Leopardi: Dialogo di Cristofor Colombo e Pietro Gutierrez und Il Copernico, Dialogo - Eine Analyse


Trabajo, 2005

27 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Leopardis Konversionen und Lebenseinstellungen

3. Dialogo di Cristoforo Colombo e di Pietro Gutierrez
3.1 Die Figuren Christoph Kolumbus und Pietro Gutierrez
3.2 Zur Operetta
3.2.1 Aufbau und Struktur
3.2.2 Inhaltliche Analyse
3.2.2.1 Die drei grundlegende Momente
3.2.2.2 Der Aspekt des Risikos und der Liebe zum Leben
3.2.3 Sprachliche Analyse
3.2.3.1 Die Bedeutung des Lebens
3.2.3.2 Die Bedeutung speranza im Dialog
3.2.3.3 Begriffsfeld der Spekulation
3.2.3.4 Gegenüberstellung von Wissen und Zweifel
3.2.3.5 Das Konzept des Unbekannten
3.3 Bezug auf die "Geschichte Amerikas" von William Robertson
3.4 Kolumbus bei Leopardi

4. Il Copernico, Dialogo
4.1 Die Figur Nikolaus Kopernikus
4.2 Zur Operetta
4.2.1 Aufbau und Struktur
4.2.2 Inhaltliche Analyse
4.2.2.1 1. Szene: Die erste Stunde und die Sonne
4.2.2.2 2. Szene: Kopernikus auf der Terrasse seines Hauses
4.2.2.3 3. Szene: Die letzte Stunde und Kopernikus
4.2.2.4 4. Szene: Kopernikus und die Sonne
4.3 Kopernikus bei Leopardi

5. Schluß

6. Bibliographie
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

In seinen Operette morali[1] greift Giacomo Leopardi immer wieder auf die Mythologie, die Geschichte, die Legende oder seine Phantasie und Erfahrungen zurück. In der vorliegenden Arbeit sollen die Operette Dialogo di Cristoforo Colombo e di Pietro Gutierrez und Il Copernico, Dialogo analysiert werden. Ziel ist es dabei, die von Leopardi verwandten Anlehnungen an und seine Einstellungen zu verschiedenen Themen herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang dient das zweite Kapitel über die Konversionen und Lebenseinstellungen des Autors, in dem lediglich die wichtigsten, für die Analyse der beiden Dialoge relevanten Punkte aufgezeigt werden sollen, als Grundlage für die Untersuchung. Dabei werden in erster Linie Leopardis pessimismo storico, sein pessimiso cosmico und die darin inbegriffene ablehnende Haltung gegenüber der fortschreitenden Zivilisation hervorgehoben.

Die Abhandlung beider Dialoge erfolgt nach einem ähnlichen Konzept. Zunächst werden die Protagonisten vorgestellt, das heißt, da es sich um historische Figuren handelt, erfolgt eine kurze Beschreibung ihres Lebenslaufes. Anschließend widmet sich die Arbeit der konkreten Analyse der jeweiligen Dialoge, beginnend mit einer Darstellung ihres Aufbaus und ihrer Struktur. Darauf folgt eine inhaltlich Betrachtung, die sowohl den Inhalt der Dialoge wiedergibt als auch genauer auf die Bedeutung bestimmter Passagen eingeht. Dabei soll vor allem die Verbindung zu Leopardis Lebenseinstellungen, seinen Erfahrungen und seiner Phantasie eingegangen sowie Verweise auf die Mythologie, die Legenden und die Geschichte aufgezeigt werden.

In dem Kapitel über den Dialogo di Cristoforo Colombo e di Pietro Gutierrez findet sich ferner eine sprachliche Analyse und ein Abschnitt über den Bezug auf die "Geschichte Amerikas" von William Robertson. Ersteres hat zum Ziel, die wichtigsten Begriffsfelder des Dialoges und ihre Bedeutung herauszuarbeiten. Eine ähnliche Untersuchung wäre auch für Il Copernico, Dialogo interessant gewesen, jedoch wird in der vorliegenden Arbeit darauf verzichtet, um ihren Umfang zu begrenzen. Aus diesem Grund wird im Kolumbus-Dialog ebensowenig auf das in der Literatur häufig verwendete Motiv des Seefahrens eingegangen.

Im Anschluß daran erfolgt ein Abschnitt über die Protagonisten bei Leopardi. Hier geht es darum, Parallelen zu anderen Werken und Aufzeichnungen des Autors zu ziehen und seine Einstellung gegenüber seinen Figuren darzustellen.

Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefaßt. Dabei soll außerdem die Frage geklärt werden, warum Leopardi sich mit Kolumbus und Kopernikus auseinandergesetzt hat und in wie fern die beiden Dialoge seine Einstellung zur Wissenschaft und dem Fortschritt der Zivilisation bekräftigen. Es soll dabei ferner untersucht werden, ob Leopardi mit diesen beiden Dialogen überhaupt seine ablehnende Haltung gegenüber diesen Themen zum Ausdruck bringen wollte und was sie miteinander verbindet.

2. Leopardis Konversionen und Lebenseinstellungen

Giacomo Leopardi wurde 1798 in Recanati geboren. Einige seiner ersten Schriften, wie der Saggio sopra gli errori popolari degli antichi und die Rede Agli'Italiani, die er im Alter von 17 Jahren verfaßte, ließen zunächst seinen noch begrenzten geistigen Horizont erkennen. Er lebte streng religiös, vertrat die Vorstellungen seines Vaters, einer "der mißgünstigsten und kleinlichsten Reaktionäre, den die Restauration hervorgebracht hatte"[2], sprach sich für den aufgeklärten Absolutismus und gegen die Einheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen in Italien aus und kritisierte in seinem Discorso di un italiano alla poesia romantica die Romantik.[3]

In seinem Saggio sopra gli errori popolari degli antichi widmet Leopardi mehrere Kapitel der Wissenschaft. Trotz seines damaligen strengen Glaubens nahm er darin eine unvoreingenommene und freche Haltung gegenüber einigen Bereichen der Wissenschaft ein, darunter vor allem die physische Geographie, die Astronomie und die Meteorologie. Leopardi entwickelt daraus sein Prinzip, daß der Gipfel der Weisheit aus der Erkenntnis ihrer Unbrauchbarkeit besteht. Seine späteren Äußerungen zu diesem Thema wurden zu einer antiwissenschaftlichen Polemik. Seine Aversion drückte er jedoch hauptsächlich gegen die Mathematik und die Physik aus. Gleichzeitig war er sich wohl des Einflusses bewußt, den die wissenschaftlichen Entdeckungen, das Wissen der physischen Welt betreffend, auf die metaphysischen Perspektiven haben.[4]

Als Leopardi 18 Jahre alt war, vollzog sich seine erste Konversion hin zur literarischen Poesie. Er selber beschrieb diese Entwicklung als Abwendung von der "Gelehrsamkeit" und Hinwendung zum "Schönen". 1819, als er unter einer schweren Augenkrankheit litt, folgte die philosophische Konversion, in der er nun dem "Schönen" den Rücken kehrte und zum "Wahren", der Philosophie, überging. Er machte damit deutlich, daß sein Augenmerk nicht mehr der Poesie der "Einbildungskraft" galt, die er in seinem Discorso di un italiano, einer Verteidigung der antiken Mythologie mit ihren schönen Fabeln und der Zurückversetzung in die glücklichen Kindertage der Welt, noch bewundert hatte, sondern, daß er sich nun einer Poesie des "Gefühls" verschrieben hatte.[5] Die Poesie des "Gefühls" ist

"piuttosto una filosofia, un'eloquenza, se non quanto è più splendida, più ornata dell'eloquenza della prosa […] giacché il sentimentale è fondato e sgorga dalla filosofa, dall'esperienza, dalla cognizione dell'uomo e delle cose; in somma dal vero, laddove era della promitiva poesia, l'essere ispirata dal falso."[6]

In der Zeit zwischen 1821 und 1831 hatte Leopardi eine ablehnende Haltung gegenüber der Kultur und Dichter seiner Zeit entwickelt, eine Auffassung, die er immer wieder im Zibaldone niederschrieb. Ebenfalls während dieser Zeit zeichneten sich bei Leopardi zwei verschiedene Einstellungen zum Leben ab, die sich zum Teil in den Operette überlappen: der pessimismo storico und der pessimismo cosmico. Die Gedichte, die Leopardi zwischen 1818 und 1823 schrieb sowie die 1824 verfaßten Operette waren aus dem pessimismo storico heraus entstanden.[7]

