Der liebste Feind - Negative Parasoziale Beziehungen und ihre Bedeutung für den Rezipienten - Eine qualitative Analyse am Beispiel von Daily Soaps


Mémoire de Maîtrise, 2003

196 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung und Problemstellung

2 Zum Gegenstandsbereich parasozialer Beziehungen
2.1 Grundlagen
2.1.1 Das Konzept von Horton und Wohl
2.1.2 Darstellung parasozialer Beziehungen
2.1.2.1 Vergleiche zu orthosozialen Beziehungen
2.1.2.2 Parasoziale Beziehungen aus Rezipienten- und Produzentensicht
2.1.2.3 Motive für die Herausbildung parasozialer Beziehungen
2.1.3 Parasoziale Beziehungen und Daily Soaps
2.2 Die Erforschung parasozialer Beziehungen
2.2.1 Die Messung parasozialer Beziehungen
2.2.2 Ausgewählte Studien
2.3 Negative parasoziale Beziehungen
2.3.1 Darstellung negativer parasozialer Beziehungen
2.3.1.1 Vergleiche zu negativen orthosozialen Beziehungen
2.3.1.2 Negative parasoziale Beziehungen aus Rezipienten- und Produzentensicht
2.3.1.3 Motive für die Herausbildung negativer parasozialer Beziehungen
2.3.2 Negative parasoziale Beziehungen und Daily Soaps

3 Die jugendlichen Rezipienten
3.1 Definitionen von Jugend
3.2 Besonderheiten der Jugendphase
3.3 Die Rolle der Medien
3.3.1 Orientierungsfunktion der Medien
3.3.2 Mediennutzung

4 Zur Relevanz von Serienformaten
4.1 Das Genre der Serie und der Soap Opera
4.2 Die Geschichte der Soap Opera
4.3 Soap Operas im deutschen Fernsehen
4.4 Begründung für Soap Operas als Forschungsobjekt
4.5 Serienrezeption
4.5.1 Identifikation, Projektion und Übertragungserleben
4.5.2 Eskapismus und Alltagsflucht

5 Grundlagen für die empirische Analyse
5.1 Theoretische Anbindung
5.2 Fragestellung

6 Methodisches Vorgehen
6.1 Die Methode
6.1.1 Die Wahl der Methode
6.1.2 Die Grounded Theory
6.2 Die Befragung
6.2.1 Die Interviewpartner
6.2.2 Die Leitfäden
6.2.3 Durchführung und Transkription

7 Die Auswertung
7.1 Die Kategorien
7.2 Die Ergebnisse
7.2.1 Generelle Beurteilung der Soap Operas
7.2.2 Gründe für die Serienrezeption
7.2.3 Die negativen parasozialen Beziehungspartner
7.2.3.1 Die Typen und ihre Eigenschaften
7.2.3.2 Die Reaktionen auf die Bildschirmpräsenz
7.2.3.3 Die Notwendigkeit der negativen parasozialen Beziehungspartner
7.2.4 Parallelen zum eigenen Umfeld
7.2.5 Parallelen zur eigenen Person
7.2.6 Thema im Freundeskreis
7.2.7 Vergleichende Analsye
7.3 Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse
7.3.1 Zentrale Aspekte
7.3.2 Theoretischer Bezug

8 Schlussbemerkung und Ausblick

9 Literaturverzeichnis

ANHANG

Die Leitfäden
Hinweise zu den Leitfäden
Leitfaden für 1. Datenerhebungsrunde
Leitfaden für 2. Datenerhebungsrunde
Leitfaden für 3. Datenerhebungsrunde
Leitfaden für 4. Datenerhebungsrunde

Das Kategoriensystem

Die Transkripte
Hinweise zur Transkription
Miriam
Sabrina
Philipp
Anne
Nina
Lars
Dominik
Kristina
Matthias
Corinna
Stephan
Michaela

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung und Problemstellung

Das Fernsehen ist heute nicht nur selbstverständlich in unseren Alltag integriert, es ist auch von seiner gesellschaftlichen Bedeutung her nicht mehr wegzudenken (vgl. Mikos 1994: 17). Denn es bietet uns so vieles: Es informiert, es unterhält, lenkt ab, entspannt, liefert Gesprächsstoff und gibt uns nicht zuletzt einen Überblick darüber, wie die Welt aussieht oder wie sie aussehen könnte. Es vereint die Darstellungsformen anderer Medien, es ist omnipräsent und kann dadurch als Leitmedium der gegenwärtigen Gesellschaft angesehen werden (vgl. Mikos 1994: 17).

„Fernsehen dient als Zeitkoordinator, als Gemeinsamkeitsstifter, als Lieferant von Themen und Ansichten, als Hilfe zur Konfliktvermeidung - aber auch als Mittel zur Abgrenzung von den anderen, als Status- und Rollenmerkmal, als Kampffeld um individuelle Rechte und Selbstständigkeit, als Quasi-Sozialpartner in einsamen Situationen.“ (Hurrelmann 1999: 55)

Und doch ist sein Ruf im Vergleich zu anderen Medien nicht gerade der beste. Verantwortlich dafür ist die zunehmende Dominanz der Unterhaltungsangebote im Programm. Mit dieser Tendenz gehen Medienmacher mehr und mehr in Richtung Zuschauerwünsche. (Vgl. Lücke 2002: 19)1 Schaltet man den Fernseher ein, so will man sich entspannen; unterhalten und nicht gelangweilt oder belehrt werden (vgl. Schell 2001: 67). Das hat zur Folge, dass Fernsehen als etwas Unvernünftiges gilt (vgl. Vorderer 1999: 37) - entweder man beschäftigt sich sinnvoll, oder man sieht fern. Zuschauern mit hohem Fernsehkonsum wird daher auch eine eher passive Freizeitgestaltung unterstellt (vgl. Hurrelmann 1999: 55). Die laute Kritik an der zunehmenden Orientierung in Richtung Unterhaltungsfunktion des Fernsehens findet sich unter den Zuschauern jedoch nicht bestätigt, denn der „Zuspruch zu diesen Angeboten ist im Vergleich zu anderen Programmsparten überdimensional gestiegen und wird es voraussichtlich auch weiter tun.“ (Vorderer 1998: 690)

Davon abgesehen scheint die klassische Trennung von Information und Unterhaltung seitens des Publikums nicht mehr so streng vorgenommen zu werden, denn unterhalEinleitung und Problemstellung tende Programmformate werden von den Zuschauern zunehmend auch informativ genutzt2 (vgl. Vorderer 1998: 690).

Unter den Unterhaltungsangeboten im Fernsehen haben Soap Operas die stärkste Position. Ein großes Kriterium für die Zuschauerbindung scheint dabei die Konstanz und Vorhersehbarkeit von Inhalten zu sein. Soap Operas haben zwar eine stetig wechselnde Handlung, diese ist aber in immer gleiche Rahmenbedingungen, Kulissen und Erzählmodi eingebettet, die auch ihre Inhalte antizipierbar machen. (Vgl. Zubayr 1996: 113) Sie bieten auf der einen Seite ökonomische Vorteile für die Medienmacher, da sie extrem kostengünstig zu produzieren sind und gleichzeitig konstant hohe Einschaltquoten versprechen (vgl. Kilborn 2000: 166). Auf der anderen Seite erzeugen sie für die Rezipienten

„eine bewußte Gratwanderung zwischen Texten, die als Fiktion gelesen werden können, und Texten, die aus verschiedenen Gründen ständig in die Erfahrungswelt des Zuschauers hinüberschwappen, was - wenn überhaupt - nur wenige andere Fiktionen vermögen.“ (Allen zitiert nach Kilborn 2000: 174)

Zuschauer integrieren sich bei der Soap-Rezeption aktiv in das wahrgenommene Geschehen, erkennen eigene Themen in den Inhalten wieder und erhalten Anreize zum Nachdenken über individuelle Handlungsentwürfe (vgl. Bleicher 1998: 166). Soaps geben somit vor allem Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit der eigenen Identität auseinander zu setzen, sie herauszubilden, zu überdenken oder zu festigen (vgl. Mikos 2000: 232). Die Darstellung des Nebeneinanders unterschiedlicher Sichtweisen und Persönlichkeiten ermöglicht zudem sowohl ein Kennen lernen als auch das Erlernen verschiedener sozialer Rollen (vgl. Mikos 1996: 105). Medienerfahrungen können somit als Realerfahrungen wahrgenommen werden. Sie sind nicht abgehoben vom Alltag der Rezipienten, sondern Teil ihres Alltagserlebens (vgl. Barthelmes/Sander 2001: 289). Menschen setzen die Medien für sich ein, um Wirklichkeit zu erkennen und zu verarbeiten, und sie vergewissern sich durch die Medien ihrer eigenen Identität (vgl. Mikos 2000: 231). Das Sprechen über Medieninhalte trägt zudem zur Herausbildung von Gruppenidentitäten bei, da es gemeinsamen Konsens bildet (vgl. Keppler 1996: 14). Glaubt man diesem eher aktiven Verständnis von Medienrezeption, so bedeutet das, dass der Zuschauer sich keinesfalls passiv von Unterhaltungsangeboten berieseln lässt und den Fernseher nur einschaltet, weil er zu nichts anderem mehr in der Lage ist. Vielmehr ist das Rezeptionserlebnis dann ein weiterer aktiver und realer Bestandteil der Freizeit- und Alltagsgestaltung. Auch Luhmann stellt heraus, dass in der Unterhaltung nicht alles reine Fiktion ist. Er betont, dass es sogar notwendig ist, dass der Zuschauer sich und seine Welt in den Inhalten zumindest teilweise wieder findet, um das Medienangebot überhaupt verstehen und einordnen zu können. (Vgl. Luhmann 1996: 99)

„Unterhaltung zielt, gerade indem sie von Außen angeboten wird, auf Aktivierung von selbst Erlebtem, Erhofftem, Befürchtetem, Vergessenem [...].“ (Luhmann 1996: 109)

Dass Unterhaltungsangebote (und insbesondere serielle Programmformate wie Soap Operas) dabei ritualisiert und habitualisiert genutzt werden, ist also nicht mit einer derart passiven Konsumhaltung gleichzusetzen, wie sie von den Kritikern gefürchtet wird (vgl. Zubayr 1996: 51).

