Ritter zwischen Gott und Welt: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad


Seminararbeit, 1996

24 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Das Selbstverständnis des Welfengeschlechts

II. Die Begründung einer karolingischen Tradition durch Heinrich den Löwen

III. Herrscherrepräsentation durch Architektur, Kunst und Literatur
1. Das Löwendenkmal von Braunschweig
2. Der Braunschweiger Dom St. Blasius und die Burg Dankwarderode
3. Das Oswald - Reliquiar

IV. Die genealogische Repräsentation
1. Der Marienaltar des Braunschweiger Doms
2. Das Helmarshausener Evangeliar

V. Der Davidsvergleich

VI. Der Werkstil
1. Das heilige Reliquienschwert Durndart
2. Der feodale Gehalt welfischer Repräsentationskunst
3. Die Fürbittformel

VII. Die Intention Heinrichs des Löwen
1. Die Orientierung an altertümlichen Stilvorbildern
2. Genealogische Repräsentation zur Unterstützung welfischer Herrschaftsansprüche
3. Das feodale Gotteskriegertum des Rolandsliedes als Gegenbild zu den realen Verhältnissen des Lehnswesens zur Zeit des Welfenherzogs

VIII. Resumée

Literaturverzeichnis

I. Das Selbstverständnis des Welfengeschlechts

Die Bezeichnung des Welfenherzogs Heinrichs des Löwen (1142 - 1180) als „nepos Karoli“ im Widmungsgedicht des Helmarshausener Evangeliars läßt einige Rückschlüsse auf das Selbstverständnis dieses mächtigen deutschen Adelsgeschlechts des Hochmittelalters zu. Denn durch diese Formulierung wird auf Karl den Großen (= Karl d. Gr.) rekurriert; den die Welfen ebenso wie viele andere Adelsdynastien als einen ihrer Ahnherren betrachteten. Diese insbesondere von Heinrich dem Löwen neu begründete Karlstradition stellt ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung des Selbstverständnisses des welfischen Hauses dar; welches über eine „dichte Bewußtseinstradition“ verfügte, „die mehrmals eine schriftliche Fixierung gefunden und sich bis zu bildlicher Darstellung verdichtet hat“.[1]

Dieses stolze Adelsgeschlecht, „das sich ohne Krone königlich wußte“,[2] war über seine Ahnfrau Judith, einer Tochter jenes Welfs, der als der Begründer des Geschlechts zu betrachten ist (er war Graf in Schwaben und verstarb 824) mit Karl d. Gr. verwandt. Judith war die zweite Gemahlin des Karlssohns Ludwigs des Frommen gewesen; jedoch bezogen die Welfen ihre Ansippung an die Karolinger über die männliche Linie Welfs I., dessen Sohn Eticho sowie dessen Sohn Heinrich, der den Beinamen „mit dem goldenen Wagen“ trug. Diese drei Ahnen waren allesamt für die Reichsgeschichte kaum relevant, doch war die dynastische Abstammung im Mannesstamm im Mittelalter generell bedeutsamer als diejenige über eine weibliche Linie. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch festzuhalten, daß die Welfen ihrer Genealogie nach am „Königsgeblüt“ und damit auch am im für das Mittelalter so bedeutsamen „Königsheil“ teilhatten; d.h. an der besonderen, nur Königen gebührenden Gnade Gottes. Das stolze Adelsgeschlecht drückte sein Selbstbewußtsein im Laufe des 12. Jahrhunderts nicht nur -- wie noch zu zeigen sein wird - durch Kunst und Architektur aus, sondern auch durch die „schriftliche Fixierung einer Hausüberlieferung“, wodurch das Ahnengedächtnis quasi wieder aktualisiert wurde. Hiermit ist die Weingartner Handschrift der „Historia Welforum“ gemeint; des Welfenstammbaums, der mit Welf primus beginnt und mit Welf VII. und Heinrich dem Löwen endet.[3] Formal folgt er den Darstellungen der Wurzel Jesse. Ein Karolinger taucht in diesem Stammbaum nur am Rande auf in der Gestalt des Sohnes der Ahnfrau Judith, Kaiser Karl dem Kahlen. Im jüngsten Zweig des Stammbaumes sollte Kaiser Friedrich Barbarossa erscheinen, um dadurch die angebliche Zugehörigkeit des regierenden Kaisers zum Welfengeschlecht zu demonstrieren. Dieses Anliegen ging offenbar zurück auf eine Initiative Welfs VI, an dessen Hof die „Historia“ entstanden war. Dessen Sohn Welf VII. war 1167 verstorben und so fürchtete man um den Fortbestand der Dynastie. Die - scheinbar - gefährdete Erbfolge sollte durch diese bewußt gesuchte Verbindung zu Friedrich I. fortgeführt werden; ein Faktum, das zeigt, daß sich das Welfengeschlecht selbst Kaisern ebenbürtig fühlte.[4] Die Welfen, die seit der Belehnung Heinrichs des Löwen mit dem Herzogtum Bayern im Jahre 1156 die zwei größten Herzogtümer des damaligen Deutschen Reichs besaßen, waren das erste Adelsgeschlecht des Mittelalters, das sich - analog zu den als Königen und Kaisern herrschenden Dynastien - einen solchen Familienstammbaum erstellen ließ. Hieraus spricht deutlich ein Hang zur Selbstdarstellung und zur Manifestierung des Eigenbewußtseins zum Zweck der Erhöhung des Ranges und der politischen Stellung der Welfen vor dem Hintergrund einer politischen Situation, die noch zu erläutern sein wird.

