Zur kopernikanischen Gegenrevolution

Bruno Latour, Karin Knorr Cetina und die Vergesellschaftung von Objekten


Magisterarbeit, 2006

95 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Eine „kopernikanische Gegenrevolution“
1.1. Kant und seine kopernikanische Wende
1.2. Peirce und seine pragmatische Wende

2. Karin Knorr Cetina und die „Sozialität mit Objekten“
2.1. Die Bedeutung der Laborwissenschaften
2.1.1. Drei unterschiedliche Labortypen
2.1.2. Das CERN
2.1.3. Von den epistemischen Kulturen zum epistemischen Objekt
2.2. Die Objekte in den Laboratorien
2.3. Die Bedeutung der Struktur des Wünschens und Begehrens in der
Wissenschaftsforschung
2.4. Die Bedeutung der Reziprozität und Solidarität für eine
Objekt-orientierte Sozialität
2.5. Auseinandersetzungen mit Karin Knorr Cetina
2.6. Objekt-zentrierte Beziehungen

3. Latour und die Geschichtlichkeit der Dinge
3.1. Die Frage nach der Wirklichkeit
3.2. Ein Referenzmodell
3.3. Die Wissenschaft als Blutkreislauf
3.4. Die Herstellung von Realität
3.4.1. Die Entstehung der Substanz
3.4.2. Ereignisse
3.4.3. Ein Lösungsversuch für den Konflikt
zwischen Konstruktivismus und Realismus
3.4.4. Der Versuch einer Neuverteilung der Sprachfähigkeit zwischen
Menschen und nichtmenschlichen Wesen
3.4.5. Die Dinge und ihre Geschichtlichkeit
3.4.5.1. Eine raum-zeitliche Hülle für Propositionen
3.4.5.2. Die Substanz als Institution
3.4.5.3. Eine rückwärtsgerichtete Verursachung
3.5. Latours Handlungsprogramm oder
die Aktor-Netzwerk-Theorie (ANT)
3.6. Auseinandersetzungen mit Bruno Latour
3.6.1. Eine Objekt-orientierte Handlungstheorie

4. Eine Vergesellschaftung von Objekten

5. Literaturverzeichnis

1. Eine „kopernikanische Gegenrevolution“

Die Aufklärung hat endlich eine Bleibe. Die Naturen sind präsent, aber mit ihren Repräsentanten, den Wissenschaftlern, die in ihrem Namen sprechen. Die Gesellschaften sind präsent, aber mit den Objekten, die ihnen schon immer Gewicht gegeben haben. (Latour 1998: 192)[1]

Die Moderne, ausgehend von Descartes und seinem methodischen Zweifel, über Kant und seine kopernikanische Wende bis hin zu Hegel und seinem absoluten Wissen, entwickelte eine Erkenntnistheorie, die die Bedingungen der Erkenntnismöglichkeit weg vom Objekt hin zum Subjekt verlagert hat. Es entsteht ein Subjekt, das mit Hilfe eines bestimmten Prinzips, wie z.B. bei Kant mit der Vernunft und der Urteilskraft, zu einer Erkenntnis gelangt, die nicht mehr ein „Ding an sich“ erkennen kann, sondern nur durch die Aufdeckung der Grenzen seines Prinzips sozusagen „Sich selbst“ erkennt. Diese Grenzen liegen im Subjekt selbst, das sich selbst „als wahrnehmend und erkennend thematisiert, d.h. reflexiv sich selbst zum Gegenstand seines Denkens macht.“ (Hauskeller: 7)

Kant deklariert in der „Kritik der reinen Vernunft“ seine Vorgehensweise, mit der er der Wissenschaft zu sicheren Erkenntnissen verhelfen und sie vor dem bloßen „Herumtappen“ (B XI) bewahren will, als „Revolution der Denkart“ (ebd.). Er schreibt in seiner Vorrede:

Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten. (B XVI)

200 Jahre nach Kant wurde und wird dieses Projekt von verschiedenen Seiten[2] kritisiert oder sogar in Frage gestellt. Was als Projekt der Aufklärung[3] so verheißungsvoll begann, als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“[4], muss über seine eigenen Grenzen nachdenken[5].

Damit wird aber auch zugleich der Weg frei, eine „Gegenrevolution“[6] zu starten. Was geschah mit den Objekten? Was liegt nun „wirklich“ außerhalb des Subjekts? Was ist real, was konstruiert? Konstruiert das Subjekt tatsächlich die Objekte oder können nicht vielleicht doch auch die Objekte das Subjekt konstruieren? Die Wissenschaftsphilosophie, die Wissenschaftsforschung bzw. die science studies[7] eröffnen mit ihren Ausführungen über das Labor und das Experiment Möglichkeiten, einen neuen Blick auf wissenschaftliche Objekte zu werfen.

Somit liegt zuerst einmal das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit daran, diese wissenschaftlichen Objekte zu untersuchen und zu sehen, welche Strukturen sie aufweisen und in welchen Beziehungen sie zum Subjekt und zum Erkenntnisprozess stehen (Kapitel 2: Karin Knorr Cetina und die Sozialität mit Objekten). Wenn man aufgrund dieser Untersuchungen die Objekte als etwas, das außerhalb des Subjekts liegt, ansehen muss, das zwar durchaus vom Subjekt konstruiert wurde, aber auf das Subjekt zurückwirkt und damit die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen im Subjekt nachhaltig beeinflusst, dann kann man Konsequenzen aufzeigen, die für das Subjekt entstehen, jedoch von diesen Objekten ausgelöst wurden.

Ist man an dieser Stelle angekommen, dann bleibt die Frage offen, ob die Dichotomie von Subjekt und Objekt, von Natur und Kultur, überhaupt noch Geltung beanspruchen kann oder ob doch nicht besser mit dem „Versuch einer symmetrischen Anthropologie“[8] neue Perspektiven der Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten durch die Einführung des Begriffes der „Aktanten“ gewonnen werden können (Kapitel 3: Latour und die Geschichtlichkeit der Dinge).

Abschließend soll ein Versuch unternommen werden, um die Bedeutung dieser Erkenntnistheorie, die die Objekte miteinbezieht, hervorzuheben, zu zeigen, dass es diesen Darstellungen von Karin Knorr Cetina und Bruno Latour gelingen könnte, eine „Umstellung der theoretischen Optik“ (Rammert, 1998: 10) im Bereich der Sozialtheorie in die Wege zu leiten. Mit der Abwendung von einer Subjekt-orientierten Betrachtungsweise hin zu einer Objekt-orientierten könnte unter Umständen das begriffliche Material zur Verfügung gestellt werden, das Probleme, die in einer „post-traditionalen Wissens-gesellschaft“ (Knorr Cetina, 1998b: 83) in den Fokus rücken, besser bearbeiten könnte. Wie dies aussehen könnte, soll im vierten und letzten Kapitel mit der Überschrift: Eine Vergesellschaftung von Objekten gezeigt werden.

Um die Problemstellung besser darstellen zu können, soll zu Beginn, allerdings nur in einem kurzen Aufriss, auf Kant und seine Ausführungen über die kopernikanische Wende eingegangen werden. Von dort aus soll mit Hilfe von Peirce und seiner Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Methode der Übergang vom Subjekt- zum Objektbereich ermöglicht werden. Seine pragmatische Wende kann verdeutlichen, welche neuen Denkmöglichkeiten sich eröffnen, wenn man das Wissen bzw. die Erkenntnis nicht als apriorisches Gebilde erfasst, sondern den Fokus auf den Prozess der Wissensgewinnung richtet.

