Der Einfluss des Mediums Fernsehen auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009


Tesis de Máster, 2012

81 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Problemstellung

2. Entwicklung der Medienwirkungsforschung
2.1 Die allgemeine Entwicklung der Medienwirkungsforschung
2.2 TV-Duelle als besonderes Format in der politischen Fernsehberichterstattung

3. Theoretische Vorüberlegungen zur Analyse von Medieneffekten
3.1 Die Analyse von Medieneffekten mit den Theorien der empirischen Wahlforschung
3.1.1 Das soziologische Modell
3.1.2 Das sozialpsychologische Modell
3.1.3 Das ökonomische Modell
3.2 Die Analyse von Medieneffekten mit dem RAS-Modell
3.3 Vergleich der Analysefähigkeit von Medieneffekten zwischen dem RAS- Modell und den klassischen Theorien des Wählerverhaltens

4. Datenbasis

5. Empirische Analysen
5.1 Analyse zum Einfluss der TV-Nachrichten
5.1.1 Explorative Analysen
5.1.2 Multivariate Analysen
5.2 Analyse zum Einfluss des TV-Duells 2009
5.2.1 Explorative Analysen
5.2.2 Multivariate Analysen

6. Zusammenfassung

Methodischer Anhang

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Thematisierungen der Parteien

Tabelle 2: Anzahl der Thematisierungen durch die TV-Sender

Tabelle 4: Bewertungen der Parteien

Tabelle 5: Durchschnittliche Bewertungen von Parteien nach Nachrichtensendungen

Tabelle 6: Anzahl der Zuschauer (mehrfache Nennungen möglich)

Tabelle 7: Der Einfluss der TV-Nachrichten auf das Wählerverhalten I

Tabelle 8: Der Einfluss der TV-Nachrichten auf das Wählerverhalten II

Tabelle 9: Anzahl der Zuschauer beim TV-Duell

Tabelle 10: Wahlbeteiligung

Tabelle 11: Der Einfluss des TV-Duells auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Thematisierungen im Zeitverlauf

Abbildung 2: Thematisierungen von CDU/CSU und SPD

Abbildung 3: Thematisierungen von FDP, den Grünen und der Linken

1. Einleitung und Problemstellung

Wahlen sind ein elementarer Bestandteil jeder demokratischen Ordnung. Sie sind der zentrale Mechanismus der Machtverteilung. Die Frage, wie die Wähler zu ihrer Entscheidung kommen und was sie beeinflusst, ist daher besonders relevant. Das Wählerverhalten ist deshalb schon lange Bestandteil politikwissenschaftlicher Forschung. Schon seit den 1940er Jahren wurden immer wieder Studien durchgeführt, welche die Entstehung der Wahlentscheidung untersuchten. Dabei entstanden unterschiedliche Erklärungsansätze des Wählerverhaltens: Neben dem ökonomischen Ansatz, wurden auch das soziologische und daraus das sozialpsychologische Modell zur Erklärung des Wählerverhaltens entwickelt. Dabei handelt es sich jedoch nur um die am stärksten beachteten Theorien der empirischen Wahlforschung. Dennoch verdeutlicht diese Aufzählung, dass der Frage nach der individuellen Entwicklung der Wahlentscheidung aus recht unterschiedlichen Perspektiven nachgegangen wurde. Zwar erreicht das sozialpsychologische Modell, welches eine zentrale Rolle in der empirischen Wahlforschung in den vergangenen Jahrzehnten eingenommen hat, in unterschiedlichen Analysen zum Wählerverhalten eine hohe Erklärungskraft. Dennoch hat sich die Gesellschaft seit dessen Entwicklung enorm gewandelt. So ist die wichtigste Komponente dieses Ansatzes, die Parteiidentifikation, gesamtgesellschaftlich betrachtet rückläufig (vgl. Dalton 1984; Dalton/Wattenberg 2002). Welche Auswirk- ungen der Rückgang dieser stabilisierenden Variable hat, lässt sich gut am Wahlverhalten der vergangenen Jahre beobachten: Der Anteil der Wähler, welcher sich erst kurz vor dem Wahltermin entscheidet, wächst (vgl. McAllister 2002). Das bedeutet aber auch, dass kurzfristige Einflüsse für die Wahlentscheidung immer wichtiger werden.

Doch woher stammen diese Informationen für die Wahlentscheidung? In den genannten Theorien wird darauf oftmals nur unzureichend eingegangen. Dies liegt beispielsweise auch daran, dass der sozialen Herkunft des Wählers im soziologischen und sozialpsychologischen Modell schon alleine eine große Erklärungskraft zukommt. Doch insbesondere für kurzfristige Einflussgrößen werden auch Informationen zum aktuellen Wahlkampf benötigt. Neben der interpersonalen Kommunikation oder dem Besuch von Wahlkampf- veranstaltungen, dürfte vor allem die politische Medienberichterstattung zu den wichtigsten Informationsquellen in modernen Gesellschaften gehören. Und mit der Zunahme der Wähler, die sich erst spät entscheiden, und dem Rückgang von Parteiidentifikationen in der Gesellschaft, dürfte insbesondere die Berichterstattung in den Massenmedien als Informationsquelle für die Wahlentscheidung zunehmend an Relevanz gewinnen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, welchen Einfluss die Medien dabei auf das Wählerverhalten ausüben.