„Es gibt im Gegenteil zahlreiche Belege dafür, daß ein Gutteil des Vergnügens, das viele Zuschauer aus ihrer Serie ziehen, aus Engagement oder aktiver Beteiligung resultiert und also unvereinbar ist mit jenen Rezeptionsmustern, die für Soaps als typisch angesehen werden.“ (Kilborn 2000: 169)

Erfolgt die Zuwendung zu einem Medienangebot aktiv nach bestimmten Motiven der Rezipienten, dann kann man außerdem davon ausgehen, dass die Gefahr bezüglich einer unkontrollierten Wirkung der Medien gebannt ist. Der aktive Rezipient kann also das Ausmaß der Medienwirkung auch selber steuern3. (Vgl. Zubayr 1996: 48) Er kann außerdem beeinflussen, inwieweit er sich von der Handlung einnehmen lassen will, indem er die Bereitschaft zeigt, diese als real4 möglich anzusehen. Referenzen dazu sind in Soap Operas zur Genüge gegeben. Den Figuren der Spielhandlung kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Denn vor allem diese fiktionalen Identitäten können Geschichten erzählen und gleichzeitig einen Bezug zur personalen Identität des Zuschauers herstellen. (Vgl. Luhmann 1996: 101ff.) Auch Gleich stellt die Relevanz der Mediencharaktere für den Zuschauer heraus, wenn er betont, dass Menschen, die über das Fernsehen reden, in erster Linie über die im Fernsehen dargestellten Personen sprechen (vgl. Gleich 1996: 114). Und zu diesen Personen bauen Zuschauer unweigerlich Beziehungen auf, die als parasoziale Beziehungen bezeichnet werden und mit direkten sozialen Beziehungen vergleichbar sind, weil sie ebenso (wenn auch auf einer fiktionalen und imaginativen Ebene) im Alltagsleben der Zuschauer Eingang finden. Vorderer befindet parasoziale Beziehungen sogar als wichtigste Bedingung dafür, dass Rezipienten sich durch ein Medienangebot gut unterhalten fühlen. Er betont,

„dass die Attraktivität dieser Serien und die Konstanz ihrer Rezeption vor allem auf der Möglichkeit der Zuschauer beruht, zu den Figuren [...] dieser Daily Soaps parasoziale Beziehungen aufzubauen, die den Jugendlichen nicht nur lebenspraktische Informationen, sondern vor allem auch Vergleichsmöglichkeiten und damit letztlich Orientierung anbieten.“ (Vorderer 1998: 698)

Parasoziale Beziehungen wurden empirisch bisher fast ausschließlich in Bezug auf positive Medienakteure untersucht (siehe dazu Kapitel 2.2.2). Bringt man Jugendliche mit Medienpersonen in Verbindung, so liegt der Schwerpunkt auch hier meist auf der Suche nach Vorbildern, denen die Heranwachsenden nacheifern können; also auf Medienpersonen, die positive und erstrebenswerte Eigenschaften vereinen. Für dieses Forschungsvorhaben interessiert allerdings vielmehr, ob nicht gerade in der Jugendphase auch negative parasoziale Beziehungen herausgebildet werden. Diese Möglichkeit wurde in der bisherigen Forschung stark vernachlässigt. M. E. liegt es jedoch nahe, dass unter den Soap-Opera-Figuren auch Charaktere sind, die auf Ablehnung bei den Zuschauern stoßen, wodurch eine Existenz von negativen parasozialen Beziehungen mit Serienfiguren wahrscheinlich wird. Interessant ist, ob diese Beziehungen einen Nutzen für die (jugendlichen) Zuschauer haben und wenn ja, welcher Mehrwert aus den Beziehungen gewonnen werden kann.

Aus dieser Fragestellung ergibt sich das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit. Der Fokus soll darauf liegen, Motive, Erklärungen und Muster zu finden, auf Grund derer sich junge Rezipienten mit Bildschirmpersonen auseinander setzen, die ihnen unsympathisch sind. Die zentrale empirisch zu untersuchende Frage ist, warum Jugendliche negative parasoziale Beziehungen zu Figuren von Soap Operas (und hier insbesondere Daily Soaps) aufbauen. Möglicherweise sind die Lust, sich zu streiten und Kritik zu üben, sich aufzuregen oder sich lustig zu machen Gründe dafür, dass die Konfrontation mit unsympathisch bewerteten Soap-Charakteren eingegangen wird. Andererseits wäre aber auch vorstellbar, dass die Auseinandersetzung gar nicht gesucht wird und eben diese Charaktere der gern gesehenen Serie lediglich einen negativen Beigeschmack verleihen. Es gilt also zunächst zu klären, ob die Jugendlichen die Serie(n) rezipieren, weil die negativ empfundene Para-Person mitspielt oder obwohl sie Teil der Spielhandlung ist. Doch auch wenn die Daily-Soap-Rezipienten nicht das Motiv der negativen parasozialen Beziehung als Grundlage haben, kann es sein, dass sie sich mit einer ihnen unsympathischen Person ebenso auseinander setzen wie mit einer als sympathisch bewerteten. Auf mögliche Gründe hierfür wird in Kapitel 2.3 eingegangen.

Im Rahmen dieser übergeordneten forschungsleitenden Frage ergeben sich weitere Aspekte in Bezug auf negative parasoziale Beziehungen, die in der empirischen Untersuchung aufgegriffen werden sollen. So ist es zum Beispiel für die Intensität der Beziehung interessant zu erfahren, wie die Reaktion auf die negativ empfundene Para-Person ausfällt bzw. ob es überhaupt eine Reaktion gibt. Ebenso soll in Erfahrung gebracht werden, ob sich die negativen parasozialen Beziehungspartner tatsächlich nur im zunächst offensichtlichen Bereich der klassischen Bösewichte bewegen oder ob auch eigentlich positiv gezeichnete Charaktere Antipathien hervorrufen. Im Rahmen der Diskussion um den Nutzen der Beziehung stellt sich die Frage, ob diese vom Jugendlichen als eine Art soziales Training (d. h. als Übung für die Auseinandersetzung mit realen Personen) oder für eine Besserstellung der eigenen Person genutzt wird5. Zusätzlich könnte die Serienrezeption in Verbindung mit dem Umfeld der Jugendlichen eine Rolle spielen. Steht man der Serie eher abgeneigt gegenüber, rezipiert sie aber trotzdem, weil Freunde das auch tun6, so wäre es wahrscheinlich, dass sich in der Serie auch Charaktere finden, die abgelehnt werden. Eine Ausdifferenzierung der Fragestellung zu Beginn des empirischen Teils vertieft die forschungsrelevanten Aspekte.

Die vorliegende Arbeit setzt sich aus einem theoretischen und einem empirischen Teil zusammen. Im ersten Teil wird zunächst das theoretische Konzept der parasozialen Beziehungen erläutert und ein Vergleich zu orthosozialen Beziehungen (Beziehungen zu Personen aus dem unmittelbaren sozialen bzw. nicht medialen Umfeld) vorgenommen, um sowohl die Parallelen als auch die Unterschiede zur sozialen Alltagskommunikation deutlich zu machen. Kapitel 2.2 gibt einen kurzen Überblick über Untersuchungen, die bisher im Zusammenhang mit parasozialen Beziehungen durchgeführt wurden. Da die vorliegende Arbeit ausschließlich parasoziale Bezie- hungen zu Charakteren von Daily Soap Operas erforscht, stehen auch in diesem Überblick Untersuchungen im Bereich fiktionaler serieller Unterhaltungsangebote im

Mittelpunkt. Das Kapitel soll außerdem verdeutlichen, dass auch die empirische Auseinandersetzung mit negativen parasozialen Beziehungen bisher stark vernachlässigt wurde, woraus sich u. a. das Forschungsinteresse begründen lässt. Im darauffolgenden Kapitel wird auf die theoretischen Aspekte negativer parasozialer Bezie- hungen eingegangen. Die strukturelle Ähnlichkeit zu den Ausführungen zu para- sozialen Beziehungen allgemein wurde bewusst gewählt, um die Parallelen der beiden Ausprägungen des Phänomens besonders zu verdeutlichen. Es sollen aber hier vor allem die besonderen Aspekte und die Relevanz abgelehnter Beziehungspartner herausgestellt werden.

In Kapitel 3 wird erklärt, welche Faktoren dazu beitragen, dass sich gerade Jugendliche als Forschungssubjekte für die Untersuchung (negativer) parasozialer Beziehungen anbieten. Dazu werden zunächst Definitionen von Jugend gegeben. Es werden zusätzlich die Besonderheiten dieser Lebensphase herausgestellt und die daraus resultierende Rolle der Medien verdeutlicht. Das vierte Kapitel gibt einen Überblick über die Entstehung und die Ausdifferenzierung des Genres Serie sowie die Erlangung seiner Vormachtposition im medialen Unterhaltungsmarkt. Eine Beschreibung der aktuellen Daily Soaps im deutschen Fernsehen soll bei der Einordnung der Sendungen helfen, auf die sich die empirische Untersuchung bezieht. Des Weiteren soll in diesem Kapitel noch einmal verdeutlicht werden, inwiefern Serien und insbesondere Daily Soaps mehr als andere Medienformate zur Ausbildung von Beziehungen mit Medienakteuren beitragen und sich damit gut als Untersuchungsmaterial eignen.

Der empirische Teil gibt einleitend mit Kapitel 5 einen detaillierteren Einblick in die Fragestellung und das Forschungsinteresse. Nach einer kurzen Beschreibung zur Anwendung der Methode folgen Ausführungen über die Umstände und Rahmenbedingungen der Durchführung der qualitativen Befragung. Im Anschluss werden die empirisch erhobenen Ergebnisse zu negativen parasozialen Beziehungen Jugendlicher mit Charakteren der deutschen Daily Soaps dargestellt. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert, in den Bezug zu den theoretischen Ausführungen gesetzt und in den Forschungszusammenhang eingeordnet.

2 Zum Gegenstandsbereich parasozialer Beziehungen

2.1 Grundlagen

In der vorliegenden Arbeit sollen parasoziale Beziehungen zu Soap-Opera-Figuren untersucht werden. Als parasoziale Beziehung bezeichnet man das In-Bezug-Setzen des Rezipienten zu den Personen bzw. Charakteren auf dem Bildschirm. Dass dieses Phänomen bei der Medien- und insbesondere bei der Fernsehrezeption auftritt, stellt keine Ausnahme dar, sondern ist vielmehr eine grundsätzliche Verarbeitungsform medialer Informationen (vgl. Frey 1996: 150). Zum einen sind die Medienangebote heute mehr denn je dahingehend konzipiert, „am Alltag der Rezipienten anzusetzen und eine möglichst kontinuierliche Beziehung und Bindung herzustellen.“ (Krotz 1996: 80)

Zum anderen kann man es heute als Indiz für Medienkompetenz verstehen, wenn der Zuschauer bereit ist, sich in Form eines So-tun-als-ob auf das Medienangebot einzulassen (vgl. Mikos 1996: 98) und mit einem Gefühl des Dabeiseins an der Spielhandlung teilzuhaben (vgl. Gleich 2001a: 276). So stellen auch Barthelmes und Sander fest, dass beim Medienerleben immer parasoziale Interaktion stattfindet (vgl. Barthelmes/Sander 2001: 30). In der Medieninteraktion wird sogar vom Zuschauer erwartet, dass er quasi in eine Face-to-face-Beziehung mit den Performern tritt (vgl. Mikos 1996: 104). Denn es wäre

„umgekehrt erstaunlich, wenn Menschen, die in einer Medien- und Informationsgesellschaft leben, nicht auch Medienangebote und damit Medienfiguren als positive und negative Bezugspunkte oder als imaginative Interaktionspartner für bestimmte Fragestellungen oder Lebensbereiche zu Rate zögen.“ (Krotz 1996: 83)

Das Konzept der parasozialen Interaktion wurde erstmals von Horton und Wohl 1956 aufgegriffen und soll jetzt näher erläutert werden.

