahmenbedingungen für einzelne wissenschaftliche Theorien.

[8] Princeton ist eine amerikanische Elite-Hochschule, die zur sogenannten „Ivy League“ gehört, einer Gruppe von hochklassigen US-Universitäten. Die Hochschule ist die viertälteste Universität der USA und zudem eine der reichsten Universitäten überhaupt.

[9] Kaelble, M., 2009, Internetquelle

[10] Vgl. ebenda

[11] Ebenda

[12] Auch: Evolutorische Ökonomik, evolutionäre Ökonomie und als Kürzel „Evolutorik“.

[13] Herrmann-Pillath, C., 2002, S. 21

[14] Vgl. ebenda

[15] Vgl. ebenda

[16] Ebenda, S. 22

[17] Vgl. ebenda

[18] Herrmann-Pillath, C., 2002, S. 22

[19] Vgl. ebenda, S. 24

[20] Der „archimedische Punkt“ meint hierbei die zentrale Ausgangsgröße.

[21] Ebenda, S. 30

[22] Ebenda

[23] Ebenda

[24] Die Ontologie ist eine Disziplin der theoretischen Philosophie, die sich mit Grundstrukturen der Realität auseinandersetzt.

[25] Vgl. Herrmann-Pillath, C., 2002, S. 32

[26] Herrmann-Pillath, C., 2002, Kurzbeschreibung

[27] Vgl. ebenda

[28] Müller, J., Sauter, U., 2009, S. 2

[29] Ebenda, S. 3

[30] Ebenda, S. 29

[31] Müller, J., Sauter, U., 2009, S. 29

[32] Vgl. Weber, J., Schäffer, U., 2008, S. 20

[33] Müller, W., 1974, S. 683, 686 f. in Weber, J., Schäffer, U., 2008, S. 21

[34] Weber, J., Schäffer, U., 2008, S. 26

[35] Vgl. ebenda

[36] Müller, J., Sauter, U., 2009, S. 92

[37] Kybernetik ist die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen. Durch den hohen Abstraktionsgrad kann diese Wissenschaft die unterschiedlichsten Systeme modellieren.

[38] Fredmund Malik ist ein österreichischer Wirtschaftswissenschaftler, dessen Forschungsschwerpunkt die Managementlehre ist. Er wendet systemtheoretische und kybernetische Ansätze zur Analyse und Gestaltung von Managementsystemen an.

[39] Frederic Vester war ein deutscher Biochemiker und populärwissenschaftlicher Autor, der unter Bezugnahme auf die Kybernetik ein systemisches („vernetztes“) Denken propagierte.

[40] Vgl. Giersch, T., 2010, Internetquelle

[41] Vgl. ebenda

[42] Vgl. Detering, M., 2010, Internetquelle

[43] Vgl. Detering, M., 2010, Internetquelle

[44] Vgl. ebenda

[45] Vgl. Schulz, B., 2011, Internetquelle

[46] Vgl. Schulz, B., 2011, Internetquelle

[47] Barclays ist ein international agierendes Finanzunternehmen aus Großbritannien.

[48] Vgl. Schulz, B., 2011, Internetquelle

[49] Nick Leeson ist ein ehemaliger Derivatehändler, der durch riskante Spekulationen den Zusammenbruch der Barings Bank, der ältesten Investmentbank Großbritanniens, verursachte.

[50] Jérôme Kerviel ist ein ehemaliger Mitarbeiter der französischen Großbank Société Générale, der im Januar 2008 als Händler im Eigenhandel Verluste in Milliardenhöhe verursachte.

[51] Vgl. Schulz, B., 2011, Internetquelle

[52] Harry Max Markowitz ist ein US-amerikanischer Ökonom der Berechnungsmethoden für die Klassifikation von Portfolios (Moderne Portfoliotheorie) entwickelte. Für seine „Theorie der Portfolio-Auswahl“ erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1990.

[53] Vgl. Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 18

[54] Vgl. Dichtl, H., Poddig, T., 2002, S. 756 in Kleeberg, J., Rehkugler, H., 2002, S. 756

[55] Ebenda

[56] Zimmerer, T., 2010, Vorlesungsskript, S. 52

[57] Zimmerer, T., 2008, Vorlesungsunterlage / Präsentation, S. 18

[58] William Forsyth Sharpe ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der bis zu seiner Emeritierung Professor an der Stanford University war.

[59] John Virgil Lintner Jr. war ein US-amerikanischer Professor an der Harvard Business School.

[60] Jan Mossin war ein norwegischer Ökonom und Professor an der Norwegian School of Economics.