Das höchste Ziel solcher Demonstrationen welfischen Selbstverständnisses war es jedoch, „sich mit dem Gedanken an die Krone vertraut zu machen“.

II. Die Begründung einer karolingischen Tradition durch Heinrich den Löwen

Während man im süddeutschen Herrschaftsbereich der Welfen Stolz und Rangbewußtsein durch das Erstellen eines Stammbaumes demonstrierte und die Kontinuität der Dynastie durch den Anschluß an das regierende staufische Kaiserhaus suchte, beschritt der Sohn Heinrichs des Stolzen im Norden des Landes einen anderen Weg. Das Widmungsgedicht des Helmarshausener Evangeliars sowie der Auftrag der Übersetzung der Chanson de Roland, - einer Karlsdichtung - ins Deutsche sind eindeutige Hinweise und Zeugnisse dafür, daß Heinrich der Löwe nun „eine in der welfischen Haustradition zwar angelegte, aber für das Selbstverständnis des Geschlechtes bisher nicht verwertete Möglichkeit der genealogischen Anknüpfung an die Karolinger aktiviert und damit beginnt, sein Haus ebenfalls in der Nachfolge des großen Kaisers zu sehen.“[5]

Im Krönungsbild seines berühmten Evangeliars, das im folgenden Kapitel noch ausführlich behandelt wird, stellt der Kleriker Hermann von Helmarshausen nicht nur das Eigenbewußtsein seines Aufttraggebers „im Vollbesitz der Möglichkeiten seiner Zeit bildhaft gestaltet“ dar, sondern er formuliert es auch schriftlich mit dem Begriff der „stirps imperialis“ sowie mit der Bezeichnung Heinrichs als „nepos Karoli“. Die etwas jüngere Weiheinschrift des Marienaltars des Braunschweiger Doms beweist, daß Hermann dies im Auftrag des Herzogs tat. Damit eröffnete sich der Tradition des Welfenhauses eine neue Dimension. Heinrich der Löwe rekurrierte auf Karl den Großen als den Spitzenahn seines Geschlechts; er beteiligte sich an den Vorbereitungen zu dessen Heiligsprechung und förderte eine entsprechende Bildrepräsentation. Durch diese Berufung auf den großen Karolingerherrscher wählte er dasselbe Mittel der politischen Propaganda wie der Kaiser Friedrich Barbarossa - und stellte sich dadurch mit diesem auf ein und dieselbe Stufe. Daß er sich ebenso in quasi direkter Nachfolge von Karl d. Gr. selbst sah, mit dem sich der Welfenherzog gerne identifiziert sehen wollte, dafür legt das deutsche Rolandslied (= RL) insgesamt Zeugnis ab, wie noch zu demonstrieren sein wird.