1.1. Kant und seine kopernikanische Wende

Nachdem Hume[10] ihn aus dem „dogmatischen Schlummer“[11] geweckt hat, steht Kant vor dem Problem, dass es das Schicksal der menschlichen Vernunft ist, durch Fragen belästigt zu werden, die sie nicht beantworten kann, da sie ihr Vermögen übersteigen (KrV, A VII). Bei dem Versuch der Beantwortung dieser Fragen gelangt sie immer wieder „in Dunkelheit und Widersprüche“ (A VIII), aus denen sie nicht mehr herausfindet. Kant möchte der Vernunft aus diesen Antinomien heraushelfen und damit gleichzeitig sowohl den Dogmatismus als auch den Skeptizismus überwinden (B 23).[9]

So sucht er nach den Bedingungen, die Erkenntnisse ermöglichen, und macht den Vorschlag die Bestimmungen des Objekts nicht mehr im Objekt selbst zu suchen, sondern, so die Wende, die Strukturen im Subjekt aufzudecken, die notwendig sind, um einen Gegenstand zu erkennen. Er entwickelt ein System, das sich an den Prinzipien der Logik, der Mathematik, aber vor allen Dingen der Naturwissenschaften orientiert (B VII–B XIII). Gerade die Naturwissenschaften seiner Zeit mit ihren Experimenten stellen ihm eine Methode zur Verfügung, die es ihm ermöglicht, dieses Projekt zu verwirklichen und Rationalismus und Empirismus zusammenzubringen.

Galilei und Torricelli[12] sind für Kant die Vorreiter dieser neuen Methode. Aufgrund ihrer Beobachtung der „Natur“ entwickeln diese über ein Gedankenexperiment apriorische und damit erfahrungsunabhängige Definitionen, leiten von diesen ihre Theorien und Hypothesen ab und entwerfen Experimente, mit denen sie ihre Sätze auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Bestätigt das Experiment ihre Theorien und Hypothesen, dann werden diese, obwohl erfahrungsunabhängig gewonnen, konstitutiv für das Verständnis ihrer Forschungsarbeit. Sie werden konstitutiv für die mechanische Physik, der Erfahrung allgemein und damit für die Möglichkeit der Erkenntnis der „Natur“[13]. Diese Form der Experimentiermethode[14], die sich zu Kants Zeit vor allen Dingen auf die euklidische Geometrie stützte, war somit auf einen logisch-deduktiven Prozess zur Gewinnung des Gedankenexperiments und zur Generierung des Experiments angewiesen und benötigte zudem einen empirisch-induktiven Bestätigungsprozess[15]. So kann Kant über diese Form der Experimente schreiben, „dass die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt.“ (B XIV)

Für sein eigenes Projekt bedeutet dies erweitert formuliert: „Die Vernunft muss mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen lässt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.“ (B XIV)

Nachdem Kant zuvor noch die Metaphysik als „einen Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten“ (A VIII), der Streitigkeiten, die zu keinen sicheren Erkenntnissen gelangen können, aber dennoch immer wieder die menschliche Vernunft herausfordern (A VII), deklarierte, möchte er ihr durch die Einführung eines Gerichtshofs und der Vernunft als Richter, zum Status einer Wissenschaft verhelfen. Die Vernunft soll jedoch nicht nur kritisch die Metaphysik und die Wissenschaften untersuchen, sondern sie soll auch sich selbst kritisch[16] hinterfragen können, um zu sicheren Ergebnissen zu gelangen. Wie aber kann die Vernunft zu sicheren Erkenntnissen gelangen, wie kann sie objektives Wissen erreichen?

Um diese Frage zu beantworten, um ein System zu entwickeln, das das Mannigfaltige der empirischen Erfahrung vorstrukturiert, in eine Ordnung bringt und dennoch unabhängig von dieser Erfahrung ist, und damit die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis aufzuzeigen, entwickelt Kant zunächst „zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis“(B 30): die Sinnlichkeit und den Verstand. Diese zwei Erkenntnisvermögen untersucht er hinsichtlich ihrer Elemente, die zu einer von allen Eindrücken der Sinne unabhängigen Erkenntnis (B2) führen, die er als eine reine Erkenntnis oder eine Erkenntnis a priori bezeichnen kann:

Damit ein Gegenstand wahrgenommen werden kann, dass er „erscheinen kann“, so Kant, muss zuerst das Gemüt affiziert werden. Die Fähigkeit des Gemütes, affiziert zu werden, nennt er „Sinnlichkeit“. „Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen.“ (B 33 ff) Die reinen Anschauungsformen der Sinnlichkeit, in denen nichts angetroffen werden kann, was zur Empfindung gehört (B36 ff), findet Kant in Raum und Zeit. Raum und Zeit sind damit selbst keine Eigenschaften von Gegenständen und keine Gegenstände der Erfahrung, sondern „in der Eigenart menschlicher Erkenntnis liegende erfahrungskonstituierende Ordnungsinstrumente für die Mannigfaltigkeit der Empfindungen“ (Mittelstraß: Band 2, 347).

Damit ein Gegenstand gedacht werden kann, d.h. bestimmt werden kann, benötigt Kant den „Verstand“. Der Verstand ist das Vermögen, Begriffe bzw. Regeln zu bilden (Kant: B 74 ff). Die reinen Verstandesbegriffe nennt Kant Kategorien[17]. Sie bilden die notwendigen Bausteine aller Gegenständlichkeit. Nur durch die Anwendung von ihnen kann objektives Wissen entstehen. In der transzendentalen Deduktion der Kategorien zeigt Kant, dass sie sich nicht aus der Erfahrung begründen lassen, denn: „Die Kategorie setzt also schon Verbindung voraus. Also müssen wir diese Einheit noch höher suchen, nämlich in demjenigen, was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauch enthält.“ (B 131)

Auf der Suche nach dieser nächsthöheren Ebene, die diese Synthese bewerkstelligen kann, gelangt er zu seiner Aussage: „Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können;“ (B 132) Durch dieses „Ich denke“ vollendet Kant seine kopernikanische Wende und damit sein Gedankenexperiment. Die Strukturen, die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis sind nicht mehr im Objekt zu finden, sondern sind im Subjekt verortet. Zugleich mit diesen Bedingungen zeigt er aber auch die Grenzen seiner Untersuchung auf, denn erst durch diese Setzung kann sein Projekt gelingen.

Die mannigfaltigen Anschauungen werden nämlich nur so zu meinen Vorstellungen, indem sie auf ein zunächst nur vorgestelltes Ich bezogen werden, das ein diesen Vorstellungen gemeinsamer Bezugspunkt ist. Ohne diese Setzung gibt es weder ein einheitliches Ich noch eine für dieses Ich erfahrbare Welt. Mit der Setzung des Ich beginnt eine synthetische Leistung , in deren Verlauf sich die Setzung erst rechtfertigt, indem sich nämlich Ich und Welt gleichermaßen konsolidieren. Ein spontaner Akt des Denkens schafft somit die Voraussetzung dafür, dass die Welt und ich mir selbst zur Erscheinung gelangen. (Nordmann, 2005b: 128)

Obwohl Kant mit Hilfe von Raum und Zeit und den Kategorien erfahrungsunabhängige Grundlagen für sein Gedankenexperiment erarbeitet, gelangt dieses genau dann an seine Grenzen, wenn er nach der nächsthöheren Ebene fragen muss. Kant selbst diskutiert im weiteren Verlauf seiner Kritik bzw. seiner Kritiken die Problematiken, die sich daraus ergeben. Zwei Konsequenzen sollen in meiner Arbeit besonders hervorgehoben werden, da sie zeigen, dass durchaus bereits bei Kant die Problematik des Denkens einer Subjekt/ Objekt – Dichotomie erkennbar ist: Zum ersten ergibt sich aus dieser Setzung des Ich zwar „dass ich bin“ (B158), aber nicht notwendigerweise eine Selbsterkenntnis, folglich, wie ich bin. Kant schreibt hierzu:

„... so ist zwar mein eigenes Dasein nicht Erscheinung (vielmehr bloßer Schein), aber die Bestimmung meines Daseins kann nur der Form des inneren Sinnes gemäß nach der besonderen Art, wie das Mannigfaltige, das ich verbinde, in der inneren Anschauung gegeben wird, geschehen, und ich habe also demnach keine Erkenntnis von mir, wie ich bin, sondern bloß, wie ich mir selbst erscheine. Das Bewusstsein seiner selbst ist also noch lange nicht ein Erkenntnis seiner selbst, ... .“ (B 158)

Weitere Auseinandersetzungen späterer Philosophen müssen folgen, um dieses „Selbst“ zu erkennen. Auch Karin Knorr Cetinas Konzeption kann sich, wie später gezeigt werden soll, auf dieses Problem beziehen.