2.1.1 Das Konzept von Horton und Wohl

Donald Horton und R. Richard Wohl prägten im Zusammenhang mit Fernsehrezeption den Begriff der parasozialen Beziehung bzw. parasozialen Interaktion. Para-social deswegen, weil es sich hierbei um die Auseinandersetzung mit Charakteren über Medien handelt, was im Gegensatz zur direkten Auseinandersetzung mit Personen im unmittelbaren Umfeld steht7. Horton und Wohl erforschten das Phänomen zunächst vor allem im Hinblick auf Fernsehfiguren, die die Zuschauer (scheinbar) direkt ansprechen, wie z. B. Fernsehmoderatoren, im Rahmen sogenannter personality shows. (Vgl. Horton/Wohl 1956: 215f.) Fernsehrezeption wird hier als ein aktives Handeln der Zuschauer verstanden, die bei der Nutzung von Medien (und insbesondere des Fernsehens) in eine Interaktion mit den Personen auf dem Bildschirm8 treten, ihnen dabei nicht nur distanziert beobachtend zuschauen sondern vielmehr mit ihnen interagieren (vgl. Gleich/Burst 1996: 183). Das Fernsehen vermittelt hierbei die Illusion eines Face-to-face-Kontaktes zwischen Medienpersonen und Rezipienten und provoziert so gezielt die Entstehung parasozialer Beziehungen (vgl. Horton/Wohl 1956: 216ff.). Parasoziale Interaktion ist eine Reaktion des Bildschirmpublikums auf das Medienangebot, in der die Zuschauer in Bezug auf Fernsehpersonen ähnlich handeln wie sie das in realen9 sozialen Beziehungen tun. So erzeugt die Fernsehpersönlichkeit Intimität bzw. Vertrautheit mit einer Masse, die der Vertrautheit zweier Personen in einer unmittelbaren sozialen Kommunikationssituation ähnelt.

„The spectacular fact about such personae is that they can claim and achieve an intimacy with what are literally crowds of strangers, and this intimacy, even if it is an imitation and a shadow of what is ordinarily meant by that word, is extremely influential with, and satisfying for, the great numbers who willingly receive it and share in it.“ (Horton/Wohl 1956: 216)

Horton und Wohl prägen in diesem Zusammenhang den Begriff „Intimacy at a distance“. (Horton/Wohl 1956)

Ein wahrgenommenes Problem in der Forschung zu parasozialen Interaktionen und Beziehungen liegt in der unklaren Trennschärfe der Begrifflichkeiten. Horton und Wohl definieren keine exakte Unterscheidung von parasozialer Interaktion und parasozialer Beziehung 10, daher wurden die Begriffe auch in danach folgenden Studien oft synonym verwendet. Im Verlauf der Jahre konnte sich als Unterschied durchsetzen, dass

„ausschließlich die unmittelbare, während der Rezeption stattfindende ‚Begeg- nung’ zwischen Rezipient und Medienakteur als parasoziale Interaktion bezeichnet [wird] und die über die einzelne ‚Begegnung’ hinausgehende Bindung des Zuschauers an eine Persona als parasoziale Beziehung .“ (Vorderer 1998: 698)

Parasoziale Beziehungen werden demnach aus wiederholten Interaktionen des Zuschauers mit dem medialen Gegenüber entwickelt. Den Anfang bildet eine sogenannte Initialzündung (die „erstmalige Begegnung“) nach der weitere parasoziale Prozesse stattfinden. Sofern diese den Zustand des Rezipienten in irgendeiner Hinsicht positiv verändern, empfindet er einen Belohnungswert durch die Interaktion, wodurch sich die Motivation erhöht, diese Erfahrung zu wiederholen. Mit jeder parasozialen Interaktion entwickelt der Rezipient zunehmend eine subjektive Meinung über die Fernsehperson11, welche die Erwartung beeinflusst, auch in Zukunft eine Gratifikation durch die Auseinandersetzung mit ihr zu erfahren und somit die Grundlage für weitere parasoziale Begegnungen bildet. Ergebnis dieses Prozesses ist die Herausbildung einer Beziehung zu der Fernsehperson, die analog zu der Entstehung realer sozialer Beziehungen betrachtet werden kann. (Vgl. Gleich/Burst 1996: 183f.) Die Wechselwirkung zwischen parasozialen Beziehungen und parasozialen Interaktionen kann als Kreislaufprozess verstanden werden, „in dem der aktuelle Zustand einer Beziehung sowohl als Ergebnis vorheriger wie auch als Determinante weiterer parasozialer Interaktions- prozesse begriffen wird.“ (Gleich/Burst 1996: 184) 12 Parasoziale Beziehungen entstehen somit nach ähnlichen Mustern wie soziale Bindungen und bieten eine Grundlage für die Befriedigung bestimmter Kommunikationsbedürfnisse (vgl. Gleich/Burst 1996: 184)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Kreis-Prozess-Modell parasozialer Beziehungen (vgl. Gleich 1996: 120)

Parasoziale Beziehung bei Horton und Wohl meint „eine durch Gewohnheit, kognitive Operationen und Emotionen vermittelte situationsübergreifende Bindung.“ (Krotz 1996: 80) Die Autoren stellen heraus, dass der Zuschauer in dieser parasozialen Bindung ein hohes Maß an Handlungsfreiheit hat (vgl. Gleich 1996: 116). Er kann die Beziehung weitgehend so nutzen, wie er möchte, muss dazu einen äußerst geringen Aufwand betreiben13 und kann sich jederzeit aus der Interaktion zurückziehen, wenn ihm danach ist (vgl. Vorderer/Knobloch 1996: 202f.). Defizitär ist nach Auffassung der Autoren allerdings, dass das Publikum sich den ihnen vorgesetzten Angeboten anpassen muss - Fernsehzuschauer können sich ihre parasozialen Beziehungspartner zwar frei wählen, sie können aber keine neuen Beziehungsmöglichkeiten schaffen14 (vgl. Horton/Wohl 1956: 215).

Wichtig ist, dass Horton und Wohl parasoziale Beziehungen nicht als eine Form der Identifikation verstehen, sondern herausstellen, dass sie sich eindeutig gegenüber Identifikationsprozessen abgrenzen. Der Zuschauer behält in der Beziehung seine Identität (vgl. Gleich 1996: 114) und tritt dem Medienangebot als eigenständige Person gegenüber (vgl. Visscher/Vorderer 1998: 454).

2.1.2 Darstellung parasozialer Beziehungen

Der Begriff der parasozialen Interaktion verlor vor allem im Rahmen des Uses-andgratifications-Ansatzes seine ursprüngliche Bedeutung nach Horton und Wohl und wurde mehr und mehr zu einer allgemeinen rezipienten- und rezeptionsübergreifenden Motivationsdimension. Das anfänglich auf personality shows bezogene Konzept wurde im Laufe der Jahre auf beinahe alle Programmformen angewendet. (Vgl. Vorderer 1998: 696)

„So bildet der Begriff […] heute ‘an almost universal term for all kinds of causes and effects in mass media consumption, whenever the reception process includes a confrontation with persons on the screen and a certain degree of emotional response to them.’” (Bente/Vorderer zitiert nach Bente/Backes 1996: 182)

Diese „Response“ auf den Medieninhalt kann über ein innerpsychisches Rollenspiel und über eine imaginative Rollenübernahme geschehen (vgl. Barthelmes/Sander 2001: 59), wobei Letztere - so wird auch hier betont - klar von einer Identifikation unterschieden werden muss. Der Rezipient ist Zuschauer und Mitmacher zugleich (vgl. Wulff 1996b: 164); er fühlt, erlebt und leidet mit den Personen auf dem Bildschirm. Dabei springt er zwischen möglichen Perspektiven, also zwischen objektiv distanziertem Beobachten auf der einen und Teilhabe an der dargestellten Kommunikationssituation auf der anderen Seite hin und her.

Wichtig ist, dass parasoziale Interaktion nicht nur auf die Kognition des Rezipienten beschränkt bleiben muss, sondern sich auch als soziales Handeln in Form von Austausch und Kooperation niederschlagen kann (vgl. Charlton 2001: 499). Damit ist parasoziales Interagieren nicht völlig abgekoppelt von dem realen Erleben der Zuschauer. Wenn die mediale Realität als Teil der Alltagsrealität gesehen wird (vgl. Lübbecke 1992: 44), dann ist das Herstellen von parasozialen Beziehungen als eine wirklichkeitsmodulierende Form des Alltagshandelns zu verstehen. Es ermöglicht eine Interaktion, in der die Anforderungen einer Face-to-face-Beziehung nicht erfüllt werden müssen; parasoziale Beziehungen beruhen aber dennoch auf den Grundsätzen der

Alltagskommunikation. (Vgl. Mikos 1996: 100) So kommt Charlton zu dem Schluss, dass bei der Kommunikation mit Medienpersonen im Vergleich zum basic setting, das die Bedingungen der direkten Face-to-face-Kommunikation beschreibt, zwar einige Prämissen fehlen15, dies aber nur eine graduelle und keinesfalls eine vollständige Abweichung der Kommunikationssituation darstellt (vgl. Charlton 2001: 500). Somit wird “parasocial interaction [.] part of a social-reciprocal action” (Charlton 2001: 506), in der der Fernsehrahmen dem Zuschauer ermöglicht, spielerische und phantastische Elemente in der Interaktion zu realisieren (vgl. Mikos 1996: 100). Die verschiedenen Formen parasozialer Beziehungen und der Grad der emotionalen Involviertheit unterscheiden sich dabei in Abhängigkeit von den Bedürfnissen, die der Rezipient durch den Aufbau solcher Beziehungen befriedigen will (vgl. Frey 1996: 148).

Visscher und Vorderer differenzieren in ihrer Untersuchung über parasoziale Bezie- hungen von Vielsehern zu Charakteren einer Daily Soap zwischen zwei Dimensionen parasozialer Beziehungen. Medienfreundschaften (bzw. Fernsehbeziehungen) beschränken sich nur auf die unmittelbare Rezeption der Serie, d.h. der mediale Beziehungspartner spielt über die Kommunikationssituation hinaus keine große Rolle im Leben des Rezipienten. Demgegenüber stehen quasi-reale Beziehungen zu Serienfiguren. Diese sind von der Begegnung am Bildschirm abgekoppelt und bestehen auch über die einzelne Rezeptionssituation hinaus.16 (Vgl. Visscher/Vorderer 1998: 457) Beide Beziehungskonstellationen können ein recht hohes Maß an Involvement 17 aufweisen, wobei gerade die Einschätzung der parasozialen Beziehungen als quasi- reale Beziehung „ungesunde“ Formen annehmen kann. Im äußersten Fall begibt sich der Rezipient in eine extreme Form der medienvermittelten Kommunikation und ist nicht mehr in der Lage, zwischen sozialer Realität und Medienrealität zu unterscheiden. Extreme parasoziale Beziehungen sind Beziehungen zu Medienfiguren, in denen der Zuschauer die Beziehung in die außermediale Wirklichkeit verlängert (vgl. Krotz 1996: 74). Er fordert dann die tatsächliche Erfüllung parasozial implizierter Versprechen ein (vgl. Krotz 1996: 81). Dieses Verhalten kann unterschiedliche Dimensionen annehmen.

Diese reichen von der Absicht, z. B. in die Schillerallee18 oder in die Lindenstraße19 einziehen zu wollen, wenn in der Spielhandlung eine Wohnung frei wird, bis hin zu einer Belästigung der Darsteller durch Zuschauer, die nicht mehr zwischen der Rolle und dem Schauspieler als Person unterscheiden können.

Wichtig ist hierbei, dass man deutlich zwischen parasozialen Beziehungen und extremen parasozialen Beziehungen unterscheidet (vgl. Krotz 1996: 83). In Bezugnahme auf die Serie kann es sein, dass sich Alltagsrealität und Fiktion teilweise mischen, in der Regel sind Zuschauer aber in der Lage, spielerisch zwischen diesen beiden Ebenen zu wechseln (vgl. Keppler 1996: 14). Auch in der vorliegenden Arbeit werden parasoziale Beziehungen im Allgemeinen untersucht, der Begriff wird also auch im Folgenden in der klassischen und nicht in der extremen Definition verwendet. Nun sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf orthosoziale Beziehungen herausgearbeitet werden.

