[...] Mittlerweile ist an einigen US-Universitäten die Verbindung von
Ökologie und Literaturwissenschaft Bestandteil des Studienprogramms; nach Fromm/Glotfelty wurde
an der Universität von Nevada in Reno sogar der erste Lehrstuhl dieser jungen Disziplin geschaffen.2
Was ist nun das Besondere dieses neuen Ansatzes der Literaturwissenschaft; inwieweit kann er der
'traditionellen' Literaturwissenschaft neue Impulse geben?
Die konventionelle Literaturwissenschaft beschäftigt sich, wie Fromm/Glotfelty treffend feststellen,
mit der Beziehung zwischen Text, Autor und Welt (S. XIX), um dabei aber die 'Welt' als die soziale
Welt, d.h. in den meisten Fällen die Gesellschaft, zu definieren. Die Gesellschaft der 'Nicht-
Humanoiden', d.h. das restliche Ökosystem Erde, wird hierin jedoch meist außer acht gelassen bzw.
als irrelevant betrachtet.
Erklärtes Ziel des Ecocriticism ist es, auf diesem Gebiet einen Paradigmenwechsel zugunsten eines
ökologischen Blickwinkels herbeizuführen. Die Literaturwissenschaft soll endlich, wie es auch andere
Geistes- und Sozialwissenschaften vor ihr schon getan haben, zum einen die Stellung des Menschen
in seiner natürlichen Umwelt stärker berücksichtigen und zum anderen der drängenden ökologischen
Krise der gesamten Weltbevölkerung Rechnung tragen.
Denn, so sind sich alle Theoretiker einig, die Zerstörung der Umwelt gehe von unserem Bewußtsein
und von unserer Einstellung gegenüber unserem natürlichen Lebensraum Erde aus und könne
letztendlich auch nur durch einen Wandel des Denkens und Handelns gestoppt werden.
Ecocriticism soll also einen Beitrag dazu leisten, eine neue Art des Zusammenlebens von Mensch und
Natur zu entwickeln, die die Interessen beider 'Parteien' in Betracht zieht und ein Über-leben beider
auch in der Zukunft möglich macht. Dabei soll nicht mehr nur der Mensch das Maß aller Dinge sein,
sondern allen Lebewesen und Naturelementen eine gleichberechtigte Stellung im 'Zusammenleben'
ermöglicht werden.
Die Rolle einer Disziplin wie der Literaturwissenschaft in der Formung und Veränderung des
menschlichen Bewußtseins ist sicherlich, auch wenn ihre Akteure dies bisweilen anders einschätzen
mögen, gering und auf bestimmte Bevölkerungskreise beschränkt. Literaturwissenschaft ist nun mal
kein tägliches Brot für Jedermann und mit ihr läßt sich weder viel Geld verdienen noch lassen sich
Wahlen gewinnen.
2 Zur Geschichte des Ecocriticism siehe bei Fromm/Glotfelty den Abschnitt 'Birth of Environmental Literary
Studies', S. XVIIf.
Inhaltsverzeichnis
- Ecocriticism: neue Ansätze für die Literaturwissenschaft
- Ernest Hemingways 'The Old Man and the Sea' im Blick des Ecocriticism
- Jagd, Fischen und Corrida: Der Kampf Mensch gegen Tier
- Der Gegen-Ort: Nature
- La Mar
- "They are our brothers" - Santiagos tierische Umwelt
- Der Fisch
- "How does it go, hand?" – Natur im eigenen Leib
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit Ernest Hemingways "The Old Man and the Sea" aus der Perspektive des Ecocriticism. Sie untersucht, wie der Roman das Verhältnis von Mensch und Natur darstellt und inwiefern er für die ökologische Krise relevant ist.
- Der Einfluss von Hemingways eigener Liebe zur Jagd, zum Fischen und zum Stierkampf auf seine Sichtweise von Mensch und Tier.
- Die Rolle der Natur als Gegen-Ort im Roman und ihre Bedeutung für Santiagos Lebenswelt.
- Die Darstellung von Natur und Umwelt in Hemingways Werk und die Frage, ob die Literatur einen anthropozentrischen oder ökologischen Ansatz vertritt.
- Die Vielschichtigkeit des Romans und seine Interpretationen anhand unterschiedlicher Ansätze, wie christlicher Ikonologie.
Zusammenfassung der Kapitel
Ecocriticism: neue Ansätze für die Literaturwissenschaft
Dieses Kapitel stellt das Ecocriticism als eine junge Disziplin der Literaturwissenschaft vor und erläutert dessen Zielsetzung und Ansatz. Es zeigt, wie Ecocriticism sich von der traditionellen Literaturwissenschaft unterscheidet und wie es zur Bewusstmachung der ökologischen Krise beitragen kann.
Ernest Hemingways 'The Old Man and the Sea' im Blick des Ecocriticism
Dieses Kapitel führt in die Thematik der Hausarbeit ein und stellt Hemingways Roman "The Old Man and the Sea" als Beispiel für eine literarische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Mensch - Natur vor. Es thematisiert die Bedeutung des Kampfes zwischen dem alten Fischer Santiago und dem gigantischen Fisch für die Analyse des Romans aus ecokritischer Sicht.
Jagd, Fischen und Corrida: Der Kampf Mensch gegen Tier
Dieses Kapitel beleuchtet Hemingways eigene Vorlieben für Jagd, Fischen und Stierkampf und erklärt, wie diese "bloodsports" für ihn einen prägenden Komplex darstellen. Es geht auf die symbolische Bedeutung des Kampfes zwischen Mensch und Tier für Hemingway ein und erklärt, wie er in seinen Werken die eigene Sterblichkeit thematisiert.
La Mar
Dieses Kapitel widmet sich der Rolle des Meeres als Gegen-Ort im Roman und analysiert die Bedeutung dieses Ortes für Santiago und seine Lebenswelt. Es zeigt, wie die "La Mar" ein Symbol für Freiheit, aber auch für Gefahr und Bedrohung sein kann.
Schlüsselwörter
Ecocriticism, Ernest Hemingway, "The Old Man and the Sea", Natur, Umwelt, Mensch-Tier-Verhältnis, Jagd, Fischen, Corrida, anthropozentrisch, ökologisch, Bedeutungsebenen, christliche Ikonologie.
- Citation du texte
- Luise A. Finke (Auteur), 1999, Ernest Hemingways "Old Man and the Sea" aus Perspektive des 'Ecocriticism', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21438