Die Wirkungen der Medienberichterstattung auf die Wähler werden zwar schon seit dem Aufkommen der Massenmedien untersucht. Dennoch herrscht Unklarheit über deren Wirkungsstärke. Dadurch konkurrieren auch heute noch zwei Vorstellungen über deren Einfluss miteinander: Auf der einen Seite wird den Massenmedien nur ein geringes Einflusspotential zugesprochen. Die Effekte der Berichterstattung bestehen danach nur in der Mobilisierung und Verstärkung bereits vorhandener wahlrelevanter Einstellungen. Auf der anderen Seite wird auch die Annahme geäußert, dass die Berichterstattung starke, sogar persuasive Einflüsse aufweisen kann. Dass Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen über die Effektstärken kommen, hat verschiedene Gründe. Zum einen hat sich die Gesellschaft und damit auch das Medienangebot in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert. Somit dürften sich auch die Einflussmöglichkeiten im Zeitverlauf gewandelt haben. Zum anderen wurden unterschiedliche theoretische und methodische Herangehensweisen ausprobiert. Inwieweit die politische Medienbericht- erstattung heutzutage, insbesondere in der Wahlkampfzeit, ihre Rezipienten beeinflusst, ist daher immer noch umstritten.

In der vorliegenden Master-Thesis wird daher untersucht, ob ein Einfluss durch die politische Fernsehberichterstattung bei den Wählern im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 beobachtet werden konnte. Hierzu werden zwei Analysen durchgeführt: Zum einen wird untersucht, ob die Berichterstattung in den Hauptnachrichtensendungen von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 einen Einfluss auf das Wählerverhalten der Zuschauer hatte. Diese Analyse weist ein Längsschnittdesign auf: Es wird ein Zeitraum von 54 Tagen vor der Wahl untersucht. Aufgrund der Anwendung einer Mehrebenenanalyse war es möglich die Daten zweier Datensätze systematisch in Verbindung zu setzen. Dabei handelt es sich auf der einen Seite um eine Rolling-Cross- Section-Studie und zum anderen um die Inhaltsanalyse der Nachrichtensendungen. Dadurch kann überprüft werden, ob die Thematisierungen und Bewertungen in einer der Nachrichtensendungen deren Zuschauer in ihrem Wählerverhalten beeinflusst hat.

In der zweiten Analyse wird der Einfluss des TV-Duells auf das Wählerverhalten untersucht. Zwar wurde über die Debatte zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auch in den Nachrichten berichtet und dementsprechend in der ersten Analyse dieser Arbeit berücksichtigt. Dennoch unterscheidet sich das Format des TV-Duells so grundlegend von den Nachrichtensendungen, dass eine eigenständige Analyse erforderlich ist. Der Eindruck von den beiden Kanzlerkandidaten und ihren politischen Stand- punkten ist in der Fernsehdebatte unmittelbar, während die Darstellung der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten in den TV-Nachrichten redaktionell bearbeitet wurde und daher nur mittelbar ist. Mit anderen Worten: Es wird angenommen, dass der Effekt ausgehend vom unmittelbaren Eindruck der Kandidaten, insbesondere bei politisch gering involvierten Wählern, stärker sein kann, als durch die mittelbare Berichterstattung über das TV-Duell in den Nachrichten. Außerdem werden durch die Debatte der Kanzlerkandidaten 14 Tage vor dem Wahltermin auch Personen erreicht, die ansonsten die politische Medienberichterstattung nicht verfolgen.

Bevor es im späteren Verlauf der Arbeit zu den empirischen Analysen kommt, wird im ersten inhaltlichen Kapitel der Masterarbeit die allgemeine Entwicklung der Medienwirkungsforschung in groben Zügen dargestellt. Es wird darauf eingegangen, inwiefern die Annahme über die Wirkungsstärke der Massenmedien im Zeitverlauf variierte und was die Gründe hierfür waren. Auf die Beziehung der Medienwirkungsforschung zum Fernsehen wird im Besonderen eingegangen. Entsprechend der zweiten Analyse dieser Master- Thesis wird außerdem der Forschungsstand zum Einfluss der TV-Duelle auf den Wähler aufgearbeitet. Hierzu wird zuerst ein grober Überblick über die amerikanische Forschung gegeben. Die wichtigsten Ergebnisse der Analysen zu den deutschen TV-Duellen seit der Bundestagswahl 2002 werden daran anschließend vorgestellt.

Auf die Vorstellung des Forschungsstandes folgt in Kapitel 3 die Diskussion über den geeigneten theoretischen Rahmen für die Analyse von Medieneffekten auf das Wählerverhalten. Hierfür wird zuerst ein Blick auf die klassischen Theorien des Wählerverhaltens geworfen. So werden der soziologische, sozialpsychologische und ökonomische Ansatz in ihren Grundzügen vorgestellt. Insbesondere wird dabei thematisiert, inwieweit Effekte des Medienkonsums in den einzelnen Theorien berücksichtigt werden können. Als weiteren theoretischen Ansatz zur Analyse von Medieneffekten auf das Wählerverhalten wird das RAS-Modell vorgestellt. Zwar handelt es sich dabei in erster Linie nicht um eine Theorie zur Erklärung des Wählerverhaltens. In ihrem Ansatz versucht sie vielmehr die individuelle Informationsverarbeitung zu erklären. Dennoch lässt sie sich auch als theoretischen Rahmen nutzen, um individuelle Entscheidungsprozesse bei einer Wahl nachvollziehbar zu machen. Auch das RAS-Modell wird in seinen Grundzügen zunächst vorgestellt, bevor es auf seine Fähigkeit untersucht wird, Medieneffekte in die Analyse des Wählerverhaltens mit einzubeziehen. Am Ende von Kapitel 3 findet ein Vergleich der vorgestellten Theorien statt. Ziel ist es dabei, die Theorie zu identifizieren, welche am ehesten für die empirischen Analysen dieser Arbeit geeignet ist.