Leopardi war unfähig gewesen, sich aufgrund allgemein historischer sowie persönlicher und familiärer Gegebenheiten der Wirklichkeit zu fügen. Durch seine Träume hatte sich eine Kluft zwischen Ideal und Realität aufgetan, die nach einem enttäuschenden Aufenthalt in Rom zwischen November 1822 und Mai 1823 unüberbrückbar geworden zu sein schien. Statt seine Träume zu verwirklichen, hatte ihm die Hauptstadt die Nichtigkeit des Lebens noch deutlicher vor Augen geführt. Dieser Gemütszustand und die Tatsache, daß es Leopardi nicht gelang, seine innere Ruhe zu finden, entwickelten in ihm das Gefühl der noia, des Lebensüberdrusses. Er betrachtete dieses Problem nicht als ein individuelles, sondern als das "Problem einer bestimmten Gesellschaft in einer bestimmten Zeit"[8]. Es war also eine soziale und historische Erscheinung.[9]

Leopardi war überzeugt, daß die Verderbtheit der Gesellschaft und die fortschreitende Zivilisation der Ursprung des Übels war und die Zersetzung und Entleerung der Welt mit sich brachte. Er erkannte einen Widerstreit von Natur und Vernunft: von Natur aus ist der Mensch glücklich, da sie ihm Empfindsamkeit und Gefühl gibt. Das Glück begründete seiner Meinung nach den Zweck und das Ziel des Menschen, war jedoch nur im Naturzustand erreichbar. Lediglich der Verlauf der Geschichte hatte diesen glücklichen Zustand zunichte gemacht. Er "hat das 'Wahre' an die Stelle des fruchtbaren 'Irrtums' gestellt, hat unsere Illusionen getötet, unser Empfindungsvermögen geschwächt, großherzige Leidenschaft unmöglich gemacht."[10] Als das höchste des Guten betrachtete Leopardi folglich die Ignoranz, während das Wissen das höchste des Schlechten für ihn darstellte. An dem Punkt der Zivilisation angelangt, glaubte er, sei eine Rückkehr zum Naturzustand nicht mehr möglich, lediglich die Vernunft könne dem Menschen helfen, den eigenen Zustand zu ertragen.[11]

Er hatte nun erkannt, daß, wenn der Menschen seinen Zweck nicht erfüllen könne, ein tragischer Zwiespalt zwischen seinem natürlichen Streben nach Glück und seiner tatsächlichen Lage bestehe. Somit schien der Mensch zum Unglücklichsein verdammt. Aus dieser Überzeugung, daß das menschliche Leid nicht historisch bedingt sei, sondern im Menschen begründet liege entwickelte sich Leopardis "kosmischer" Pessimismus. Demnach hat der Mensch lediglich eine Möglichkeit, seine Würde und seinen Adel zu bewahren: Er muß mit wachem Geist und beherztem Mut der Realität und dem Schicksal ins Auge sehen, darf sich keinen Illusionen hingeben, darf nicht an der eigenen, vermeintlichen Größe hängen, muß sein Elend hinnehmen und in alledem einen, wenn auch bitteren, so doch heroischen Grund zum Leben finden.[12]

"Daher erfaßt Leopardi beim Gedanken an das Leid der Menschen, an die Zerstörung vor allem jugendlicher Hoffnungen und Träume ein brüderliches Mitgefühl, das ihn sein eigenes wie das Schicksal der anderen beweinen läßt. Gibt sich der Mensch aber Illusionen hin, zeigt er sich unfähig der Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen, hängt er an der eigenen Größe und Unsterblichkeit, dann bemüht sich Leopardi mitleidsvoll, doch unbarmherzig, ihm durch Ironie und Sarkasmus die Augen zu öffnen."[13]