Zum zweiten bedeutet diese Wende auch auf der Objekt-/Naturseite eine Begrenzung der Erkenntnismöglichkeit. Kant bemerkt hierzu:

„Jetzt soll die Möglichkeit, durch Kategorien die Gegenstände, die nur immer unseren Sinnen vorkommen mögen, und zwar nicht der Form ihrer Anschauung, sondern den Gesetzen ihrer Verbindung nach, a priori zu erkennen, also der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben und sie so gar möglich zu machen, erklärt werden“ (B 160).

Die Kategorien ermöglichen es, der Natur die Gesetze vorzuschreiben. Sie stellen ein Instrumentarium dar, die unbestimmte Vielfalt der Sinneseindrücke vorzustrukturieren, in Gesetze zu übersetzen und diese an die Natur heranzutragen, um diese zu nötigen, „auf ihre Fragen zu antworten“ (B XIV). Alles allerdings, was außerhalb dieses Erkenntnisinstrumentariums liegt, was mit diesen Mitteln, mit Raum, Zeit und den Kategorien, nicht erfasst werden kann, was in keine Gesetze übersetzt werden kann, kann zu keiner sicheren Erkenntnis, zu keinem objektiven, allgemeingültigen Wissen gelangen.

1.2. Peirce und seine pragmatische Wende

Obwohl oder gerade weil Peirce Kant mehr als bewunderte[18], kann er sich mit dessen Methode nicht zufrieden geben. Bei seiner Kritik an den Erkenntnistheorien, die zu seiner Zeit Gültigkeit beanspruchten, stellt er „Fragen hinsichtlich gewisser Vermögen, die man für den Menschen in Anspruch nimmt“(Peirce, CP 5.213 ff) und kommt zu dem Schluss, dass es vier Unvermögen gibt:

1. Wir haben kein Vermögen der Introspektion, sondern alle Erkenntnis der inneren Welt ist durch hypothetisches Schlussfolgern aus unserer Erkenntnis äußerer Fakten abgeleitet. 2. Wir haben kein Vermögen der Intuition, sondern jede Erkenntnis wird von vorhergehenden Erkenntnissen logisch bestimmt. 3. Wir haben kein Vermögen, ohne Zeichen zu denken. 4. Wir haben keinen Begriff[19] von einem absolut Unerkennbaren. (CP 5.265)

Aus dem ersten Unvermögen leitet er ab, dass es keine Erkenntnis der Außenwelt geben kann, die „auf unserem Selbstbewusstsein“ (CP 5.266) gründet. Damit kann auch keinerlei Feststellung zugelassen werden, „die das betrifft, was in uns vorgeht, es sei denn als eine Hypothese, die notwendig ist, um zu erklären, was in dem, was wir normalerweise die Außenwelt nennen, vor sich geht“ (ebd.). Da aber jede Erkenntnis von vorhergehenden abgeleitet werden muss, wie er es in seinem zweiten Punkt fordert, kann sie nur durch einen kontinuierlichen Prozess (CP 5.267) entstehen, dessen absolut erster Anfang (ebd.) nicht festgestellt werden kann. Erkenntnis ist damit kein statisches Produkt, sondern ein offener, dynamischer Prozess.

Bei der Auseinandersetzung mit seinem dritten Problem, dem Unvermögen, nicht ohne Zeichen denken zu können, stellt Peirce fest, dass ein Zeichen drei Bezüge aufweisen muss:

[...] erstens ist ein Zeichen in Relation zu einem Gedanken, der es interpretiert, zweitens ist es ein Zeichen für ein Objekt, für das es jenem Gedanken gleichbedeutend steht, drittens ist es ein Zeichen in einer Hinsicht oder Qualität, die es mit seinem Objekt in Verbindung bringt (CP 5.283).

Was bedeutet gerade diese dritte Problemstellung für den Erkenntnisprozess? Hat Kant diesen Prozess in das Subjekt hinein verlegt, das mit Hilfe von Raum und Zeit und den Kategorien, den Erkenntnisprozess vorstrukturiert, versucht nun Peirce den Objektbereich in diesen Prozess zu integrieren. Erkenntnis entsteht aus Erkenntnis. Da aber jeder Gedanke durch Zeichen vermittelt wurde, kann Erkenntnis nur mit Hilfe dieser Zeichen entstehen. Woher kommen aber diese Zeichen? Wie kann man feststellen, dass ein Diamant hart ist? Wie kann ich eine Idee davon entwickeln? Lediglich über die denkbaren sinnlichen Wirkungen eines Begriffes und damit nur durch die Anwendung der pragmatischen Maxime. Peirce schreibt:

„Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffes des Gegenstandes.“ (CP 5.403)

Erst über die Hypothese, dass, wenn etwas nicht von anderen Dingen geritzt werden kann (CP 5.402)[20], es auch besonders hart ist, kann ein Testverfahren installiert werden, das über eine Versuchsanordnung den Härtegrad von, zum Beispiel Diamanten, überprüfen kann. Nur durch die experimentelle Überprüfung der Hypothese können wir feststellen, dass Diamanten hart sind. Über eine pragmatisch-experimentelle Analyse kann eine Reihe von logisch miteinander verknüpften Zeichen so hergestellt werden, dass gezeigt werden kann, dass, da ein Diamant von keinen anderen Dingen beschädigt werden kann, er besonders hart sein muss.

Von daher wird aber auch deutlich, wie der Erkenntnisprozess nach Peirce aussehen soll. Welche Methode angewandt werden muss, um zu einer sicheren Erkenntnis zu gelangen. Nachdem Peirce insgesamt vier Methoden (CP 5.378 ff) vorgestellt hat, die Erkenntnisse ermöglichen: die Methode der Beharrlichkeit, der Autorität, der Apriorität und die wissenschaftliche Methode, entscheidet er sich für die wissenschaftliche Methode. Nur diese kann eine pragmatisch-experimentelle Analyse sicher stellen. Sie stellt ein Verfahren zur Verfügung, das den Erkenntnisprozess so strukturiert, wie Peirce es sich vorstellt. Sie untersucht die Wirkungen von Dingen, kommt über diese Untersuchung zu Vorstellungsmöglichkeiten dieser Wirkungen, aber auch zu den Eigenschaften der Dinge, baut auf vorhandene, bereits überprüfte Erkenntnis auf, formuliert Hypothesen mit Hilfe von Zeichen und überprüft diese wieder durch einen experimentellen Prozess. So kann Peirce schreiben:

Es gibt reale Dinge, deren Eigenschaften völlig unabhängig von unseren Meinungen über sie sind; dieses Reale wirkt auf unsere Sinne nach regelmäßigen Gesetzen ein, und obwohl unsere Sinnesempfindungen so verschieden sind wie unsere Beziehungen zu den Gegenständen, können wir doch, indem wir uns auf die Gesetze der Wahrnehmung stützen, durch schlussfolgerndes Denken mit Sicherheit feststellen, wie die Dinge wirklich und in Wahrheit sind;[...] (CP 5. 384)

Ohne Beharrlichkeit oder den Rekurs auf eine Autorität oder Apriorität kann erfasst werden, wie die Dinge wirklich und in Wahrheit sind, wie Zeichen verbindlich interpretiert werden können. Ein Wissen, das für wahr gehalten wird, kann entstehen, Überzeugungen können festgelegt werden und können Verhaltensweisen und Verhaltensgewohnheiten (habits) unserer Handlungen (CP 5.367 ff) bestimmen. Dieses Überzeugtsein bleibt so lange bestehen, bis es von der Empfindung des Zweifels abgelöst wird. Der Zweifel „regt uns zum Forschen an bis er beseitigt ist.“ (CP 5.373) Zweifel und Überzeugtsein[21] sind damit Voraussetzungen für einen Forschungsprozess, der immer wieder hinterfragt und bearbeitet werden kann bzw. muss.

Peirce findet nur in der wissenschaftlichen Methode eine Methode, die diese Offenheit gewährleistet, denn nur sie schafft die Möglichkeit, dass Wissen innerhalb einer Gemeinschaft, intersubjektiv und im Konsens entstehen kann. Stand bei Kant[22] das Subjekt mit seinen apriorischen Erkenntnisstrukturen im Mittelpunkt seiner Untersuchungen über den Erkenntnisprozess, richtet Peirce den Fokus seiner Untersuchungen einerseits auf die Bedeutung der Zeichen, die intersubjektiv interpretiert werden müssen und andererseits auf die wissenschaftliche Methode. Er verschiebt damit den Prozess vom Subjekt hin zur Interaktion, zur Intersubjektivität.