Auf die theoretische Diskussion folgt in Kapitel 4 die Vorstellung des Datenmaterials. Die Datensätze für beide Untersuchungen wurden im Rahmen der German Longitudinal Election Study (GLES) zur Bundestagswahl 2009 erhoben. Dabei handelt es sich zum einen um eine Rolling-Cross-Section- Wahlkampfstudie mit Nachwahl-Panelwelle. Das besondere an dieser Studie ist ihr Design: in einem Zeitraum von 60 Tagen vor der Wahl wurden täglich repräsentative Umfragen durchgeführt. Dieses Design ermöglicht insbesondere die Analyse von Kampagnendynamiken. Für die Analyse zum Einfluss der Fernsehnachrichten wurde auf die Vorwahlbefragung dieser Studie zurückgegriffen. Die Daten der Nachwahl-Panelwelle wurden dagegen für die Überprüfung von Effekten des TV-Duells auf das Wählerverhalten genutzt. Der zweite im Rahmen der GLES erhobene und in dieser Masterarbeit genutzte Datensatz ist die Inhaltsanalyse der TV-Nachrichten im Vorfeld der Bundestagswahl 2009. In Kapitel 4 werden die wesentlichen Anpassungen der beiden Datensätze für die beiden Analysen näher vorgestellt.

Die Vorstellung der Ergebnisse erfolgt in Kapitel 5 und geschieht entsprechend der zwei Analysen dieser Arbeit getrennt. Zuerst werden die Ergebnisse der Untersuchung von Effekten der Fernsehnachrichten auf das Wählerverhalten vorgestellt. Um einen besseren Überblick über die verwen- deten Daten und ihre Struktur zu erlangen, erfolgt zunächst eine Daten- exploration. So ist es beispielsweise nachzuvollziehen, welche der untersuchten Nachrichtensendungen von den Befragten am meisten konsumiert wurde und wie sich die Thematisierungen der einzelnen Parteien im Zeitverlauf entwickelt haben. Daran anschließend werden die Ergebnisse der Mehrebenenanalyse vorgestellt. Dies geschieht, entsprechend der Analysestrategie, in vier Schritten. Auch die Ergebnisse der Untersuchung von Effekten des TV-Duells auf die Wähler erfolgt nach diesem Muster: Zunächst werden kurz die explorativen Analysen vorgestellt, bevor anschließend die Resultate der logistischen Regression besprochen werden. Am Ende der Arbeit folgt ein Fazit, in dem die wesentlichen Erkenntnisse der Masterarbeit zusammengefasst werden.

2. Entwicklung der Medienwirkungsforschung

Wenn man der Frage nachgeht, wie eine Wahlentscheidung zustande kommt und durch was sie beeinflusst werden kann, dann erscheint es naheliegend, dass dafür vor allem Informationen notwendig sind. Welche Art von Informationen für den einzelnen Wähler dabei von besonderem Interesse ist, mag variieren: Während dem einen vielleicht das Wissen um die Absichten der einzelnen Parteien im Bereich der Wirtschaftspolitik ausreichen um eine Wahlentscheidung zu treffen, benötigt ein anderer unter Umständen nur Angaben zu den jeweiligen Spitzenkandidaten. Beiden gemein ist aber, dass sie eine Quelle für ihre Informationen benötigen. In modernen Gesellschaften, in denen ein immer geringerer Teil der Bevölkerung in den Parteien selbst aktiv ist, dürfte vor allem den Massenmedien die Aufgabe des Informations- lieferanten zukommen. Die politische Medienberichterstattung müsste dementsprechend einen großen Einfluss auf das Wählerverhalten haben. Untermauert wird diese Annahme auch durch die Beobachtung, dass Parteien und Kandidaten, insbesondere während des Wahlkampfs, um eine erhöhte Medienpräsenz kämpfen.

Trotzdem wurde den Medien in der Analyse des Wählerverhaltens nur zeitweise eine einflussreiche Bedeutung zugemessen. Betrachtet man den Zeitraum seit dem Aufkommen der Massenmedien, so fällt auf, dass es durchaus so etwas wie „Trends“ in der Medienwirkungsforschung gab. Damit sind Phasen gemeint, in denen der Einfluss der Massenmedien auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung unterschiedlich bewertet wurde (siehe zu den Phasen der Medienwirkungsforschung auch McQuail 2010). Bevor die Analysen zum Einfluss des Fernsehens auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009 also konzipiert und durchgeführt werden können, gilt es zunächst aufzuarbeiten, wie sich die Diskussion um Medieneffekte entwickelt hat. Dies geschieht in zwei Abschnitten: Als erstes wird dabei die allgemeine Entwicklung der Medienwirkungsforschung seit ihren Anfängen dargestellt. Es wird dabei der Frage nachgegangen, inwieweit ein Einfluss der Medien auf das Wählerverhalten in den Analysen bewertet wurde. Besondere Beachtung erfährt in diesem Kapitel das Medium Fernsehen. Es wird nachvollzogen, welchen Einfluss diesem Massenmedium seit seinem Aufkommen in der Medienwirkungsforschung zugeschrieben wird. Im darauf folgenden Unterkapitel wird der Forschungsstand zu den TV-Duellen aufgearbeitet. Dazu wird, aufgrund der früheren Etablierung dieses Formats, zuerst die Forschung in den USA kurz vorgestellt. Daran anschließend wird auf die Analysen zu den deutschen TV-Duellen seit dem Bundestagswahlkampf 2002 eingegangen.