3. Dialogo di Cristoforo Colombo e di Pietro Gutierrez

3.1 Die Figuren Christoph Kolumbus und Pietro Gutierrez

Christoph Kolumbus (Columbus) wurde 1451 in Genua geboren. Er war ein Genuesischer Seefahrer in spanischen Diensten. Nach Seefahrten unter anderem nach England ließ Kolumbus sich 1479 in Portugal nieder. Dort beschäftigte er sich mit den Theorien über die Kugelgestalt der Erde und dem von Aristoteles, Strabon und Seneca übernommenen Gedanken, daß man in westlicher Richtung nach Indien gelangen könne. Bericht und Karte des Astronomen P. Toscanelli an Johann II. von Portugal bestärkten ihn in seinen Plänen zu einer Westfahrt über den Atlantik. Vom portugiesischen König abgewiesen, fand er schließlich in Kastilien bei Isabella der Katholischen Unterstützung und konnte am 3. August 1492 mit drei Schiffen zu seiner ersten Fahrt aufbrechen. Insgesamt unternahm Kolumbus vier große West-Fahrten, bei denen er unter anderem Kuba, Haiti sowie weite Bereiche Mittelamerikas, die sich bis an den Nordrand Südamerikas erstreckten, entdeckte. Kolumbus glaubte bis zu seinem Tode, Indien erreicht zu haben, daher die Bezeichnung Westindische Inseln und Indianer. Ihm war nie bewußt, daß er einen neuen Erdteil entdeckt hatte. Nach seiner vierten Fahrt kehrte Kolumbus krank nach Spanien zurück, wo er einsam und vergessen 1506 in Valladolid starb.[14] Pietro Gutierrez gehörte zum Hofe des Königs von Aragonien Ferdinand, der Katholische und nahm an der Expedition von Kolumbus teil.[15]

3.2 Zur Operetta

3.2.1 Aufbau und Struktur

Der Dialogo di Cristoforo Colombo e di Pietro Gutierrez wurde zwischen dem 19. und 25. Oktober 1824 verfaßt.[16] Sein Titel gibt vorab bereits einige Informationen wie beispielsweise, daß es sich um einen Dialog handelt, wie bei den meisten der Operette sowie daß die beiden Gesprächspartner geschichtliche Personen sind wie die Figuren Tasso, Parini und Kopernikus in Leopardis Operette. Somit ist außerdem die Zeit bekannt, in der die Geschichte des Dialogs spielt.

Tabelle: Struktur des Dialogs [17]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie diese Tabelle zeigt, besitzt der Dialog eine klare Struktur. Insgesamt gibt es zehn Redeanteile. Auf beide Gesprächspartner fallen fünf: Kolumbus beginnt und Gutierrez schließt. Kolumbus hat die längsten Redeanteile: von insgesamt 161 Zeilen fallen 140 auf ihn, was rund sieben Achtel des ganzen Textes ausmacht. Ein ähnliches Verhältnis kommt nur noch ein weiteres Mal in den Operetti Morali vor, und zwar im Dialogo di Tristano e di un amico.[18] Inhaltlich lassen sich Anfang und Ende isolieren, wobei der Anfang aus den ersten drei Wortwechseln und das Ende aus dem letzten besteht. Der mittlere Teil ist wiederum in drei gleich strukturierte Dialogpaare aufgeteilt. Jeder beginnt mit einem kurzen Einsatz von Gutierrez, auf den ein langer Monolog von Kolumbus folgt. Kolumbus antwortet damit jeweils auf Anregungen von Gutierrez.

3.2.2 Inhaltliche Analyse

Der Anfang gibt die Zeit und den Ort des Dialogs an: Es ist Nacht und die Protagonisten befinden sich auf dem Meer. Hier werden bereits zwei Elemente angegeben, welche die Umstände der Matrosen beschreiben. Das sind zum einen die Sehnsucht nach festem Boden unter den Füßen und zum anderen der Überdruß des Seefahrens. Die Verfassung der beiden Gesprächspartner zeigt sich im weiteren Verlauf des Gesprächs. Gutierrez zeigt sein Vertrauen und seine Treue gegenüber Kolumbus, was deutlich wird, indem er sich nicht über Kolumbus beschwert, wie es die anderen tun, sondern ihn unterstützt. Analog dazu bezeichnet Kolumbus Gutierrez als seinen Freund und Vertrauten. Dies sind die Vorbedingungen für einen offenen und freundlichen Dialog, der durch Gutierrez Bitte an Kolumbus, aufrichtig zu sprechen, eingeleitet wird: "Vorei che tu mi dichiarassi precisamente, con tutta sincerità [ ]" (S. 186). Kolumbus antwortet darauf aufrichtig: "Parlando schiettamente, [ ]" (S. 186).

Der Dialog ist in sich geschlossen und einheitlich. Er beginnt mit dem Eingeständnis von Gutierrez, daß er ein wenig Angst hat und unsicher ist: "questa navigazione [...] mi dà un poco di noia" (S. 186). Durch die verschiedenen Betrachtungen von Kolumbus verändert sich dieser Gemütszustand jedoch. Nachdem der anfängliche negative Eindruck verlassen wurde, entwickelt sich zum Schluß hin große Hoffnung, bald auf Land zu treffen. Die gleichen Zeichen der Natur, die am Anfang doppeldeutig, vielleicht auch illusorisch waren, scheinen bei der letzten Andeutung ein sicheres Versprechen auf Land in der Nähe zu sein.