Daß die neubegründete Berufung auf Karl den Großen keinen Eingang in die Historiographie der Welfen mehr fand, ist wohl dem Sturz Heinrichs des Löwen, der 1182 nach England ins Exil gehen mußte, zuzuschreiben. Damit hatten die Welfen ihr höchstes Ziel, die Königskrone, zunächst verfehlt Bei der späteren Königswahl Ottos IV., des Sohnes Heinrichs des Löwen, wurde die karolingische Abkunft des Welfengeschlechtes zwar nochmals ausdrücklich betont, jedoch offenbar ohne politischen Gehalt. In den der Abfassung des RL vorhergehenden Jahren wurde die Gestalt Karls des Großen besonders von der staufischen Partei immer wieder auf vielfältige Art und Weise in Erinnerung gerufen, bis sie schließlich in der durch Friedrich I. betriebenen Kanonisation ihre höchste Verklärung fand. Daher erscheint es nicht verwunderlich, daß der stolze Welfenherzog, der sich dem regierenden Kaiserhaus ebenbürtig fühlte, einen Text wie die Chanson ins Deutsche übertragen ließ, der die Person und die Taten Karls verherrlichte. Denn da sich H. der Löwe gleichzeitig im Widmungsgedicht seines Evangeliars als nepos Karoli bezeichnen ließ, erschien er - der Stifter und Vermittler des RL - selbst im Glanz des großen Karolingerherrschers wodurch er seinen hohen Rang betonte und ebenso seinen politischen Anspruch rechtfertigte.[6]

Das neue, durch Heinrich d. Löwen begründete welfische Selbstverständnis drückte sich ebenso in der Kunst sowie der Architektur aus; d.h. durch Stiftungen, die ebenfalls mit Karl d.Gr. und dem Rolandslied in Verbindung gebracht werden können.

III. Herrscherrepräsentation durch Architektur, Kunst und Literatur

Heinrich der Löwe gab nicht nur Werke wie das deutsche Rolandslied oder das Helmarshausener Evangeliar in Auftrag, sondern auch noch eine ganze Reihe anderer Kunstwerke architektonischer oder auch liturgischer Art „deren Gestalt und bildnerisches Programm ebenfalls als Manifestation eines herrscherlichen Bewußtseins begriffen werden können.“[7]

1. Das Löwendenkmal von Braunschweig

Ein wichtiges Zeugnis dieser Art ist das im Jahre 1166 errichtete Löwendenkmal in Braunschweig.

Sein Auftraggeber war derjenige aus dem Geschlecht der Welfen, der sich von allen am bewußtesten auf dieses Familienkennzeichen bezog und es zum Sinnbild seiner eigenen Herrschaft machte. Dieses erste freistehende Monument in Deutschland ließ der Herzog, der auch auf seine Münzen das Bild des Löwen prägen ließ, zur Zeit seiner größten Machtentfaltung errichten als Zeichen seiner Herrschergewalt. Dieses in Bronze gegossene Löwenbildnis thront auf einem Postament vor der Burg Dankwarderode, dem welfischen Hausbesitz in Braunschweig und gilt als ein „hantgemaele“; d.h. als stellvertretendes Bildnis des Herzogs selbst. Das Löwenbildnis drückt Kraft, persönliche Stärke und Entschlossenheit aus - symbolisch zu verstehen als Heinrichs fester Vorsatz, seinen Herrschaftsanspruch auch dem Kaiser gegenüber durchzusetzen.[8]

Die Errichtung dieses Denkmals wird in den Quellen häufig mit dem Bericht über die Kanonisation Karls des Großen in Verbindung gebracht, so z.B. in den Annalen Alberts von Stade. In diesem Bericht erwähnt Albert unmittelbar nach der Nachricht über die Errichtung des Löwendenkmals die Erhebung des Herzogs gegen Kaiser Friedrich Barbarossa - obwohl diese Ereignisse sich zeitlich über mehrere Jahre hinweg erstrecken. In den „Annales Sancti Blasii“, d.h. der Braunschweiger Geschichtsschreibung; werden diese Ereignisse sogar auf ein und dasselbe Jahr datiert; nämlich auf 1166. Dies kann als Beweis dafür angesehen werden, daß für die Zeitgenossen Heinrichs ein innerer Zusammenhang zwischen der Errichtung des Löwendenkmals, der Heiligsprechung Karls und dem Beginn der Auseinandersetzung zwischen Heinrich und Friedrich I. bestand. Die Kanonisation Karls

und die „Errichtung eines beziehungsvollen Denkmals sind gleichsam zeichenhafte Handlungen zur Manifestation eines vorhandenen historischen, politischen und letztlich auch dynastischen Bewußtseins.“[9]