2.1 Die allgemeine Entwicklung der Medienwirkungsforschung

Schon 1940, in einer der einflussreichsten Arbeiten der Wahlforschung, wurde der Einfluss der Medien auf das Wählerverhalten diskutiert: In „The People’s Choice. How the Voter makes up his Mind in a Presidential Campaign“ erwarteten Lazarsfeld, Berelson und Gaudet (1944) starke Effekte durch den Medienkonsum. Diese Annahme war für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich. Das Aufkommen der Massenmedien, wobei es sich damals hauptsächlich um Zeitungen handelte, fand im 19. Jahrhundert zu einer Zeit der Industrialisierung und Verstädterung statt. Menschen zogen vom Land in die Stadt und arbeiteten zunehmend in Fabriken. Dieses Aufbrechen von traditionellen Lebenswelten, zusammen mit der Etablierung der Zeitung als Massenmedium, führte zu der Frage nach der Einflussstärke der Medien. Die pessimistische Annahme, dass aufgrund der veränderten Lebensverhältnisse der Menschen und dem zunehmenden Gebrauch von Zeitungen, eine starke Beeinflussung der Bevölkerung stattfand, wurde häufig geäußert. Forschungsergebnisse, die diese Vermutung untermauert hätten, gab es allerdings nicht. Jedoch kam es insbesondere ab den 1930er Jahren zu Beobachtungen, welche die Vorstellung wirkungsmächtiger Medien unter- mauerten. Dazu gehörte unter anderem die Nutzung neuer Medien durch die Nationalsozialisten. Diese hatten die Propaganda-Techniken aus den Zeiten des ersten Weltkriegs weiterentwickelt. Die Konsolidierung der Macht der Nationalsozialisten und der gleichzeitige Einsatz neuer Medien, wie beispielsweise dem Fernsehen, ließen den Eindruck erwecken, dass sie neue Wege gefunden hatten, die Einstellungen der Bevölkerung zu beeinflussen (vgl. Schenk 2002; Baran/Davis 2006).

Das theoretische Grundgerüst der Arbeit von Lazarsfeld und den anderen basierte auf einer einfachen Stimulus-Response-Mechanik. Der Wähler erhält danach einen Stimulus, beispielsweise in Form einer positiven Meldung über einen der zur Wahl stehenden Kandidaten, und verändert dadurch seine Meinung zu eben dieser Person. Aufbauend auf diesem einfachen Mechanismus erwarteten sie, dass bei Individuen, die häufig Medien konsumieren, ein stärkerer Effekt auf das Wählerverhalten zu beobachten ist (Brettschneider 2005). Ein näherer Blick auf ihr Modell verdeutlicht den Grund für ihre Annahme.

Lazarsfeld und die anderen unterteilten die Wähler in vier Gruppen: partisans, crystallizers, waverers und party changer. Die Stabilität der individuellen Wahlentscheidung im Zeitverlauf war dabei eines der herangezogenen Merkmale zur Einteilung der Gruppen. Denn das Wahlverhalten von partisans und crystallizers war maßgeblich durch ihre soziodemographischen Merkmale dominiert und dementsprechend stabil. Waverer und party changer waren hinsichtlich ihrer Wahlentscheidungen hingegen wesentlich wechselfreudiger. Dies lag vor allem daran, dass sie sich zwischen verschiedenen sozialen Kreisen bewegten. Diese Kreise unterschieden sich in ihren Wertvorstellungen, die sich teilweise sogar widersprachen. Dies führte zu sogenannten „cross pressures“. Durch den Kontakt mit unterschiedlichen Wertvorstellungen konnten sich politische Prädispositionen bei den entsprechenden Individuen nicht verfestigen. Partisans und crystallziers waren den cross pressures wesentlich weniger ausgesetzt, sodass sie wesentlich stabilere Prädispositionen aufbauen konnten. Dies sorgte, im Vergleich zu den waverers und party changern, für ein stabileres Wählerverhalten (vgl. Schoen 2005; Bürklin/Klein 1998).

Neben der Stabilität der Wahlentscheidung war die Intensität der Mediennutzung ein weiteres Kriterium in dem sich die Mitglieder der vier Gruppen unterschieden. Entsprechend der zuvor genannten Erwartungen der Forschergruppe, hätten eigentlich waverer und party changer am häufigsten Medien konsumieren müssen. Allerdings zeigte sich, dass dies nicht der Fall war. Im Gegenteil: die Gruppe mit der stärksten Nutzung der Medien waren die Partisans. Die Annahme zu Beginn der Untersuchung, dass ein erhöhter Medienkonsum zu einem stärkeren Einfluss beim Rezipienten führt, musste also aufgegeben werden. Stattdessen konnte eine weitere Beobachtung gemacht werden: Denn die partisans nutzten nicht nur am intensivsten das Medienangebot, sie selektierten bei der Auswahl der Medien auch am stärksten. Das heißt, sie suchten sich unter den Massenmedien das Angebot aus, dass ihren eigenen politischen Vorstellungen am nächsten kam. Doch die Selektion bezog sich nicht nur auf das Medium an sich. Auch auf der Artikel- und Beitragsebene wurde noch nach den eigenen Prädispositionen gefiltert. Dieses ausgeprägte Selektionsverhalten erklärt auch das sehr stabile Wählerverhalten. Denn da die Medienauswahl sich entlang der eigenen Wertvorstellungen orientiert, kommt das Individuum nur selten mit widersprüchlichen Anschauungen in Kontakt. In leicht abgeschwächter Form konnte dieses Verhalten auch bei den chrystallizers wiedergefunden werden. Ein persuasiver Einfluss auf das Wählerverhalten durch den Medienkonsum kann aufgrund der ausgeprägten Selektion nicht stattfinden.

