Der Folterdiskurs der USA im "War on Terror"

Die öffentliche Debatte und der Vergleich des Status der "Unlawful Enemy Combatants" mit der universellen Menschenwürde


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.) Die USA, die Folter und der War on Terror

2.) Rechtliche Grundlagen des Folterverbots

3.) Die Folterungen durch die USA im War on Terror

4.) Der Folterdiskurs der USA im War on Terror
4.1) Argumente der Befürworter der Relativierung des Folterverbots
4.2) Argumente der Gegner der Relativierung des Folterverbots

5.) Der Status des Unlawful Enemy Combatant und die Menschenwürde im Vergleich
5.1) Der Status des Unlawful Enemy Combatant
5.1.1) Die Beziehung zum Völkerrecht
5.1.2) Die Beziehung zur Ethik
5.1.3) Die Beziehung zur politischen Praxis
5.2) Die Menschenwürde als Argument gegen die Folterverbotsrelativierung
5.2.1) Die Beziehung zur Ethik
5.2.2) Die Beziehung zum Völkerrecht
5.2.3) Die Beziehung zur politischen Praxis
5.3) Vergleich der beiden Positionen

6.) Fazit und Ausblick: Folterverbotsrelativierungen sind kategorisch abzulehnen, werden aber de facto betrieben

7.) Literaturverzeichnis

1.) Die USA, die Folter und der War on Terror

Aufbauend auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948, wurde die Folter vielfach in Konventionen geächtet und ein absolutes Folterverbot eingeführt. Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch des absoluten Verbots und der Wirklichkeit, dass in über der Hälfte der Staaten Folter praktiziert wird, ist aber nicht neu. Für besondere Empörung sorgten jedoch die Folterungen von mutmaßlichen Terroristen durch die USA, die mit Fotos aus dem Folterlager in Abu Ghraib 2004 publik wurden. (Bielefeldt 2004: 947). Dabei gelten die USA als rechtsstaatliche Demokratie, die von sich behauptet, dass Folter eigentlich inkompatibel mit der US-Verfassung sei, bis am 11.9.2001 das World Trade Center von islamischen Terroristen zum Einsturz gebracht wurde (Luban 2007: 249).

Mit der Veröffentlichung entstanden große öffentliche Debatten in den USA und in Europa, ob es im „Ausnahmefall“War on Terror legitim sei, zu foltern (Todorov 2011: 153). Ein zentrales Thema solcher gegenwärtigen Menschenrechtsdiskurse ist also „die Spannung zwischen menschenrechtlicher Freiheit und den etwaigen Erfordernissen der [internationalen] Terrorismusbekämpfung“ (Bielefeldt 2011: 129 f.). Fraglich ist damit, ob die USA durch diese Folterungen sich vom Normstaat zum Maßnahmestaat entwickelt haben (Brunkhorst 2006: 88). Dabei ließ die Bush-Administration diese Folterungen laut eigenen Angaben aus Notwendigkeit betreiben, um – im Zuge der globalen Terrorismusbekämpfung – westliche Werte zu sichern, gegen böse und verhasste Terroristen. Gegner dieser Maßnahmen berufen sich häufig auf die Absolutheit des Folterverbots sowie der Unveräußerlichkeit, Unteilbarkeit und Universalität der Menschenwürde (Windeln 2010: 53-56).

Thema der vorliegenden Arbeit soll daher der Folterdiskurs der USA sein, sprich, welche Argumente öffentlich angebracht werden, um entweder die Relativierung der Folter im „Sonderfall“War on Terror zu legitimieren oder abzulehnen. Dazu ist die Arbeit folgender Maßen untergliedert: Zunächst werden die völker- und menschenrechtlichen Grundlagen zum Folterverbot und wie diese Folter definieren genannt. Daran anschließend werden im Überblick die Foltermaßnahmen der USA gegen mutmaßliche Terroristen beleuchtet, um festzustellen, ob es sich überhaupt um Folter handelt und wenn ja, in welchem Ausmaß. Im darauf folgenden Hauptteil werden erst die verschiedenen Argumente, die für oder gegen eine Relativierung der Folter angebracht werden, erläutert, analysiert und ihren Argumentationsebenen und -ansätzen entsprechend geordnet. Darauf aufbauend werden im Detail die Darlegungen, dass es sich bei islamistischen, international agierenden Terroristen, wie Mitglieder der Al Qaida, die die Anschläge auf das World Trade Center verübten, um Unlawful Enemy Combatants handelt, für die keine Menschenrechte mehr gelten würden, als Relativierungsargument und die kategorische Ablehnung der Folter mit Verweis auf die Menschenwürde verglichen, anhand der Faktoren Völkerrecht, Ethik und politische Praxis. Gewählt wurden diese beiden Argumente, weil es sich bei ihnen, um die kategorischsten respektive weitreichendsten handelt und sie sich diametral entgegenstehen. Ein Fazit rundet das Ganze ab.

