Das Verhältnis zwischen der Gestalt Mose und Jesus im Johannesevangelium


Seminararbeit, 2013

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Intertextuelle Einordnung des Mose-Erwähnungen

3.1. Mose im Johannesprolog (1,17)
3.2. Mose in der Berufungserzählung (1,45)
3.3. Mose im Nikodemusgespräch (3,14)
3.4. Mose in der ersten Verteidigungsrede Jesu (5,45f.)
3.5. Mose in der Brotrede (6,32)
3.6. Mose im Streitgespräch während des Laubhüttenfestes (7,19.22f)
3.7. Mose im Gespräch über den Blindgeborenen (9,28)

4. Systematik der Mose-Erwähnungen

5. Fazit

6 Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die folgende Arbeit befasst sich mit der Gestalt des Mose im Johannesevangelium. Der Umstand, dass das Johannesevangelium Mose insgesamt sieben Mal namentlich nennt, macht die Rezeption des Moses durch dessen Autor zu einem beachtenswerten Objekt. Zunächst soll die literarische Situierung der Mose-Erwähnungen im Gesamtzusammenhang des Johannesevangeliums betrachtet werden. Danach analysiert die Arbeit schwerpunktmässig jede der sieben namentlichen Erwähnungen zunächst einzeln und versucht zu verstehen, wie der Evangelist Johannes Mose darstellt. Dabei werden der inhaltliche und literarische Kontext beleuchtet und hinsichtlich der Frage nach Gestalt des Mose und dem Verhältnis zur Person Jesu ausgewertet. Anschließend sollen die daraus resultierenden Ergebnisse auf eine mögliche Systematik untersucht werden, die Auskunft über das Verhältnis zwischen Moses und Jesus in der Intention des Autors des Evangeliums geben soll. Abschließend soll verbunden mit dem Fazit der Frage nachgegangen werden, ob anhand des selektiven Verhältnisses zwischen Mose und Jesus von einer Kontinuität oder einer Diskontinuität der beiden Testamente ausgegangen werden kann. In Anbetracht dessen, dass die frühneuzeitlichen protestantischen Schriften gerne die Formulierung „das Gesetz Mosij“ in abwertender Polemik zwecks christozentrischer Absichten verwendeten, bekommt der gewählte Schwerpunkt eine Bedeutung, die nicht nur von Interesse für die antike johanneischen Gemeinde war. Als Textgrundlage dient die Übersetzung der Elberfelder Bibel, wo es von semantischer Bedeutung ist, wird der griechische Urtext herangezogen.

2. Literarische Einordnung des Mose-Erwähnungen

Mose wird namentlich von Johannes an folgenden sieben Stellen genannt: 1,17; 1,45 3,14 5,45; 6,32; 7,19.22; 9,28. Hierbei fällt auf, dass die Nennungen nicht über das gesamte Evangelium verteilt sind, sondern sich in den ersten neun von einundzwanzig Kapiteln konzentrieren. Es gilt den inhaltlichen Aufbau des Evangeliums zu betrachten, um möglicherweise aus der alleinigen Situierung bereits theologische Konsequenzen ziehen zu können. Schreiber teilt das Evangelium unter Ausklammerung des Prologs und der Epiloge allgemein konsensual in zwei Teile, nämlich in die „Offenbarung Jesu in der Öffentlichkeit“ (1,19-12,50) und die „Offenbarung Jesu vor den Seinen“ (13,1-20,29).1 Mose wird dabei auch im Kontext des ständigen geographischen Ortswechsels zwischen Jerusalem und Galiläa genannt, schließlich zieht Jesus in dem Abschnitt allein drei Mal nach Jerusalem (2,3; 5,1; 7,10). Folgt man Schreibers weiterer Feingliederung, so erkennt man, dass mit Ausnahme derersten beiden Erwähnungen im ersten Kapitel des Johannesevangeliums, alle Erwähnungen in dem Abschnitt stattfinden, in dem sich Jesus durch Wundertaten und Worte offenbart und in welchem sich der Konflikt mit den Juden zuspitzt.2 In Anbetracht dessen, dass der Evangelist den Namen Mose, als die große Identifikationsgestalt des Judentums nie im geschlossenen Jüngerkreis Jesu - „den Seinen“ - erwähnt, sondern lediglich im Kontext des Diskurses Jesu mit dem jüdischen Umfeld, lässt vermuten, dass Johannes Mose keine eigenständige Bedeutung zukommen lässt, sondern ihn instrumentalisiert. Für das direkte Umfeld Jesu scheint Mose zumindest nicht die hermeneutische Relevanz zu haben. Die folgende Betrachtung der Einzelstellen steht somit unter dem Vorzeichen, dass der Gestalt Mose weniger eine Eigenständigkeit, als vielmehr eine Zweckmäßigkeit zukommt, die der Offenbarung Jesu vor dem jüdischen Umfeld dient.