Wähler, die zu den Gruppen der waverers und party changer gezählt wurden, wiesen dieses Selektionsverhalten hingegen kaum auf. Dennoch konnten auch bei ihnen keine persuasiven Medieneffekte beobachtet werden. Denn da das politische Interesse in diesen Gruppen nur schwach ist, bilden sich auch keine stabilen politischen Prädispositionen aus. Folglich bedeutet die Konfrontation, beispielsweise durch den Medienkonsum oder die interpersonale Kommunikation, mit politischen Inhalten enormen Stress. Schließlich können die schwachen politischen Prädispositionen nicht bei der Selektion der Medieninhalte helfen. Folglich werden die waverer und party changer mit vielen unterschiedlichen politischen Wertvorstellungen konfrontiert. Dies führt zu einem erhöhten kognitiven Stress. Um diesem zu entgehen, vermieden sie weitgehend den Konsum der politischen Medien- berichterstattung, wie Lazarsfeld und die anderen feststellten. Dies erklärt, warum auch bei den waverer und party changer, trotz geringer Selektion beim Medienkonsum, keine Effekte auf das Wählerverhalten durch die politische Berichterstattung gefunden werden konnten. Stattdessen wurde deutlich, dass die interpersonale Kommunikation einen Einfluss auf das Wählerverhalten hat. Dies wurde durch das größere Vertrauen erklärt, welches den Personen im Umfeld im Gegensatz zu den anonymen Massenmedien entgegengebracht wird. Somit können aber auch Individuen, welche die Medien aktiv meiden, indirekt, nämlich durch ihr Umfeld, beeinflusst werden (vgl. Brettschneider 2005).

Die Ergebnisse von Lazarsfeld, Berelson und Gaudet entsprachen nicht ihren Erwartungen. Sie standen daher auch nicht im Einklang mit den Befürchtungen eines starken Einflusses der Medien auf das Wählerverhalten, wie sie seit dem Aufkommen der Massenmedien immer wieder geäußert wurden. Stattdessen fanden sie nur schwache, die bestehenden Einstellungen des Individuums verstärkende Effekte. Dieser Befund deckte sich allerdings mit weiteren Ergebnisse der Medienwirkungsforschung zu dieser Zeit. Ab den 1940er Jahren wurden vermehrt Untersuchungen unter Anwendung der Methoden der empirischen Sozialforschung zum Einfluss der Medien durchgeführt. Die Ergebnisse vieler dieser Studien ähnelten sich dabei: Der Einfluss der Massenmedien wurde oftmals als eher schwach bezeichnet. Das Paradigma starker, die Meinung maßgeblich beeinflussender Medieneffekte wurde weitgehend aufgegeben (vgl. Schenk 2002).

Entsprechend der Vorstellung, dass mit dem Medienkonsum nur geringe Effekte einhergehen, wurde auch in der Arbeit „The American Voter“ (1964) von Campbell et al. der Medienkonsum bei der Analyse des Wählerverhaltens nicht berücksichtigt. Dies ist umso bedeutender, wenn man bedenkt, dass mit dieser Arbeit der Grundstein für den sozialpsychologischen Ansatz zur Erklärung des Wählerverhaltens gelegt wurde. Dabei zeigt ein Blick auf das Modell, dass das Individuum durchaus Informationen für seine Wahlentscheidung benötigt. Zwar bildet sich die wichtigste, weil langfristig wirkende und damit einflussreichste Variable des Modells schon während der Sozialisation im Jugendalter. Damit basiert sie stark auf Erfahrungen, die beispielsweise im Elternhaus gemacht werden, und nicht direkt auf Informationen, die durch die Medien vermittelt wurden. Jedoch werden für die kurzfristigen Einflussgrößen der Kandidaten-Orientierung und der Sachthemen-Orientierung aktuelle Informationen benötigt. Dennoch wird in der Arbeit von Campbell und den anderen nicht weiter auf die Quelle der Informationen eingegangen. Dass die Informationen für die Wahlentscheidung über die Massenmedien bezogen werden könnten, wird daher gar nicht erst thematisiert (vgl. Brettschneider/Schrott 1998). Dieses Desinteresse an möglichen Medieneffekten steht im Einklang mit dem damals vorherrschenden Paradigma der geringen Medienwirkungen.

Eine ganze Phase der Medienwirkungsforschung wurde ab den 1940er Jahren durch die Ergebnisse verschiedener Arbeiten geprägt, die den Medien nur einen geringen Einfluss zuschrieben. Joseph Klapper war einer der Autoren, die zu dem Paradigma wirkungsschwacher Medien beigetragen haben. Dieser hatte sich Ende der 1950er, beziehungsweise Anfang der 1960er Jahre in verschiedenen Arbeiten mit der Einflussstärke der Medien beschäftigt (Klapper 1957; 1960). In seinem „Phenomenistic Approach“ kam er zu dem Schluss, dass die Massenmedien alleine keine ausreichenden Einflussmöglichkeiten besitzen. Außerdem wirken die Medien nicht unvermittelt auf das Individuum. Stattdessen gibt es einige intervenierende Faktoren, welche die Einflussmöglichkeiten durch den Medienkonsum steuern. Dazu gehören etwa die individuellen Prädispositionen, die eine Art Filterfunktion übernehmen, indem sie zu einer selektiven Zuwendung, Wahrnehmung und Erinnerung der Informationen führen. Auch die normativen Einflüsse durch das soziale Umfeld oder die interpersonale Kommunikation als Informationsquelle vermindern die direkten Medienwirkungen auf das Individuum. Insgesamt kam er zu dem Schluss, dass die Effekte der Massenkommunikation nur über die verschiedenen Faktoren wirken können und das die Massenkommunikation dementsprechend nur unterstützend auf die Meinungsentwicklung wirken kann. Außerdem verstärken die Faktoren in der Regel die bestehende Meinung lediglich. Ein Meinungswandel kann nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden: Entweder sind in einem solchen Fall die Einflussfaktoren unwirksam, sodass die Massenmedien direkt wirken können. Oder die Faktoren tragen selbst wesentlich zur Meinungswandlung bei (Klapper 1957; vgl. Schenk 2002).