2.1.2.1 Vergleiche zu orthosozialen Beziehungen

Wie bereits angesprochen, gibt es viele Hinweise dafür, dass sich Beziehungen zu realen und zu medialen Interaktionspartnern in ihren Grundsätzen ähneln. Zusätzlich wird dem Rezipienten durch das Agieren in parasozialen Beziehungen ermöglicht, soziale Kompetenzen zu erwerben, die er in seiner Alltagswelt einbringen und umsetzen kann. Denn durch parasoziale Interaktion entwickeln Individuen neue Umgangsformen, die sich auch auf ihre Kommunikation mit realen Personen auswirken (vgl. Krotz 1996: 85).

Keppler verfolgt in ihrem Aufsatz zu parasozialen Beziehungen die Annahme, dass das Interesse der Zuschauer an der Interaktion mit Fernsehfiguren maßgeblich in der sozialen Erfahrung der Interaktion mit „echten“ Personen begründet ist. Figuren könnten uns demnach gar nicht interessieren, wenn wir nicht ein dem verwandtes Interesse an realen Personen hätten. Fernsehfiguren werden also zunächst nicht als künstlerisches Konstrukt, sondern als mögliches reales Gegenüber wahrgenommen20. (Vgl. Keppler 1996: 15f.) Dass man Kommunikation mit Medienpersonen als abgeleitete Form interpersonaler Kommunikation betrachten kann, liegt daran, dass Individuen bei der Medienkommunikation auf ihre realen Kommunikationserfahrungen zurückgreifen21, ungeachtet dessen, dass sie sich durchaus darüber im Klaren sind, dass es sich nicht um eine Face-to-face-Kommunikation handelt (vgl. Krotz 1996: 78).

Folglich werden auch die Figuren einer Serie vom Zuschauer im Wesentlichen so behandelt, als ob sie wirklich existieren. Das bedeutet außerdem, dass die Charktere nur deshalb glaubwürdig erscheinen, weil es sie so oder ein wenig anders auch in der eigenen alltäglichen Lebenswelt geben könnte (vgl. Mikos 1994: 331ff., Kunkel 1998: 132), auch wenn in den Figuren bestimmte Stereotype stilisiert dargestellt werden22. Bente und Otto konstatieren im Zusammenhang mit computervermittelter Kommunikation, dass der Nutzer in der künstlichen Welt (der virtuellen Realität) reale Gefühle erleben können muss, um einen Transfer in die reale Welt vollziehen zu können (vgl. Bente/Otto 1996: 224). Dies trifft (vielleicht in etwas abgeschwächter Form) wohl auch auf die Rezeption von Serien zu. Durch das Erleben von realen Gefühlen in der fiktionalen Umgebung kann der Rezipient m. E. den aus der Rezeption hervorgehenden Gebrauchswert besser in seine Alltagswelt übertragen und die Medienerfahrungen somit gewinnbringender für sich einsetzen.

Doch auch wenn man Fernsehfiguren derart wahrnehmen kann, so bestehen doch klare Unterschiede, die sich vor allem in den unterschiedlichen Formen der möglichen Kommunikation manifestieren (vgl. Keppler 1996: 15). Als deutlichste Differenz zeigt sich die fehlende Reziprozität (d. h. die fehlende Gegenseitigkeit) in der Para-Kommunikation. Der Fernsehakteur weiß in der Regel vom einzelnen Zuschauer nichts, kann sich in seinen konkreten Handlungen also allenfalls auf ein Publikum, nicht aber auf ein einzelnes Individuum beziehen (s. dazu auch Kapitel 2.1.1). (Vgl. Vorderer/Knobloch 1996: 202) Die Interaktion ist „one-sided, nondialectical, controlled by the performer […]“ (Horton und Wohl 1956: 215) und kann nicht von beiden Seiten gemeinsam Typus Mensch verkörpern und deshalb relativ homogen sind. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass zwischen Rezipient und Figur Vertrautheit entsteht. (Vgl. Keppler 1996: 16f.) entwickelt werden. Eine dem entgegengesetzte Sichtweise lässt diesen Unterschied jedoch nur bedingt zu. So werde mediale Kommunikation zwar einseitig vermittelt, sie rufe aber eine Reaktionskette hervor, an der beide Seiten (Kommunikator und Rezipient) gleichsam beteiligt sind. Der Eindruck der fehlenden Reziprozität parasozialer Kommunikation entsteht nach dieser Auffassung allein durch die Tatsache der im Vergleich zur direkten Kommunikation verzögerten Reaktion. (Vgl. Charlton 2001: 501) Medienmacher haben zwar nur geringen Einfluss auf die Rezeptionsweise des Rezipienten, und Letzterer kann keinen direkten Einfluss auf das Handeln der Produzenten nehmen, der Medienmarkt gibt aber beiden die Möglichkeit, diese fehlende Reziprozität auszugleichen23. Das Aufeinander-Bezugnehmen geschieht damit zwar asymmetrischer und zeitlich verzögert, ein gegenseitiger Einfluss sei aber dennoch vorhanden. (Vgl. Charlton 2001: 503ff.)

Ob dies allerdings orthosoziale und parasoziale Kommunikation gleichsetzen kann, ist fraglich. Denn in der individuellen medialen Kommunikationssituation - und hier muss m. E. der Aspekt des Marktes in den Hintergrund gestellt werden - kann der Rezipient mit den Bildschirmakteuren nur begrenzt kommunizieren und interagieren.

Die „Ergebnisse des unmittelbar vorangehenden Kommunikationsaktes [wirken] für die folgende Kommunikation nicht direkt verhaltenssteuernd [..]. In der Massenkommunikation gibt es keine unmittelbaren Feedback-Prozesse. [...] Die Zuschauer können also nur mittelbar [...] über [...] die allgemeine Akzeptanz des Medienprodukts in den Kommunikationsprozess eingreifen.“ (Kunkel 1998: 134)

Die Para-Kommunikation steht damit in ihrer Einseitigkeit und Mittelbarkeit einer unmittelbaren zweiseitigen interpersonalen Kommunikation gegenüber (vgl. Keppler 1996: 11). Dies kann parasoziale Beziehungen aus Sicht des Rezipienten sowohl vorteilhaft als auch defizitär gegenüber orthosozialen Beziehungen erscheinen lassen. Im Folgenden soll auf bestimmte Vorzüge und mögliche Nachteile eingegangen werden, was allerdings keinesfalls so zu verstehen ist, dass die eine der anderen Beziehungsform vorzuziehen wäre. Durch die Ausführungen wird lediglich versucht, weitere Vergleichsmöglichkeiten herauszuarbeiten.

Zunächst einmal hat man in der medienvermittelten Interaktion den Vorteil, dass man seinen Interaktionspartner vollkommen frei wählen kann, was in der Interaktion mit realen Personen nicht unbedingt gewährleistet ist. Das Fernsehen liefert Gefühle auf Knopfdruck: Der Zuschauer kann sich je nach seiner Stimmung für eine bestimmte Fernsehwelt entscheiden und diese zur Stimmungsregulation einsetzen24. Sobald das Angebot (bzw. der parasoziale Interaktionspartner) seinen Reiz verliert, ist der Zuschauer nicht gezwungen, die Kommunikationssituation sozial angemessen zu beenden25, und er muss dabei keine Kompromisse eingehen (vgl. Kunkel 1998: 141). Ein erneuter Knopfdruck kann eine adäquatere Situation und damit eine entsprechend geeignetere Stimmung herbeiführen (vgl. Bente/Backes 1996: 184). Parasoziale Inter- aktion kann vom Zuschauer immer problem- und folgenlos abgebrochen werden. Dadurch hat er unter anderem die Möglichkeit, neue Situationen und Rollen imaginär zu erleben, zu denen er sonst nur wenig Zugang hat. Er muss diese Rollen aber gleichzeitig nicht vollständig durchspielen, sondern kann dieses Spiel beenden, sobald er sich in der Situation unwohl fühlt26. (Vgl. Krotz 1996: 84) Und eben diese Rollen können in der parasozialen Interaktion in einer Reinheit erlebt werden, wie man sie im Alltag nie finden würde (vgl. Wulff 1996b: 178).

Hinzu kommt, dass parasoziale Beziehungspartner sehr verlässlich sind. Das Verhalten einer Serienperson z. B. ist weitgehend konsistent - d. h. es birgt keine unangenehmen Überraschungen für den Rezipienten -, und der Zuschauer weiß immer, wann und wo er seinen Bildschirmakteur „treffen“ kann.

„Medienfiguren sind also nicht nur besonders einfach ‚verfügbar’, sie enttäuschen und irritieren auch so gut wie nie und verpflichten zu nichts, so daß man die Auseinandersetzung mit ihnen insgesamt als wenig belastend beschreiben kann.“ (Vorderer/Knobloch 1996: 203)

Trotz aller ausgewiesenen Vorteile bleibt das Agieren des Zuschauers doch unbeantwortet. Er erhält keine individuelle Reaktion auf seine Handlungen und erlebt damit auch keine wirkliche Form sozialer Kommunikation. Nachteilig erscheint die parasoziale Beziehungsform gegenüber realen sozialen Beziehungen vor allem durch die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten des Rezipienten. Er kann in der Interaktionssituation lediglich sein eigenes Verhalten, nicht aber das seines Gegenübers beeinflussen und ist als Einzelner unbedeutend. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen, vorgefertigten Programmangeboten zu wählen. Des Weiteren sind Personae oft auf so bestimmte Art und Weise kreiert, dass eine entsprechende Reaktion des Zuschauers vorhersehbar wird und Letzterer sich lediglich im Rahmen der implizierten answering role verhält. (Vgl. Horton/Wohl 1956: 219) Der Rezipient muss sich keiner kommunikativen Ausdrucksformen bedienen und wird damit auch nicht dazu veranlasst, sich in spezifischen Situationen spezifisch zu verhalten. Dies kann allerdings sowohl negativ als auch positiv gewertet werden, denn schließlich ist der Zuschauer damit agierender Teilnehmer an der Interaktion, ist aber von sämtlichen Körperzwängen befreit. (Vgl. Krotz 1996: 85) So hat er in den zeitweise defizitär erscheinenden parasozialen Beziehungen die Möglichkeit, die Beziehung spielerisch zu gestalten und diese dadurch besser seinen eigenen Interessen anzupassen. Er ist außerdem nicht gezwungen, sich in einer bestimmten Art und Weise zu präsentieren und kann sich so ohne Druck mit der Fernseh- (bzw. Serien-)Figur auseinander setzen. Der Zuschauer kann so soziale Regeln erlernen und neue Handlungsmöglichkeiten erproben. Sind ihm im wirklichen Leben bestimmte Handlungen versagt, dann kann er diese durch Teilhabe an Spielhandlungen kompensatorisch ausleben. (Vgl. Mikos 1996: 104)

Es ist umstritten, ob das Fernsehen durch das Offerieren parasozialer Beziehungspartner zur Vereinsamung der Rezipienten beiträgt. Auf der einen Seite heißt es, dass durch gemeinsame Fernsehrezeption und Gespräche über Medienereignisse soziale Kontakte gefördert und unterstützt werden können. Auf der anderen Seite steht die Auffassung, dass durch die leichtere Verfügbarkeit parasozialer Beziehungspartner und den unkomplizierten Umgang mit ihnen das Interesse an einer aktiven Suche nach unmittelbaren Kommunikationspartnern gehemmt werden kann, was sich hinderlich für die Entwicklung und Erhaltung orthosozialer Beziehungen auswirkt. (Vgl. Kunkel 1998: 142f.) Als allgemeiner Konsens lässt sich jedoch festhalten, dass Fernsehrezeption, die parasoziale Interaktion mit einschließt, unmittelbare soziale Kontakte weder ersetzen soll noch kann27, sondern vielmehr dazu beiträgt, die soziale Kompetenz des Rezipienten zu entwickeln, zu schulen und zu verfeinern (vgl. Wulff 1996b: 178) und damit den Spielraum der sozialen Kommunikation erweitert (vgl. Keppler 1996: 23). Welche Relevanz parasozialen Beziehungen außerdem beigemessen werden kann und wie das Phänomen aus Sicht der Anbieter und der Nachfrager eines Medienangebotes gesehen wird, soll nun näher beleuchtet werden.