2.) Rechtliche Grundlagen des Folterverbots

Im Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 (UN-Folterkonvention) wird Folter im 1. Art., Abs. 1 definiert, als

„jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächliche oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“ (United Nations Organisation (UNO) 2010 d: 254 f.)

Problematisch ist dabei die vage Abgrenzung zu den gesetzlich zulässigen Sanktionen (Raess 1989: 129), was vor allem die Bush-Administration zur Legitimation nutzte. Per definitionem muss die Folter in dieser Abgrenzung aber einen extrem unmenschlichen und erniedrigenden Grad der Schmerzzufügung haben, vorsätzlich geschehen, eine bestimmte Absicht haben (wie Geständnisse zu erzwingen, zu strafen, einzuschüchtern, zu diskriminieren und die (Selbst-) Achtung des Feindes zu vernichten), die durch Zwang realisiert wird und vom Staat verantwortet sein (Lamprecht 2009: 76-81; Beestermöller 2006: 120). Beispiele für Folter sind, laut dem Ausschuss für Menschenrechte: Systematische Schläge, Elektroschocks an empfindlichen Körperstellen, wiederholtes Untertauchen in Exkremente und Blut, Scheinhinrichtungen etc. (Sonderegger 2012: 72 f). Daraus ergibt sich eine extreme Asymmetrie zwischen Folterer und Opfer; denn durch die Folter wird das Opfer zum ohnmächtigen Subjekt, dessen Willensfreiheit, bei Erhaltung des Bewusstseins, genommen wird, womit in dieser Verdinglichung unmittelbar und komplett seine Menschenwürde negiert wird (Bielefeldt 2007: 13 f.).

So ist das Folterverbot völkerrechtlich besonders geschützt. Auf UN-Ebene werden schon in der AEMR, Art. 5, Folter oder grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafen geächtet (UNO 2010 a: 6). Im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) von 1966, Art. 7, wird diese Formulierung übernommen und ergänzt durch den Passus, dass niemand unfreiwillig medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden darf (UNO 2010 b: 60). Während andere Menschenrechte in völkerrechtlichen Konventionen durch Vorbehalte und Schranken in ihrer Universalität faktisch beschränkt werden (Krennerich 2009: 54-56), ist das Folterverbot notstands- und derogationsfest. Denn nach Art. 4, Abs. 2 Zivilpakt (UNO 2010 b: 59), darf Art. 7 nicht in einem öffentlichen Notstand etc. eingeschränkt werden und gilt damit absolut und bedingungslos. Eine Relativierung des Verbots ist völkerrechtlich also eigentlich nicht zu rechtfertigen. Durchgesetzt wird das Verbot mit Staatenberichtsverfahren, nach Art. 40, fakultativen Staatenbeschwerden, nach Art. 41 (Ebd.: 68 f.) und Individualbeschwerden, nach dem Fakultativprotokoll, Art. 1 (Dies. 2010 c: 74). Diese Mechanismen sind aber rechtlich unverbindlich, wobei das Folterverbot mittlerweile als Völkergewohnheitsrecht und ius cogens gilt. Rechtlich verbindlich trat das Folterverbot in bewaffneten Konflikten aber schon 1950 in Kraft, mit den Genfer Rotkreuzabkommen. (Sonderegger 2012: 74 f./ 90-96; Bruha/Steiger 2006: 10-13). So sind nach der dritten und vierten Genfer Konvention, je Art. 3, Abs. 1, Folter verboten für sich ergebende Streitkräfte, Kranke, Verwundete und Gefangene (International Committee of the Red Cross (ICRC) 1955 a: 118; Dies. 1955 b: 188).