Das Paradigma der wirkungsschwachen Medien lässt sich also auch auf ein verändertes Verständnis der individuellen Informationsverarbeitung zurückführen. Das Stimulus-Response-Modell beschrieb einen sehr einfachen Mechanismus, wie Informationen ohne Filter aufgenommen und verarbeitet werden. Dagegen sind die Theorien zur Informationsverarbeitung seit den 1940er Jahren, also der Zeit, in der vermehrt Studien zur Medienwirkung unter Anwendung sozialwissenschaftlicher Methoden erforscht wurden, komplexer. Sie umfassen, wie am Beispiel des „Phenomenistic Approach“ von Klapper dargestellt wurde, weitere intervenierende Faktoren. Es wird nicht mehr davon ausgegangen, dass die durch die Medien vermittelten Informationen vorbehaltlos, also ohne Kontrolle durch die Prädispositionen des Individuums, dessen Erfahrungen oder Informationen aus anderen Quellen, aufgenommen werden. Dennoch zeigen verschiedene Untersuchungen zu späteren Zeitpunkten, dass die damals gewonnenen Resultate nicht durchgehend korrekt waren. So konnte Smith im Jahr 2001 zeigen, dass die Ergebnisse von Lazarsfeld et al. (1944) nicht so eindeutig waren, wie sie dargestellt wurden. Er war in der Lage durch eine neue Analyse der damals gesammelten Daten Medieneffekte nachzuweisen (vgl. Schulz 2008). Die Selektion von Medien nach den individuellen Wertevorstellungen, die sich sowohl bei Lazarsfeld et al. (1944) als auch bei Klapper (1957; 1960) findet und einer der entschei- denden Gründe für die schwachen Effekte des Medienkonsums darstellt, konnte so ebenfalls nicht bestätigt werden. Schon 1967 kommen Sears und Freedman zu folgendem Ergebnis: „ In no way can the available evidence be said to support the contention that people generally seek out supportive information and avoid nonsupportive information“ (Sears/Freedman 1967: 212). Einige der Annahmen und Argumente für die Schwäche der Medieneffekte ließen sich nachträglich also entkräften. Dennoch führte das Paradigma geringer Medienwirkungen zu einem Abflachen des Interesses an der Medienwirkungsforschung. Dies führte sogar dazu, dass Bernard Berelson (1959) die Kommunikationsforschung für tot erklärte, weil es seiner Ansicht nach nichts mehr zu erforschen gäbe. Er forderte stattdessen dazu auf, sich wichtigeren Forschungsbereichen zuzuwenden (vgl. Baran/Davis 2006).

Mit der Entdeckung des Fernsehens als Wahlkampfmedium stieg auch wieder das Interesse an der Medienwirkungsforschung. Bereits 1961 untersuchten Trenaman und McQuail anhand von Panel-Daten, ob die politische Medienberichterstattung im Fernsehen einen Einfluss auf das Image von Kandidaten und Parteien bei den Zuschauern ausübte. Zu diesem Zeitpunkt gelang ihnen dieser Nachweis nicht. Erst in der Folgestudie sieben Jahre später von Blumler und McQuail (1968) konnten die Effekte durch den Einsatz besserer statistischer Methoden nachgewiesen werden. Einen besonderen Schub für die Medienwirkungsforschung stellte der Präsidentschaftswahlkampf zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy dar. Der positive Verlauf für letzteren wurde nicht zuletzt einer der TV-Debatten zwischen beiden zugeschrieben, in der ein kränklich wirkender und schwitzender Nixon auf einen gesunden und gut gebräunten Kennedy traf. Trotz dieses Mythos um die Wirkung des TV-Duells auf den Ausgang der Wahl, konnten in verschiedenen Untersuchungen keine Effekte der politischen Fernsehberichterstattung auf das Kandidaten-Image bei den Wählern festgestellt werden (vgl. Schulz 2008).

Mit dem Aufkommen des Fernsehens als Wahlkampfmedium und dem damit wieder erstarkten Interesse an der Medienwirkungsforschung wurden auch neue theoretische Ansätze diskutiert. Diese bezogen auch die Besonderheiten des neuen Massenmediums Fernsehen ein. Denn im Gegensatz zur Zeitung hat der Konsument weniger Möglichkeiten zur Selektion bei der Informationsaufnahme. Dies gilt insbesondere für die Anfangszeit des Fernsehen, als es nur wenige TV-Sender gab. Der Einfluss des neuen Mediums wurde dabei nicht nur auf individueller Ebene gesehen. Für die gesamte Gesellschaft wurde eine Annäherung von Vorstellungen und Meinungen beobachtet. Diese Angleichungen wurden auf das dauerhaft gesendete System von Botschaften zurückgeführt. Dadurch würden gemeinsam geteilte Vorstellungen und Erwartungen gebildet werden; der Begriff des „Mainstreaming“ beschreibt diesen Prozess (vgl. Gerbner 2000).