3.1. Mose im Johannesprolog (1,17)

Der besagte „Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ steht im Kontext des Prologs, in welchem Jesus von Johannes, als die Inkarnation des präexistenten Logos ausweist. Jesus und Mose werden an dieser Stelle in ein unübersehbar antithetisches Verhältnis gestellt. Die Intention dieser antithetischen Formulierung des Verfassers dürfe aber kaum der Entwurf einer Typologie Mose-Jesus sein, denn nicht die Abgrenzung steht im Zentrum des Verses, sondern die Gnade. Bereits in 1,14 und 1,16 spricht Johannes von der Gnade Gottes, die sich im fleischgewordenen „λόγος“ offenbart. Johannes versucht also gar nicht Mose und Jesus in ein Verhältnis setzen, sondern vielmehr das, was durch sie geschieht: Durch Mose wurde zwar das Gesetz gegeben, aber mit dem fleischgewordenen „λόγος“, der Jesus ist, ist aber Gnade und Wahrheit „geworden“.3 In der Darstellung von Mose als („nur“) Vermittler und Jesus, bei dem Gnade und Sein eine ontologische Synthese eingehen, überbietet die Offenbarung Jesu quasi die Offenbarung des Mose, ohne den zweiten abzuwerten. Zurecht wird erwähnt, dass die Stelle, an der Jesus zum ersten Mal erwähnt wird, nicht isoliert, sondern in Verbindung mit Mose steht.4 Weiter betont Hasitschka, dass der messianische Anspruch Jesu ohne Mose gar nicht verstehbar wäre.5 Folgt man der Annahme Hasitschkas, dass der Johannesprolog mit der Gestalt Mose die Tradition von Ex 33 aufgreift, wonach Jesu und Mose „eine singuläre Gotteserfahrung und andererseits die Aufgabe, Gottes Weisung und Wort zu vermitteln“6 gemeinsam verbinde, erscheint die äußerliche Antithetik plötzlich viel mehr als Parallelisierung der beiden Figuren. Doch selbst unabhängig einer solchen Spekulation, kann von keinem absoluten Gegensatz die Rede sein, da schließlich auch Mose „(im Auftrag Gottes!)“7 das Gesetz übermittelte, sodass Johannes bei der Absicht einen absoluten Gegensatz zu zeichnen, das Heilshandeln des Gottes Israels in der Geschichte letztlich leugnen würde. Um von so etwas wiederum auszugehen, müsste man Johannes einen strengen, prämarkionistischen Antijudaismus vorwerfen, der letztlich aber so nicht nachweisbar und nachvollziehbar ist. Offensichtlich ist der Charakter des Johannesevangeliums auch maßgeblich vom Profilierungs- und Behauptungsversuch gegenüber der Infragestellung durch das jüdische Umfeld der Gemeinde geprägt.8 Die Emanzipation gegenüber dem jüdischem Kult (4,21-24), das sich-Absetzen von jüdischen Reinigungsbräuchen (2,13; 3,25) und jüdischer Feste (5,1; 6,4; 7,2), sowie auch die antijüdischen Polemiken (8,44), sind selbstverständlich Ausdruck einer gefühlten Superiorität in der Deutungsfrage auf dem „monotheistischen Markt“. Die Deutung der Person Jesu aber, gerade auch über die traditionellen alttestamentlichen Gestalten, ist das Gegenteil einer Ablehnung der jüdischen Traditionsgeschichte. Sie könnte wohl aber als Ablehnung des zeitgenössischen Judentums gewertet werden, welches den Messias nicht erkannt hat. Der Aussage von Wikenhauser/Schmid, dass im 1,17 über das Gesetz gesagt sei, „daß es einer vergangenen Ordnung angehört hat und daß an seine Stelle Jesus Gnade und Wahrheit gebracht worden sind“9, lässt sich in kleinster Weise am Text belegen.