Die UN-Folterkonvention konkretisiert den Schutz vor Folter. Sie lässt sich untergliedern in die Definition (Art. 1), den Verpflichtungen zu innerstaatlichen Maßnahmen (Art. 2, 4, 5, 10-16), den Verpflichtungen auf zwischenstaatlicher Ebene (Art 3, 5-9) und dem internationalen Durchsetzungsinstrumentarium (Art. 17-24) (UNO 2010 d: 254-265). In Art. 2, Abs. 2 wird die Absolutheit des Folterverbots bestätigt und konkretisiert, da „[a]ußergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, […] nicht als Rechtfertigungsgrund für Folter geltend gemacht werden“ dürfen (Ebd.: 255). Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, innerstaatlich Maßnahmen zu ergreifen, um Folterungen zu verhindern, zu ahnden und die Verhörmethoden zu prüfen. Ebenfalls besteht die zwischenstaatliche Pflicht zur gegenseitigen Rechtshilfe, nach Art. 9, der Bildung eines unabhängigen „Ausschusses gegen die Folter“, nach Art. 17, den Staatenberichten, nach Art. 19, der Aufforderung zur Stellungnahme der Untersuchung, nach Art. 20, der fakultativen Staatenbeschwerde, nach Art. 21, und der fakultativen Individualbeschwerde (Ebd.: 257-263). Im Fakultativprotokoll gelang es etwa, Mitteilungen über den Stand in regionalen Bemühungen zur Verwirklichung des Besuchssystems zu machen und Finanzierungspläne aufzustellen (Dies. 2010 e: 266-276). Die UN-Folterkonvention stellt ergo einen tiefen Kompromiss, mit eher schwachen Bekämpfungsorganismen, aber ebenso eine Konkretisierung dar. Inzwischen gibt es auch ad-hoc-Tribunale zur Folterahndung. (Sonderegger 2012: 75-90; Raess 1989: 125-157).

Das Folterverbot wurde ebenfalls in regionale Konventionen aufgenommen, etwa in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) von 1969 oder der Interamerikanischen Antifolterkonvention von 1945. In ersterem wird in Art. 5, Abs. 2 die Folter mit Verweis auf die angeborene Menschenwürde verboten (Organisation of American States 2010: 639). Beide Konventionen verbieten die Folter wieder absolut. (Sonderegger 2012: 129-131; Bruha/Steiger 2006: 18).

Bis auf die regionalen, haben die USA alle die Folter bestreffenden Konventionen ratifiziert. Die UN-Folterkonvention ratifizierten sie aber unter dem Vorbehalt, dass Folter nur das sei, was auch langanhaltende mentale Folgen und Leiden verursache, durch Schrecken vor physischen Schmerzen oder Tod von sich und/oder Dritten oder durch Drogeneinfluss. (Sonderegger 2012: 257; Parry 2004: 159 f.). Aber auch auf nationaler Ebene untersagt die US-Verfassung implizit die Folter: So verbieten die Zusatzart. 5, dass jemand in einem Strafverfahren gezwungen werden kann, gegen sich auszusagen, Zusatzart. 8 grausame oder ungewöhnliche Strafen und Zusatzart. 14, Abs. 1 die Einschränkung von Leben, Freiheit und Eigentum des Einzelnen durch einen US-Staat ohne anständiges Verfahren, innerhalb des Hoheitsgebietes (United States of America 1994: 569-575).

3.) Die Folterungen durch die USA im War on Terror

Inwiefern haben die völkerrechtlich gebundenen USA im War on Terror de facto gefoltert?

