Die Türkei zwischen dem Westen und dem Islam


Hausarbeit, 2003

12 Seiten, Note: 2,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Türkei – ein „zerrissenes Land“
2.1 Kulturelle Identitäten in der Türkei
2.2 Politische Strömungen in der Türkei

3. Die Türkei als zukünftiger Kernstaat des Islam

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Samuel P. Huntington stellt in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ mehrere Thesen auf, die seinen kulturellen Ansatz, der die Weltordnung nach Ende des Ost-West-Konflikts vereinfacht darstellt, untermauern sollen. In dieser Hausarbeit sollen zwei Thesen Huntingtons erörtert werden. Zum einen bezeichnet Huntington die Türkei als ein „zerrissenes Land“[1], das auf der einen Seite modern und westlich ist und seit 1987 die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebt und in dem auf der anderen Seite der Islamismus immer mehr Zulauf hat, aber mit dem Neo-Osmanismus noch eine weitere politische Strömung Fuß gefasst hat. Zum anderen ist er der Meinung, dass jeder Kulturkreis einen Kernstaat benötigt. Für Huntington sind Nationalstaaten, wie auch schon im Realismus und im Neorealismus, die Hauptakteure in der internationalen Politik. Den mächtigsten und einflussreichsten Staat eines Kulturkreises bezeichnet Huntington als Kernstaat, um den sich andere Staaten des gleichen Kulturkreises gruppieren. Kernstaaten sorgen für Ordnung in der Region und unterstützen die kleineren Staaten in ihrem Kulturkreis[2]. So sind nach Huntington Deutschland und Frankreich die Kernstaaten der Europäischen Union. Im islamischen Kulturkreis ist ein solcher Kernstaat noch nicht vorhanden und Huntington schlägt vor, dass die Türkei diese Rolle übernehmen soll.

Ist die Türkei ein gespaltenes Land? Oder doch eher eine „Brücke“[3] zwischen der westlichen und der islamischen Kultur? Welche politischen Strömungen gibt es in der Türkei? Kann die Türkei der Kernstaat der islamischen Welt werden? Und wie denken die islamischen Nachbarstaaten über die Türkei? Auch auf diese Fragen möchte ich eingehen und die verschiedenen Standpunkte näher beleuchten.

2. Die Türkei – ein „zerrissenes Land“

Huntington bezeichnet die heutige Türkei als ein „zerrissenes Land“[4][5]. Die Türkei ist einerseits mit dem Westen verbunden und möchte sich, nicht zuletzt durch das EU-Beitrittsgesuch von 1987, dem Westen noch mehr annähern. Andererseits ist sie durch ihre Geschichte auch sehr mit dem Islam verbunden. Doch um diese These zu verstehen, muss man zunächst einen Blick auf die Entwicklungen in der Türkei seit Anfang des letzten Jahrhunderts werfen. Nachdem das Osmanische Reich zusammengebrochen war, fanden in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts grundlegende Veränderungen in der Türkei statt. Mustafa Kemal Atatürk, erster Staatspräsident der Türkei, wollte mit verschiedenen Reformen das Land in einen modernen, laizistischen und homogenen Nationalstaat umformen und ihn europäisieren. Zunächst setzte er den Sultan ab und hob das Kalifat[6] auf. Die herrschenden osmanischen Gesetze wurden abgeschafft und durch westliche ersetzt. Atatürk übernahm unter anderem das Zivilrecht von den Schweizern und das italienische Strafrecht[7]. Auf religiös-traditioneller Ebene führte Atatürk ebenfalls Neuerungen ein: Männern wurde das Tragen des Fes[8] verboten, sie sollten stattdessen Hüte, wie sie in Europa üblich waren, tragen. Frauen wurde angeraten, sich nicht mehr zu verschleiern. Ende der Zwanziger Jahre setzte er eine letzte große Reform durch. Das arabische Alphabet wurde durch das lateinische ersetzt und arabische wie persische Einflüsse aus der türkischen Sprache entfernt[9]. Im Laufe der Jahre wurde die Annäherung der Türkei an den Westen immer deutlicher. Während die Türkei im Zweiten Weltkrieg neutral blieb, näherte sie sich in den 50er Jahren immer mehr dem Westen an. 1952 wurde die Türkei Mitglied in der NATO und erhielt in den folgenden Jahrzehnten viele Subventionen aus dem Westen. Während des Kalten Krieges gründeten die USA Militärstützpunkte auf türkischem Boden und die Türkei wurde zur „Südflanke der NATO“[10]. Nach Ende des Kalten Krieges verlor die Türkei an Bedeutung für den Westen, schließlich ging von den ehemaligen Sowjetstaaten keine Bedrohung mehr aus. Dennoch war die Türkei durch ihre geostrategische Lage, vor allem im Golfkrieg, für den Westen hilfreich. Die USA durften beispielsweise von ihren türkischen Stützpunkten aus Angriffe auf den Irak fliegen. Doch während die Kemalisten ihr Land als Teil des Westens verstehen und auf eine EU-Vollmitgliedschaft drängen, erhalten Fundamentalisten und sogenannte Neo-Osmanen immer mehr Zulauf. Atatürks Reformen hatten zwar große Auswirkungen auf das Land, dennoch blieb die Gesellschaftsstruktur davon unberührt. Durch das zunächst eingeführte Einparteiensystem gab es eine Herrschaftsform, wie sie auch schon im Osmanischen Reich unter dem Sultan existiert hatte. Atatürk hatte seine Reformen von oben nach unten durchgeführt und die türkische Bevölkerung musste die Neuerungen akzeptieren und wurde durch sie aus den alten Traditionen herausgerissen. Politische Mitbestimmung oder gar Kritik der Bevölkerung an Atatürks Kemalismus[11] waren unmöglich; Reformgegner wurden verfolgt und hingerichtet[12]. In der Türkei lebende Armenier und Griechen wurden vertrieben oder getötet.[13] Atatürk hatte einen Nationalstaat erschaffen, der nur Platz für Türken hatte und in den sich ethnische Minderheiten, wie zum Beispiel die Kurden, zu integrieren hatten.