3.2. Mose in der Berufungserzählung (1,45)

Der Abschnitt, der von der Berufung der Jünger erzählt, endet mit einer Dialogszene zwischen Jesus, Philippus und Nathanael10 (1,45-51). Diese Szene wird dadurch eröffnet, in dem Philippus den Nathanael „findet“ und zu ihm spricht: „Wir haben den gefunden, von dem Mose in dem Gesetz geschrieben und die Propheten11, Jesus, den Sohn des Josef, von Nazareth.“ Im Gegensatz zu Andreas, der kurz davor in 1,41 Jesus direkt als den Messias vorstellt, umschreibt Philippus die Identität Jesu unter Berufung auf die Schrift. Literarisch fällt in dieser Erzählung, an der nur Philippus, Jesus und Nathanael beteiligt sind, eine Disharmonie auf, nämlich die Verwendung des „wir“. Da weder andere Personen beim Auffinden des Nathanael durch Philippus anwesend sind und Philippus kaum von sich im Plural geredet haben mag, weist Michaels darauf hin, dass der Autor des Evangeliums mit diesem literarischen Stilmittel eine Kontinuität zum Messiasbekenntnis des Andreas herstellen möchte, indem es kurz zuvor „Wir haben den Messias gefunden“ heißt.12 Diese stilistisch hergestellte Kontinuität stütz den Gedanken, dass es sein könnte, dass „hier Erwartungen „des Propheten“ und des königlichen Messias zusammengebracht werden.“13 Gerade auch unter Berücksichtigung der juden-christlichen Prägung der johanneischen Gemeinde, erscheint die Aussage, dass in Jesus die „unterschiedlichen Hoffnungsvorstellungen der Schrift zusammen und kommen und sich in ihm konzentrieren“14 höchst plausibel. Verfolgt man diesen Aspekt konsequent weiter, so resultiert daraus, dass der Verfasser des Evangeliums von einem pluralistischen hermeneutischen Zugang zur Person Jesu ausgeht. Die jüdischen Vorstellungen und Traditionen werden also in zentralen Glaubensfragen gerade nicht verworfen oder marginalisiert, sondern sind vielmehr die Bedingung der Möglichkeit, um den messianischen Charakter Jesu verstehen zu können. Die theologische Intention dieser Stelle könnte, wie von Wengst ausgedrückt folgendermaßen zusammengefasst werden: „Wer daher auf ihn [Jesus] seine Hoffnung setzt, hofft auf den in der Schrift sein Verheißungswort sprechenden Gott.“15 Zurecht wird darauf hingewiesen, dass eine solche Aussageintention nicht dafür geeignet sei einen Beweis für die Messianität Jesu zu erbringen,16 allerdings ist das auch gar nicht nötig, wenn man davon ausgeht, dass der Evangelist an der Stelle weniger um die korrekte Geschichtsschreibung, als um die Existenz seiner Gemeinde bemüht war. Die Aussageabsicht wäre demzufolge nämlich keine missionarische, sondern vielmehr darauf ausgerichtet der zweifelnden Gemeinde Bestätigung in ihrem Glauben zu geben.

3.3. Mose im Nikodemusgespräch (3,14)

Jesus diskutiert mit Nikodemus, der als Lehrer Israels bezeichnet wird (3,10) und dennoch Jesu Worte nicht verstehen kann. Daraufhin offenbart sich ihm Jesus in einem längeren Monolog (3,11-21), während welchem er selbst in 3,14-15 Mose nennt: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte17, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, // damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben habe.“ Johannes benutzt für das Erhöhen beide Male das Verb „ὑψόω“. Die philologische Literatur geht mit Selbstverständlichkeit davon aus, dies sei eine zwingende Anspielung auf die Kreuzigung und Erhöhung.18 Michaels jedoch schreibt, dass nichts in diesem Verb den Kreuzestod annimmt, wohl aber die Erhöhung Jesu in den Himmel.19 Hierbei bleibt die zunächst ungewöhnliche und groteske Analogie zwischen der Erhöhung einer Schlange und des Sohnes der Menschen. Die Annahme scheint wahrscheinlich, dass dieser verwirrende Vergleich ein typisches johanneisches Rätsel ist, dass sich mit der Tempelzerstörung in 2,19-22 vergleichen lässt.20 Dort nämlich formuliert Jesus einen Vergleich, der zunächst von der Menge gar nicht verstanden werden kann, den er danach erst auflöst. Ähnlich verhält es sich auch im Vers 3,14, der immanent betrachtet nicht ausreichend geklärt werden kann, da erst 12,32-33 den entscheidenden Erkenntnishorizont dafür liefert, wo es heißt: „Und ich, wenn ich von der Erde erhöht21 bin, werde alle zu mir ziehen. Dies aber sagte er, um anzudeuten, welches Todes er sterben sollte.“

[...]


