Das Motiv der Mehrsprachigkeit in Melinda Nadj Abonjis Roman "Tauben fliegen auf"


Seminararbeit, 2012

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Bedeutung und Stellenwert von Mehrsprachigkeit in der Literatur – ein kurzer Überblick

II. Einleitung

III. Metalinguismus in Tauben fliegen auf

IV. Sprache als Barriere

V. Hierarchisierung einzelner Sprachen

VI. Ungarisch als Sprache der Emotionen

VII. Mehrsprachigkeit der Liebe

VIII. Resümee

IX. Quellennachweis

Bedeutung und Stellenwert von Mehrsprachigkeit in der Literatur – ein kurzer Überblick

In der Antike war die Verwendung anderer Sprachen als des Griechischen erstens nur aus griechischen Dialekten und zweitens nur äußerst spärlicher Weise zugelassen. Unter den Römern hingegen war außer dem Lateinischen nur die Verwendung der Kultursprache Griechisch denkbar.[1]

Die Hierarchisierung einzelner Sprachen und speziell die Minderwertigkeitserklärung bestimmter Sprachen, wie sie auch in Melinda Nadj Abonjis Roman, um den es in dieser Arbeit gehen soll, thematisiert wird, hat also schon zweitausend Jahre vorher ihren Anfang genommen.

Allgemein lässt sich sagen, dass „Sprachreinheit stets Ausdruck eines imperialen Machtanspruchs gewesen (ist), vom Imperium Romanum bis zu den europäischen Nationalstaaten und ihren Kolonialreichen.“[2]

Durch diese lange Tradition der Ablehnung von Mischsprachigkeit in der hohen Literatur war diese humoristischen oder satirischen Werken vorbehalten.

Die verwendete Sprache war also gattungsabhängig, was ein friedliches Nebeneinander von Latein und den Volkssprachen Europas im 15. und 16. Jhd ermöglichte.[3]

Das verhielt sich so bis ins 18. Jhd., wo die einzelnen Sprachen einfach als für die jeweilige Textsorte geeignetes Medium verwendet wurden; Latein etwa hatte sich als Sprache der Theologie etabliert, allerdings wäre ein sprachliches „Reinheitsgebot“ im Sinne der Literatur der griechischen Antike nicht konform gegangen mit den Missionierungsbestrebungen des Christentums, weswegen in den Volkssprachen gepredigt werden musste, auch in indogenen Sprachen wie Náhuatl.[4]

Im 17. Jhd. wurde Latein durch Französisch als Sprache der einflussreichsten Nation abgelöst, woraufhin insbesondere der russische und preußische Adel ihr schwächeres Sozialprestige durch Adoption des Französischen aufzubessern versuchten.[5]

Im 19. Jhd. haben die Volkssprachen durch Aufwertung des Nationalen in der Romantik eine Renaissance in der Literatur erlebt, was aber keinesfalls einer generellen Norm entspricht sondern eine relativ kurze Episode in der Geschichte der Literatur darstellt.[6]

In der Gegenwart sind die Gründe, in mehreren Sprachen zu schreiben oder aber fremdsprachige Elemente in einem Text zu verwenden, ungleich vielfältiger als in der Vergangenheit:

Im Vorwort zu seinem Werk Dialekte und Fremdsprachen in der Literatur unterteilt Paul Goetsch in „außerliterarische“ und „innerliterarische“ Gründe für den Sprachenwechsel innerhalb eines Textes: als außerliterarische Gründe definiert er die sprachliche Situtation, die der Autor vorfindet, das Publikum, dass er erreichen möchte und die kulturelle Geltung der Sprachen und Dialekte, die sich dem Autor anbieten.

Unter innerliterarischen Gründen versteht Goetsch: Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten des Autors, Erstreben einer höheren Realitätsnähe, Aufwertung von Dialekten oder Fremdsprachen, aber auch das Provozieren von komischen Momenten durch gezielte Typisierung des Dialektsprechers oder Ausländers.[7]

Elke Sturm-Trigakonis unterteilt quantitativ in Einwort-Interferenzen, Mehrwort-Interferenzen, Längere Passagen, und weiterführend in Grammatische Inerferenzen (wie Analogiebildungen, Neologismen), Metalingualismus, also das Sprechen über Sprachen im weitesten Sinn, und Transtextualität.[8]

Nicht nur die Gründe für einen Sprachwechsel innerhalb eines Buches, auch die Gründe, insgesamt in anderen Sprachen als der Muttersprache zu schreiben, sind einer Beobachtung wert:

Einerseits natürlich der Kolingualismus in Elsass oder Schweiz, andererseits aber auch Migrationsprozesse, die Kolonialisierung in der Vergangenheit, die Globalisierung haben zwangsläufig auch zu mehrsprachiger Literatur geführt.