Bereits am 13.11.2001 ließ US-Präsident George W. Bush die ersten 680 mutmaßlichen Terroristen (darunter auch Kinder), die in der Afghanistanintervention Operation Enduring Freedom (OEF) gefasst wurden, prozesslos in die Lager Delta[1], Echo und X-Ray in Guantanamo Bay bringen, wo sie in Schiffscontainern untergebracht wurden, unter dem Hinweis, dass sie dort menschenwürdig behandelt werden würden und sich vor einer Militärkommission zu verantworten hätten (Pastouna 2005: 38-44). Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erlaubte aber im Action Memo vom 2.12.2002 Befragungstechniken – wie Stresspositionen, das Überstülpen von Kapuzen, 20-Stunden Befragungen, das Wegnehmen der Kleidung der Gefangenen, lange Isolationshaft und das Nutzen von Phobien, wie die bei vielen Arabern verbreitete Angst vor Hunden – die alle über das Standard-Verhör der US-Army hinausgingen. Im Januar 2003 zog Rumsfeld zwar diese Blankovollmacht wieder zurück, hielt die Methoden aber im Einzelfall für genehmigungsfähig. Schon im April 2003 erlaubte er wieder 24 Techniken, wie die heftige Manipulation von Umwelt und Temperatur, Schlafentzug, Isolation und das Vorgehen des False Flag [2]. Weitere durchgeführte Folterungen in Guantanamo unter dem Kommando von General Geoffrey Miller waren Schläge, Elektroschocks, Nahrungsentzug, dem Kopfüberaufhängen an den Kniekehlen, sexuelle Demütigungen und Vergewaltigungen, Medikamentenfolter durch Psychopharmaka und simulierte Ertränkungen durch Waterboarding: Dabei wird dem auf ein Brett oder einem Tisch gefesselten Häftling eine Maske über das Gesicht gelegt, in die Wasser gegossen wird, sodass der Häftling immer glaubt, zu ertrinken (Fiechtner 2008: 66-71). Es kam zu zahlreichen Hungerstreiks, Zwangsernährungen und Suiziden. (Bahar 2009: 82-87/ 95 f./100-104; Hancock 2007: 90-92).

Auch in Bagram wurde ein Häftlingslager eingerichtet, wo das Army Criminal Investigation Command die Guantanamo-Methoden übernahm. Dort wurden oft Häftlinge körperlich so misshandelt, dass sie starben (McCoy 2006: 112 f.). Ebenfalls übernahmen die USA 2003 in der Operation Iraqi Freedom (OIF) das Gefangenenlager des totalitären Diktators Saddam Hussein in Abu Ghraib. Miller wurde dorthin abberufen, um das Gefängnis zu „Guantanamoisieren“. Dort wurden vor allem Gefangene, die das Counterterroism Center (CTC) der Central Intelligence Agency (CIA) hatte verschwinden lassen, inhaftiert und mit den Guantanamo-Methoden befragt und behandelt (Kipnis 2007: 293-295). In Abu Ghraib waren Angestellte privater Sicherheitsfirmen maßgeblich beteiligt – die Folter wurde privatisiert (Nowak 2007: 61). Das CTC richtete außerdem Gefängnisse in Thailand, Singapur, Ägypten, Saudi Arabien, Südafrika, Jordanien, Pakistan und Syrien ein, wo angeblich „aggressive Befragungsmethoden“ durchgeführt wurden. 2006 befanden sich sogar in Afghanistan 1000 im Irak 10000 und in Kuba 600 Häftlinge in den Gefängnislagern der USA. (Ball 2007: 56 f./66-77). Auch gibt es geheime Gefängnislager der USA, sogenannte Black Sites, wo hochrangige Al Qaida-Funktionäre gefangen gehalten werden, die sich in Osteuropa befinden, vermutlich in Polen und Rumänien (Nowak 2006: 25).