Diese pragmatische Wende öffnet den Erkenntnisprozess zur Forschergemeinschaft, zur scientific community hin. Neuere Untersuchungen von Karin Knorr Cetina und Bruno Latour können nun zeigen, wie die Verschiebung dieser Perspektive, einen neuen Blick auf das Objekt wirft und damit einerseits den Forschungsprozess weiter offen hält, andererseits Konsequenzen für das Subjekt aufweist.

Karin Knorr Cetina (2002) mit ihren Untersuchungen über „Wissenskulturen“ und Bruno Latour (2002) mit seinen Ausführungen über „Pasteur und die Mikroben“ können das Objekt in einen neuen Bedeutungshorizont für die Forschergemeinschaft, für diese Kollektive, stellen. Karin Knorr Cetina (1998b) hebt dabei die „Sozialität mit Objekten“ besonders hervor, Bruno Latour geht weiter und fordert eine symmetrische Anthropologie (1998). Beide Ansätze haben jedoch gemeinsam, dass die Strukturen, die Erkenntnis ermöglichen, die damit Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis schaffen, nicht nur vom Subjekt, vom menschlichen Wesen abhängen, sondern auch von Objekten, von nicht-menschlichen Wesen mitgestaltet werden.

2. Karin Knorr Cetina und die „Sozialität mit Objekten“

Als Soziologin versucht Karin Knorr Cetina in ihrem Text: „Sozialität mit Objekten“ eine neue Verortung des Subjekts in einer post-traditionalen Wissensgesellschaft (Knorr Cetina, 1998b: 83) vorzunehmen[23]. Obwohl sie der Diagnose der sozialen Vereinzelung bzw. Individualisierung in den gegenwärtigen Gesellschaften (ebd.) nicht widersprechen möchte, fordert sie dazu auf, dies auf seitens des Individuums als Chance zu sehen, neue Beziehungsstrukturen, Objekt-zentrierte Beziehungen, einzugehen:

Dieses Verständnis der „Einbettung“ des modernen Selbst als eine Angelegenheit des Verlustes menschlicher Beziehungen ignoriert Bindungen an nicht-menschliche Objektwelten. Es ignoriert das Ausmaß, in dem die Bindungsverluste moderner Individuen kompensiert werden durch die Expansion von Objekt-zentrierten Umwelten, die das Selbst situieren und stabilisieren, die individuelle Identität ebenso definieren, wie menschliche Gemeinschaften dies getan haben, und die Sozialitätsformen (Formen der Bindung des Selbst an ein „Anderes“) fördern, die an Stelle der menschlichen Formen von Sozialität treten, mit denen sich die Sozialwissenschaft traditionell beschäftigt. (ebd.)

Um diese Objekt-zentrierten Beziehungen darzustellen, diese neuen Bindungen zwischen Selbst und Anderen (1998b:112), die das Objekt miteinbeziehen, liegt der Fokus ihrer Arbeiten auf Untersuchungen der Beziehungsstrukturen zwischen Experten und Wissensobjekten (1998b: 95). Ihrer Meinung nach stellen Objektwelten Einbettungswelten für die Durchführung von Expertenarbeit dar und konstituieren damit so etwas wie emotionale „Heimaten“ für das Experten-Selbst (ebd.).

Eine externe Betrachtungsweise von Wissen und Expertise (1998b: 112) kann ihr dabei nicht genügen. Diese betrachtet den Wissensbereich lediglich von außen, Gegenstände werden als kognitive Produkte wahrgenommen und der Wissensbegriff wird nicht genau genug untersucht. Meist wird Wissen, so Karin Knorr Cetina, mit Theorie gleichgesetzt und als abstraktes System dargestellt. „Wenn das Selbst in diesen Szenarien überhaupt mitgedacht wird, dann erscheint es negativ beeinflusst.“ (1998b: 113) Diese negative Beeinflussung bedeutet, dass das „Selbst“ als eines dargestellt wird, das sich immer mehr durch eine technisierte Produktion und eine technisch veränderte Umwelt entfremdet, das durch die Komplexität einer Wissensgesellschaft überfordert wird und das durch die widersprüchlichen wissenschaftlichen Ergebnisse und die Unsicherheiten der Wissenschaft nicht mehr über die Kontrolle verfügt, die es sich von ihnen erhofft hat. (1998a: 113) Aber von genauer dieser negativen Darstellungsweise möchte sie weg.

Damit ihr Unternehmen, eine sozusagen interne Untersuchung der Wissensprozesse, gelingen kann, benötigt sie einen Ort, an dem sie ihre Feldforschung betreiben kann. Diesen Ort findet sie im Labor, dem Ort des naturwissenschaftlichen Denkens. (1998a: 104)

2.1. Die Bedeutung der Laborwissenschaften

„Für das Experten-Selbst stellt das Labor eine Einbettungswelt dar“ (1998b: 114):

Das wissenschaftliche Labor ist nicht nur der physische Ort, an dem Experimente durchgeführt werden. Laboratorien können vielmehr mit der Idee einer Rekonfiguration natürlicher und sozialer Ordnungen und ihrer Relation zueinander verbunden werden, aus der in einer Wissenschaft epistemischer Gewinn erzielt werden kann. (2002: 45)

Laboratorien verkörpern eine gesteigerte Umwelt, „in der natürliche Ordnungen in Relation zu sozialen Ordnungen im Hinblick auf die anstehenden Anliegen ´verbessert` erscheinen.“(ebd.) Diese gesteigerte Umwelt entsteht, da in den Laboratorien selten mit „naturbelassenen“ Objekten, sondern vielmehr „mit Objektzeichen, mit ihren physiologischen, chemischen, elektrischen u.a. Komponenten, mit ihren Extrakten und ´gereinigten` Versionen“ (45/46) gearbeitet wird.

Diese Verschiebung von den Objekten „in der Natur“ zu Objekten im Labor hat, nach Knorr Cetina, drei Konsequenzen. Erstens müssen die Objekte nicht so genommen werden, wie sie sind oder wie sie in der „Natur“ vorgefunden wurden, zweitens muss einem Naturobjekt nicht dort entgegentreten werden, wo es vorkommt und drittens muss man sich mit dem Ereignis nicht dann beschäftigen, wann es passiert (46). Somit erlauben Laboratorien es, Naturprozesse „ins Haus“ zu holen „und sie dort den Bedingungen der lokalen Ordnung zu unterwerfen. Die Macht von Laboratorien – und ihre Beschränkungen – entspringt aus dieser ´Kultivierung` von Naturobjekten.“ (1998a: 104/105) Damit handelt es sich bei Laboratorien um einen „durch und durch artifiziellen Raum“ (105), einen Raum, in dem die Objekte neu gestaltet und neuen Bedingungen unterworfen werden. Diese Räume, in denen die soziale Ordnung mit der natürlichen Ordnung verbunden wird und dadurch eine neue, transformierte Ordnung entsteht, können neue Kulturen, Knorr Cetina wird sie epistemische Kulturen nennen, für eine Wissensgesellschaft[24] generieren.

Diese unterschiedlichen Kulturen sieht sie in Abhängigkeit von der experimentellen Anordnung im Labor. Anhand der verschiedenen Arten von Experimenten, die in den Laboratorien durchgeführt werden, teilt sie diese in drei Gruppen ein: Laboratorien, „die realzeitliche Ereignisse simulieren“ (2002: 53), die Objekte als Prozessiermaterial konstruieren und damit intervenieren und Laboratorien, die Objekte als Zeichen konstituieren und dann interpretieren. Von diesen leitet sie anschließend die Wissenskulturen ab.

2.1.1. Drei unterschiedliche Labortypen

Bereits (1992) in ihrem Essay: “The Couch, the Cathedral, and the Laboratory: On the Relationship between Experiment and Laboratory in Science” zeigt Karin Knorr Cetina, wie sie sich diese Unterteilung vorstellt. In ihrem Buch “Wissenskulturen” (2002) nimmt sie diese Unterteilung wieder auf, stellt sie allerdings in einen neuen Kontext. Sie bezieht sich dabei auf Hackings Ausführungen in „Representing and Intervening“, erweitert diese aber.

