„Das Fremde“ in Texten von Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg

Über sie zu berichten ist mir ein Greuel


Seminararbeit, 2010

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe

Inhalt:

1. Einleitung

2. Geschichtlicher Überblick: Die Auseinandersetzungen des sächsischen Herrscherhauses mit den Völkern in Osten und Norden

3. Widukind von Corvey
3.1. Res gestae Saxonicae

4. Thietmar von Merseburg
4.1. Die Chronik des Thietmar von Merseburg

5. Die Institutionalisierung des „Fremden“

1. Einleitung

Wirtschaftliche, kriegerische und persönliche Umstände des Mittelalters erforderten in Europa eine hohe Mobilität des Einzelnen und Angehöriger ganzer Stammesverbände. Archäologische Funde dokumentieren diese Entwicklungen und verdeutlichen den Grad der Akkulturation sowie das Zurückdrängen der eigenen Identität und der Bildung einer neuen gemeinsamen Kultur. Die Vermischung zweier Kulturkreise, nämlich die der christlich-vormals römischen Kultur und der heidnischen Welt östlich und nördlich der Reichsgrenzen, stellte die Basis für die gesellschaftlich-politischen Entwicklungen dar.

Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen stellt Fremdheit daher keine konstante Größe dar und kann immer nur relational gedacht werden. Die Analyse des Fremden steht folge dessen im Bezug zum Begriff des Eigenen. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Fremden und Eigenem. Die Betrachtung des Fremden ist eine Frage der Perspektive und unterliegt der Bewertung und der Beurteilung des Betrachters. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden kann ambivalente Gefühle hervorrufen. Einerseits drückt sich die Konfrontation in Angst, Unbehagen und Verachtung aus, andererseits besitzt das Fremde eine Anziehungskraft, die sich in Bewunderung oder sogar Begehren bemerkbar machen kann. Fremdheit hat mit Verstehen und Missverstehen zu tun und ist daher ein kommunikatives Phänomen, das aus einer Wechselbeziehung zwischen Personen entsteht. Deshalb ist Fremdheit ein soziales Konstrukt, welches die Realität der Menschen beeinflusst. Die Wahrnehmung fremder Kulturen durch die Europäer wird bis heute in vielfältiger Weise durch Vorurteile geprägt. Die Geschichte der Ostseeslawen, Polen, Böhmen, Mährer, Slowenen und Kroaten verlief und verläuft in der Geschichtsschreibung teilweise heute noch außerhalb der Reichsgeschichte, obwohl sie eine wichtige Pufferzone zum Osten darstellten.[1] Im Frühmittelalter spielte die Legitimierung des Anspruches auf Souveränität und in Folge auf territoriale expansio eine Schlüsselrolle. Dabei galten Gründungsmythen als unverzichtbarer Bestandteil, der zur Abgrenzung von „Anderen“ herangezogen wurde. Die Merowinger im Frankenreich, die Visigoten auf der Iberischen Halbinsel, die Angelsachsen im Norden bis zu den Karolingern und Ottonen beantworteten die Frage der Herkunft und damit zusammenhängend die Frage der eigenen Identität mit Ursprungserzählungen. Diese Identität kann wiederum als eine Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft betrachtet werden.

Fremdheit ist weiters nicht binär orientiert: die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, Eigenes und Fremdes oder Gut und Böse kennt keine strikte Trennlinie und definiert Toleranzspielräume, die fließend in einander übergehen. Fremd ist ein Individuum, das sich räumlich, rechtlich, ethnisch oder religiös außerhalb einer definierten Gruppe befindet. Durch die Definition von „fremd“ und die Abgrenzung nach außen kann die eigene Identität gestärkt werden.

In der Sachsengeschichte Widukinds von Corvey und der Chronik Thietmars von Merseburg nehmen Fremddarstellungen einen breiten Raum ein. Die Bindungen und „das Eigene“ der Geschichtsschreiber werden religiös, sozial und politisch definiert. Institutionen wie Klöster konnten identitätsbildend wirken[2], was bei beiden Autoren einen großen Stellenwert einnimmt. Im Umgang mit dem Thema Fremdheit sind bei beiden Schreibern deutliche Unterschiede zu entdecken, deren Ursache vor allem in der persönlichen Einstellung zum politischen Handeln des Königshauses zu suchen ist.

2. Geschichtlicher Überblick: Die Auseinandersetzungen des sächsischen Herrscherhauses mit den Völkern in Osten und Norden

Als Heinrich I. 919 das regnum von Konrad I. übernimmt, stellt er sich unter anderem der Herausforderung, sich der Bedrohung durch die Ungarn im Osten zu stellen. Durch die räumliche Verlagerung des Königshauses nach Sachsen lagen die Grenzen zu den heidnischen Slaven in unmittelbarer Nähe. Eine Heeresreform und umfassende Aktivitäten im Burgenbau ermöglichte dem sächsischen König schließlich die Errichtung eines Stützpunktes in Meißen, dem ungarischen Einzugsgebiet. 929 huldigte der Böhmenherzog Wenzel dem sächsischen König. Die Abhängigkeit blieb während seiner Regierungszeit bestehen. Erst sein Bruder Boleslav I. bot erneut Widerstand gegen die sächsischen Expansionsbestrebungen.