Ein theoretisches Konzept zur Wirkung des Fernsehen auf individueller Ebene ist die Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann. Mit diesem Ansatz versuchte sie den Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl 1976 zu erklären. Denn lange Zeit lagen CDU/CSU und SPD in den Meinungsumfragen gleich auf, dennoch gelang es den Sozialdemokraten am Ende zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die meisten Stimmen auf sich zu vereinen. Den Grund für diesen Sieg sah Noelle-Neumann im Meinungsklima begründet, das durch die Medien vermittelt wurde. Diese, insbesondere das Fernsehen, hätten den Eindruck vermittelt, dass die Koalition aus SPD und FDP die Wahl gewinnen würde. Viele Wähler hätten daher für die SPD gestimmt. Denn die Menschen, so Noelle-Neumann, orientieren sich an der Mehrheitsmeinung um nicht in eine Außenseiterposition zu geraten. Sie vermeiden es ihre Meinung zu äußern, wenn diese nicht der Mehrheit entspricht. Dieses Verhalten kann zu einer gewissen Dynamik führen: Wenn in einem hypothetischen Szenario zwei Parteien vor der Wahl über ein gleich starkes Wählerpotential verfügen und der Eindruck durch eine einseitige Medienberichterstattung entsteht, dass Partei A deutlich bessere Siegchancen hat, werden die Anhänger von Partei B zunehmend verstummen. Dadurch wird der Eindruck, dass Partei A die Wahl gewinnen wird, jedoch weiter verstärkt. Eine Schweigespirale entsteht (vgl. Noelle-Neumann 1980).

Die Mehrheitsmeinung wird in modernen Gesellschaften über die Massenmedien verbreitet, sodass ihnen eine besondere Rolle zukommt. Bezogen auf die Frage nach den Einflussmöglichkeiten der Massenmedien, unterstellt die Theorie der Schweigespirale folglich, dass insbesondere die politische Medienberichterstattung starke Effekte auf den Wähler hat. Im Gegensatz zu anderen, wie beispielsweise dem Ansatz von Klapper, werden hier keine weiteren intervenierenden Faktoren berücksichtigt. Insgesamt ist der Ansatz von Noelle-Neumann damit weniger komplex. Die Ergebnisse empirischer Studien, die diese Theorie überprüft haben, sind widersprüchlich (vgl. Schulz 2008: 235f.)

In den vergangenen Jahren konzentrierte sich die Medienwirkungs- forschung stärker auf die individuelle Informationsverarbeitung. Der Fokus richtete sich auf die Frage, welche Informationen ausgesucht werden und welchen Einfluss sie auf die Realitätskonstruktion des Rezipienten haben. Diese leicht veränderte Perspektive führt zu ambivalenten Ergebnissen bei der Frage nach der Wirkungsmacht der Medien. Denn auf der einen Seite, etwa bei der Frage, welche Themen wichtig sind, lassen sich starke Effekte der politischen Medienberichterstattung bei den Rezipienten feststellen. Auf der anderen Seite ist der Einfluss aber auch stark durch die subjektive und individuelle Interpretation des Rezipienten begrenzt. So kann die gleiche Nachricht über ein politisches Ereignis oder die Thematisierung eines Spitzenkandidaten durch die Interpretationsrahmen von zwei Individuen unterschiedlich aufgenommen werden. Ansätze wie das Agenda-Setting (McCombs/Shaw 1972) oder das Framing (vgl. Price/Tewksbury 1997) konzentrieren sich folglich viel stärker auf einzelne Prozesse der individuellen Informationsverarbeitung als ältere Ansätze, wie dem Phenomenistic Approach von Klapper oder der Schweigespirale von Noelle-Neumann, die den Effekt der Medien ganzheitlicher erklären wollten.

Die Darstellung über die Entwicklung der Medienwirkungsforschung hat aufgezeigt, dass es im Zeitverlauf recht unterschiedliche Auffassungen über die Stärke und Wirkungsweise von Medieneffekten gab. Seit dem Aufkommen der Massenmedien hat sich die Vorstellung über deren Einflusspotential stetig verändert. Immer wieder wurde die Diskussion von unterschiedlichen Paradigmen beherrscht. Insgesamt kann dabei grob zwischen vier Phasen unterschieden werden: Zunächst wurde den Medien ein sehr großes Einflusspotential zugeschrieben. Dies änderte sich ab den 1940er Jahren. Einige der Analysen zeigten damals nur schwache Effekte durch den Medienkonsum. Das Paradigma wirkungsschwacher Medien wurde, nachdem das Interesse an der Medienwirkungsforschung zuvor spürbar nachgelassen hatte, mit dem Aufkommen des Fernsehens wiederum verworfen. Ab den 1970 Jahren galt stattdessen, dass der Medienkonsum, vor allem der des Fernsehens, doch einen relevanten Einfluss auf das Wählerverhalten hat. Mittlerweile ist der Fokus, seit Beginn der 1990er Jahre, stärker auf die individuelle Informationsverarbeitung gerückt, wobei vor allem einzelne Prozesse analysiert werden (vgl. Baran/Davis 2006). Ganzheitliche Betrachtungen von Medienwirkungen auf das Individuum sind dagegen etwas in den Hintergrund gerückt.

Selbst die Darstellung dieser vier Phasen ist nicht unumstritten (vgl. Brosius/Esser 1998). Dennoch hilft es einen Blick auf die Diskussionen um die Einflussstärke der Massenmedien zu werfen, um sich der Problematik der Medienwirkungsforschung bewusst zu werden. Diese hat sich seit ihrem Entstehen mit starken Veränderungen auf unterschiedlichen Gebieten zu befassen: Das Massenmedium „Zeitung“ hat sich nicht nur in der Breite und der Anzahl des Angebots massiv gewandelt. Mit dem Fernsehen und dem Internet sind außerdem neue Formen von Massenmedien entstanden, die jeweils eine eigene Nutzungslogik aufweisen. Auch die Gesellschaft unterliegt seit den Anfängen der Massenmedien starken Veränderungen, sodass sich auch die individuellen Einflussmöglichkeiten gewandelt haben. Nicht zuletzt haben sich auch die Sozialwissenschaften und die statistischen Methoden weiterentwickelt, um Medieneffekte überhaupt untersuchen zu können. So verwundert es auch nicht, dass starke Impulse für die Medienwirkungs- forschung von dem Aufkommen neuer Massenmedien oder neueren theoretischen Ansätzen ausgingen.

