Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Ministerialbürokratie und Beamtenstatus
3. Zum Verhältnis von Politik und Verwaltung und was daraus folgt
3.1. Formale Politisierung
3.2. Funktionale Politisierung
3.3. Wissenschaftlicher Stand zur Ämterpatronage
4. Parteipolitische Ämterpatronage
4.1. Begrifflichkeit und Definition
4.2. Herrschaftspatronage
4.3. Versorgungspatronage
4.4. Proporzpatronage
4.5. Feigenblattpatronage
4.6. Funktionelle Patronage per Änderung des Aufgabenbereichs
5. Rechtliche Bewertung und Risiken der Ämterpatronage
6. Zusammenfassung und Fazit
LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Die deutsche Gesetzgebung gibt im Grundgesetz ein reines Leistungs- und Gleichheitsprinzip1 als Maß für Stellenbesetzungen in der öffentlichen Verwaltung vor. Dennoch diskutiert man ganz öffentlich die Besetzung von administrativen Spitzenpositionen mit Mitgliedern bestimmter Parteien, ungeachtet ihrer fachlichen Eignung. Zuletzt berichteten DIE ZEIT und auch SpiegelOnline im Dezember 2012 über die Verteilung von wichtigen Posten an Parteifreunde durch Minister von Union und FDP mit dem Subtext zur Schlagzeile: „Neun Monate vor der Bundestagswahl soll Schwarz-Gelb eilig Posten an Parteifreunde verteilen.2 “ Die mediale Berichterstattung wälzt das Thema rund um das „richtige Parteibuch“ aus. Es geht um Täuschung der Öffentlichkeit durch undurchsichtig getroffene Personalentscheidungen, vorgeworfen werden Machtmissbrauch, Versorgungs- mentalität und Vorteilsnahme, oder mutmaßliche Ämterpatronage. Skandalös, wenn man eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips mitdenkt.
Auch wissenschaftlich wird das Phänomen ausführlich analysiert. Für den Verwaltungswissenschaftler Hans-Ulrich Derlien war es kein Geheimnis, dass in der oberen Ministerialbürokratie insbesondere bei Regierungswechseln Stellenbesetzungen nach Parteifärbung stattfinden3. Es erscheint also offensichtlich, dass ein Widerspruch zwischen dem verfassungsmäßigem Verbot und der gängigen Praxis existiert.
Im Vordergrund dieser Arbeit soll die theoretische Betrachtung von parteipolitischer Ämterpatronage in der öffentlichen Verwaltung stehen. Welche Gefahren bestehen für die öffentliche Verwaltung, wenn Ämter nicht mehr mit dem fachlich qualifiziertesten Kandidaten, sondern nach dem Parteibuch besetzt werden? Ob und in welchem Umfang Ämterpatronage gegen das Grundgesetz verstößt soll geklärt werden.
Dazu wird zunächst anhand der Beschäftigten der Ministerialbürokratie als oberste Ebene der Bundesverwaltung das besondere Verhältnis von Politik und Verwaltung analysiert und das klassische Beamtenverständnis dem des politisierten Beamten gegenübergestellt. Danach wird das Phänomen Ämterpatronage definiert und erläutert. Nach einer Differenzierung von Patronage-Formen, werden die Risiken für die Funktionalität der öffentlichen Verwaltung dargestellt, bevor ein Fazit gezogen wird um darin mögliche Ansätze zur Eindämmung von Ämterpatronage zu nennen.
2. Ministerialbürokratie und Beamtenstatus
Die Ministerialbürokratie umfasst die Beschäftigten der Ministerien des Bundes und im Besonderen diejenigen welche „im Aufgabenbereich „politische Führung und zentrale Verwaltung“ tätig sind“ und noch genauer „die im Höheren Dienst der Ministerien beschäftigten Beamten“ 4. Dabei entsprechen die Strukturen der Ministerien dem Weber`schen Idealtypus der rationalen Bürokratie, d.h. sie sind charakterisiert durch eine streng hierarchische Ordnung, funktionale Arbeits- teilung und Spezialisierung sowie einer Formalisierung und Regelgebundenheit der Entscheidungen5. Der Minister ist sowohl gleichzeitig leitende Spitze des Ressorts als auch Mitglied der Regierung. Er gehört deshalb zur Gruppe der Berufspolitiker und nicht zur Ministerialbürokratie6. Die Hauptaufgabe der Ministerien ist es, politische Entscheidungen vorzubereiten7, politische Grundsatzentscheidungen zu interpretieren und deren praktische Anwendung auszuarbeiten8. Die Ministerialbürokratie stellt also ein Hilfsorgan der politischen Führung zur kontrollierten Umsetzung von Regierungsentscheidungen dar.