3.2.2.1 Die drei grundlegende Momente

Der Dialog enthält drei grundlegende Momente, welche die sich stufenweise entwickelnde Metamorphose mit kaum merklichen Übergängen beschreiben. Diese drei Entwicklungsschritte finden sich in den drei großen Redeanteilen von Kolumbus wieder. Er reagiert darin jeweils auf Anmerkungen von Gutierrez. Im ersten Teil fragt Gutierrez Kolumbus, ob er noch daran glaubt, oder bereits bezweifelt, Land auf der anderen Seite des Ozeans zu finden. Kolumbus antwortet aufrichtig, daß er zweifelt.

Hier wird das Thema der "noia" wieder aufgenommen. Kolumbus zeigt seine Unsicherheit. Seine Vermutungen, auf die er die Unternehmung gestützt hat, sind zwar zahlreich und überzeugend, aber das Aufstellen von Hypothesen über das Unbekannte, die auf Erfahrungen des bereits Bekannten basieren, ist zwar Gang und Gäbe, dennoch letztlich rein willkürlich.

Im zweiten Teil wirft Gutierrez Kolumbus vor, daß er, wenn das der Fall sei, das Leben seiner Leute wegen einer reinen Spekulation aufs Spiel gesetzt habe. Kolumbus gibt daraufhin zu, daß er das nicht leugnen könne, fügt jedoch hinzu, daß der aktuelle Zustand der Unsicherheit, Gefahr und Erwartung alles andere als negativ sei, da er das Leben teuer und auch die kleinsten Dinge wertvoll mache. Thema ist hier das Risiko und die Liebe zum Leben, worauf im späteren Verlauf der Untersuchung eingegangen werden soll.

Im dritten Teil traut Kolumbus sich nicht, daran zu glauben, daß sich seine Vermutungen bewahrheiten. Seine Unsicherheit ist jedoch verschwunden. Die von ihm gesammelten positiven Zeichen wie beispielsweise das Berühren von Boden bei der Auslotung auf Grund, die Wolken, die Luft, der Wind sowie der Strom der Vögel lassen ihn schließlich doch zuversichtlich werden, so daß er am Ende voller großer Erwartungen ist. Aber Gutierrez zeigt mit seiner Abschlußbemerkung, daß er diese Hoffnung nicht ernsthaft annimmt: "Voglia Dio questa volta, ch'ella si verifichi." (S. 191).

3.2.2.2 Der Aspekt des Risikos und der Liebe zum Leben

Um den Aspekt des Risikos und der Liebe zum Leben darzustellen, verwendet Leopardi erneut eine Anekdote aus der Antike. Kolumbus sagt, auch wenn diese Fahrt keine Früchte trüge, so habe sie doch einen Nutzen, denn sie bewahre vor der "noia"; sie mache das Leben wertvoll und lehre, Dinge zu schätzen, die man vorher gar nicht in Betracht gezogen hatte. Kolumbus führt hier einen Vergleich mit den unglücklich Verliebten an, die sich in Ovids Werk "Heroides" von den Felsen von Lefkas (oder auch Leukas) ins Meer stürzen, jedoch entkommen und von Apollos Gnaden von der leidenschaftlichen Liebe befreit bleiben. Kolumbus ist sich zwar nicht sicher, ob dieser Effekt wirklich eintreten würde, er weiß aber, daß ihnen dadurch, daß sie der Gefahr entkommen sind, auch ohne die Gunst Apollos, das Leben, das sie vorher gehaßt haben, nun wieder wertvoll erscheint. Eine ähnliche Aussage läßt sich im Zibaldone finden. In einem Eintrag von 1819 schreibt Leopardi:

"Io era oltremodo annoiato della vita, sull'orlo della vasca del mio giardino, e, guardando l'acqua e curvandomici sopra con un certo fremito pensava: S'io mi gittassi qui dentro, immediatamente venuto a galla mi arrampicherei questa vita, ritornato illeso, proverci qualche istante di contento per essermi salvato e di affetto a questa vita, che ora tanto disprezzo e che allora mi parrebbe più pregevole. La tradizione intorno al salto di Leucade poteva avere per fondamento un'osservazione simile a questa."[19]

Hier wird der heilsame Übergang von der persönlichen Angst bis hin zur Überlegung deutlich. Am Anfang steht eine kurze Anmerkung, die mit der Erinnerung eines sehr traurigen Momentes beginnt, und mit einem Hinweis auf eine mythische Tradition endet. Dies zeigt wie Leopardi, losgelöst von seinem Schmerz, seinen Gemütszustand auf antike Mythen projiziert. Es ist der Mythos des Sprungs von Lefkas, den er mit seinen Gedanken über das Risiko vergleicht, der ihn wieder mit dem Leben versöhnt.