[61] Frantzmann, H., 2002, S. 56 in Kleeberg, J., Rehkugler, H., 2002, S. 56

[62] Vgl. Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 65

[63] Vgl. ebenda

[64] Ebenda

[65] Vgl. Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 66

[66] Ebenda, S. 68

[67] Vgl. ebenda

[68] Stephen Alan Ross ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der eine Professur an der Yale University inne hatte, bevor er ans Massachusetts Institute of Technology (MIT) wechselte.

[69] Vgl. Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 72

[70] Makroökonomische Einflussfaktoren: z.B. Inflationsentwicklung, Zinsentwicklung, Konjunkturentwicklung, Ölpreise, Rohstoffpreise, etc.

[71] Vgl. Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 72

[72] Vgl. ebenda, S. 73

[73] Arbitragefreiheit bedeutet, dass es auf einem kompetitiven Markt nicht möglich ist, mit einem Portfolio, das keinen Kapitaleinsatz erfordert (volle Kreditfinanzierung oder Long- und Shortpositionen gleichen sich aus) und das darüber hinaus kein nicht diversifizierbares Risiko beinhaltet, einen Gewinn zu erzielen.

[74] Garz, H., Günther, S., Moriabadi, C., 2002, S. 77

[75] Vgl. ebenda

[76] Ebenda

[77] Ebenda

[78] Ebenda, S. 78

[79] Vgl. ebenda

[80] Daniel Bernoulli war ein Schweizer Mathematiker und Physiker aus der Gelehrtenfamilie Bernoulli.

[81] Vgl. Kiehling, H., 2001, S. 1

[82] Unser, M., 1999, S. 15

[83] Vgl. Kiehling, H., 2001, S. 2

[84] Ebenda

[85] Ebenda

[86] Kiehling, H., 2001, S. 2 f.

[87] Ebenda, S. 3

[88] Vgl. ebenda

[89] Thomas Bayes war ein englischer Mathematiker. Das Bayes-Theorem ist ein Ergebnis der Wahrscheinlichkeitstheorie, das die Berechnung bedingter Wahrscheinlichkeiten beschreibt.

[90] Shefrin, H., 2001, Introduction, S. xiii

[91] Ebenda

[92] Vgl. Wahren, H., 2009, S. 185

[93] Schaub, H., 2006, in Wahren, H., 2009, S. 186

[94] Vgl. Wahren, H., 2009, S. 186

[95] Vgl. ebenda, S. 187

[96] Slovic, P., 1972, S. 780 in Shefrin, H., 2001, S. 4

[97] Vgl. Goldberg, J., von Nitzsch, R., 2004, S. 43

[98] Ebenda

[99] Vgl. ebenda

[100] z.B. Freude, Gier, Angst, Panik, Kontrollwunsch, Selbstbestätigung

[101] Vgl. Goldberg, J., von Nitzsch, R., 2004, S. 44

[102] Vgl. Goldberg, J., von Nitzsch, R., 2004, S. 44

[103] Ralf Gustav Dahrendorf, Baron Dahrendorf of Clare Market in the City of Westminster war ein deutsch-britischer Soziologe, Politiker und Publizist. Er war unter anderem Mitglied des Deutschen Bundestags und Direktor der London School of Economics and Political Science (LSE).

[104] Dahrendorf, R., 1969, S. 15 in Wahren, H., 2009, S. 64

[105] Vgl. Wahren, H., 2009, S. 64 f.

[106] Reinhard Selten ist ein deutscher Volkswirt und Mathematiker. Er erhielt im Jahr 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Erkenntnisse in der Spieltheorie.

[107] In der Spieltheorie werden Entscheidungssituationen modelliert, in denen sich mehrere Beteiligte gegenseitig beeinflussen. Die Spieltheorie versucht dabei unter anderem das rationale Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen abzuleiten.

[108] Vgl. Wahren, H., 2009, S. 65

[109] Vgl. Tönnesmann, J., 2011, Internetquelle

[110] Heuser, U., 2002, Internetquelle

[111] Ebenda

[112] Vgl. ebenda

[113] Adam Smith war ein schottischer Moralphilosoph und Aufklärer. Er gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie.

[114] Heuser, U., 2002, Internetquelle

[115] Vgl. ebenda

Ende der Leseprobe aus 131 Seiten

Details

Titel
Behavioral Finance: Sinnvolle Ergänzung der kapitalmarkttheoretischen Forschung?
Hochschule
Hochschule Ansbach - Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Ansbach
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
131
Katalognummer
V213583
ISBN (eBook)
9783656418009
ISBN (Buch)
9783656419754
Dateigröße
2712 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Behavioral Finance, Kapitalmarkttheorie, Forschung
Arbeit zitieren
Stefan Raul (Autor:in), 2012, Behavioral Finance: Sinnvolle Ergänzung der kapitalmarkttheoretischen Forschung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213583

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