Zunächst unterstanden die Behandlungen der Geheimhaltung. Als jedoch 2004 Bilder der Folterungen in Abu Ghraib publik wurden, konnte, unter Berufung auf dem Freedom of Information Act, die Nachrichtenagentur The Associated Press die Besichtigung der Lager einklagen. Im Zuge des Abu Ghraib- Skandals gab das Pentagon rasch 20 Todesurkunden ehemaliger Häftlinge heraus, die unter den Haftbedingungen verstorben waren. Das ICRC bezeichnete dieses physische und psychologische Verhalten in einem Bericht von 2005 als Folter. Zur nachträglichen Legitimation der Behandlungen von Häftlingen brachte Bush 2005 den Detainee Treatment Act durch, der das Folterverbot für Häftlinge, die außerhalb der USA inhaftiert werden, relativierte (Nowak 2007: 58). Der UN-Bericht von 2006 kritisierte aber ebenfalls die Folterungen, die Tötungen, das Verschwindenlassen der Häftlinge sowie die Verweigerung auf ein faires Verfahren[3] und verglich diese Handlungen mit Kriegsverbrechen. Amnesty International bezeichnete die Lager sogar als Gulags (Hancock 2007: 93-98; McCoy 2006: 130-136). Unter diesem Druck verabschiedete am 13.12.2007 das Repräsentantenhaus ein Anti-Folter-Gesetz, gegen das Bush jedoch am 8.3.2008 sein Veto einlegte (Bahar 2009: 166-168).

Da sowohl die UNO, als auch NGOs die Techniken als Folter titulierten, Elektroschocks, Vergewaltigungen, Gewalt bis zum Herbeiführen des Todes, Medikamente, Waterborarding etc. von den USA in der UN-Folterkonvention und dem Ausschuss für Menschenrechte (vgl. 2.) dieser Arbeit) anerkannt wurden, handelte es sich hier um Verstöße gegen Menschen- und Völkerrechte.

4.) Der Folterdiskurs der USA im War on Terror

Doch wie wollte die Bush-Administration und wollen andere Befürworter solche Foltermethoden legitimieren und das Folterverbot relativieren und was brachten und bringen ihnen die Gegner der Relativierung entgegen? Zur Beantwortung werden nun zunächst die jeweiligen üblichen Argumente, die für und gegen eine Relativierung der Folter durch die USA im War on Terror wirken, in der Übersicht vorgestellt und ihrer Argumentationsebene entsprechend geordnet. Im Groben stehen sich zwei Denkströmungen gegenüber, nämlich die Deontologie, die Folter generell ablehnt, und der Utilitarismus, für den der Zweck in „Sonderfällen“ die Folter als notwendiges Mittel heiligt (Elshtain 2004: 78-84).

4.1) Argumente der Befürworter der Relativierung des Folterverbots

Eine erste Legitimation der Methoden in den Gefangenenlagern der USA war, diese als legal darzustellen, indem man den Folterbegriff – anschließend an die Vorbehalte bei der Ratifizierung der UN-Folterkonvention – umdeutete und enger fasste. Dazu übergab Jay Bybee, Staatssekretär im Justizministerium, Alberto Gonzales, dem Rechtsberater Bushs, am 1.8.2002 das Bybee-Memorandum: Dort analysierte er die Schlüsselbegriffe der UN-Folterkonvention und des US-Strafrechts und folgerte, dass Folter nur die Handlungen seien, die große seelische oder körperliche Leiden verursachen würden. Physisch sei die Einschränkung körperlicher Funktionen bis zum Tode des Opfers nötig. Psychisch müsste der Vorsatz der Folter, die Verwendung von Drohungen oder Drogen und einen dauerhaften seelischen Schaden, etwa durch posttraumatische Stressstörungen, vorhanden sein. Techniken sensorischer Deprivation seien ergo erlaubt, da diese Leiden nicht zu intensiv wären. Waterboarding wäre auch keine Folter, da die Todesandrohung nicht zu anhaltenden psychischen Schäden führe. (Bybee 2002). Dies stellt das juristische Arsenal zur präventiven Abwehr von Foltervorwürfen dar. (Paust 2011: 285-287; Bahar 2009: 89). Das Memo versucht rein juristisch den Begriff umzuformulieren und einzuengen, ohne ethische Aspekte oder den Sinn des Folterverbots zu beachten (Bruha/Steiger 2006: 43). Viele der verwendeten Methoden in den Gefangenenlagern, wie Waterboarding, führten ja zu extremen seelischen und körperlichen Schäden, wie es die UN-Folterkonvention definiert, die sogar teils zum Tode führten (Sonderegger 2012: 246). Eine Umbenennung der grausamen und erniedrigenden Handlungen ändert nicht die Handlungen selbst. (Todorov 2011: 155-158).