Das zentrale Motiv des Dialogs - das Leben wird einem teuer gerade dann, wenn man es aufs Spiel setzt - findet sich an einer weiteren Stelle im Zibaldone in einer Aufzeichnung vom 30. Juni 1822 wieder:

"Finchè si fa conto de' piaceri, e de' propri vantaggi, e finchè l'uso, il frutto, il risultato della propria vita si stima per qualche cosa, e se n'è gelosi, non si prova mai piacere alcuno. Bisogna disprezzare i piaceri, contar per nulla, per cosa di niun momento, e indegna di qualunque riguardo e custodia, i propri vantaggi, quelli della gioventù ec. come già perduta, o disperata, o inutile, come un capitale da cui non si può più tirare alcun frutto notabile, come già condannata o alla sofferenza o alla nullità; e metter tutte queste cose a rischio per bagatelle, e con poca considerazione, e senza mai lasciarsi cogliere dall'irresoluzione neanche nei negozi più importanti, nemmeno in quelli che decidono di tutta la vita, o di gran parte di essa. In questo solo modo so può goder qualche cosa. Bisogna vivere eich, témere, au hasard , alla ventura."[20] [21]

3.2.3 Sprachliche Analyse

3.2.3.1 Die Bedeutung des Lebens

Ein wichtiger Aspekt des Dialogs ist die Bedeutung des Lebens. Er wird durch das Wort vita ausgedrückt, das sich sieben mal im Dialog finden läßt, ausschließlich im sechsten und siebten Redeeinsatz (Teil II, S. 189 f). Da es in Verbindung mit dem Risiko und der Liebe zum Leben steht, worauf bereits zuvor eingegangen wurde, wird dem hier nichts weiter hinzugefügt.

3.2.3.2 Die Bedeutung speranza im Dialog

Der Ausdruck der Hoffnung beginnt und schließt den zentralen Teil des Dialogs: Die Zeichen der Vögel, die als Indiz für nahes Land gelesen wurden, gaben Anlaß für große Hoffnungen ("speranza grande", Seite 187), haben sich jedoch beim ersten mal als falsch herausgestellt. Spätere Zeichen wie die Wolken und die Veränderung der Luft hielten in Kolumbus die Hoffnung aufrecht. Die Verwandlung wird schließlich offensichtlich: Kolumbus wagt es nicht mehr lediglich, sich nicht mehr zu versprechen, daß sie auf neues Land treffen werden, sondern ist sich nicht einmal mehr sicher, überhaupt Land zu finden. Diese Überlegung steht im mittleren Teil des Dialogs, genauer im fünften und im siebten Redeeinsatz von Kolumbus.

Die äußeren Redeanteile, das sind der vierte und der neunte, zeigen die Elemente der Erfahrung in Verbindung mit der historischen Reise beispielsweise in Form der Zeichen für Land. Dazwischen stehen die Betrachtungen, die schließlich den Wert der Erfahrung leugnen. Aber am Ende wird doch wieder auf die Erfahrung zurückgegriffen.

3.2.3.3 Begriffsfeld der Spekulation

Ein wichtiger Aspekt des Dialogs ist die Spekulation, das heißt die Philosophie, in Verbindung mit der rationalen Forschung. Die Spekulation ist darauf bedacht, den Daten der Erfahrung recht zu geben. Eine Reihe von Wörtern im Dialog lehnen an dieses Motiv der Spekulation an, wie beispielsweise der Begriff congettura, der sich viermal im Dialog finden läßt (S. 187 zweimal, S. 188 und 190). Er bedeutet soviel wie Vermutung und beschreibt die Hypothese über unsichere und geheimnisvolle Dinge. Congettura ist ferner eine Meinung, die sich auf einfache Indizien und mögliche Erscheinungen stützt. Daneben steht das Synonym pronostico, das zweimal im Dialog verwendet wird (S. 187) und kein weiteres mal in den Operette vorkommt.