2.1.2.2 Parasoziale Beziehungen aus Rezipienten- und Produzentensicht

Bei parasozialen Beziehungen werden die Medienfiguren in Bezug auf das eigene Selbst beurteilt (vgl. Gleich 1996: 119).

Besteht seitens des Zuschauers Interesse an einer parasozialen Beziehung, so kann diese ihm Anreize zur Reflexion eigener Handlungsentwürfe geben. Die Zuschauer erkennen sich selbst in den Serienfiguren wieder oder grenzen sich von ihnen ab und leisten innerhalb der Rezeption somit Identitätsarbeit an der eigenen Person. (Vgl. Mikos 1996: 104) So kann Medienkommunikation durch die Herausbildung parasozialer Beziehungen zur Identitätskonstruktion (vor allem jugendlicher) Rezipienten beitragen (vgl. Krotz 1996: 86) und sie dazu veranlassen, über eigene Verhaltensweisen nachzudenken, diese durch die Serie aber auch bestätigt finden und damit Einstellungen verfestigen (vgl. Barthelmes/Sander 2001: 49). Durch parasoziale Beziehungen wird Unsicherheit beim Rezipienten reduziert (vgl. Visscher/Vorderer 1998: 455).

Zusätzlich bietet ihm das Medienangebot die Möglichkeit des Übertragungserlebens. Der Fernsehnutzer kann darin eigene Erfahrungen reproduzieren und gleichzeitig neue Erfahrungen fiktiv erleben. Eine gesunde Distanz zur medialen Umgebung erhalten die Zuschauer dadurch, dass sie sich innerhalb dieser Erlebniswelt durchaus des fiktiven Charakters der Medienrealität bewusst sind28. (Vgl. Mikos 2000: 232) Indem der Rezipient das in dieser Fiktion dargestellte Verhalten reflektiert, hat er die Möglichkeit, „mit den gezeigten Verhaltensmustern zu spielen, [.] [sich] von ihnen abzugrenzen, [.] [sich] über sie lustig zu machen etc.“ (Keppler 1996: 21)

Auf der anderen Seite stehen die Produzenten einer Fernsehsendung. Wie bereits erwähnt, kann für sie nicht der individuelle Zuschauer relevant sein, da die Ersteller eines Medienangebotes in der jeweiligen Rezeptionssituation über die Interessen des

Einzelnen kaum Kenntnisse haben. Bei der Auswahl der Inhalte und Konstruktion der Charaktere können die Rezipienten lediglich durch eine Übernahme der vermuteten Nutzerperspektive (vgl. Krotz 1996: 79) und dann auch nur unvollständig berücksichtigt werden. Das Individuum muss sich in Form eines imaginären Rollenaustausches immer wieder neu mit dem kommunikativen Angebot auseinander setzen, um diesem einen Sinn29 zu geben (vgl. Krotz 1996: 79)30. Um eine Beziehung zwischen Rezipient und (Serien-)Figur zu fördern, sollte dem Zuschauer der Eindruck vermittelt werden, dass normale Interaktionen mit normalen Gefühlen gezeigt werden (vgl. Mikos 1996: 103). Dabei wird der authentische Charakter einer parasozialen Beziehung nicht dadurch beschädigt, dass sich der Zuschauer der Illusion dieser Beziehung bewusst ist (vgl. Mikos 1996: 97). Nun ist der Rezipient bei der Medienrezeption nicht zur Bildung parasozialer Beziehungen gezwungen, also kein willenloses Opfer „allmächtiger Medienmacher“, sondern er kann selber entscheiden, ob er in eine Interaktion mit den Personen auf dem Bildschirm tritt oder nicht (vgl. Wulff 1996b: 164). Für die, die ein Medienangebot (in diesem Fall eine Serie) produzieren, ist es aber durchaus von Vorteil, die Beziehung zwischen Medienangebot und Rezipienten zu fördern, da „die Möglichkeit zur Entwicklung parasozialer Beziehungen nicht nur einen wesentlichen Grund für die Zuschauer darstellt, bestimmte Sendungen auszuwählen [...], sondern daß diese Beziehungen auch zu ganz unterschiedlichen Akteuren [...] hergestellt werden.“ (Visscher/Vorderer 1998: 455)

Wie intensiv die Beziehungen werden, hängt dann wiederum davon ab, wie vertraut die Zuschauer mit den Inhalten werden können und als wie realistisch sie diese empfinden (vgl. Visscher/Vorderer 1998: 455).

2.1.2.3 Motive für die Herausbildung parasozialer Beziehungen

Bei der Frage, warum Menschen in eine Interaktion mit Medienfiguren treten und letztendlich auch Beziehungen zu ihnen aufbauen, gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Bente und Otto unterscheiden drei Aspekte, die für die parasoziale Zuwendung zu Medienangeboten ausschlaggebend sein können: Erstens gebe es sowohl motivationale Faktoren mit generellen Motiven zur Mediennutzung als auch spezifische soziale bzw. parasoziale Motive, die Para-Kommunikation und eine vergleichbar starke Reaktion auf die entsprechenden Medienangebote erklären könnten. Zweitens werden persönliche Situationsfaktoren im Zusammenhang mit der sozialen Motivation des Zuschauers genannt, nach denen z. B. soziale Isolation oder Einsamkeit zur Suche nach Kontakt mit Medienpersonen führen könnten. Drittens sollten spezifische Persönlichkeitsmerkmale im Zusammenhang mit emotionaler Erregbarkeit eine Erklärung für parasoziales Verhalten geben. Hier wird als Beispiel unter anderem das Sensation-Seeking genannt. (Vgl. Bente/Otto 1996: 226f.) Gleich und Burst stellen ganz allgemein das Motiv des sozialen Nutzens in den Vordergrund. Die Beziehungen zu Medienfiguren seien vor allem dann stärker ausgeprägt, wenn der Zuschauer von den präsentierten Inhalten eine Relevanz für sein eigenes Leben erwartet. (Vgl. Gleich/Burst 1996: 198) Am häufigsten trifft man jedoch auf das Motiv der Einsamkeit und des Defizits an sozialen Kontakten31. In diesem Zusammenhang wird die These vertreten, dass vor allem Menschen, denen es im eigenen sozialen Umfeld an Kontakten mangelt und die Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte aufzubauen, das Bedürfnis nach Kommunikation mit parasozialen Beziehungen befriedigen. Im Gegensatz dazu steht die Auffassung, dass parasoziale Beziehungen primär als Ergänzungsfunktion dienen, sie nicht zum Ausgleich von Defiziten wie Einsamkeit genutzt werden, sondern vielmehr zusätzliche soziale Erfahrungen ermöglichen, die von orthosozialen Beziehungen weitgehend unabhängig sind und lediglich soziale Kompetenzen verfeinern. (Vgl. Vorderer/ Knobloch 1996: 205) So relativieren auch Barthelmes und Sander die Auffassung, parasoziale Kontakte funktionierten als Ersatz für orthosoziale Beziehungen. Sie sagen, dass unbefriedigende Erfahrungen in der sozialen Wirklichkeit (der Jugendlichen) Wünsche nach ergänzenden Medienerfahrungen erzeugen können (vgl. Barthelmes/ Sander 2001: 153). Gleich konstatiert, dass Individuen generell den Wunsch nach Nähe, Kontakt und Auseinandersetzung mit anderen Menschen hegen. Dabei sind nicht nur Personen aus dem realen sozialen Umfeld sondern zunehmend auch mediale Personen zur Befriedigung dieser Bedürfnisse bedeutsam. (Vgl. Gleich 1996: 137) Dies bestätigt wiederum, dass Motive zur Hinwendung zu parasozialen Interaktionspartnern eher eine ergänzende Funktion haben, als dass sie einen Ersatz für mangelnde orthosoziale Beziehungen darstellen.

2.1.3 Parasoziale Beziehungen und Daily Soaps

Insbesondere bei der Rezeption von Daily Soaps entstehen auffallend häufig vergleichsweise intensive parasoziale Beziehungen zu den dargestellten Figuren. Dies kann zum einen dadurch begründet werden, dass hier (im Vergleich zu Spielfilmen) eine sehr regelmäßige und (im Vergleich zu Serien, die nicht im täglichen Rhythmus ausgestrahlt werden) eine sehr häufige Begegnung zwischen Zuschauer und Figur stattfindet32. (Vgl. Vorderer 1996a: 166) Hinzu kommt, dass der Alltag der Zuschauer dem Serienalltag der Daily Soap strukturell sehr ähnlich ist. Dadurch entsteht eine Vertrautheit zwischen Serienfiguren und Publikum. Der Rezipient erkennt sich durch Aneignung der Serie in den Rollen wieder (vgl. Mikos 2000: 237), wodurch die Figuren ebenso wie reale Personen zum signifikanten Anderen für den Zuschauer werden (vgl. Gleich/Burst 1996: 198). Die Auseinandersetzung mit Serieninhalten wird zusätzlich dadurch intensiviert, dass auch die Figuren der Daily Soaps in stereotypisierter Form den Personen aus dem Alltag der Zuschauer entsprechen und damit vor allem jugendlichen Zuschauern als Orientierungshilfe dienen können (vgl. Visscher/Vorderer 1998: 453). Insbesondere Serienfiguren nehmen für sie eine Art Vorbildfunktion ein und werden deshalb für ihre Handlungen bewundert33 (vgl. Visscher/Vorderer 1998: 462f.).

2.2 Die Erforschung parasozialer Beziehungen

2.2.1 Die Messung parasozialer Beziehungen

Parasoziale Beziehungen und parasoziale Interaktionen wurden bereits mehrfach erforscht. Größtenteils dient die von Rubin, Perse und Powell 1985 entwickelte PSI- Skala (Para-Social-Interaction-Scale) als Grundlage für die meist in Form von Befragungen durchgeführten Studien. Die PSI-Skala soll die Reliabilität empirischer Untersuchungen zu parasozialer Interaktion erhöhen und ist in mehrere Items unterteilt, von denen die Autoren annehmen, dass sie Hinweise auf die Existenz parasozialer Interaktionen geben können. (Vgl. Rubin/Perse/Powell 1985) Die Skala zielt ursprünglich auf die Interaktion mit Lieblings-TV-Personen in NachrichtenZum Gegenstandbereich parasozialer Beziehungen programmen (vgl. Rubin/Perse/Powell 1985), wurde in späteren Studien aber auch in Bezug auf die Charaktere von Seifenopern eingesetzt und durch Ergänzung zusätzlicher Items entsprechend der jeweiligen Untersuchungsschwerpunkte immer wieder leicht abgewandelt. Eine Post-viewing-cognition- und Post-viewing-discussion-Skala können bei Bedarf ergänzend eingesetzt werden, um die Integration der parasozialen Beziehungen bzw. Interaktionen in die Alltagswelt der Zuschauer stärker zu berücksichtigen. (Vgl. Visscher/Vorderer 1998: 456f.)

