"Irgendwas ist schiefgegangen im Prozess der Emanzipation" – diese verkürzte Erklärung entspricht dem gängigen Vorurteil bezüglich der Entstehung von Mädchenkriminalität. Im SPIEGEL 11/1998 mündet die Empörung über kriminelle und gewalttätige Mädchen in der Erkenntnis, Frauen als Fernsehkommissarinnen hantierten neuerdings allzu selbstverständlich mit der Pistole, anstelle "mit den traditionellen so genannten Waffen der Frau zu verführen".
Der "rasante" Anstieg der Mädchengewalt in der BRD in Verknüpfung mit einer "verqueren Emanzipation" ließe den Umgang mit Delinquentinnen also simpel auf die Formel reduzieren: Zurück zu traditionellen weiblichen Werten, Umerziehung von allzu maskulin agierenden "Mannweibern" zu echten Frauen: sanft, brav, häuslich – schon ist das Problem gelöst.
Die Bedingungsgefüge weiblicher Delinquenz, vermutete ich, sind komplexer. Geben die Straftaten und ihre Durchführung eventuell Hinweise auf die Ursachen – entsteht an dieser Stelle ein Bruch zwischen „weiblicher“ und „männlicher“ Delinquenz und impliziert dies nicht auch eine unterschiedliche Herangehensweise im Umgang mit den Delinquentinnen?
In bestehenden Straffälligenprojekten der Jugendgerichtshilfe in Hamburg wurden Mädchen von Männern geleiteten Sozialen Trainingskursen zugeführt, die neben ihnen nur von männlichen Jugendlichen besetzt waren. Sie bewegten sich zurückhaltend in Räumlichkeiten mit deutlicher männlicher Dominanz, sowohl auf Mitarbeiter- als auch auf Besucherseite – und entzogen sich auf diese Weise größerer Einflussnahme.
Wie kann die Praxis also umgestaltet werden, wie kann man den Spielraum der rechtlichen Sanktionsformen optimal ausnutzen, um das Ziel der Legalbewährung zu erreichen?
Zur Beantwortung dieser Frage ist der Lebenssituation und den Problemlagen von Mädchen und Jungen heute, sowie der Entstehung devianten und delinquenten Verhaltens nachzugehen – wo liegen möglicherweise geschlechtsspezifische Unterschiede? Weiter werden in der vorliegenden Arbeit die möglichen Sanktionsformen des Jugendgerichtsgesetzes dargelegt und die Rolle der Jugendgerichtshilfe erläutert. Ist der gesetzliche Spielraum möglicherweise nicht ausreichend oder genügen organisatorische Veränderungen? Welche Faktoren sind hier zu berücksichtigen?
Im letzten Teil werden Überlegungen zur praktischen Umsetzung des Erarbeiteten dargelegt.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- SOZIALISATION: BEDINGUNGEN DES AUFWACHSENS
- TYPISCH WEIBLICH? – TYPISCH MÄNNLICH? : GESCHLECHTSSPEZIFISCHE SOZIALISATION
- Familie
- Kindergarten und Schule
- DIE JUGENDPHASE
- Peers: Der Einfluß Gleichaltriger
- Lebensaktualität jugendlicher Mädchen und Jungen
- BRÜCHE IN DER SOZIALISATION
- ENTSTEHUNGSBEDINGUNGEN ABWEICHENDEN VERHALTENS
- GESCHLECHTSSPEZIFIK ABWEICHENDEN VERHALTENS
- MÄDCHENDELINQUENZ: ERSCHEINUNGSFORMEN UND URSACHEN
- DIE FAKTEN
- ERSCHEINUNGSFORMEN UND AUSPRÄGUNGEN
- URSACHEN
- REAKTIONSFORMEN AUF DELINQUENZ BEI MÄDCHEN
- DIE FOLGEN EINER JUGENDSTRAFTAT
- GESCHLECHTSSPEZIFIK DES JUGENDSTRAFRECHTS
- ERZIEHUNGSMABREGELN
- Weisungen
- Hilfe zur Erziehung
- Zuchtmittel
- DIE JUGENDGERICHTSHILFE
- DIVERSION
- § 45 JGG Absehen von der Verfolgung
- § 47 JGG Einstellung des Verfahrens durch den Richter
- AUSGESTALTUNG DER AMBULANTEN MAẞNAHMEN NACH DEM JGG UND ANREGUNGEN FÜR GESCHLECHTSDIFFERENZIERENDE ARBEIT MIT DELINQUENTEN MÄDCHEN
- HANDLUNGSANSÄTZE
- WEITERFÜHRENDE UND PRÄVENTIVE ARBEIT MIT WEIBLICHEN DELINQUENTINNEN
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit befasst sich mit der Entstehung und den Ursachen von Mädchendelinquenz sowie den möglichen Reaktionsformen auf delinquenten Verhaltens bei Mädchen. Sie konzentriert sich auf die Frage, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Sozialisation, den Ursachen und den Reaktionsformen auf Delinquenz gibt, und ob die aktuellen rechtlichen und pädagogischen Maßnahmen ausreichend sind, um die spezielle Situation von straffälligen Mädchen zu berücksichtigen.