Sie kann drei unterschiedliche Typen von Experimenten ausmachen, die dann die Laborkulturen fundieren. Als erste Gruppe sollen die „Experiments (almost) without laboratory: constructing objects as representations” (1992: 123) oder „Experimente (fast) ohne Laboratorien: Objekte, die realzeitliche Ereignisse simulieren“ (2002: 53) vorgestellt werden[25].

Wie Knorr Cetinas deutsche und englische Überschriften bereits aussagen, arbeitet diese Form der Experimente mit der Repräsentations-, Simulations- oder Korrespondenz-technologie. Sie inszeniert die Handlung[26], versucht Originalsituationen nachzustellen. Vorgegebene, genau beobachtete und untersuchte Vorgänge in der „Realität“ des alltäglichen Lebens werden erfasst, aufgezeichnet und verarbeitet. Ziel dieser Laboratorien ist es in möglichst getreuer Weise das „natürliche“ Objekt wiederzugeben. Sie entwerfen eine Darstellungsmöglichkeit, die den realzeitlichen Prozess abbildet, simuliert.[27]

Das Labor wird zur virtuellen Einrichtung, „die in fast allen Hinsichten mit dem Experiment zusammenfällt“ (55). Da allerdings eine Zielpopulation ausgesucht werden muss und die Parameter, unter welchen diese Zielpopulation betrachtet werden soll, vereinbart werden müssen, legt diese Form des Experiments bereits im Vorfeld seine Selektionskriterien fest.

Auch legt es fest, wie und mit welchen Mitteln diese alltäglichen Gegebenheiten nachgebildet werden sollen. Von daher muss nach Repräsentationsmöglichkeiten gesucht werden, die das realzeitliche Geschehen so darstellen können, dass ein möglichst geringer Bruch zwischen diesem Geschehen und der Darstellung entsteht. Dass genau an dieser Stelle ein besonders großer Transformationsprozess stattfinden kann, macht die Computersimulation, als eine mögliche Form dieser Darstellung, deutlich. Obwohl diese Form des Experiments für sich in Anspruch nimmt, die realen Bedingungen „wirklichkeitsgetreu“ nachstellen zu können, bleibt dennoch eine mehr oder weniger große Diskrepanz zwischen der „Realität“ und der Simulation bzw. der Repräsentation.

Die entsprechende Forschung ist sich dieser potentiellen Fehlerquelle natürlich bewusst. Daher wird entsprechende Sorgfalt darauf verwendet, das Experiment so anzulegen, dass die nachgeahmte Realität realzeitlichen Prozessen so nahe wie möglich kommt. Anders ausgedrückt, man entwickelt und verwendet eine Korrespondenztechnologie, d.h. ein System von Sicherstellungen, durch welche die entsprechende Korrespondenz mit dem realzeitlichen Geschehen garantiert und überwacht werden soll. Das System basiert auf der Theorie der Nichtintervention. (Knorr Cetina, 2002: 55)

Um beweisen zu können, dass die „Realität“ tatsächlich in der Darstellung abgebildet wird, werden einerseits Kontrollmechanismen installiert, die dies garantieren sollen. Diese sollen die Korrespondenz der zwei Seiten überwachen und gegebenenfalls die Transformationsprozesse offen legen. Andererseits muss aber, will man mit der Korrespondenz- bzw. Simulationstechnologie arbeiten, eine Theorie der Nichtintervention angenommen werden, ansonsten würde ein anderer Experimenttyp[28], eine Typ der die Theorie der Intervention zulässt, vorliegen.

Als zweite Gruppe stellt Karin Knorr Cetina unter der Überschrift: „Laboratories come of age: the construal of objects as processing materials” (1992: 125) Experimente[29] vor, die gezielt nicht mehr mit „natürlichen“ Objekten arbeiten. Auch bei diesen Experimenten wird das Forschungsobjekt im Vorfeld sehr genau beobachtet. Anschließend wird aber davon ausgegangen, da für die Experimentiertätigkeit nur bestimmte Teile der „natürlichen“ Objekte von Bedeutung sind, dass diese Objekte „teilbare Entitäten“ sind, „aus denen Effekte bei geeigneter Behandlung extrahiert werden können“ (2002: 57). Das Forschungsinteresse dieses Labortyps liegt nicht mehr auf der Untersuchung der realzeitlichen Prozesse. Lediglich einzelne Bestandteile oder Effekte, die vorher isoliert wurden, sollen untersucht und weiterverarbeitet werden. Damit emanzipieren sich diese Laboratorien[30] von der „Natur“. Sie werden eigenständige technisierte „Produktionsstätten“ (58) und arbeiten mit Prozessiermaterialen oder Objektzuständen[31], die „als vorübergehende Fixpunkte, in einer Serie von Transformationen“[32] fungieren.

Nicht mehr die Technologie der Korrespondenz, der Repräsentation oder Simulation spielt hier eine Rolle, sondern die Technologie der Intervention (57), des gezielten Eingriffs, der Manipulation. Vor allen Dingen sind die Laboratorien der Molekularbiologie Laboratorien solchen Typs: „experimentelle Tätigkeiten werden an Arbeitsbänken durchgeführt, auf denen Proben und Exemplare manipuliert [...] werden.“ (ebd.) Um die Arbeit an den Objekten in diesen Laboratorien besser darstellen zu können, differenziert Karin Knorr Cetina zwischen zwei Stufen dieser Tätigkeiten. Die eine Stufe umfasst die Arbeitsvorgänge, die das gesamte Labor betreffen, die andere die experimentelle Vorgehensweise selbst.

Auf der einen Stufe sind die Forschenden damit beschäftigt, „das Gesamtlabor als gut ausgerüstete und gut ausgestattete Vorratsstätte für Werkzeuge und Ressourcen einzurichten und aufrechtzuerhalten. Die entsprechenden Instrumente und Ressourcen stellen das Kapital dar, ohne das ein Laboratorium seine Stellung in einem Wissenschaftsgebiet nicht aufrechterhalten kann.“ (127) Damit wird ein großer Teil der Zeit für die Reproduktion dieses Kapitals[33] verwendet. Eine wichtige Rolle für diese Form der Tätigkeit spielen die Laboratoriumsprotokolle (129), die sicherstellen, dass bestimmte Standards eingehalten und Ergebnisse zusammengefasst werden können. Zudem kann mit Hilfe dieser Protokolle ein Teil des Kapitals in andere Laboratorien transferiert werden.

Die zweite Stufe, die experimentelle Tätigkeit selbst, sieht Karin Knorr Cetina stark in Abhängigkeit mit der Anwesenheit und damit mit dem Körper des Forschenden bzw. mit dessen Erfahrungsschema (138 ff). Da bei den Arbeiten in den Laboratorien der Molekularbiologie empirische Vorgehensweisen im Vordergrund stehen, muss der Forschende über eine besondere Geschicklichkeit im experimentellen Vorgehen verfügen. Obwohl in vielen anderen Forschungsgebieten genau dieser Gesichtspunkt mit Hilfe von Messinstrumenten ausgeschaltet werden soll, spielt der „blackboxierte“ Körper des Forschers (138) in den Laboratorien der Molekularbiologie eine besonders große Rolle. Man muss sich in die Situation begeben, den face-to-face Kontakt und die Inspektionen suchen, um zu den Ergebnissen zu gelangen, zu denen man gelangen möchte:

Um zu wissen, was man denken sollte, musste man sich zuerst in die relevante Situation begeben. Dem Körper wurde zugetraut, das aufzunehmen und zu verarbeiten, was der Verstand nicht antizipieren konnte. Wissenschaftler, die so argumentieren, geben bei der cartesianischen Unterscheidung zwischen Körper und Geist für gegebene Zwecke dem Körper Priorität. (142)

Der Körper des Forschenden wird als Informationsverarbeitungsinstrument zu einem „epistemologischen Garant für Wahrheit“ (143). Die sensorischen Fähigkeiten, die in den Körper eingeschriebene Erfahrung, das inkorporierte Wissen, all dies trägt dazu bei, dass zum einen im Experiment optimal gearbeitet werden kann, zum anderen, dass Ergebnisse bestmöglich interpretiert werden können. Im Umkehrschluss wird es zu einem Problem, Resultate zu verbreiten, bei denen man selbst nicht anwesend war (ebd.), da man die Bedingungen, unter denen diese zustande gekommen sind, nicht im vollen Umfang kennt.