Die PSI-Skala ist ein Fragebogen zur Messung der Wahrnehmung von TV-Personen sowie der Einstellung gegenüber diesen und besteht in der Kurzfassung aus zehn, in der Langfassung aus zwanzig Items34 (vgl. Vorderer 1996a: 153, Vorderer/Knobloch 1996). Die Items dokumentieren unterschiedliche Aspekte der Rezipientenaktivität, wie z. B. die verhaltensbezogenen Äußerungen hinsichtlich antizipierter TV-Nutzung, das Erleben empathischer Gefühle gegenüber der TV-Person, die Wahrnehmung einer Bindung oder Beziehung zur TV-Person und interaktive Handlungen des Rezipienten. Wie bereits deutlich wird, ist der Einsatz der Skala nicht unproblematisch, weil sie nicht als homogen betrachtet werden kann. Da auch in diesem Zusammenhang keine klare Abgrenzung der Begriffe Interaktion und Beziehung vorliegt, wird bei der Anwendung nicht genau klar, was die PSI-Skala eigentlich messen will35. (Vgl. Gleich 1996: 124f.) Deswegen wird sie auch nicht in allen Untersuchungen zu parasozialer Kommunikation eingesetzt.

2.2.2 Ausgewählte Studien

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über empirische Studien gegeben werden. Dazu wird zunächst der jeweilige Untersuchungsgegenstand erläutert, und anschließend werden die wichtigsten Ergebnisse aufgezeigt. Auf die Beschreibung des Untersuchungsdesigns und auf nähere Ausführungen zu den Studien wird verzichtet, da lediglich kurz verdeutlicht werden soll, unter welchen Aspekten parasoziale Beziehungen bisher erforscht wurden. Zusätzlich beschränken sich die Ausführungen auf die Studien, die auch explizit die Untersuchung parasozialer Beziehungen bzw. parasozialer Interaktion anstreben.

Rubin untersucht 1985 mit Hilfe der PSI-Skala Gründe für die Rezeption von Soap Operas bei College-Studenten. In den Ergebnissen stellt er vier Hauptmotive für die Rezeption und die damit verbundene parasoziale Zuwendung zu Soap OperaCharakteren heraus: Die Befragten rezipieren demnach Soaps, um sich zu orientieren und Einblicke in das Denken und Handeln anderer zu gewinnen. Sie wenden sich dem Angebot außerdem zu, um den eigenen Problemen oder der Langeweile des Alltags zu entkommen. Als weiteres mögliches Motiv werden die von Seifenopern erfüllte Unterhaltungs- und Entspannungsfunktion zusammengefasst. Das vierte Motiv ist die Gratifikation, die die Rezipienten in Form eines sozialen Nutzens aus der Rezeption ziehen. (Vgl. Rubin 1985)

Auter führt 1992 eine Studie durch, die auf der These aufbaut, dass die Bildung und die Intensität parasozialer Interaktionen sehr stark von den Programminhalten abhängen. Die Intensität der Beziehungen würde besonders dann gesteigert, wenn seitens der Fernsehakteure die Mauer zwischen ihnen und den Zuschauern durchbrochen und Letzterer durch direkte Ansprache am Geschehen beteiligt wird36. Zur Messung der Intensität benutzt er die PSI-Skala, die er als sinnvoll und brauchbar erachtet. Die Ergebnisse bestätigen seine Vermutungen: Es lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Intimität bzw. Intensität der Beziehungen und der Zuschaueransprache feststellen. (Vgl. Auter 1992)

Visscher und Vorderer befragen in einer weiteren Studie zur Intensität parasozialer Beziehungen Leser des GZSZ-Magazins. Sie stellen fest, dass es drei entscheidende Einflussfaktoren gibt. Diese sind die vom Zuschauer empfundene Realitätsnähe der Serie, die Attraktivität der Charaktere (dieser Faktor ist dieser Untersuchung zufolge der wichtigste) und die Ähnlichkeit zwischen dem Zuschauer und seiner Lieblings-TVPerson. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die Beziehungsintensität umso höher ist, je realistischer die Serie eingeschätzt wird, je attraktiver die Charaktere sind und je weniger die Lieblingsperson dem Rezipienten gleicht. (Vgl. Visscher/Vorderer 1996) Vorderer stellt im gleichen Jahr einen weiteren Zusammenhang her. In seiner Studie soll die Brauchbarkeit der PSI-Skala getestet sowie herausgefunden werden, welche Zuschauer mit welchen Figuren welche Beziehungen eingehen. Seine Ergebnisse machen deutlich, dass die Beziehungsintensität umso höher ist, je länger die Beziehung schon andauert bzw. je länger die TV-Personen schon auf dem Bildschirm zu sehen

sind. Die intensivsten Beziehungen haben - den Untersuchungsergebnissen zufolge Vielseher, die die Serie überwiegend alleine rezipieren37. (Vgl. Vorderer 1996a) Gleich untersucht 1996 in einem quantitativ statistischen Verfahren das Verhältnis parasozialer Beziehungen zu realen sozialen Beziehungen, da die Qualität und Intensität von Ersteren seiner Meinung nach nur durch den Bezug zu Zweiteren erklärt werden können. Er findet heraus, dass die Affinität zu TV-Personen generell unterhalb der Affinität liegt, die die Befragten ihren Freunden entgegenbringen. Dabei beurteilen gesellige Personen reale Freundschaften höher als ungesellige Personen. Die Beziehungen zu den TV-Personen werden von beiden Personengruppen gleich eingestuft. In Bezug auf Einsamkeit werden Beziehungen zu Medienfiguren umso wichtiger, je einsamer die Befragten sich fühlen. Freunde werden sowohl bei einsamen als auch bei nicht einsamen Personen als ähnlich wichtig eingestuft. (Vgl. Gleich 1996) Vorderer und Knobloch erforschen ebenfalls 1996, ob parasoziale Beziehungen als Ergänzung zu orthosozialen genutzt werden oder ob sie diese ersetzen. Die Ergebnisse zeigen, dass parasoziale Kontakte verschiedenen Personengruppen etwas sehr Unterschiedliches bieten. Die Autoren differenzieren im Groben zwischen den Kompen- sierern, den sozial Orientierten, den schüchternen Einzelgängern und den selbstbewussten Einzelgängern. Interessant sind vor allem die Rezipienten des ersten und des letztgenannten Typs, da diese beiden Personengruppen die intensivsten parasozialen Beziehungen pflegen. Kompensierern fehle entweder die Möglichkeit zu sozialen Kontakten, oder sie fühlten sich trotz ihrem Wunsch nach Interaktion in den gegebenen sozialen Interaktionsbedingungen unwohl im Beisein anderer. Ihnen bieten parasoziale Interaktionspartner offenbar Ersatz für orthosoziale Kontakte. Den selbst- bewussten Einzelgängern liege wenig an realen sozialen Beziehungen, obwohl es ihnen nicht daran mangeln müsste. Für sie sind parasoziale Beziehungen anscheinend die eindeutig attraktivere Alternative. (Vgl. Vorderer/Knobloch 1996) Eine Studie von Gleich und Burst vergleicht zwischen beziehungsrelevanten Einstellungen gegenüber Fernsehpersonen und gegenüber realen Interaktionspartnern. Die Ergebnisse zeigen, dass Fernsehzuschauer die von ihnen gewählten TV-Personen in beziehungsrelevante Kategorien einordnen und sie ähnlich wie gute Nachbarn beurteiZum Gegenstandbereich parasozialer Beziehungen len38. Sie werden mit dem gleichen Unverbindlichkeitscharakter beschrieben und stehen damit in vergleichbaren Rahmenbedingungen. Diese Einschätzung unterscheidet sich im Wesentlichen nur in Bezug auf den Faktor der Leidenschaft, die gegenüber den TV-Lieblingspersonen höher eingeschätzt wird als gegenüber guten Nachbarn. Dies wird vor allem damit begründet, dass leidenschaftliche Gefühle und erotische Phantasien Medienfiguren gegenüber risikoloser sind, da man ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach nie „live“ begegnen wird. (Vgl. Gleich/Burst 1996)

Weitere interessante Studien wurden z. B. von Göttlich, Krotz und Paus-Haase (2001) zur Daily-Talk- und Daily-Soap-Nutzung von Jugendlichen sowie von Hocker und Staab (1994) zur Zuwendung zu bzw. Abwendung von TV-Personen durchgeführt. Da diese Forschungsvorhaben aber nicht explizit auf die Untersuchung parasozialer Beziehungen zielen, wird von einer näheren Ausführung an dieser Stelle abgesehen.

Mit Ausnahme der Untersuchung von Berghaus, Hocker und Staab (1994), die bei ihren Befragten als engste Bindung die negative Bindung herausstellen, kann man über alle vorliegenden Studien sagen, dass sie sich nur auf positive parasoziale Beziehungen konzentrieren. Negative Beziehungsaspekte werden - wenn überhaupt - nur am Rande gestreift. Es ist jedoch durchaus nahe liegend, dass auch negative Beziehungen (zu Serienfiguren) bestehen, Personen im Fernsehen abgelehnt oder gar gehasst werden. Frey nimmt sogar an, dass bei der Untersuchung negativer parasozialer Beziehungen die Zuschauer eine größere Bereitschaft zeigen, Auskünfte zu geben, weil es relativ leichter fällt zu sagen, dass man etwas nicht mag, als dass man etwas mag (vgl. Frey 1996: 147). Es kann sich demnach für die empirische Forschung als lohnenswert erweisen, nicht mehr nur nach Para-Personen zu forschen, auf die der Zuschauer positiv reagiert, sondern (auch) nach solchen, die Widerspruch und Abwehr erregen. Erfragt man die Personen, die am meisten abgelehnt werden, wird möglicherweise greifbarer, dass Fernsehpersonen Figuren sind, die eine Stellvertretungsfunktion einnehmen39. Auch Wulff ist der Meinung, dass die Gründe für den „Lieblingsgegner“ besser erfasst und abgefragt werden können als die Gründe für die Wahl des Lieblings. (Vgl. Wulff 1996a: 41) Im Folgenenden werden deshalb die negativen Aspekte parasozialer Beziehungen ausführlicher betrachtet.