2.1 Kulturelle Identitäten in der Türkei

Atatürk wollte nach dem Zusammenbruch des osmanischen Vielvölkerreichs einen einheitlichen türkischen Staat schaffen, um den Türken eine neue Identität zu geben.[14] Während die Kurden von 1919 bis 1922 noch gemeinsam mit den Türken gegen Griechenland gekämpft hatten und ihnen 1920 im Vertrag von Sèvres Autonomie zugesprochen worden war, wurden sie ab 1923 nicht mehr als eigenes Volk innerhalb der neugegründeten türkischen Republik anerkannt. Die 1923 gegründete Türkei sollte das Land der Türken sein. Die Kurden konnten zwar in der Gesellschaft aufsteigen und, wie alle Türken, jedes Amt bekleiden, doch dafür mussten sie ihre Identität zu Gunsten einer türkischen aufgeben und mit sämtlichen kurdischen Traditionen brechen.[15] Doch die kurdische Minderheit, sie macht ca. zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung aus[16], ist sich ihrer eigenen Identität bewusst. Aber als eigenes Volk werden sie auch im 21. Jahrhundert nicht anerkannt. Anfang 2002 gab es in der Türkei eine Kampagne zur Einführung der kurdischen Sprache in türkischen Schulen und Universitäten, die seit dem kurdischen Aufstand 1925 verboten ist[17]. Daraufhin wurden etwa fünftausend Schüler, Studenten sowie Eltern verhaftet und mehrere Hunderte wegen Verfassungsverstoßes angeklagt.[18] Auch die seit Anfang der 1980er Jahre hauptsächlich terroristisch agierende kurdische Arbeiterpartei PKK[19] konnte die Forderungen nach kurdischer Autonomie und einem eigenen offiziell anerkannten Staatsgebiet nicht durchsetzen. Neben den Kurden gibt es noch weitere Minderheiten auf dem Staatsgebiet der Türkei: Zum einen die arabische Minderheit, die ca. 1 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht und die, im Gegensatz zu den Kurden, immerhin die Wahl hatte zwischen Anpassung an die türkische Gesellschaft oder Übersiedlung in arabische Nachbarländer. Zum anderen gibt es die Aleviten[20], eine religiöse Minderheit[21]. Die meisten Aleviten stehen dem in der Türkei vorherrschenden Laizismus positiv gegenüber, da sie dadurch nicht zu Gunsten der Mehrheit der Sunniten unterdrückt und diskriminiert werden[22]. Doch ihre Gleichstellung ist heute wieder durch das Aufkommen der Islamisten in der Gesellschaft, wie auch auf höchster politischer Ebene in Gefahr. Aber selbst die sunnitischen Türken, die 70% der Bevölkerung ausmachen[23] und die sich seit 1923 gezwungenermaßen der westlichen Kultur annähern mussten, sind, wie Huntington es beschreibt, gespalten zwischen dem Westen und dem Islam. Viele Menschen in der Türkei besinnen sich auf alte Traditionen. Frauen treten wieder öfter verschleiert in der Öffentlichkeit auf als noch vor ein paar Jahren, um auszudrücken, dass sie nicht so westlich denken wie die Kemalisten in der Türkei und um zu zeigen, dass die westliche Kultur nicht vereinbar mit der des Islams ist.[24] Aber auch aus einem anderen Grund wenden sich die Türken wieder alten Traditionen zu. Um im wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Städten der Region bestehen zu können, werden Verkaufsartikel nicht nur auf türkisch, sondern auch auf arabisch ausgewiesen[25]. Zudem lernen immer mehr Türken die arabische Sprache, um mit Touristen und Geschäftsreisenden aus dem Nahen Osten kommunizieren zu können.