Den in der Literatur verwendeten Begriff für diese verkörperte Informationsverarbeitung „tacit knowledge“ lehnt Karin Knorr Cetina ab, da sich dieser ihrer Interpretation nach von der Vorstellung eines denkenden Erkenntnisträgers ableitet und sich auf dessen nicht artikuliertes Wissen bezieht (144). Doch ihr schien es in der Molekularbiologie so, dass „sich Forschende eher als Ensemble von Sinnesorganen, Gedächtnisorganen und Manipulationsroutinen“ verstehen, „in die Intelligenz eingeschrieben ist“ (ebd.). Sie behandelten sich mehr als „intelligente Materialien denn als stumme Denkmaschinen“ (ebd.).

Die dritte und damit letzte Gruppe der Laboratorien, die Karin Knorr Cetina vorstellt, sind die “Laboratories vs. experiments: when objects are signs“ (1992: 129). Diese arbeiten weder mit „natürlichen“ Objekten, noch mit manipulierten, sondern ihr Forschungsfokus liegt auf den Zeichen, in denen sich ihre zu untersuchenden Objekte konstituieren.

Karin Knorr Cetina veranschaulicht diese Form des Experiments an Freuds Couch und der Vorgehensweise der Psychoanalyse: Der Patient liegt auf einer Couch, der Analytiker sitzt hinter ihm, so dass dieser ihn nicht sehen kann. Der Patient soll aus seiner Alltagssituation herausgelöst werden, um in einer neuen, speziellen Umwelt, ähnlich einer Laborsituation, befragt werden zu können. „Das Ritual in der Praxis und die durchgeführte Befragung produzieren Zeichen. Wenn Analytiker Assoziationen evozieren und interpretieren, dann rekonstruieren sie den Sinn und den Ursprung der entsprechenden Zeichen. “ (2002: 61) Diese Zeichen haben letztendlich keine direkte Verbindung mehr zu realzeitlichen Prozessen, sondern setzen voraus, dass der Psychoanalytiker oder Forscher über Interpretationsmöglichkeiten dieser Zeichen verfügt.

Diese Beschreibung des Experiments zeigt besonders deutlich, dass Peirces Untersuchungen[34] über die Zeichen und die wissenschaftliche Methode, wie oben beschrieben, Bedeutung für diese Form des Forschungsprozesses besitzen. Mit Hilfe einer standardisierten Methode, einer anerkannten wissenschaftlichen Methode werden einerseits diese Zeichen hergestellt, andererseits werden sie mit Hilfe dieser interpretiert. Nur eine vorgängige Verständigung und Vereinheitlichung dieser Methode kann garantieren, dass anerkannte Forschungsergebnisse erzielt werden können. Anders formuliert: liegt eine solche Möglichkeit der Zeichenherstellung und –interpretation nicht vor, dann kann man zu keinen in der scientific community verhandelbaren Ergebnisse gelangen.

Die Besonderheit der „modernen“ Laborwissenschaften besteht darin, dass die meisten von ihnen auf einer Mischung der verschiedenen Experimentiertechniken beruhen[35]. Dafür liefern die Collider-Experimente am CERN, die von Karin Knorr Cetina beobachtet wurden, ein gutes Beispiel.

2.1.2. Das CERN

Im Detektor des CERN werden Teilchenkollisionen produziert:

Detektoren werden von den bei der Kollisionen generierten Teilchen „getroffen“. Sie registrieren die Spuren dieser Teilchen und übertragen die Signale ihrer kurzen Präsenz. Die „Ernte“ eines Detektors besteht aus diesen Signalen (z.B. Energieablagerungen und Teilchenspuren). Die Signale werden offline durch Computerprogramme in geeigneter Weise weiterverarbeitet; sie werden gemäß dem unterliegenden realzeitlichen Teilchengeschehen sowie den Eigenschaften der Ereignisse rekonstruiert und interpretiert. (2002: 30)

Der Detektor mit seinen Teilchenkollisionen beschäftigt sich nicht mehr mit „natürlichen Objekten“. Er und die Experimente mit ihm sind im Verlaufe der Entwicklung der Hochenergiephysik nach langen Beobachtungen der Physiker und Physikerinnen entworfen worden. Das Energievolumen und die subatomaren Aktivitäten des entstehenden Universums sollen im Labor hergestellt und damit untersuchbar und weiterverarbeitbar gemacht werden[36]. Dazu werden in der experimentellen Anordnung Zeichen produziert, die als „Spuren oder ´Unterschriften` von Ereignissen“ (62) die experimentelle Strategie bestimmen. Das Teilchengeschehen, die Kollisionen, die Spuren oder Inskriptionen werden realzeitlich über Computerprogramme aufgezeichnet.

Nach der Aufzeichnung durch den Computer werden die Zeichen verarbeitet und aus ihnen werden die Eigenschaften und Ereignisse der Teilchenkollisionen im Detektor rekonstruiert und interpretiert. Die Messungen, die sich aus diesem Experiment ergeben, sind nicht, wie bei vielen anderen Messapparaturen, Endurteile. Karin Knorr Cetina nennt hier die Uhr[37] als Gegenbeispiel. Sie sind eher „durch ihre Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit definiert als durch diese Beweis- und Urteilfunktionen,“ (82) denn gemessen werden können keine endgültigen Zahlen, „sondern Positionen in einer Struktur von Relationen, in die andere Positionen eingefügt werden müssen, bevor das Ganze sinnvoll und nützlich wird.“ (84)

Die Messdaten, die die Physiker und Physikerinnen bei den Experimenten im CERN erhalten, sind keine endgültigen Zahlen. Sie sind rein experimentelle Zahlen (83), da sie außerhalb des Experiments und ohne Beziehung zu der experimentellen Anordnung und dem spezifischen Detektor, nicht jeder Detektor ist gleich, nicht mit anderen Ergebnissen verglichen werden können. Sie erhalten nur deswegen Bedeutung im Forschungsprozess, da gerade nicht der experimentelle Wert als Wert interessiert, sondern „das theoretische Verhältnis in Relation zum experimentellen Verhältnis für eine gegebene Detektorkonfiguration.“ (ebd.)

Diese experimentellen Zahlen sind damit eben nicht solche Zahlen, die mit anderen Ergebnissen von anderen Detektoren oder anderen Forschungseinrichtungen verglichen werden können, sondern man kann nur dann zu Ergebnissen mit ihnen gelangen, wenn sie als Teilkomponente und Stufe in ein Gesamtgeschehen eingebettet werden können, folglich, wenn sie in Interaktion mit anderen Elementen und Gegebenheiten des Experiments treten (84).

[...]


[1] Latour (1998: 105)

[2] Einzelne Philosophen und Denkrichtungen, die Kant kritisieren oder in Frage stellen, sollen an dieser Stelle nicht genannt werden, denn es ist davon auszugehen, dass „alle Philosophie der letzten 200 Jahre in impliziter oder expliziter Auseinandersetzung mit Kant steht.“ siehe Nordmann (2005b: 134)

[3] vgl. z.B. Kants Artikel „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“

[4] ebd. (9)

[5] so zum Beispiel von Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ ausgeführt

[6] Dies ist ein Vorschlag von Latour (1998: 105)

[7] Fohler definiert diesen Begriff folgendermaßen:„Mit dem Begriff science studies wird eine bestimmte Form der Wissenschafts- und Techniksoziologie bezeichnet, die seit etwa zwanzig Jahren von einigen französischen und englischen Wissenschaftlern vorangetrieben wird. In Wir sind nie modern gewesen hat Bruno Latour versucht, so etwas wie die theoretische Grundlegung dieser Forschung darzulegen. Das hervorstechendste Merkmal der science studies besteht in seinen Augen darin, dass diese versuchen, die fundamentale Grenze zwischen Natur-/Ingenieur und Geistes-/Sozialwissenschaften möglichst oft zu überschreiten“. Um die Wechselwirkungen und gegenseitige Abhängigkeit dieser beiden Gebiete aufzuzeigen, kombinieren sie zwei Wissenschaftstraditionen, „die gewöhnlich nicht zusammen gedacht werden: Wissenschaftsgeschichte und Ethnologie“ (vgl. Fohler: 251 ff). Von daher gelangen sie zu umfangreichen Forschungsergebnissen, die Wissen und Wissensprozesse nicht nur von außen betrachten. – Dies wird im Verlaufe meiner Arbeit vor allen Dingen besonders bei Karin Knorr Cetina deutlich

[8] Latour benutzt diese Bezeichnung der symmetrischen Anthropologie in seinem Buch 1998 als Untertitel.