2.3 Negative parasoziale Beziehungen

Wir setzen uns in Beziehung zu den „Akteuren der Medien, die wir lieben oder hassen, beneiden oder bewundern, über die wir uns ärgern oder mit denen wir uns freuen. [...] Aber wir erleben auch unabhängig von dieser scheinbar sozialen Situation der Rezeption etwas, das für uns unmittelbar relevant erscheint, und wir [...] leisten uns dabei keinen Verzicht auf das möglicherweise Negative, Beunruhigende, Belastende. Wir muten uns dabei auch etwas zu mit der Medienrezeption.“ (Vorderer 1999: 44)

Bisher scheint die Betrachtung negativer parasozialer Beziehungen also als wenig lohnenswert angesehen zu werden. Man geht allgemein davon aus, dass Bindungen zu Fernsehfiguren im Großen und Ganzen positiven Charakters sind. Zuschauer betrachten dieser Auffassung nach die Persona als Freund oder zumindest als guten Bekannten, bewundern sie, bringen ihr vielleicht sogar leidenschaftliche Gefühle entgegen und werden deshalb dazu verleitet, die Sendung, die Serie oder die Show, in der sie die Person regelmäßig antreffen, immer wieder anzusehen. Es gibt jedoch auch Menschen, die sich nicht nur aus diesen Gründen für die Rezeption einer Sendung entscheiden, sondern durchaus auch Beziehungen zu Personae aufbauen, die sie nicht mögen, vielleicht sogar verabscheuen, sich aber zumindest deutlich von ihnen distanzieren. Berghaus, Hocker und Staab stellen in ihrer Studie über Beziehungen zu Moderatoren sogar fest, dass die emotionale Bindung der Zuschauer zu den Bildschirmpersonen gerade bei negativen Empfindungen besonders stark ist. So werden in ihren Interviews spontan mehr Bildschirmpersonen genannt, die die Zuschauer radikal ablehnen oder kritisieren. (Vgl. Berghaus/Hocker/Staab 1994: 30ff.) Auch Wulff schreibt, dass die ursprüngliche Definition der Persona als Ausgeburt positiver Charaktereigenschaften zu eingeschränkt ist. Intimität kann seiner Meinung nach nicht nur durch positive Interaktion erzeugt werden, da auch Streit in hohem Maße zu sozialer Nähe und Intensität führt. (Vgl. Wulff 1996b: 176) So kann die von Horton und Wohl genannte Intimacy nach Wulff „vor allem auch als Qualität negativ belegter, gleichwohl intensi- ver („heißer“) Beziehungen zu Medienpersonen“ (Wulff 1996b: 172) verstanden werden.

Generell gilt, dass Zuschauer sich in der Fernsehrezeption mit Personen auseinander setzen wollen, die ihnen nicht gleichgültig sind. Und dazu gehören sowohl die Figuren, die man mag, als auch die, denen man abgeneigt gegenüber steht40. (Vgl. Vorderer 1999: 43) So muss eine negative Bewertung (des Medienangebotes und der Medienfiguren) keinesfalls zum Abbruch der Rezeption führen (vgl. Gleich 2001a: 273).

2.3.1 Darstellung negativer parasozialer Beziehungen

2.3.1.1 Vergleiche zu negativen orthosozialen Beziehungen

Die Ergebnisse der Studie von Berghaus, Hocker und Staab zeigen, dass Rezipienten über Moderatoren ähnlich wie über ihnen unsympathische Personen aus ihrem eigenen Umfeld urteilen, sich aber trotzdem immer wieder den Medienpersonen aussetzen, die ihnen missfallen. Wo der Kontakt zu solchen Personen in der Realität eher gemieden wird, so nehmen die Zuschauer in der Medienkommunikation von der Freiheit des Abschaltens offenbar keinen Gebrauch. Bei der Fernsehrezeption ist die Bindungskraft des Negativen damit außerordentlich groß. (Vgl. Berghaus/Hocker/Staab 1994: 30ff.) Glaubt man den Ergebnissen der Shellstudie 1997, dass Jugendliche bei der Fernsehrezeption Frust vermeiden, weil sie sich im alltäglichen Leben schon mit genügend Sorgen konfrontiert sehen41 (vgl. Jäckel 1999: 124), so könnte man daraus schließen, dass negative parasoziale Beziehungen etwas Positives für die Zuschauer leisten und sie keinesfalls noch mehr belasten, denn sonst würden sich die Rezipienten ihnen nicht aussetzen.

Dass Rezipienten sich im Medienalltag mit Personen auseinander setzen, gegenüber denen sie abgeneigt sind, diese Konfrontation aber im Alltag mit realen Personen vermeiden, kann eine Form der Kompensation sein. Es fällt oft schwer, unsympathischen Personen seine Abneigung direkt zu zeigen. Wahrscheinlich fürchtet man auch die Konsequenzen, wenn man sich einer Person gegenüber unfreundlich oder gar hasserfüllt verhält. Das soziale Umfeld spielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie die möglichen Reaktionen des „Gegners“.

In der Rezeptionssituation hingegen existiert weder ein soziales noch ein kommunikatives Band zu den Figuren. Die Zuschauer müssen daher auf ihre Reaktionen keine Konsequenzen fürchten und äußern sich so häufig extremer und ungeschützter als beim Urteilen über reale Personen. „Moralische Verurteilungen des Verhaltens von Figuren sind häufig total und grundsätzlich. Sie sind gleichzeitig aber relativ folgenlos.“ (Keppler 1996: 16) So schreibt auch Wulff, dass der Klatsch gegenüber Para-Personen

vergleichsweise rücksichtslos ist, da der Akteur (also der Zuschauer) nicht im gleichen sozialen Umfeld steht wie die Fernsehfigur42 und er daher für seine Aussagen nicht verantwortlich gemacht wird (vgl. Wulff 1996a: 39). Medien eröffnen damit ein Lästern ohne moralische Bedenken (vgl. Artmann 2000: 136). Zum medialen Gegenüber kann, soll und darf der Rezipient sich folglich willkürlich verhalten (vgl. Keppler 1996: 17).

2.3.1.2 Negative parasoziale Beziehungen aus Rezipienten- und Produzentensicht

Die Anreize, die den Zuschauer dazu bringen, auch negative parasoziale Beziehungen einzugehen, wurden ja bereits weitgehend erläutert und haben ihren Ursprung demnach hauptsächlich darin, dass der Zuschauer keine Reaktion auf sein (ausfallendes) Verhalten zu erwarten hat.

Die Aggression43 des Einzelnen gegen eine Medienfigur kann sich zum einen auf einen prototypischen Antihelden oder Bösewicht beziehen, zum anderen aber auch auf eine Figur, die nicht per se die Absicht hat zu provozieren und die von den Produzenten eigentlich als positive Figur kreiert wurde. Tendenziell werden zur Bindung der Zuschauer eher Letztere eingesetzt, obwohl insbesondere fiktionale Handlungen von der Spannung zwischen „den Guten und den Bösen“ leben und - so resümieren Berghaus, Hocker und Staab in ihrem Aufsatz - gerade die Bösen scheinbar den Bindungsgrad an eine Sendung deutlich erhöhen (vgl. Berghaus/Hocker/Staab 1994: 34). Der typische Antiheld wird dabei dazu eingesetzt, das Verhalten anderer und auch das des Publikums zu stimulieren, „so daß an den Reaktionen auf den Antihelden ablesbar ist, wie soziale Kontrolle, Bereitschaft zur Ausgrenzung und Unterdrückung und anderes mehr in Gang gebracht werden.“ (Wulff 1996a: 47) Wie schnell das unrechte Verhalten der Bösen vom Zuschauer Kritik erfährt und sanktioniert wird, hängt wiederum davon ab, wie schnell die individuelle Schmerzgrenze des einzelnen Zuschauers erreicht bzw. überschritten ist44. (Vgl. Berghaus/Hocker/Staab 1994: 28)

2.3.1.3 Motive für die Herausbildung negativer parasozialer Beziehungen

Ein primäres Motiv für die Herausbildung negativer parasozialer Beziehungen ist die Konsequenzenlosigkeit für die Rezipienten. Daher „eigne sich das Fernsehen, ihnen die benötigten Phantasien zu liefern für ‚aggressive und auf Vergeltung ausgerichtete Tagträume, in denen sie ihre feindseligen Gefühle stellvertretend ausleben können, ohne ihre nächsten Angehörigen zu verletzen.’“ (Bettelheim zitiert nach Moritz 1996: 77)

Manche bauen diese negativen medialen Kontakte sicherlich auch auf, um einen erhöhten Erregungszustand zu erreichen (vgl. Vorderer 1996b: 314). Wird das eigene Leben langweilig und bietet wenig Spannung oder Abwechslung, kann man sich diese durch den Fernseher nach Hause „bringen lassen“, indem man sich Medienangeboten und Medienfiguren zuwendet, durch die man sich provoziert fühlt. Ein ganz anderer Reiz der negativen parasozialen Beziehungen kann durch den Vergleich nach unten entstehen (vgl. Vorderer 1996b: 323). Hat das fernsehende Individuum ein schwaches Selbstbewusstsein oder fühlt es sich generell in seinem Selbstwert bedroht, so kann der Vergleich mit Personen, denen es schlechter geht, sowie der Vergleich mit Personen, die sich schlecht verhalten, das eigene Ich aufwerten. In den Medien lassen sich beide Figurentypen leicht für diese Zwecke finden und verfügbar machen. Der Zuschauer kann im ersten Fall seine (soziale) Situation als besser ansehen (in dem er feststellt, dass es anderen noch schlechter geht) (vgl. Vorderer 1999: 42). Im zweiten Fall kann er sich als Person und seinen Charakter aufwerten (weil er sich durch den Vergleich als besseren Menschen sieht).

2.3.2 Negative parasoziale Beziehungen und Daily Soaps

Besonders in Serien wird das Verhältnis zwischen den Guten und den Bösen in einer besonderen Reinheit durchspielt. Das Fehlverhalten einiger Protagonisten, mangelnde Kommunikation und das Spannen von Intrigen konstruieren Probleme, die benötigt werden, um die serielle Erzählung immer wieder voranzutreiben. Der Zuschauer vergleicht dabei die Serienfiguren, ihr Leben und ihr Handeln mit sich selber und kategorisiert damit die Handlungen in seinem individuellen Bezugsrahmen, bekundet Entrüstung, Spott, Mitgefühl oder Trauer (vgl. Keppler 1996: 13).

Die Meinungsbildung des Rezipienten kann dabei recht beliebig sein. Er kann die Handlungen und Rollen der Serienfiguren ernst nehmen, sich aber ebenso auch über sie lustig machen; und er kann sein Bild des parasozialen Gegenübers durch nichts als die eigene Erfahrung, Neigung oder Laune begründet beliebig ändern. Die sozialen Typisierungen der Figuren in der Serie bilden den Hintergrund für moralische Be- und Verurteilungen45 eines spezifischen Verhaltens oder einer Gesamtperson. (Vgl. Keppler 1996: 16) Negative Beurteilungen der gesamten Serie oder einzelner Charaktere können durch eine ironische Rezeptionsweise zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Gleich 2001a: 273). So schreibt auch Götz in ihrem Aufsatz über Soap Operas: “Klatsch und scherzhafter Umgang z. B. mit Stereotypen, schaffen Widerstands- strukturen, in denen das geäußert wird, was ansonsten schwer zu artikulieren ist.“ (Götz 2001: 193)

Ausgehend von diesen Überlegungen soll im weiteren Verlauf der Arbeit erläutert werden, warum die parasoziale Kommunikationsform vor allem für Jugendliche besondere Relevanz erhält. Für eine Einordnung der Lebensphase werden zu Beginn des folgenden Kapitels zunächst Definitionen von Jugend gegeben, auf die sich später auch die Eingrenzung der Untersuchungssubjekte stützt. Die Darstellung zentraler Themen des jungendlichen Lebens und der Funktionen, die die Gesellschaft für die Heranwachsenden bereitstellt, schafft eine Überleitung zur Rolle der Medien, die um ein Weiteres begründet, weshalb (negative) parasoziale Kontakte gerade für Jugendliche so wichtig sind.

[...]