Einleitung

In Tauben fliegen auf ist die Mehrsprachigkeit allgegenwärtig, einerseits die der Autorin, aber auch als Hintergrundatmosphäre der Handlung – viele Gespräche finden auf Ungarisch statt, Teile der Handlung spielen in Ungarn, die Sprache ist durchbrochen von ungarischen Einsprengseln, aber auch von schweizerischen oder englischen Ausdrücken.

Dabei hält Melinda Nadj Abonjis ihre eigentliche Erzählsprache, makelloses Standard-Deutsch, völlig frei von Einfärbungen welcher Art auch immer.

Jede Form von Abweichung vom Hochdeutschen wird gekennzeichnet durch Kursivschrift;

Eine weitere Form der Kennzeichnung ist der explizite Hinweis darauf, dass es sich in der folgenden Passage um ein Gespräch in ungarisch handelt, oder das Räsonieren über Sprachen und speziell über die Eigenschaften des Ungarischen und des Deutschen, was öfter angesprochen wird.

Elke Sturm-Trigakonis hat 3 Indikatoren für den Wechsel in eine andere Sprache identifiziert: 1. Alltag, Essen, Kleidung, Umgebung; 2. Soziales Leben, zwischenmenschliche Beziehungen; 3. Religiösität, Geschichten.[9]

Die in dem von Sturm-Trigakonis untersuchten Textmaterial am häufigsten auftretenden Interfenenzen sind Einwort-Interferenzen, die wiederum, den Studien Ernst Rudins folgend, hauptsächlich aus Substantiven bestehen.[10]

In einer Reihe anderer Bücher in denen Mehrsprachigkeit thematisiert wird, zum Beispiel in Marjane Satrapis Persepolis, aber auch etwa in Josef Winklers Die Verschleppung, bestehen die fremdsprachigen Einsprengsel meiner Einschätzung nach in der Tat aus einer ausgewogenen Mischung aus den 3 genannten Themengebieten.

Bei Tauben fliegen auf hingegen ist zumindest der Bereich „Alltag und Essen“, aber auch „Religion“ eigentlich in dieser Hinsicht kaum relevant, wie diese Arbeit ergeben wird; ich werde also vor allem die Interferenzen in dem Bereich „soziales Lebens und zwischenmenschliche Beziehungen“ untersuchen, den ich näher untergliedert habe, nämlich in die Funktion von Sprache als Barriere, die Sprache der Emotionen und die Mehrsprachigkeit in der Liebe.

Auch der Vergleich verschiedener Sprachen, das Deutsche und das Ungarische, und der Aspekt der Hierarchisierung einzelner Sprachen, der im Buch oft thematisiert wird, sowie die metalinguistischen Elemente des Buchs sollen in dieser Arbeit behandelt werden

[...]


[1] Vgl. Sturm-Trigonakis, Elke: „Global playing in der Literatur. Ein Versuch über die neue Weltliteratur“ Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S 112

[2] Ebenda, S 112

[3] Ebenda, S 113

[4] Vgl Knauth, Alfons: „Weltliteratur: Von der Mehrsprachigkeit zur Mischsprachigkeit“ in: Monika Schmitz-Emans (Hg) Literatur und Mehrsprachigkeit, Heidelberg 2004, S 271

[5] Vgl. Sturm-Trigonakis, Elke. „Global playing in der Literatur“, S 115

[6] Vgl. Sturm-Trigonakis, Elke. Global playing in der Literatur, S 115

[7] Vgl. Paul Goetsch, Dialekte und Fremdsprachen in der Literatur, Tübingen: Gunther Narr Verlag, 1987, S 7

[8] Sturm-Trigonakis, Elke. Global playing in der Literatur, S 124 - 144

[9] Sturm-Trigonakis, Elke. Global playing in der Literatur, S 124 - 126

[10] Ebenda, S 124

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Motiv der Mehrsprachigkeit in Melinda Nadj Abonjis Roman "Tauben fliegen auf"
Hochschule
Universität Wien  (Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Zauber der Zungen
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V213937
ISBN (eBook)
9783656423737
ISBN (Buch)
9783656424307
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
motiv, mehrsprachigkeit, melinda, nadj, abonjis, roman, tauben
Arbeit zitieren
Katharina Bene (Autor:in), 2012, Das Motiv der Mehrsprachigkeit in Melinda Nadj Abonjis Roman "Tauben fliegen auf", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213937

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