Es gab noch zwei weitere rein juristische Tricks: Zum einen die Ansiedlung der Gefangenenlager außerhalb der USA. Durch den Detainee Treatment Act (vgl. 3.) dieser Arbeit) wurde die Folter außerhalb des US-Gebietes relativiert. Da die Lager nicht in den USA liegen, sondern nur von ihnen besetzt sind, sollte so die juristische Legitimation erreicht werden, mit der Annahme, dass die Bush-Administration so die nationalen und internationalen Menschenrechtstandards umgehen könnte (Windeln 2010: 83; Kipnis 2007: 295 f.), was jedoch der US-Supreme Court im Juni 2004 verneinte (Nowak 2006: 24 f.). Zum anderen argumentierten das Weiße Haus, das Verteidigungs- und Justizministerium, dass der Präsident als Oberbefehlshaber, als Commander in Chief, Sondermaßnahmen anordnen könne, um die nationale Sicherheit zu garantieren (Bahar 2009: 89 f.; Roth 2005: 195). Jedoch muss sich auch der Oberbefehlshaber an die US-Verfassung und die ratifizierten Konventionen halten. Fraglich bleibt auch, ob es sich beim War on Terror überhaupt um einen Krieg handelt und so der Präsident in dem Fall als Commander in Chief fungiert. Bei beiden sollte das geltende Völkerrecht in seinem Sinn umgangen werden, jedoch nicht durch terminologische Diskussionen, sondern der Umdeutung der Gültigkeit des Folterverbots, bezüglich des US-Staatsgebietes und des Präsidenten.[4]

Eine neue Argumentationsebene betritt die Rettungsfolter als Legitimation, die vor allem ethisch legitimiert wird, indem ihre Befürworter ein moralisches Dilemma konstruieren. In Europa wurde dies bereits vor dem War on Terror vom deutschen Juristen Winfried Brugger konzipiert: In einem fiktiven Szenario würde eine Stadt von einem Terroristen mittels einer chemischen Bombe bedroht werden, dieser aber gefasst werden, wobei der Aufenthaltsort der Bombe geheim bleibe und sie in Kürze explodieren würde, während der Terrorist keinerlei Anstalten mache, ihren Aufenthaltsort preiszugeben. Nun geht Brugger davon aus, dass dann die Polizei notfalls mit Gewalt den Terroristen dazu bringen dürfe, den Aufenthaltsort zu verraten. Dies dürfe nur in abgestufter Weise geschehen, sei aber sogar verpflichtend, um die Grundrechte der Einwohner zu schützen. (Brugger 1996: 69-81/ 86). Das Szenario einer solchen Ticking Bomb liegt aber nur dann vor, wenn eine evidente, unmittelbare und gegenwärtige Gefahr für die körperliche Integrität, den Leben und die Würde von Unbeteiligten besteht, die von einem identifizierten Täter bedroht oder gestört wird, nur dieser die Gefahr beseitigen kann und zwar dadurch, dass er „sich in die Grenzen des Rechts zurückbewegt, also das Versteck der Bombe preisgibt. […] Dazu ist er auch verpflichtet“ (Ebd.: 74). Foltert die Polizei also nicht, gefährdet sie das Leben der Einwohner, foltert sie, verletzt sie die Menschenrechte des Terroristen; das ist das Dilemma. Damit soll ein über das Völkerrecht hinweggehendes staatliches Handeln in Grenzfällen legitimiert werden (Bielefeldt 2004: 951), da das Folterverbot ja absolut gilt. Solche fiktiven Szenarien haben eine große Suggestivkraft, da diese Dilemmata nachvollziehbar sind. (Ders. 2006 a: 110-112). Prominent wurde das Ticking-Bomb-Szenario in den USA anlässlich des War on Terror vom Juristen Alan Dershowitz rezipiert: In seinem Gedankenexperiment stellt er die Frage, was wäre, wenn man Zacarias Moussaoui, einen der Terroristen vom 9.11.2001, gefasst hätte, ob man mittels Rettungsfolter die Anschläge hätte verhindern können. Er sieht also utilitaristisch die Folter als reine Notwendigkeit in der Bedrohung an. (Windeln 2010: 90-92). Obwohl er Folter eher autoritären Systemen zuordnet, nennt Dershowitz doch als Beispiel der Rettungsfolter den Staat Israel, der als Vorbild für die USA fungieren solle, denn Folter gegenüber einem Schuldigen wäre legitim, „to prevent the murder of thousands of innocent civilians in the ticking bomb case“ (Dershowitz 2002: 143). Für ihn sei der daraus resultierende Nutzen höher, als die Kosten des Bruchs des Folterverbots und den Folgen für das Folteropfer in einer solchen außergewöhnlichen Situation. Die Folter sei schlicht das kleinere Übel in einem Abwägungsfall. Darum sei es sogar nötig, die Folter zu einem legitimen Teil im politischen und juristischen System der USA zu machen. (Ebd. S. 140-163)[5]. Das Argument der Rettungsfolter ist ergo ein Argument gegen die absolute moralische Position des Folterverbots, die demnach in wenigen Sonderfällen, wie dem Ticking-Bomb-Szenario, als ultima ratio relativiert werden sollte (Gingbar 2010: 24-29).