Insgesamt herrscht heute immer noch Uneinigkeit über die Stärke von Medieneinflüssen. Dies gilt umso mehr für direkte, persuasive Effekte durch den Medienkonsum. Denn bei vielen der aktuell diskutierten Einflüsse, beispielsweise durch das Agenda-Setting oder das Framing, handelt es sich vielmehr um indirekte Formen der Einflussnahme. Dennoch wurde auch in jüngerer Vergangenheit immer wieder gefordert, starke Medienwirkungen bei der Analyse zu berücksichtigen (vgl. Bartels 1993; Zaller 1996). An diese Diskussion schließt die vorliegende Master-Thesis an, deren Ziel es ist, direkte Medieneffekte bei der Bundestagswahl 2009 zu untersuchen.

2.2 TV-Duelle als besonderes Format in der politischen Fernsehberichterstattung

Die Forschung zu den Wirkungen von TV-Duellen auf das Wählerverhalten wird in diesem Unterkapitel getrennt zur Entwicklung der Medien- wirkungsforschung dargestellt. Auf der einen Seite trägt dies dem Aufbau dieser Arbeit Rechnung. Auf der anderen Seite, und das ist der gewichtigere Grund, ist das Format der TV-Duelle nicht mit den anderen Formaten der politischen Medienberichterstattung im Fernsehen zu vergleichen. Denn die Zuschauer sind, im Unterschied zu Fernsehnachrichten oder politischen Talkshows, in der Lage sich einen unmittelbaren Eindruck von den zur Wahl stehenden Kanzlerkandidaten und ihren politischen Standpunkten zu machen. Zwar kann man nicht sagen, dass es sich dabei um Miniatur-Kampagnen handelt (vgl. Maier/Faas 2011). Schließlich gehören zu einer Kampagne noch weitere Elemente. Dennoch ist das TV-Duell in der Lage, die wichtigen Themen des Wahlkampfs in einer komprimierten Form dem Zuschauer näher zu bringen. Damit ist dieses Format auch für politisch nur wenig interessierte Menschen sehenswert. Schließlich sind sie durch das TV-Duell in der Lage mit nur geringem zeitlichen Aufwand und in Nähe zum Wahltermin genug Informationen für eine Wahlentscheidung zu sammeln. Diese Attraktivität für politisch gering involvierte Wähler, die hohen Zuschauerzahlen und die Möglichkeit für den Zuschauer, einen unmittelbaren Eindruck hinsichtlich der Kandidaten und ihrer thematischen Standpunkte zu gewinnen, machen das TV- Duell zu einem besonderen Format der politischen Medienberichterstattung, das eine eigenständige Analyse erfordert.

Die Diskussion um den Einfluss von Fernsehdebatten wurde vor allem durch das erste Duell zweier Präsidentschaftskandidaten in den USA 1960 gestartet. Zwar kam es auf anderer Ebene, beispielsweise bei den Vorwahlen in Florida zwischen zwei Demokraten, zu Duellen im Fernsehen. Allerdings war die Debatte zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy wesentlich relevanter. Die Diskussion um dieses Format wurde jedoch nicht nur wegen der Relevanz geführt. Vielmehr wurde der ersten TV-Debatte zwischen diesen beiden Kandidaten ein wahlentscheidender Einfluss zugesprochen. Im ersten von vier Duellen trat nämlich ein kränklich wirkender und blasser Richard Nixon, der gerade erst einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hatte, auf einen gesunden und gut gebräunten John F. Kennedy. Letzter sprach darüber hinaus die Zuschauer direkt an, indem er in die Kameras blickte. Der als Favorit in das Duell gegangene Republikaner Nixon wandte sich bei seinen Beiträgen hingegen verstärkt an Kennedy. Umfragen im Anschluss an das Duell ergaben, dass bei den Radiozuhören Nixon vermehrt als Sieger der Debatte wahrgenommen wurde, bei der Mehrheit der TV-Zuschauer jedoch Kennedy das Rennen gemacht hatte (Maurer/Reinemann 2007).

Dass die Fernsehdebatte zu dem späteren Wahlsieg Kennedys beigetragen hat, zeigte sich auch in anderen Analysen. So untersuchte Middleton (1962) beispielsweise inwieweit das Thema Bürgerrechte für die politische Kampagnen relevant war. Hierzu bildete er zwei Untersuchungsgruppen: eine bestand aus weißen Wählern; die andere aus Afroamerikanern. Da für seine Untersuchung auch Daten in dem zweiwöchigen Zeitraum zwischen dem letzten Duell und dem Wahltermin erhoben wurden, konnten sie auch für eine Schätzung des Einflusses der Fernsehdebatte genutzt werden. Dabei kam er zu folgendem Schluss: „The debates played an ‘ extremely important ’ role in the decisions of 1 out of every 8 registered voters. Kennedy's greater success with this segment of the population was one of the major factors in his victory “ (Middleton 1962: 429). Aus diesem Resultat folgerte er außerdem, dass den Massenmedien in politischen Kampagnen eine größere Relevanz zugestanden werden muss.

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Final del extracto de 81 páginas

Detalles

Título
Der Einfluss des Mediums Fernsehen auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009
Universidad
University of Hannover  (Institut für Politische Wissenschaft)
Calificación
1,3
Autor
Año
2012
Páginas
81
No. de catálogo
V214717
ISBN (Ebook)
9783656429326
ISBN (Libro)
9783656432999
Tamaño de fichero
582 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Wahlforschung, Bundestagswahl, Mehrebenenanalyse, Medieneinflüsse, TV-Nachrichten, RAS-Modell
Citar trabajo
Martin Puppe (Autor), 2012, Der Einfluss des Mediums Fernsehen auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214717

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