Einleitung
Die Auseinandersetzung mit der impressionistischen Kunst führt beinahe zwangsläufig zur Beschäftigung mit dem Phänomen der Zeit. Trotzdem lässt sich nicht übersehen, dass der Komplexität dieses Themas in der kunstgeschichtlichen Literatur kaum Rechnung getragen wird. Zwar lassen sich ohne weiteres zahlreiche Hinweise auf die Zeitbezogenheit der impressionistischen Kunst finden;
doch diese beziehen sich vorwiegend auf den Aspekt Vergänglichkeit und stellen somit die Negation von Zeit, d.h. Zeitlosigkeit im Sinne von nicht (mehr) vorhandener Zeit heraus. So wird in diesem Kontext die Darstellung des flüchtigen, vergänglichen Augenblicks als das Hauptanliegen impressionistischen Kunstschaffens genannt (Novotny, Rewald, Meyer). Eine Konsequenz hieraus war, dass sich das Interesse der bildnerischen Darstellung mehr und mehr vom Motiv entfernte und die Priorität beim Malvorgang selbst ansiedelte.
Akzentverschiebungen dieser Art bedingen notwendig eine inhaltliche Revision, der sowohl die klassischen Themenbereiche wie Historie, Allegorie und Mythologie als auch sozialkritische oder idealisierende Darstellungen des aktuellen Zeitgeschehens zum Opfer fallen. Die Impressionisten wählten konsequenterweise thematisch unbedeutende Motive, denn der Inhalt des Bildes sollte nicht von der bravourösen Darstellungsart ablenken. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das aktuelle Zeitgeschehen des 19. Jahrhunderts in der
bildenden Kunst überhaupt nicht thematisiert wurde. Eine derartige Behauptung wäre grundsätzlich falsch, denn gerade in den Werken der Impressionisten, die sich vorwiegend auf die Darstellung von Vorstadtvergnügungen, kulturellen Veranstaltungen, Café- und Straßenszenen etc. konzentriert hatten, wird das Lebensgefühl und somit auch der Zeitgeist des 19. Jahrhunderts sehr gut dokumentiert.
Fehlender Zeitbezug bedeutet in diesem Kontext folglich keinen Mangel an Dokumentation, sondern ein Nichtwahrnehmen in dem Sinne, dass die Thematik der Zeit mehr oder weniger auf den flüchtigen Augenblick reduziert und das Motiv nicht als charakteristisches Merkmal seiner Zeit behandelt, sondern primär als Anlaß für die Wahl der stilistischen Mittel genommen wird. Diese wiederum - als
rein ästhetische Bestandteile der künstlerischen Aussage - kümmern sich nicht um Belange von Zeitbezogenheit oder Aktualität. Folglich findet sich in dieser Akzentverschiebung vom Motiv zum Malvorgang selbst eine Negation der Zeit.
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Inhaltsverzeichnis
- ÜBER DIE ZEIT: EINE EINFÜHRENDE SKIZZIERUNG DES PROBLEM-FELDES
- WAS IST ZEIT ?
- DAS PHÄNOMEN ZEIT: EINE OBJEKTBESCHREIBUNG
- DER AUFBRUCH IN DIE MODERNE: DAS 19. JAHRHUNDERT UND SEINE TECHNISCHEN UND KULTURELLEN INNOVATIONEN
- DIE INDUSTRIALISIERUNG VON RAUM UND ZEIT: DER BEGINN DES EISENBAHNZEITALTERS
- DIE PANORAMATISCHE SICHTWEISE ALS EIN CHARAKTERISTIKUM DES 19. JAHRHUNDERTS
- PARIS UND DIE ÄRA HAUSSMANN
- DIE ERFINDUNG DER FOTOGRAFIE UND DIE BEGRÜNDUNG EINER NEUEN SICHTWEISE
- DER SINN FÜRS ZUFÄLLIGE: JAPANISCHE FARBHOLZSCHNITTE UND IHR AUFKOMMEN IN EUROPA
- RESÜMEE
- ZEIT UND ZEITGESCHEHEN BEI CÉZANNE, RENOIR, MONET, DEGAS UND PISSARRO
- PAUL CEZANNE: LA FEMME A LA CAFETIERE (FRAU MIT KAFFEEKANNE), 1890-95, PARIS, MUSEE D'ORSAY
- DAS MOTIV
- SICHTBARE ASPEKTE DER ZEIT
- UNSICHTBARE ASPEKTE VON ZEIT UND ZEITBEZOGENHEIT
- RESÜMEE
- PIERRE-AUGUSTE RENOIR: LE DEJEUNER DES CANOTIERS (DAS FRÜHSTÜCK DER BOOTSFAHRER), 1881, WASHINGTON, THE PHILIPS COLLECTION