2. Der Braunschweiger Dom St. Blasius und die Burg Dankwarderode

Das bemerkenswerteste architektonische Zeugnis der Repräsentation Heinrichs des Löwen ist zweifellos der Braunschweiger St. Blasius - Dom, dessen Bau Heinrich der Löwe 1173 beginnen ließ. Mit diesem Sakralbau wollte der Herzog jedoch nicht auf das Vorbild der Grabeskirche Königslutter seines Großvaters Lothars v. Supplinburg zurückgreifen, sondern er wählte für „seine“

Kirche den frühsalischen Goslarer Kaiserdom aus der Zeit Heinrichs III. als architektonisches Vorbild. Karl Bertau sieht in diesem „Beharren in alten Traditionen“ eine „architektonische Imitatio - Geste“; und damit einen bewußten Rückgriff auf die große Zeit der deutschen Salierkaiser als „Ausdruck der königgleichen Stellung, der königlichen und kaiserlichen Abkunft des Herzogspaares“; ebenso jedoch „den Ausdruck des guten, und das heißt zugleich: des alten Rechts, welches das gegenwärtige Fürstenheil begründet.“[10]

Dieser Dom war überdies als Grablege für den Herzog und seine Familie bestimmt, was einen bewußten Neuansatz Heinrichs darstellte, denn bislang war die Stiftskirche von Königslutter die letzte Ruhestätte der norddeutschen Welfen gewesen.

Heinrich der Löwe griff noch ein weiteres Mal auf das architektonische Beispiel der salischen Kaiserzeit zurück, nämlich beim Bau der Burg Dankwarderode, vor welcher er das bronzene Löwendenkmal aufstellen ließ. Für diese Braunschweiger Herzogspfalz war die Kaiserpfalz von Goslar das architektonische Vorbild gewesen. Sie stellt ein weiteres Beispiel dar für die Manifestation königlichen Bewußtseins und imperialer Baugesinnung Heinrichs des Löwen.

[...]


[1] Vgl. dazu: Schmid, Karl: Welfisches Selbstverständnis. In: Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum
65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern. Freiburg, Basel, Wien 1968. S. 389.

[2] Vgl. dazu: Ebd. S. 413.

[3] Vgl. dazu: Ebd. S. 412.

[4] Vgl. dazu: Geith, Karl - Ernst: Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts. Bern, München 1977 ( Bibliotheca Germanica 19). S. 120 f.

[5] Vgl. dazu: Ebd. S. 121.

[6] Vgl. dazu: Ebd. S. 122.

[7] Vgl. dazu: Ebd. S. 114.

[8] Vgl. dazu: Schmid, Karl, a.a.O. S. 414.

[9] Vgl. dazu: Geith, Karl - Ernst, a.a.O. S.115.

[10] Vgl. dazu: Bertau, Karl: Das deutsche Rolandslied und die Repräsentationskunst Heinrichs des Löwen. In: Bumke, Joachim (Hg): Literarisches Mäzenatentum. Darmstadt 1982 (WdF 598), S. 331 ff.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Ritter zwischen Gott und Welt: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Veranstaltung
Hauptseminar zur Älteren Germanistik
Note
2
Autor
Jahr
1996
Seiten
24
Katalognummer
V22715
ISBN (eBook)
9783638259880
ISBN (Buch)
9783638717441
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Arbeit ist im Rahmen des Referats über 'Das deutsche Rolandslied als Medium welfischer Repräsentation' entstanden.
Schlagworte
Ritter, Gott, Welt, Rolandslied, Pfaffen, Konrad, Hauptseminar, Germanistik
Arbeit zitieren
Stefanie Metzger (Autor:in), 1996, Ritter zwischen Gott und Welt: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22715

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