Das Jahr 1866 wird in der Geschichtswissenschaft häufig als Wendejahr bezeichnet. Der Begriff der Wende ist allerdings für verschiedene Ereignisse des Jahres 1866 zutreffend.
Hier sind zum einen der preußische Sieg über Österreich in der Schlacht bei Königgrätz zu nennen, der die Wende in der deutschen Frage kennzeichnete, und zum anderen die formale Beendigung des preußischen Verfassungs- konfliktes. Das aus dem Ende des Verfassungskonfliktes resultierende Ergebnis der Aufspaltung des liberalen Lagers und damit zusammenhängend die Gründung der Nationalliberalen Partei gelten als historisch gesicherte Tatsachen. Dies gilt auch für die darauffolgende Zusammenarbeit der Nationalliberalen mit Bismarck. Mir stellt sich diesbezüglich allerdings die Frage, inwiefern sich dieses Ereignis mit dem Scheitern der liberalen Forderungen in der sogenannten „liberalen Ära“ in einen Zusammenhang bringen läßt, und wenn ja, welcher Gestalt er ist. Oder um die Frage zu präzisieren: Hat Nipperdey recht damit, wenn er behauptet, daß nicht die Spaltung der Liberalen und die Zusammenarbeit mit Bismarck die Tragödie des deutschen Liberalismus eingeleitet haben? Ich halte es für sinnvoll, im Hinblick auf den Stellenwert der Ereignisse von 1866/67 dieser Frage nachzugehen und sie zu diskutieren.
Um die oben genannte Frage diskutieren zu können, werde ich im folgenden zuerst die handelnden Akteure beziehungsweise Lager während des preußischen Verfassungskonfliktes darstellen. Des weiteren wird die Position der Liberalen, mit Schwerpunkt auf der Nationalliberalen Partei, während der „liberalen Ära“ bezüglich der Verwirklichung ihrer Forderungen nach Liberalisierung der Verfassung und des Regierungssystems skizziert. Im zweiten Teil der Arbeit sollen dann die Motive für die jeweiligen Handlungen der im ersten Teil dargestellten Akteure herausgearbeitet werden, um diese Positionen dann im dritten und letzten Teil im Bezug auf die oben genannte Frage diskutieren und bewerten zu können.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Liberalen während des preußischen Verfassungskonfliktes
- Die Liberalen während der „,liberalen Ära“
- Der Beginn der Zusammenarbeit mit Bismarck und die Annahme der Verfassung von 1867 durch die Nationalliberalen
- Die Verlängerung des Militäretats von 1867 und die nationalliberale Zustimmung zum Septennat von 1874
- Kulturkampf und Sozialistengesetz. Motive der Liberalen
- Die Zusammenarbeit der Nationalliberalen mit Bismarck. Fortschritt und Ausbau oder „,Verrat“ der liberalen Prinzipien?
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle des deutschen Liberalismus während des preußischen Verfassungskonfliktes und der sogenannten „liberalen Ära“. Sie analysiert die Entwicklung der liberalen Bewegung, insbesondere die Entstehung der Nationalliberalen Partei, und beleuchtet die Zusammenarbeit mit Bismarck im Kontext der deutschen Einigung. Im Zentrum steht die Frage, ob diese Zusammenarbeit mit dem Scheitern der liberalen Forderungen in der „liberalen Ära“ zusammenhängt und ob sich das Ereignis als „Tragödie des deutschen Liberalismus“ interpretieren lässt.
- Die Entwicklung des Liberalismus in Preußen während des Verfassungskonfliktes
- Die Positionen der Liberalen, insbesondere der Nationalliberalen Partei, während der „liberalen Ära“
- Die Motive der Liberalen für die Zusammenarbeit mit Bismarck
- Die Bewertung der Zusammenarbeit im Hinblick auf die Verwirklichung der liberalen Ziele
- Die Frage nach der „Tragödie des deutschen Liberalismus“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Jahr 1866 als Wendejahr in der deutschen Geschichte vor, das sowohl durch den preußischen Sieg über Österreich als auch durch das Ende des preußischen Verfassungskonfliktes geprägt war. Sie führt in die Fragestellung der Arbeit ein, die sich mit der Zusammenarbeit der Nationalliberalen mit Bismarck und ihrer Folgen für das deutsche Liberalismus beschäftigt.
Das zweite Kapitel widmet sich den Liberalen während des preußischen Verfassungskonfliktes. Es beleuchtet die Entstehung wichtiger liberaler Organisationen, wie des Nationalvereins, des Reformvereins und der Deutschen Fortschrittspartei, sowie deren Forderungen nach Liberalisierung des Regierungssystems und der Verfassung. Außerdem wird die politische Situation in Preußen im Kontext der Heeresreform und der Auseinandersetzung zwischen König und Abgeordnetenhaus dargestellt.
Das dritte Kapitel skizziert die Positionen der Liberalen, insbesondere der Nationalliberalen Partei, während der „liberalen Ära“. Es analysiert die Verwirklichung der liberalen Forderungen nach Liberalisierung der Verfassung und des Regierungssystems, sowie die Motive für die Zusammenarbeit mit Bismarck und die Folgen dieser Zusammenarbeit für das deutsche Liberalismus.
Schlüsselwörter
Preußischer Verfassungskonflikt, „liberale Ära“, Nationalliberale Partei, Bismarck, Deutsche Einigung, Liberalismus, „Tragödie des deutschen Liberalismus“, Heeresreform, Ministerverantwortlichkeit, Verfassung, Regierungssystem.
- Arbeit zitieren
- Holger Lehmann (Autor:in), 2001, Die Liberalen zwischen Verfassungskonflikt und "liberaler Ära", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22734