1 Diese Entwicklung schlägt sich auch in den klassischen Informationsangeboten nieder. Nachrichtenformate gleichen sich den Prämissen der Unterhaltung an und setzen zunehmend fiktionale Darstellungselemente ein, die das Interesse der Zuschauer - vor allem das der jugendlichen Rezipienten - aufrecht erhalten oder zurückgewinnen sollen. (Vgl. Göttlich/Nieland 1998a: 37)

2 So suchen Rezipienten nicht mehr nur in den klassischen Informationsangeboten Anschluss an das Weltgeschehen. Auch in Angeboten aus dem Unterhaltungssektor erwartet der Zuschauer Informationen darüber, wie die Welt funktioniert.

3 Auch bei der Rezeption von Soap Operas ist für die Wirkung entscheidend, wie weit sich der Zuschauer auf die Serienwelt einlässt (vgl. Carveth/Alexander 1985: 271).

4 Vor allem im Rahmen der kommunikationswissenschaftlichen Forschung ist der Begriff real sicherlich unter Vorbehalt einzusetzen. Wie auch an späterer Stelle noch einmal erläutert wird, so werden die Bezeichnungen real und wirklich hier zur Vereinfachung als Synonym zum außermedialen Erleben des Menschen in seiner unmittelbar erfahrbaren Alltagswelt verwendet.

5 Denn erst im Vergleich mit dem Bösen kann sich das Gute tatsächlich positiv hervorheben.

6 Ein mögliches Motiv für die Rezeption von Soap Operas kann Gruppenzwang sein (vgl. Alexander 1985: 297). Dieser würde hier daraus entstehen, dass die Jugendlichen sich nicht ausgeschlossen fühlen möchten, wenn Freunde sich über die Soaps unterhalten.

7

„Para signalisiert eine Vermitteltheit und eine semiotische Distanz zwischen den Interagierenden.“

(Wulff 1996a: 29)

8 Für diese Personen verwenden Horton und Wohl den Begriff Personae (vgl. Horton/Wohl 1956: 216). Eine Persona unterscheidet sich vom Star dadurch, dass sie über das Medium (bzw. die Serie) hinaus nicht prominent ist und i.d.R. auch keine traditionellen schauspielerischen Fähigkeiten besitzt (vgl. Wulff 1996b: 167).

9 Wie bereits in der Einleitung aufgegriffen, ist der Begriff real an dieser Stelle kritikwürdig, da ParaKommunikation auch aus der Realität heraus entsteht. Im Zusammenhang dieser Arbeit wird er in Bezug auf die direkt erfahrene Wirklichkeit angewendet. Somit steht real bzw. orthosozial den Begriffen medienvermittelt bzw. parasozial gegenüber.

10 Die beiden Begriffe werden von den Autoren nicht eindeutig zu bestimmten Stadien parasozialer Kommunikation zugeordnet und können daher nicht klar differenziert werden.

11 Analog zu orthosozialen Beziehungen muss der Zuschauer sich ein Bild von der Medienfigur machen, um sich der parasozialen Beziehung annähern zu können (vgl. Knobloch 1996: 49).

12 Zur Veranschaulichung wird dieser Prozess in Abbildung 1 graphisch dargestellt.

13 Vor allem im Vergleich zu realen sozialen Beziehungen, denn diese wollen ja gepflegt werden.

14 Diese Asymmetrie kann der Zuschauer mindern, indem er die Wahrnehmung des Fernsehakteurs und der Beziehung zu ihm kognitiv so auslegt, dass es seinen Wünschen und Bedürfnissen am ehesten entgegen kommt (vgl. Vorderer/Knobloch 1996: 203).

15 Deshalb werden die Bedingungen der Medienkommunikation als non basic setting bezeichnet.

16 Bei der quasi-realen Beziehung ist es nach Meinung der Autoren wichtiger, dass die Fernsehfigur gute Charaktereigenschaften verkörpert als bei Fernsehbeziehungen (vgl. Visscher/Vorderer 1998: 464).

17 Involvement ist ein Rezeptionsmodus, in dem zumindest zeitweise die Grenzen zwischen Realität und Medienwelt verschwimmen. Der Zuschauer fühlt sich in das Mediengeschehen hineingezogen, als befände er sich in einer realen sozialen Situation. (Vgl. Bente/Otto 1996: 224)

18 Schauplatz der Daily Soap Unter Uns.

19 Schauplatz der gleichnamigen Serie.

20 Das Interesse an Fernsehserien überhaupt lebt nach Meinung der Autorin vor allem davon, dass Figuren wie Personen wahrgenommen werden können. Dies wird dadurch möglich gemacht, dass die dargestellten Rollen allgemeinverständliche Zeichen von Personen oder Personentypen repräsentieren. Der Unterschied zwischen Personen und Figuren liegt lediglich darin, dass Figuren einen bestimmten

21 Die zu Grunde liegenden psychischen Prozesse unterscheiden sich nicht wesentlich (vgl. Vorderer/ Knobloch 1996: 202), und TV-Personen werden in vergleichbaren Kategorien bewertet wie reale Interaktionspartner (vgl. Gleich 1996: 140).

22 Man ist sich also darüber im Klaren, dass Fernsehpersonen hauptsächlich einen bestimmten Typ Mensch darstellen. Aber die Eigenschaften, die sie verkörpern, finden wir in unserer Umgebung wieder vielleicht nicht so konzentriert, aber sie existieren. Und gerade weil Figuren Eigenschaften häufig in idealer - d. h. sehr konsequenter - Weise verkörpern, sind sie besonders gut dazu geeignet, unseren Bedürfnissen nach Kontakt und Kommunikation nachzukommen (vgl. Gleich 1996: 117f.).

23 Denn „Readers vote through their purses.” (Charlton 2001: 505)

24 Zillmann hat in diesem Zusammenhang die „Moodmanagement“-Hypothese aufgestellt, die besagt, dass Menschen Fernsehen gezielt zur Verbesserung schlechter und zur Erhaltung guter Stimmung einsetzen. Die unterschiedlichen affektiven Zustände der Rezipienten sind dann die jeweilige Grundlage für die Auswahl eines bestimmten Medieninhaltes. So werden z. B. gelangweilte Personen durch Medienrezeption versuchen, ihr Erregungspotenzial zu erhöhen; gestresste Personen widmen sich hingegen eher beruhigenden Medienangeboten. Durch die Rezeption einer stark absorbierenden Sendung kann eine Unterbrechung allgemein schlechter Stimmung herbeigeführt werden. (Vgl. Schmitz/Lewandrowski 1993: 64ff.)

25 Der Zuschauer muss seinem medialen Gegenüber in keiner Weise gerecht werden (vgl. Vorderer/Knobloch 1996: 203).

26 Manche Rollen wären so intensiv, wie sie medial dargestellt werden, in der sozialen Realität auch kaum zu ertragen. Manche Genres werden daher gerade deshalb genutzt, weil sie Spannung und Abenteuer bieten, ohne den Rezipienten tatsächlich in Gefahr zu bringen. (Vgl. Krotz 1996: 84)

27 Das stellen auch Vorderer und Knobloch bis auf wenige Ausnahmen als Ergebnis einer entsprechenden Untersuchung zu parasozialen Beziehungen heraus (vgl. Vorderer/Knobloch 1996).

28

„Die Fernsehzuschauer [...] wissen, was sie tun, wenn sie so tun, als wären die Figuren einer

Spielhandlung Personen wie du und ich.“ (Keppler 1996: 24)

29 Denn erst die Übertragung der Serienhandlung und ihrer Charaktere in die Bedeutungswelt der Zuschauer geben ihr eine Bedeutung (vgl. Mikos 2000: 237).

30 „Auch während der Fernsehrezeption muß der Rezipient zunächst mit den dargestellten Medienfiguren interagieren, um sie zu verstehen, denn ‚Interaktion heißt Interpretation der vom Partner ausgehenden Handlungen und gleichzeitige Demonstration der eigenen Absichten.’“ (Schürmeier 1996: 108)

31 Das Leitmotiv der mangelnden sozialen Kontakte und der Einsamkeit ist Grundlage für viele Studien. So vermutet u. a. auch Rubin einen Einfluss von Einsamkeit und Selbstbewusstsein auf parasoziale Beziehungen (vgl. Rubin 1985). Die Ergebnisse einer Studie von Vorderer und Knobloch besagen ebenfalls, dass parasoziale Kontakte kompensatorischen Charakter haben können. (Vgl. Vorderer/ Knobloch 1996: 205)

32 Innerhalb des Genres der Daily Soaps ist die Bildung parasozialer Beziehungen stark von der Zeitspanne abhängig, über die sie sich entwickeln können. So können neuere Sendungen zunächst keine so intensiven parasozialen Zuwendungen verzeichnen und müssen sich beim Zuschauer als Bereitsteller von potenziellen Beziehungspartnern erst etablieren.

33 Ebenso können sie dann natürlich auch besonders für das verachtet werden, was sie tun.

34 Diese 20 Items einschließende Variante entspricht der ursprünglichen Skala von Rubin, Perse und Powell.

35 Im ursprünglichen Sinne soll sie zwar Interaktion messen, erfasst aber eher Beziehungsaspekte.

36 Auter nennt das „Breaking down the fourth wall“.

37 Dabei wird hauptsächlich die einsame Rezeptionssituation für das starke Verlangen nach parasozialer Kommunikation verantwortlich gemacht (vgl. Vorderer 1996a: 168).

38 In Bezug auf relevante Beziehungsaspekte werden TV-Personen nach den gleichen Maßstäben beurteilt wie Personen aus dem realen sozialen Umfeld generell, seien es nun gute Freunde, Bekannte oder Nachbarn.

39 Die Ablehnung der Figur drückt dann vielleicht mehr eine Ablehnung dessen aus, für was sie steht und weniger eine Abneigung gegen die Figur als solche.

40 Hier spielt auch der Genuss des Sich-Echauffierens über eine negativ bewertete mediale Person eine Rolle.

41 Diese Argumentation dürfte auch auf die Erwachsenenwelt zu erweitern sein, denn die Sorgen verschwinden ja nicht.

42 Das Wissen um die Medialität der Figur bleibt gewahrt.

43 Sei sie nun verbal artikuliert oder nicht.

44 „Zuschauer fordern vom Moderator die Einhaltung von Regeln, die sie selbst im Kontakt mit ihrem sozialen Umfeld berücksichtigen. Die persönlichen Werte im Umgang mit Menschen werden als Erwartungsfolie auf das Verhalten des Moderators übertragen. Normverletzungen werden sanktioniert.“ (Berghaus/Hocker/Staab 1994: 28)

45 Keppler schreibt in diesem Zusammenhang u. a., dass heute eine Lebenshilfefunktion der Serien immer mehr in den Hintergrund rückt, und dass vielmehr das Amüsieren über die in den Serien gezeigten Verhaltensweisen und die Abgrenzung ihnen gegenüber Relevanz für den Rezipienten erlangen (vgl. Keppler 1996: 12).

Fin de l'extrait de 196 pages

Résumé des informations

Titre
Der liebste Feind - Negative Parasoziale Beziehungen und ihre Bedeutung für den Rezipienten - Eine qualitative Analyse am Beispiel von Daily Soaps
Université
University of Münster  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,3
Auteur
Année
2003
Pages
196
N° de catalogue
V22347
ISBN (ebook)
9783638257145
Taille d'un fichier
1513 KB
Langue
allemand
Mots clés
Feind, Negative, Parasoziale, Beziehungen, Bedeutung, Rezipienten, Eine, Analyse, Beispiel, Daily, Soaps
Citation du texte
Julia Barth (Auteur), 2003, Der liebste Feind - Negative Parasoziale Beziehungen und ihre Bedeutung für den Rezipienten - Eine qualitative Analyse am Beispiel von Daily Soaps, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22347

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