1 Schreiber, Stefan: Begleiter durch das Neue Testament. S. 121

2 Vgl. ebd.

3 Im typisch johanneischen Duktus verwendet Johannes dafür den Begriff „ἐγένετο“, abgeleitet von „γίνομαι“. Die deutsche Übersetzung „werden“ greift eigentlich für das griechische Verständnis des Wortes zu kurz, vielmehr müsste es in dem Kontext verstanden werden als „existent werden“.

4 Hasitschka, Martin: Die Führer Israels: Mose, Josua und die Richter. In: Öhler, Markus: Alttestamentliche Gestalten im Neuen Testament. Beiträge zur Biblischen Theologie. S.123

5 Vgl. ebd.

6 Ebd.

7 Schnackenburg, Rudolf: Das Johannesevangelium. Erster Teil. In: Wikenhauser/Vögtle (Hrsg.): Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Band IV. S. 252

8 Schreiber spricht von der johanneischen Gemeinde, als einer Gemeinde in Bedrängnis, die unter Zweifel und Fluktuation leidet. Der Autor des Evangeliums projiziert demnach die aktuelle Auseinandersetzung der judenchristlichen Gemeinde mit der jüdischen Mehrheit ihrer Umgebung in das Leben Jesu hinein. Vgl. Schreiber, Stefan: Begleiter durch das Neue Testament. S. 117

9 Wikenhauser, Alfred/Schmid, Josef: Einleitung in das Neue Testament6. S. 333

10 Die Bedeutung und Identität des Nathanael bleibt offen, er wird im gesamten Johannesevangelium nur zwei Mal erwähnt, davon einmal in diesem Kontext, in welchem er nicht näher charakterisiert wird und in Joh 21,2, wobei dort nur erwähnt wird, dass dieser aus Kana stammt. Aus diesem Grund lässt sich über die Beteiligung Nathanaels nur wenig auf die Intention des Autors schließen.

11 „Mose“ und „die Propheten“ bezeichnen zusammenfassend „die Schrift“, sprich die hebräische Bibel. Vgl. Wengst, Klaus: Das Johannesevangelium,. 1. Teilband: Kapitel 1-10. S. 92

12 Vgl. Michaels, J. Ramsey: The gospel of John. S. 127

13 Wengst, Klaus: Das Johannesevangelium,. 1. Teilband: Kapitel 1-10. S. 92

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Vgl. ebd.

17 Dabei handelt es sich um die Rezeption von Num 21,8-9: „Und der HERR sprach zu Mose: „Mache dir eine Schlange und tu sie auf eine Stange! Und es wird geschehen, jeder, der gebissen ist und sie ansieht, der wird am Leben bleiben. Und Mose machte eine Schlange von Bronze und tat sie auf die Stange; und es geschah, wenn eine Schlange jemanden gebissen hatte und er schaute auf zu der ehernen Schlange, so blieb er am Leben.“

18 Bauer: Wörterbuch zum Neuen Testament6. Sp. 1695

19 Vgl. Michaels, J. Ramsey: The gospel of John. S. 197: “Nothing in the verb [hypsothenai] suggests death by crucifixion. On the contrary, all the New Testament uses of this verb (hypsothenai) outside of John’s Gospel imply prosperity and gain, and in Jesus’ case exaltation in heaven (…).

20 Vgl. Michaels, J. Ramsey: The gospel of John. S. 198

21 Im griechischen „ὑψωθῶ“, damit ist davon auszugehen, dass Johannes in V3,14 dem gleichen Verb auch dieselbe Bedeutung zukommen lässt.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis zwischen der Gestalt Mose und Jesus im Johannesevangelium
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Seminar für Neues Testament)
Veranstaltung
Seminar Alttestamentliche Gestalten im Neuen Testament
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
18
Katalognummer
V213834
ISBN (eBook)
9783656423775
ISBN (Buch)
9783656424284
Dateigröße
602 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Johannesevangelium, Moses, Jesus, Bibel, Neues Testament, Christus, Exegese, Altes Testament
Arbeit zitieren
Dorian Winter (Autor:in), 2013, Das Verhältnis zwischen der Gestalt Mose und Jesus im Johannesevangelium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213834

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