Obwohl Widukind von weiteren Tributpflichten der Heveller, der Böhmen oder der Abodriten spricht, kam es zu keiner Oberhoheit des Reiches gegenüber den Nachbarvölkern. Widerstand und Aufstände der Völker im Osten störten die Kooperations- beziehungsweise Unterwerfungsbestrebungen der Ottonen. Da die Sakralität ein integraler Bestandteil der gentilen Ordnung war, war die Missionierung der Nachbarvölker ein wichtiger kollektiver Schritt. Als Heinrich I. bei Riade 933 einen Sieg über die Ungarn erzielte, wurde dies mit einer Stärkung des sächsischen Königshauses gleich gesetzt. Auch der Sieg über die Truppen Knubas 934, des Sohnes des schwedischen Eroberers Olaf, sollte den sächsisch-ottonischen Reichsverband festigen. Neben der Fähigkeit der Bildung von Freundschaftsbündnissen auf Basis der amicitia, gelang es Heinrich I. durch Integration verschiedener Gruppierungen im Osten politische und wirtschaftliche Stabilität zu erhalten. Als schließlich Otto I. in das Gebiet der Elbslaven und der Dänen vordrang und in Magdeburg einen Missionsstützpunkt errichtete, war der Weg des ottonischen Herrschaftshauses in der Auseinandersetzung mit den „Fremden“, geprägt durch zahlreiche Rückschläge, vorgezeichnet. Die Gründung fünf weiterer Missionsbistümer in der Mitte des 10. Jahrhunderts im ostelbischen Slavenland und die Unterstellung dänischer Bistümer unter das Erzbistum Hamburg-Bremen waren ein weiterer Baustein zum Vorstoß Richtung Osten und Norden. Doch Ottos Italienpolitik und innerfamiliäre Machtkämpfe destabilisierten das regnum, was die Ungarn zu einer Invasion veranlasste. Auch in Sachsen entschlossen sich Wichmann der Jüngere und Ekbert, Neffen Hermann Billungs, dessen Aufgabe die Sicherung der Nordostgrenze des Ostfrankenreiches war, gemeinsam mit dem Wendenfürsten der Elbslaven zu einem Aufstand. Im Böhmen gelang es Otto I. nach jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen den Böhmenherzog Boleslav I. zu Tributzahlungen zu verpflichten. Auch die Abodriten, ein weiterer elbslawischer Stammesverband, willigten in einen Vertrag ein, der ihnen weitgehende Autonomie zusicherte. Der Erfolg der Schlacht auf dem Lechfeld am Tag des Heiligen Laurentius am 10. August 955 führte zur Vernichtung der Ungarn. Da die Gefahren aus dem Osten dadurch freilich nicht gebannt waren, richtete der ottonische Herrscher verstärkt seine Aufmerksamkeit auf den Ausbau der Missionsbistümer an den Grenzen des Reiches. Im Rahmen des Quedlingburger Hoftages 936 bestätigte Otto II. den Weg seines Vaters und trat mit Boleslav von Böhmen und Mieszko von Polen in ein enges politisches Verhältnis. Allerdings befand sich das Reich im Osten weiterhin im Kriegszustand mit den Abodriten und Lutizen. Otto III. gelang es, weitere Eckpfeiler der Ostpolitik zu manifestieren, in dem er mit der Errichtung der Erzbistümer Gnesen und Gran eine eigenständige Kirchenprovinz in Polen und Ungarn errichten konnte. 983 gingen die ostelbischen Gebiete nach dem sogenannten Großen Slawenaufstand vorübergehend wieder verloren, was einem empfindlichen Rückschlag in der Missionierungspolitik gleichkam. Die Unruheherde an den Grenzen des Reiches konnten auch nicht vom letzten Herrscher der Ottonen, Heinrich II. beseitigt werden. Trotz der Wiedererrichtung des Missionsbistumes Merseburg und der Errichtung des Bistumes Bamberg, wurde der König mit einer erneuten Bedrohung durch die Kooperation einiger Adelsgruppen mit dem Polenherrscher, konfrontiert. Die Beziehung Heinrichs zu Boleslaw Chrobry war durch Feindschaft bestimmt und der König unternahm zahlreiche Feldzüge in das Gebiet des polnischen Fürsten. Durch unzureichende Unterstützung der Großen im Reich, betreffend Heinrichs Ostpolitik, sah sich dieser erneut gezwungen, mit den Fürsten der angrenzenden Völker, Bündnisse einzugehen. Mieszko II, ein Sohn Boleslaws leistete 1013 den Lehenseid und wurde mit einer Nichte Ottos III. verheiratet, in der Hoffnung, die Kriegswirren an den Grenzen zu beenden.

[...]


[1] Kämpfer Frank, Über den Anteil Osteuropas an der Geschichte des Mittelalters, In: Borgolte, M: Unaufhebbare

Pluralität der Kulturen? Zur Dekonstruktion und Konstruktion des mittelalterlichen Europa Michael, München 2001, S. 52.

[2] Eggert Wolfgang, Das Wir-Gefühl bei fränkischen und deutschen Geschichtsschreibern bis zum Investiturstreit, In: Müller-Mertens Eckhard (Hg.), Regnum teutonicum. Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im frühen Mittelalter, Wien Graz 1970, S. 161.

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Details

Titel
„Das Fremde“ in Texten von Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg
Untertitel
Über sie zu berichten ist mir ein Greuel
Hochschule
Universität Wien  (Geschichte)
Note
2
Autor
Jahr
2010
Seiten
16
Katalognummer
V214358
ISBN (eBook)
9783656425977
ISBN (Buch)
9783656437741
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mittelalter Ottonen
Arbeit zitieren
Veronika Pichl (Autor:in), 2010, „Das Fremde“ in Texten von Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214358

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