[9] bei der Kantinterpretation beziehe ich mich vor allen Dingen auf Otfried Höffe: Immanuel Kant, Kapitel II, „Was kann ich wissen? – Die Kritik der reinen Vernunft“ (44 ff)

[10] Denn Hume schreibt (90): „Wenn aber eine besondere Art von Ereignissen immer in allen Fällen im Zusammenhang mit einer anderen aufgetreten ist, so scheuen wir uns nicht, beim Erscheinen der einen die andere vorherzusagen und jenen Denkakt anzuwenden, der uns allein Tatsachen oder Dasein sicherstellt. Wir nennen dann den einen Gegenstand Ursache, den anderen Wirkung.“- In seinen Ausführungen zeigt er dann, dass diese Verknüpfung von Ursache und Wirkung nicht auf eine Gesetzmäßigkeit zurückzuführen ist, sondern lediglich durch Gewohnheit erzeugt wird.

[11] Kant, Prolegomena (260)

[12] Kant bezieht sich hier auf Galileis Untersuchungen der schiefen Ebene und auf Torricellis Untersuchungen des Luftdrucks. (B XIII)

[13] vgl. Mittelstraß (Band 1, 701)

[14] Groß/Hoffmann-Riem/Krohn schreiben hierzu: „Galileis Versuchsanordnung bietet einen dreifachen Gewinn: Vereinfachung, Manipulation und Wiederholbarkeit. Das moderne wissenschaftliche Laboratorium, in dem es um Techniken im Dienst der Naturerkenntnis geht, war geboren.“ (27)

[15] vgl. Nagl (26)

[16] vgl. Titel: „Kritik der reinen Vernunft“ (Genitivus subjectivus und objectivus)

[17] Kant schreibt hierzu: „ Wir wollen diese Begriffe, nach dem Aristoteles, Kategorien nennen, ...“ (B 106)

[18] vgl. Peirce (CP 5.525): „Kant (den ich mehr als bewundere) ist nichts als ein etwas verworrener Pragmatist.“

[19] An dieser Stelle, ohne allzu sehr auf die Auseinandersetzungen zwischen Kant, Peirce und dem Ding-an-sich einzugehen, soll darauf hingewiesen werden, dass Peirce mit diesem 4. Punkt das Ding-an-sich als unbrauchbaren Begriff ablehnen wird. In CP 5.525 schreibt er hierzu ausführlicher: „Auf ein halb Dutzend Arten jedoch hat sich das Ding an sich als unsinnig herausgestellt und im folgenden ein weiteres Beispiel. Es wurde gezeigt […], dass bei der formalen Analyse eines Satzes, nachdem alles, was Worte mitteilen können, ins Prädikat verlegt wurde, ein Subjekt übrigbleibt, das unbeschreibbar ist und auf das man nur zeigen oder in anderer Wiese hinweisen kann, wenn nicht ein Weg beschrieben ist, auf dem das, auf welches bezug genommen wird, aufgefunden werden kann. Auf das Ding an sich aber kann man weder zeigen noch kann man es auffinden. Folglich kann sich kein Satz auf es beziehen, und nichts Wahres oder Falsches kann von ihm prädiziert werden. Daher müssen alle Hinweise auf es als sinnlos und überflüssig ausgemerzt werden.“ – Ein weiterer Hinweis sei noch erlaubt: Auch wenn Latour (2002) die Frage stellt: „ Wo waren die Mikroben vor Pasteur?“ (175) muss er auf die Frage zurückgreifen: „Aber das Ding selbst, wo ist das Ding?“ (182). Wie er zeigt, existierten die Mikroben vor Pasteur nicht (175). Lediglich einige Attribute konnten erkannt werden, die auf der Suche nach einer Substanz waren. Pasteur und sein Labor konnten über eine Reihe von Transformationen und Referenzen zusätzliche Attribute finden und damit eine Substanz neu definieren, „als ein Ding mit klaren Grenzen.“ (182) Erst nachdem über die Attribute die Substanz „zum Erscheinen gebracht wurde“, kann sie eine Geschichtlichkeit entwickeln.

[20] Andere Untersuchungen von Peirce weisen explizit darauf hin, dass Peirce sich im Gegensatz zu Kant nicht nur mit der deduktiven und induktiven Vorgehensweisen beim Forschungsprozess auseinandersetzt, sondern dass ihn besonders die abduktive, die hypothesengenerierende (CP. 2.619 ff) Seite dieses Prozesses, interessiert.

[21] Nagl (33) stellt in seiner Interpretation dieses „belief-doubt-belief“- Verfahrens einen Bezug zu Wittgenstein und Heidegger und dem „Zuhandenen“ her. Er schreibt: „Wittgenstein schreibt, ganz ähnlich, in Über Gewissheit, dass wir meist innerhalb eines ´Systems von Geglaubtem` handeln; und – in erstaunlicher Parallele – zeigt auch Heidegger in denjenigen Teilen von Sein und Zeit, die dem Pragmatismus nahe stehen, dass unser ´Alltag` im Regelfall durch die fraglose, ´vorthematische` Orientiertheit an ´Zuhandenem` bestimmt ist.“ Außerdem verweist er darauf, dass Peirce diese Analyse des Wechselspiels von „Zweifeln und Fürwahrhalten mit Blick auf die Handlungspsychologie des schottischen Philosophen Alexander Bain (1818-1903) formulierte“. – Diese beiden Punkte werden bei Karin Knorr Cetina wieder aufgenommen. Ihre Aufteilung in technische und epistemische Objekte kann einen Bezug zu Heidegger herstellen und der Objektmangel zu Lacan und von dort aus zu Bain.

[22] Da wegen der zu hohen Komplexität und der zu starken Abschweifung nicht weiter auf diese Verschiebungen von Kant zu Peirce, zu Knorr Cetina und Latour eingegangen werden kann, soll an dieser Stelle auf Alfred Nordmanns Aufsatz (2005a) hingewiesen werden mit dem Titel: „ Noumenal Technology: Reflections on the Incredible Tininess of Nano“. Zu Beginn seines Aufsatzes schreibt Nordmann: „Noumena are distinct from phenomena. While the latter are the things as they appear to us and as we experience them, the noumena are the philosophically infamous and mysterious things-in-themselves. The ´ noumenal technology` referred to in the title of this paper would therefore appear to be a contradiction in terms: Technology is a human creation that involves human knowledge and serves human needs; this firmly roots it in phenomena and it appears absurd to speak of technology that exists beyond human perception and experience among the things-in-themselves.“ – Nordmann zeigt mit Hilfe von Günther Anders Buches “Die Antiquiertheit des Menschen” und mit Bezugnahme auf Kant eine neue Problemdimension des Vorstellens und Herstellens, der noumenalen Technologie und phänomenalen Technologie, auf, die unter anderem durch die ungeheuere Kleinheit ( “too small to be seen, too high-pitched to be heard” – S. 3 – ) der Nanopartikel und die Möglichkeiten der Nanotechnologie (“Naturalisierung der Technik” – S. 6) entsteht.