In der Praxis arbeiten die Ministerien, u.a. aus Gründen der begrenzten Kapazitäten der Leitungsebenen, aber „selbständiger und aktiver als vorgesehen, während die Leitungsebenen häufig auf koordinierende und kontrollierende Funktionen zurückfallen.“9 Dementsprechend kann die Ministerialverwaltung nicht nur als Subjekt, sondern auch als Objekt der Politik angesehen werden, da in ihr durch „agenda setting, strategische Interaktion im Prozess der Politikgestaltung sowie durch Ausgestaltung und Überwachung der Implementation“ auch Einfluss auf die politische Führung erwächst10.
Die Exponenten der Ministerialbürokratie stellen die Beamten dar. In § 60 des Bundesbeamtengesetzes heißt es „Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen“. Darum gehen mit dem Beamtenstatus für die Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung bestimmte Rechte und Pflichten einher, die aus dem besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat erwachsen. Inbegriffen sind darin einerseits „insbesondere die Ausrichtung ihres Dienstes am Wohl der Allgemeinheit, ihre Neutralität, die Pflicht, ihren Dienst loyal und allein nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auszuführen sowie das Verbot zu streiken.11 “ Demgegenüber stehen besondere Rechte auf Besoldung, Versorgung und Unkündbarkeit12. Dadurch soll eine „gewisse Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten gegenüber der politischen Behördenleitung sichergestellt13 “ werden. Dies entspricht ebenfalls dem klassischen Beamtenverständnis Max Webers, indem Sachlichkeit und Fachmäßigkeit als Handlungsprämissen für den Beamten zu gelten haben14. Damit soll das klassische Beamtentum ein Eigengewicht zur Politik bilden und als Regulativ auf eben diese politische Kraft wirken.
3. Zum Verhältnis von Politik und Verwaltung und was daraus folgt
Die Beamten der Ministerialbürokratie sind deshalb für Betrachtungen zur Ämterpatronage von großem Interesse, weil insbesondere in diesen höchsten Hierarchieebenen ein konkreter Übergang zwischen parteipolitischen Akteuren und administrativen Eliten nur noch schwer auszumachen ist. Da „Verbindungen und Übereinstimmungen durch sehr intensive Kontakte im Rahmen notwendiger und ständiger horizontaler und vertikaler Abstimmungsprozesse15 “ entstehen, wird die Folge des Prozesses des ineinander Übergehen von Politik und Verwaltung als Politisierung der Verwaltung bezeichnet.
Der große Überschneidungsbereich in der täglichen Arbeit der Ministerialbeamten mit der Politik führt also zwangsläufig dazu, dass die vorausgesetzte parteipolitische Neutralität der Akteure nicht mehr gewährleistet werden kann16, es wird deshalb angenommen, dass „ministerielle Führungskräfte in besonderer Weise politisiert sind17 “.
Man kann bei der Betrachtung der Ebenen der Politisierung der Ministerialverwaltung vier Ebenen unterscheiden. Zunächst die rein „inhaltliche Politisierung durch die Wahrnehmung politischer Aufgaben18 “ die sich daraus ergibt, dass die obersten Hierarchieebenen direkt von der Regierung angewiesen und beauftragt werden. Dann insbesondere zwischen einer formalen, durch die Politik legitimierten Politisierung - Parteipolitisierung inbegriffen - und einer funktionalen Politisierung, welche sich aus der Verbreitung eines „kooperativen Verwaltungshandelns19 “ ergibt und „mit einem spezifischen Rollenbild der administrativen Führungsschicht“ einhergeht20.
Im Folgenden sollen die Dimensionen formale und funktionale Politisierung näher erklärt werden.
[...]