- DAS MOTIV
- ZEITGEIST UND ZEITGESCHEHEN
- SICHTBARE ASPEKTE DER ZEIT
- UNSICHTBARE ASPEKTE VON ZEIT UND ZEITBEZUG
- RESÜMEE
- CLAUDE MONET: LE PONT DE L'EUROPE (DIE EUROPABRÜCKE AM BAHNHOF SAINT-LAZARE), 1877, PARIS, MUSEE MARMOTTAN
- DAS MOTIV
- ZEITGEIST UND ZEITGESCHEHEN
- SICHTBARE ASPEKTE DER ZEIT
- DARSTELLUNGSART UND ZEIT
- SUBTILERE AUSPRÄGUNGEN VON ZEIT
- RESÜMEE
- EDGAR DEGAS: DIE BALLETTPROBE, 1874, GLASGOW, THE BURRELL COLLECTION
- DAS MOTIV
- ZEITGEIST UND ZEITGESCHEHEN
- SICHTBARE ASPEKTE DER ZEIT
- DARSTELLUNGSART UND ZEIT
- VERBORGENE ASPEKTE DER ZEIT
- RESÜMEE
- CAMILLE PISSARRO: MÄDCHEN BEIM GESCHIRRSPÜLEN, UM 1882, CAMBRIDGE, FITZWILLIAM MUSEUM
- DAS MOTIV
- ZEITGEIST UND ZEITGESCHEHEN
- SICHTBARE ASPEKTE DER ZEIT
- DIE DARSTELLUNGSART
- DIE ZEIT IN DER ZEIT
- RESÜMEE
- ZUR REIHENFOLGE DER VORGESTELLTEN WERKE
- ZEIT UND ZEITGESCHEHEN IM WERK PAUL CÉZANNES
- STILLEBEN MIT ÄPFELN UND ORANGEN, 1895-1900, PARIS, MUSÉE D'ORSAY
- DARSTELLUNGSART UND ZEIT
- DAS MOTIV
- VERBORGENE ASPEKTE DER ZEIT
- RESÜMEE
- DIE KARTENSPIELER, 1890-92, PARIS, MUSÉE D'ORSAY
- DAS MOTIV
- SICHTBARE ASPEKTE DER ZEIT
- DARSTELLUNGSART UND ZEIT
- SUBTILERE AUSPRÄGUNGEN VON ZEIT
- RESÜMEE
- DAS HAUS DES GEHÄNGTEN, 1873, PARIS, MUSÉE D'ORSAY
- DAS MOTIV
- ZEITGEIST UND ZEITGESCHEHEN
- DARSTELLUNGSART UND ZEIT
- DIE ZEIT IN DER ZEIT
- ÄNDERUNGSDYNAMIK UND KOMPENSATORISCHE LANGSAMKEIT: DIE BEWAHRUNGSKULTUR IM TECHNISIERTEN ZEITALTER
- ZUR AKTUALITÄT DIESES BILDES
- RESÜMEE
- KUNST WIRD NATUR UND NATUR WIRD ZUR KUNST. DIE EIGENART DER ZEITGESTALTUNG
- ABSCHLIEBENDE BETRACHTUNGEN
- Die Bedeutung der Zeit als künstlerisches Gestaltungselement in der impressionistischen Malerei
- Die Darstellung von Zeitlichkeit in den Werken von Cézanne, Renoir, Monet, Degas und Pissarro
- Der Einfluss von technischen und kulturellen Innovationen des 19. Jahrhunderts auf die zeitgenössische Kunst
- Die Frage, inwiefern die Impressionisten den Zeitgeist ihres Jahrhunderts in ihren Werken reflektierten
- Die ästhetischen und inhaltlichen Besonderheiten der zeitlichen Gestaltung in der impressionistischen Malerei
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die komplexe Beziehung zwischen Zeit und bildnerischer Gestaltung am Beispiel des impressionistischen Malereis. Die Autorin analysiert die Darstellung von Zeitlichkeit in den Werken von Paul Cézanne und seinen Zeitgenossen und beleuchtet dabei sowohl die sichtbaren Aspekte der Zeit als auch die subtileren, oft übersehenen Elemente.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel bietet eine allgemeine Einführung in das Thema Zeit und skizziert die verschiedenen Facetten des Zeitbegriffs. Anschließend wird die historische und kulturelle Entwicklung des 19. Jahrhunderts beleuchtet, mit Fokus auf die technischen und künstlerischen Innovationen dieser Epoche. Das dritte Kapitel untersucht die Werke von Cézanne, Renoir, Monet, Degas und Pissarro und analysiert die verschiedenen Arten, wie diese Künstler Zeit in ihren Bildern zum Ausdruck brachten.
Schlüsselwörter
Impressionismus, Zeitlichkeit, Cézanne, Renoir, Monet, Degas, Pissarro, 19. Jahrhundert, Zeitgeist, Industrialisierung, Fotografie, Japanische Farbhölzschnitte.
- Arbeit zitieren
- Dr. Sabrina Cercelovic (Autor:in), 1998, Auf den Spuren der Zeit. Eine analytische Betrachung temporaler Strukturen im Werk Paul Cézannes und seiner Zeitgenossen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2258