[23] Knorr Cetina bezieht sich, um den Begriff „Wissensgesellschaft“ zu begründen auf Berger und seine Ausführungen über die technologische Gesellschaft, auf Lyotard und Beninger und ihre Darstellung der Informationsgesellschaft und auf Bell, Drucker und Stehr und deren Auseinandersetzung mit der Wissensgesellschaft. Auch verweist sie auf Beck und seine Darstellungen einer Risikogesellschaft und experimentellen Gesellschaft. (Knorr Cetina, 2002: 15)

[24] vgl. Knorr Cetina (2002: 15)

[25] Beispiele hierfür sind: Kriegsspiele im Sandkasten, die Weiterentwicklung davon durch preußische Generäle, Experimente in den Sozialwissenschaften oder Computersimulationen (Knorr Cetina, 2002: 54 ff)

[26] Auf die Experimente bezogen formuliert Knorr Cetina dies folgendermaßen : „they represent the action“, (1992: 124)

[27] vgl. Knorr Cetina (2002: 55/56)

[28] So könnte hier ein Experimenttyp der zweiten Gruppe vorliegen, der ja gerade auf der Theorie der Intervention basiert. Es könnte allerdings auch ein Typ vorliegen, der zwei oder drei, der von Karin Knorr Cetina vorgestellten Gruppen, kombiniert.

[29] Oder: Knorr Cetina (2002: 56 ): „Laboratorien emanzipieren sich : die Konstruktion von Objekten als Prozessiermaterialien“ Wie im Titel ihres Essays von 1992 benannt, bezieht sie sich bei diesem Experimenttyp auf die Kathedralen im 12. und 13. Jahrhundert. Auf Seite 125 dieses Essays schreibt sie zu diesen Kathedralen: „ [...] that were modeled upon earlier, smaller churches.“

[30] Unter diese Gruppe der Laboratorien fallen auch die von Amann in seinem Essay: „Menschen, Mäuse und Fliegen. Eine wissenssoziologische Analyse der Transformation von Organismen in epistemische Objekte“ vorgestellten Laboratops.

[31] Objekte werden „massiven Transformationen“ unterzogen: „Sie werden in Fragmente zerschlagen, in Gase verdunstet, in Säuren aufgelöst, zu Extraktionen reduziert, über Säulen geleitet, [...] sie werden aufgeschnitten, um Teile und Gewebe zu extrahieren, gewogen, gewaschen, kontrolliert, superovoliert, vasektomisiert und gepaart. Sie werden narkotisiert und operiert, sie werden getötet, in Sektionen geschnitten und ebenso eingefroren.“ (Knorr Cetina, 2002: 128)

[32] vgl. Knorr Cetina (2002: 57). Als Beispiel dieser Transformationsreihe kann Donna Haraways, 1997, Krebsmaus dienen. Um die Problematik des Brustkrebses besser untersuchen zu können, werden Mäuse genetisch so modifiziert, dass sie Brustkrebs bekommen. Das „natürliche“ Objekt „Maus“ wird zum künstlichen, intervenierten Objekt „Krebsmaus“. Für den Forschungsbetrieb muss dieses immer wieder neu hergestellt werden.

[33] „Sie präparieren Plasmide und Nährlösungen, sie züchten Zelllinien, bestellen Chemikalien, sorgen für den Enzymvorrat […]. Das Labor ist auf dieser Ebene sowohl eine Werkstatt als auch eine Pflanzen- und Tierzucht; ein Ort, an dem verschiedene pflanzliche und tierische Materialien gezüchtet, genährt und für die experimentelle Weiterverarbeitung präpariert werden.“ (Knorr Cetina, 2002: 127)

[34] vgl. hierzu auch Knorr Cetina (2002: 122): „Betrachten wir noch einen Augenblick diese Zeichenprozesse. Gemäß allgemeiner semiotischer Theorien ist unsere Welt eine Welt von Zeichen. Peirce dachte, er könne für die Logik des Universums, die Logik des Lebens und die Logik der Sprache einen gemeinsamen Nenner definieren, der aus semiotischen Relationen besteht. [...] Der genetische Code beispielsweise wird von einigen Semiotikern als fundamentalstes aller semiotischer Netzwerke angesehen.“

[35] Karin Knorr Cetina bevorzugt in ihren Texten des öfteren Dreierschritte, um Differenzierungen darzustellen. Nicht immer werden diese allerdings im weiteren Verlauf des Textes so deutlich voneinander getrennt oder können problemlos auf die vorhergehende Unterscheidung bezogen werden. So unterteilt sie (2002) die Technologien, mit denen in den Laboratorien experimentiert wird in Korrespondenz-, Interventions- und Repräsentationstechnologien. Sie zeigt, dass die Laboratorien, die sich mit Objekten beschäftigen, die realzeitliche Ereignisse simulieren, mit der Korrespondenztechnologie arbeiten, die, die die Objekte als Prozessiermaterial konstruieren, die Interventionstechnologie verwenden und die, die die Objekte als Zeichen konstituieren, die Repräsentationstechnologie bevorzugen. Wenn sie sich allerdings mit der ersten Gruppe (der Gruppe, die realzeitliche Ereignisse simuliert) beschäftigt, dann verwendet sie bereits bei dieser Gruppe den Begriff der Repräsentation und nicht nur den der Simulation und Korrespondenz. In ihrem Essay: „Die Manufaktur der Natur“ unterscheidet sie zwischen einer Repräsentationstechnologie, die bei den Experimenten in der Physik verwandt wird und Objekte als Zeichen konstituiert, und einer sekundären Repräsentationstechnologie, die bei der Simulation auftritt (117). Eine andere Problemebene tritt in ihrem Essay „The Couch, the Cathedral, and the Laboratory“ – auch ein Dreierschritt - auf. „The couch“ ist ihr Beispiel für Laboratorien, die sich mit Zeichensystemen (der Repräsentationstechnologie) beschäftigen, „the cathedral“ für die, die Objekte als Prozessiermaterial herstellen (Interventionstechnologie). Im Titel fehlt ihre dritte Gruppe, die Gruppe, die realzeitliche Ereignisse simuliert (Korrespondenztechnologie). Als Beispiel führt sie im Text Kriegspiele im Sandkasten oder Computersimulationen an. Allerdings stellt sie im Untertitel ihres Textes dar, worauf ihr Fokus in diesem Essay liegt: „On the Relationship between Experiment and Laboratory in Science“. Eine Beziehung zwischen den Experimenten und dem Labor soll hergestellt werden. Unter Umständen könnte das Komma im Titel vor dem Wort „and“ darauf hinweisen, dass es keine einfache Aufzählung ist, sondern ein Bezug zwischen einerseits „the couch“ und „the cathedral“ zu andererseits dem Labor. Eine gewisse Inkonsistenz, zumindest Unübersichtlichkeit muss ihr vorgeworfen werden. Allerdings macht gerade ihre Vielfalt an Beispielen, die sowohl aus der Laborpraxis entnommen sind als auch aus der Alltagswelt, und deren Bezug zum Labor ihre Texte so interessant.

[36] vgl. Knorr Cetina (2002: 62)

[37] Verfolgt man Peter Janichs Ausführungen über die Uhr (1997: 131 ff), dann könnte man gerade an diesem Beispiel verdeutlichen, dass auch die Uhren nicht unbedingt das messen, was man glaubt, dass sie es messen. Er stellt die Frage: „Was messen Uhren?“ und schreibt weiter: „Uhren einer Ganggenauigkeit, die zur Jahrhundertwende nicht für die besten naturwissenschaftlichen Forschungen zur Verfügung stand, sind uns heute im Alltagsleben als billige Massenprodukte vertraut. Im Kontrast zum geläufigen Umgang mit verlässlicher Technik ist die Frage nach einer klaren Definition der gemessenen Zeit praktisch offengeblieben. Der naheliegende Definitionsschritt, zu sagen, Zeit sei, was Uhren messen, verschiebt diese Aufgabe auf eine Definition der Uhr.“

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Zur kopernikanischen Gegenrevolution
Untertitel
Bruno Latour, Karin Knorr Cetina und die Vergesellschaftung von Objekten
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Philosophie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
95
Katalognummer
V214743
ISBN (eBook)
9783656429272
ISBN (Buch)
9783656433910
Dateigröße
806 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gegenrevolution, bruno, latour, karin, knorr, cetina, vergesellschaftung, objekten
Arbeit zitieren
Ulrike Neumaier (Autor:in), 2006, Zur kopernikanischen Gegenrevolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214743

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