[...]


[1] Huntington, Samuel P.(Hrsg.): Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien, 1998, S. 258.

[2] Vgl. ebd., S. 248.

[3] Ebd., S. 235.

[4] Ebd., S. 258.

[5] Ebd.

[6] Ein Kalif ist ein Nachfolger des Propheten Mohammed und das Oberhaupt muslimischer Gemeinschaften.

[7] Vgl. Riedel, Sabine: Die Türkei und Europa: Probleme zwischen Integration und Migration. In: Südost-Institut München (Hrsg.):Südosteuropa, Bd. 48 Heft 1-2, München,1999, S. 59.

[8] Der Fes war sehr beliebt, da sich die Männer damit beim Beten bis auf den Boden verneigen konnten. Vgl. Rüstow, Dankwart A. (Hrsg.): Die Türkei. Brücke zwischen Orient und Okzident, Göttingen, 1990, S. 43.

[9] Vgl. Steinbach, Udo: Europas Brücke zur islamischen Welt. Die Türkei auf Identitätssuche, in: Wichern-Verlag GmbH (Hrsg.): Blätter für deutsche und internationale Politik, Bd. 41, Heft 10, Bonn, 1996, S. 1237.

[10] Tibi, Bassam: Die postkemalistische Türkei. Zwischen EU und pantürkischem Islamismus, in: Weidenfeld, Prof. Dr. Dr. h.c. Werner (Hrsg.): Internationale Politik, Bd. 53; Heft 1, Berlin, 1998, S. 1.

[11] Die Prinzipien des Kemalismus lauten: Populismus, Republikanismus, Nationalismus, Säkularismus, Etatismus und Reformismus. Vgl. ebd., S. 226.

[12] Vgl. Riedel, Sabine: Die Türkei und Europa, S. 59f.

[13] Vgl. Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen, S. 227.

[14] Vgl. Steinbach, Udo: Europas Brücke zur islamischen Welt. Die Türkei auf Identitätssuche, S. 1234.

[15] Vgl. ebd., S. 1236

[16] Vgl. Baratta, Dr. Mario von (Hrsg.): Der Fischer Weltalmanach 2003, Frankfurt a. Main, 2003, S. 797.

[17] Vgl. Rüstow, Dankwart A.: Die Türkei, S. 55.

[18] Vgl. Baratta, Dr. Mario von: Der Fischer Weltalmanach 2003, S. 800.

[19] Die PKK hat sich 2002 aufgelöst und hat sich in den Kongress für Freiheit und Demokratie in Kurdistan umgewandelt. Vgl. ebd., S. 801.

[20] 15-25% der türkischen Bevölkerung ist alevitischen Glaubens. Vgl. ebd., S. 797.

[21] Aleviten glauben an eine andere Version des Islam, die der der syrischen Alawiten ähnlich ist. Vgl. Rüstow, Dankwart A.: Die Türkei, S. 48.

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. Barratta, Dr. Mario von: Der Fischer Weltalmanach 2003, S. 797.

[24] Vgl. Göle, Nilüfer (Hrsg.): The forbidden modern. Civilization and Veiling, Ann Arbor/Michigan, 1996, S1

[25] Vgl. Rüstow, Dankwart A.: Die Türkei, S. 52.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Türkei zwischen dem Westen und dem Islam
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Übung Internationale Politik: "Clash of Civilizations"
Note
2,2
Autor
Jahr
2003
Seiten
12
Katalognummer
V21976
ISBN (eBook)
9783638254496
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Türkei, Westen, Islam, Internationale, Politik, Clash, Civilizations
Arbeit zitieren
Monika Nath (Autor:in), 2003, Die Türkei zwischen dem Westen und dem Islam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21976

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