1 Vgl. Wagner, Fritjof/Leppek, Sabine (2009): Beamtenrecht, 10. Aufl., C.F. Müller Campus, (künftig zitiert als: Wagner (2009): Beamtenrecht), S. 22.
2 ZEIT ONLINE: Rösler und Altmaier versorgen Parteifreunde mit lukrativen Posten (30.12.12)/
SPIEGEL Online: Ministerien: Rösler und Altmaier versorgen Parteifreunde mit Posten (30.12.12).
3 Derlien, Hans-Ulrich (2003): German Public Administration: Weberian Despite „Modernization“ In: Tummala, Krishna K.: Comparative Bureaucratic Systems. Lexington Books, 97-122. (künftig zitiert als: Derlien (2003): German Public Administration)
„ Despite the performance principle in recruitment and promotion, informal political streamlining of the ministerial bureaucracy in top positions, best visible after a change in government, has become normal in Germany. “ , S. 17.
4 Vgl. Ministerialbürokratie , Artikel in: Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (2003): Handwörterbuch
des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale
für politische Bildung 2003; (künftig zitiert als: Handwörterbuch des pol. Systems der BRD).
5 Vgl. Weber, Max (1980[1921] ): Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann; 5., rev. Auflage, Studienausgabe. Tübingen: J.C.B. Mohr (künftig zitiert als: Weber (1980): WuG), S. 125 ff.
6 Vgl. Ministerialbürokratie , Artikel in: Handwörterbuch des pol. Systems der BRD.
7 Vgl. Bogumil, Jörg/Jann, Werner (2009) : Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in
Deutschland, Einführung in die Verwaltungswissenschaft, 2. überarbeitete Auflage; Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften (künftig zitiert als: Bogumil/Jann (2009): Verwaltung), S. 189.
8 Vgl. Ebinger, Falk/Schwanke, Katja (2006): Politisierung und Rollenverständnis der deutschen administrativen Elite 1970 - 2005, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), Sonderheft 37: Politik und Verwaltung, (künftig zitiert als: Ebinger/Schwanke (2006): Politisierung), S. 235.
9 Vgl. Rudzio, Wolfgang (2011): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 8., akt. u. erw. Auflage; Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 275.
10 Vgl. Bogumil, Jörg/Ebinger, Falk /Jochheim, Linda (2012): Spitzenbeamte und ihr Verhalten bei politisch relevanten Entscheidungen, S. 151 - 174. In: Bürokratie im Irrgarten der Politik, Ge dächtnisband für Hans-Ulrich Derlien, Sonderdruck, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft (künftig zitiert als: Bogumil et.al. (2012): Spitzenbeamte), S. 154.
11 Vgl. Bundesministerium des Innern, Moderne Verwaltung und Öffentlicher Dienst, Dienstrecht,
abgerufen unter: http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Moderne-
Verwaltung/Dienstrecht/Beamte/beamte_node.html, Zugriff am 22.Februar 2013.
12 Beamte , Artikel in: Schubert, Klaus/Klein, Martina (2011): Das Politiklexikon. 5. Aktualisierte Aufl.; Bonn: Dietz. Online-Zugang über Bundeszentrale für politische Bildung:
http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17160/beamte; am 08. März 2013.
13 Vgl. Bundesministerium des Innern, Moderne Verwaltung und Öffentlicher Dienst, Dienstrecht,
abgerufen unter: http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Moderne-
Verwaltung/Dienstrecht/Beamte/Beamtenrecht-allgemein/beamtenrecht-allgemein_node.html, am 22. Februar 2013.
14 Vgl. Weber (1980): WuG, S. 565.
15 Bogumil/Jann (2009): Verwaltung, S. 192.
16 Vgl. Ebinger, Falk | Jochheim, Linda (2009): Wessen loyale Diener? Wie die große Koalition die deutsche Ministerialbürokratie veränderte. In: dms - der moderne Staat - Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, Heft 2/2009, (künftig zitiert als: Ebinger/Jochheim (2009):
Wessen loyale Diener?), S. 327.
17 Ebinger/Jochheim (2009): Wessen loyale Diener?, S. 329.
18 Bogumil et.al. (2012): Spitzenbeamte, S. 155.
19 Bogumil/Jann (2009): Verwaltung, S. 191.
20 Vgl. Ebinger/Schwanke (2006): Politisierung, S. 235.