- Geschlechtsspezifische Sozialisation und ihr Einfluss auf die Entstehung von Delinquenz
- Ursachen von Mädchendelinquenz im Vergleich zu Jungendelinquenz
- Reaktionsformen auf Mädchendelinquenz im Rahmen des Jugendgerichtsgesetzes
- Die Rolle der Jugendgerichtshilfe in der Arbeit mit straffälligen Mädchen
- Mögliche Anpassungen und Optimierung der ambulanten Maßnahmen nach dem JGG für Mädchen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt das Problemfeld der Mädchendelinquenz vor, indem sie auf die mangelnde Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte in der Praxis der Jugendgerichtshilfe hinweist.
- Sozialisation: Bedingungen des Aufwachsens: Dieses Kapitel untersucht die Sozialisationsbedingungen von Mädchen und Jungen in der BRD, einschließlich geschlechtsspezifischer Einflüsse in Familie, Kindergarten und Schule, und analysiert die spezifischen Herausforderungen und Erfahrungen, die Mädchen in ihrer Jugendphase erleben.
- Brüche in der Sozialisation: Dieses Kapitel beleuchtet die Entstehung von abweichendem und delinquenten Verhalten bei Mädchen und Jungen, mit besonderem Fokus auf die Frage, ob geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entwicklung und den Ursachen von Delinquenz existieren.
- Mädchendelinquenz: Erscheinungsformen und Ursachen: Dieses Kapitel präsentiert Daten und Statistiken zur Mädchendelinquenz, beschreibt die verschiedenen Erscheinungsformen und Ausprägungen und analysiert die Ursachen für straffälliges Verhalten bei Mädchen.
- Reaktionsformen auf Delinquenz bei Mädchen: Dieses Kapitel betrachtet die Folgen einer Jugendstraftat für Mädchen und untersucht die verschiedenen Reaktionsformen des Jugendstrafrechts, einschließlich der Erziehungsmaßregeln und der Rolle der Jugendgerichtshilfe. Es analysiert die spezifischen Herausforderungen, die sich bei der Arbeit mit straffälligen Mädchen stellen, und diskutiert die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Anpassung der Maßnahmen.
- Ausgestaltung der ambulanten Maßnahmen nach dem JGG und Anregungen für geschlechtsdifferenzierende Arbeit mit delinquenten Mädchen: Dieses Kapitel befasst sich mit der praktischen Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. Es entwickelt Handlungsansätze für die Arbeit mit straffälligen Mädchen und diskutiert die Optimierungsmöglichkeiten der ambulanten Maßnahmen im Rahmen des JGG, um die Bedürfnisse und die besondere Situation von Mädchen besser zu berücksichtigen.
Schlüsselwörter
Die Diplomarbeit beschäftigt sich mit den Themen Mädchendelinquenz, Jugendstrafrecht, geschlechtsspezifische Sozialisation, ambulante Maßnahmen, Jugendgerichtshilfe, Prävention und Intervention. Die Arbeit analysiert die spezifischen Herausforderungen und die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Handlungsansätzen in der Arbeit mit straffälligen Mädchen.
- Citar trabajo
- Tanja Hauschildt (Autor), 2004, Mädchendelinquenz und jugendstrafrechtliche Sanktionen - Eignung und pädagogische Umsetzung der ambulanten Maßnahmen nach dem JGG, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22590