[...]


[1] Direkt am Eingang von Camp Delta befindet sich die Plakataufschrift „Honor Bound to Defend Freedom“. Angesichts dieses Zynismus´ von Ehre und Freiheit in einem Folterlager zu sprechen, erinnert stark an die Praxis im Konzentrationslager Dachau, vor dessen Eingang der Satz „Arbeit macht frei“ stand.

[2] Darunter versteht man, dass man den Häftling glauben lässt, er würde von einem dritten Staat gefoltert werden.

[3] Der US - Supreme Court bestätigte 2008 dennoch, dass des Terrorismus´ verdächtige Gefangene ohne Prozess gefangen gehalten werden dürften.

[4] Als 2004 der Abu Ghraib-Skandal bekannt wurde, versuchte die Bush-Administration sich auch juristisch herauszureden, indem sie die bereits dokumentierten Misshandlungsfälle auf individuelles Versagen von sieben Militärpolizisten der Nachtschicht zurückführte, was auch der Generalinspekteur der US-Army, Paul Mikolashek, im Juni 2004 bestätigte. Ein unabhängiger Untersuchungsausschuss des Pentagon kam am 24.8.2004 zum gleichen Ergebnis. (McCoy 2006: 144-146). Die zahlreichen bewiesenen Foltermethoden, die in Abu Ghraib durchgeführt wurden, wurden als Einzelversagen dargestellt, was inzwischen widerlegt ist, da dies die allgemeinen Methoden waren, um so weiter die menschenrechtlich sehr problematischen Handlungen in den Gefangenenlagern fortführen zu können und sich gewissermaßen einen Sündenbock zu suchen, zwecks politischer Schadensbegrenzung (Roth 2005: 190). Das Folterverbot wurde aber moralisch und juristisch gar nicht relativiert, für den Missbrauch wurden Ausreden und keine Legitimierungen gefunden.

[5] Andere Vertreter der Ticking-Bomb-Szenarios wollen die Rettungsfolter nicht legalisieren, aber halten sie trotzdem moralisch und pragmatisch für richtig (Belvisi 2009: 69), während der deutsche Philosoph Rainer Trapp etwa die Folter als einer vom Terroristen „selbstverschuldeten Rettungsbefragung“ ebenfalls legalisieren möchte (Trapp 2006: 54-107).

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Details

Titel
Der Folterdiskurs der USA im "War on Terror"
Untertitel
Die öffentliche Debatte und der Vergleich des Status der "Unlawful Enemy Combatants" mit der universellen Menschenwürde
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
36
Katalognummer
V214158
ISBN (eBook)
9783656425595
ISBN (Buch)
9783656433187
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
USA;, Terrorismus, Islam, Naher Osten, Abu Ghraib, George W. Bush, Menschenrechte, Internationale Beziehung, War on Terror, Folter, Folterverbot, Menschenwürde, Rettungsfolter, Unlawful Enemy Combatant, CIA, Dschihad, Außenpolitik, Guantamao Bay, Al Qaida, Völkerrecht
Arbeit zitieren
Philip J. Dingeldey (Autor:in), 2013, Der Folterdiskurs der USA im "War on Terror", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214158

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