Ein weiterer Begriff aus dem Bereich der Spekulation ist effetto, der dreimal im Dialog erscheint (S. 187-189). Effetto hat hier eine Doppelbedeutung: in Verbindung mit congettura (S. 187) bedeutet effetto die Erfüllung und Verwirklichung der Vermutung, die jedoch hier versagt. An anderer Stelle (S. 188) bezieht sich effetto auf die Phänomene der Natur mit ihren jeweiligen Eigenschaften.

Fondamento kommt viermal im Dialog vor (S. 187, S. 189 zweimal und S. 191) und bezeichnet die Basis und Grundlage. Fondamento ist die notwendige Voraussetzung für die Zustimmung des Gedankens an einen bestimmten Erfolg, oder eines generellen Prinzips, aus der man ein Erkenntnissystem folgern kann. Der Begriff steht in Verbindung mit congettura und opinione speculativa.

Speculazione ist im Gegensatz zu pratica eine Handlung des Verstands, eine Untersuchung oder auch eine Aktivität der Gedanken, die zu einer Theoriesphäre von Untersuchungen gehört: "considero che la pratica si discorda spesso, anzi il più delle volte, dalla speculazione" (S. 187). Der Ausdruck speculazione erscheint auch in den Ausdrücken "congettura speculativa" (S. 190) und "opinione speculativa" (S. 189).

Giudizio, ein Wort, das viermal im Dialog zu finden ist (S. 187-189), umschreibt die Fähigkeit zu bewerten und zu definieren sowie die Fähigkeit zwischen dem Wahren und dem Falschen zu unterscheiden.

3.2.3.4 Gegenüberstellung von Wissen und Zweifel

Als Kolumbus auf die Frage von Gutierrez antwortet, ob er zweifle oder noch glaube, Land zu entdecken, fängt er an zu denken und verstrickt sich eine Kette von Zweifeln, die er in Form von Hypothesen formuliert (S. 187 und 188). Er beginnt mit der Hypothese: "Dato che abbia – gemeint ist die neue Welt – terre e mari come l'altro, non potrebbe essere che fosse inabitato? anzi inabitabile?" Von dieser Hypothese der Bewohnbarkeit nimmt er an, die Welt sei bewohnbar und überlegt weiter: "Facciamo che non sia meno abitato del nostro: che certezze hai tu che vi abbia creature razionali, come in questo ?" Er führt die Kette fort und nimmt an, daß die Wesen rational und vernünftig sind, fragt sich schließlich weiter: "come ti assicuri che sieno uomini, e non qualche altro genere di animali intelletivi? ed essendo uomini; che non sieno differentissimi da quelli che tu conosci?"

Seine Gedanken entwickeln sich weiter. Er überlegt: "ponghiamo caso, molto maggiori di corpo, più gagliardi, più destri; dotati naturalmente di molto maggiore ingegno e spirito; anche assai meglio inciviliti, e ricchi di molta più scienza ed arte?" Auf jede Hypothese folgt ein neuer Zweifel, der durch eine Frage formuliert wird, die sich auf die Annahme einer Hypothese stützt und wieder einen neuen Zweifel aufwirft und schließlich den Höhepunkt in der letzten Frage findet.

3.2.3.5 Das Konzept des Unbekannten

Das Konzept des Unbekannten, das sich auch schon in der Kette der Hypothesen widerspiegelt, ist tragendes Thema des ersten und des zweiten Teils des Dialoges (I und II). Der Begriff des Unbekannten erscheint in verschiedenen Variationen (S. 188): "parti [...] del tutto incognite al mondo nostro", "mondo ignoto", "mondo sconosciuto". Das Unbekannte steht in Verbindung mit dem Thema conoscere oder auch sapere: conoscere bedeutet hier die Möglichkeit, die Natur auch in ihren entferntesten und unbekanntesten Teilen lesen zu können. Diese Möglichkeit versagt auf vier Arten, die sich in der Methode der conoscenza ergeben:

Einmal auf deduktive Weise, das bedeutet indem man aus dem Allgemeinen den Einzelfall ableitet: Die Natur ist so mächtig, daß man sich kein Urteil darüber bilden kann, was sie in entfernten und unbekannten Teilen der Welt gemacht haben kann. Dann versagt die Möglichkeit, die Natur lesen zu können induktiv, das heißt vom Einzelfall auf das Allgemeine schließend: Das zeigt sich in den einzelnen Zeichen, die am Anfang des Dialogs Land versprechen, sich aber als falsch erweisen. Die Schlußfolgerung daraus ist, daß man nicht vom Bekannten auf das Verhalten der Natur im Unbekannten schließen kann. Man kann die Natur ferner nicht auf geschichtliche, als märchenhaft definierte, Weise lesen: Kolumbus erwähnt, daß man nicht auf die antiken Märchen hören soll. Auch der Glaube, der auf das Wunder vertraut, versagt dabei, die Natur im Unbekannten zu lesen: denn alle Ängste um Wunder und Neuigkeiten während der Reise waren umsonst gewesen. Kolumbus schließt daraus, daß, auch wenn seine Vermutungen von vielen Geographen, Astronomen und Seefahrern unterstützt werden, es trotzdem sein kann, daß er scheitert, weil bereits viele Schlußfolgerungen nicht mit der Erfahrung übereingestimmt haben.

3.3 Bezug auf die "Geschichte Amerikas" von William Robertson

Leopardi lehnt einige Abschnitte des Dialogs an die "Geschichte Amerikas" des Historikers William Robertson (1721-1793) an. Er hatte dafür eine übersetzte Ausgabe von 1794 verwendet und diese auch in seinen Anmerkungen als Quelle angegeben.[22] An mehreren Stelle lassen sich Parallelen zwischen dem Dialog und der Geschichte Amerikas feststellen. Es ist demnach eine Abhängigkeit zu Robertson vorhanden, Leopardi verändert jedoch die Botschaft grundlegend. Ein Abschnitt aus der "Geschichte Amerikas" beispielsweise enthält die Zeichen, die Kolumbus nahebeiliegendes Land ankündigen.

[...]


[1] Die Seitenzahlen der Zitate in dieser Arbeit beziehen sich auf Giacomo Leopardi: Operette Morali. A cura di Giorgio Ficara. Milano 1988. (künftig zitiert als Leopardi: Operette, 1988.)

[2] Giuseppe Petronio: Geschichte der italienischen Literatur. Band 2: Vom Barock bis zur Romantik. 1993 Tübingen. S. 340.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Alberto Frattini: Letteratura e scienza in Leopardi e altri studi leopardiani. Milano 1978. S.14-21.

[5] Vgl. Petronio, S. 341.

[6] Giacomo Leopardi: Zibaldone di pensieri. Edizione critica e annotata a cura di Giuseppe Pacella. 1991. Eintrag vom 8. März 1821.

[7] Vgl. Petronio, S. 345, 350 f, 359.

[8] Ebd. S. 344.

[9] Vgl. ebd. S. 343 f, 351.

[10] Ebd. S. 344.

[11] Vgl. ebd. S. 344, 351 f; und vgl. Frattini, S. 17.

[12] Vgl. Petronio, S. 352.

[13] Ebd. S. 352.

[14] Vgl. Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden. Band 12. 5. Auflage, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1995. S. 65 f.

[15] Vgl. Leopardi: Operette. 1988. S. 186.

[16] Vgl. ebd.

[17] Das Konzept wurde übernommen aus: Ottavio Besomi: Il Colombo di Leopardi, ovvero del dubbio. In: Sebastian Neumeister (Hrsg.): Leopardi in seiner Zeit. Leopardi nel suo tempo. Tübingen 1995. S. 110. Diese Struktur ist Grundlage für die folgende Untersuchung.

[18] Vgl. Besomi, 1995. S. 111.

[19] Leopardi: Zibaldone, Eintrag 82. S. 99 f.

[20] Leopardi: Zibaldone. Einträge 2528 und 2529. S. 1363.

[21] Vgl. Folgendes mit Besomi, S. 113 - 117.

[22] Vgl. Besomi, S. 119.

Final del extracto de 27 páginas

Detalles

Título
Leopardi: Dialogo di Cristofor Colombo e Pietro Gutierrez und Il Copernico, Dialogo - Eine Analyse
Universidad
University of Münster  (Romanisches Seminar)
Curso
Hauptseminar: Leopardi - Operette Morali
Calificación
2,0
Autor
Año
2005
Páginas
27
No. de catálogo
V21618
ISBN (Ebook)
9783638251914
ISBN (Libro)
9783638647205
Tamaño de fichero
567 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Leopardi, Dialogo, Cristofor, Colombo, Pietro, Gutierrez, Copernico, Dialogo, Eine, Analyse, Hauptseminar, Leopardi, Operette, Morali
Citar trabajo
Petra Buß (Autor), 2005, Leopardi: Dialogo di Cristofor Colombo e Pietro Gutierrez und Il Copernico, Dialogo - Eine Analyse, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21618

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